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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Vie Ausbildung der preußischen höhern Verwaltungsbeamten

den Namen der Päpste in geschichtlicher Reihenfolge, selbst zu den alten
Klassikern ging man zurück und fragte wohl, ob der Kandidat noch Stellen
aus den Tragödien des Sophokles (!) im Gedächtnisse habe. Und wenn der
Kandidat in solchen "Spuzereien," wie diese der Staatsverwaltung allerdings
recht fern liegenden Gegenstände im Scherze benannt wurden, nicht gut be¬
schlagen war, so war das für sein Prüfungszeugnis keineswegs gleichgiltig.

Dieser Zopf, auf den freilich mancher Regierungsrat sehr stolz war, ist
glücklich abgeschnitten, aber auch die jetzigen Anforderungen werden sich ohne
Schaden für die Verwaltung ermäßigen lassen. Wissenschaftliche Abhandlungen
zu schreiben ist vielen nicht gegeben, und doch können diese Leute im praktischen
Leben etwas Tüchtiges leisten. Eine Prüfung im Privatrechte müßte unbedingt
wegfallen, denn die Kenntnisse hierin hat der Referendar in der ersten juristischen
Prüfung schon nachweisen müssen. Sich hierin weiter bilden zu müssen, kann
nur eine Beeinträchtigung wichtiger Studien zur Folge haben, außerdem ist
der Justiziar dazu berufen, über die Rechtsfragen zu Votiren und in dieser
Hinsicht auch die Verantwortung zu tragen. Die große Staatsprüfung soll
sich dann freilich auch auf Nationalökonomie und Finanzwissenschaft erstrecken,
aber man lasse sich nur einmal eine Aufzeichnung der in dieser Prüfung vor-
gekommnen Fragen geben, wie sie von den Kandidaten nach der Prüfung zu¬
sammengestellt und als öffentliches Geheimnis weiter gegeben werden, und
man wird sich überzeugen, wie sehr diese Wissenschaften in den Hintergrund
treten. Eine uns vorliegende derartige Aufzeichnung enthält keine einzige
Frage aus diesen Wissenschaften, nur Fragen ans dem Verwaltungsrechte und
den Verwaltungsgesetzen und Fragen aus dem privatrechtlichen Gebiete.

Wie wird die Vorbildung des künftigen Verwaltungsbeamten nun in einer
den Anforderungen des praktischen Lebens entsprechenden Weise einzurichten
sein? Wir haben vorhin gesehen, daß der Referendar jetzt nur bei dem Landrat
und allenfalls dem Vorstande einer Stadtgemeinde Gelegenheit hat, das prak¬
tische Leben kennen zu lernen, aber auch in Bezug auf die Thätigkeit der
Landräte, wie sie sich jetzt entwickelt hat, hat Herr von Köller Bedenken
geäußert. Diese mögen auch vielfach begründet sein, und besonders werden
die jungen Landräte, die oft wenige Jahre nach der großen Staatsprüfung
selbst noch unerfahren und in den meisten Angelegenheiten auf die Erfahrungen
der ältern Kreissekretäre angewiesen sind, sehr wenig geeignet sein, einen nicht
viel jüngern Referendar praktisch auszubilden; es wird daher immer eine Aus¬
wahl unter den Landräteu geboten sein. Man wird aber doch eine genügende
Anzahl älterer Lcmdrüte finden, die zu diesem Zwecke geeignet und außerhalb
ihrer Akten und ihrer Bureaus mit den Verhältnissen des Lebens vertraut
geworden sind. Wenn sie wollen, können die Landräte noch überall persönlich
und ohne sich auf das Dekretiren aus der Amtsstube zu beschränken, direkt
eingreifen und einwirken. Die Mehrzahl wohnt auch an kleinern Orten, wo


Vie Ausbildung der preußischen höhern Verwaltungsbeamten

den Namen der Päpste in geschichtlicher Reihenfolge, selbst zu den alten
Klassikern ging man zurück und fragte wohl, ob der Kandidat noch Stellen
aus den Tragödien des Sophokles (!) im Gedächtnisse habe. Und wenn der
Kandidat in solchen „Spuzereien," wie diese der Staatsverwaltung allerdings
recht fern liegenden Gegenstände im Scherze benannt wurden, nicht gut be¬
schlagen war, so war das für sein Prüfungszeugnis keineswegs gleichgiltig.

Dieser Zopf, auf den freilich mancher Regierungsrat sehr stolz war, ist
glücklich abgeschnitten, aber auch die jetzigen Anforderungen werden sich ohne
Schaden für die Verwaltung ermäßigen lassen. Wissenschaftliche Abhandlungen
zu schreiben ist vielen nicht gegeben, und doch können diese Leute im praktischen
Leben etwas Tüchtiges leisten. Eine Prüfung im Privatrechte müßte unbedingt
wegfallen, denn die Kenntnisse hierin hat der Referendar in der ersten juristischen
Prüfung schon nachweisen müssen. Sich hierin weiter bilden zu müssen, kann
nur eine Beeinträchtigung wichtiger Studien zur Folge haben, außerdem ist
der Justiziar dazu berufen, über die Rechtsfragen zu Votiren und in dieser
Hinsicht auch die Verantwortung zu tragen. Die große Staatsprüfung soll
sich dann freilich auch auf Nationalökonomie und Finanzwissenschaft erstrecken,
aber man lasse sich nur einmal eine Aufzeichnung der in dieser Prüfung vor-
gekommnen Fragen geben, wie sie von den Kandidaten nach der Prüfung zu¬
sammengestellt und als öffentliches Geheimnis weiter gegeben werden, und
man wird sich überzeugen, wie sehr diese Wissenschaften in den Hintergrund
treten. Eine uns vorliegende derartige Aufzeichnung enthält keine einzige
Frage aus diesen Wissenschaften, nur Fragen ans dem Verwaltungsrechte und
den Verwaltungsgesetzen und Fragen aus dem privatrechtlichen Gebiete.

Wie wird die Vorbildung des künftigen Verwaltungsbeamten nun in einer
den Anforderungen des praktischen Lebens entsprechenden Weise einzurichten
sein? Wir haben vorhin gesehen, daß der Referendar jetzt nur bei dem Landrat
und allenfalls dem Vorstande einer Stadtgemeinde Gelegenheit hat, das prak¬
tische Leben kennen zu lernen, aber auch in Bezug auf die Thätigkeit der
Landräte, wie sie sich jetzt entwickelt hat, hat Herr von Köller Bedenken
geäußert. Diese mögen auch vielfach begründet sein, und besonders werden
die jungen Landräte, die oft wenige Jahre nach der großen Staatsprüfung
selbst noch unerfahren und in den meisten Angelegenheiten auf die Erfahrungen
der ältern Kreissekretäre angewiesen sind, sehr wenig geeignet sein, einen nicht
viel jüngern Referendar praktisch auszubilden; es wird daher immer eine Aus¬
wahl unter den Landräteu geboten sein. Man wird aber doch eine genügende
Anzahl älterer Lcmdrüte finden, die zu diesem Zwecke geeignet und außerhalb
ihrer Akten und ihrer Bureaus mit den Verhältnissen des Lebens vertraut
geworden sind. Wenn sie wollen, können die Landräte noch überall persönlich
und ohne sich auf das Dekretiren aus der Amtsstube zu beschränken, direkt
eingreifen und einwirken. Die Mehrzahl wohnt auch an kleinern Orten, wo


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[0626] Vie Ausbildung der preußischen höhern Verwaltungsbeamten den Namen der Päpste in geschichtlicher Reihenfolge, selbst zu den alten Klassikern ging man zurück und fragte wohl, ob der Kandidat noch Stellen aus den Tragödien des Sophokles (!) im Gedächtnisse habe. Und wenn der Kandidat in solchen „Spuzereien," wie diese der Staatsverwaltung allerdings recht fern liegenden Gegenstände im Scherze benannt wurden, nicht gut be¬ schlagen war, so war das für sein Prüfungszeugnis keineswegs gleichgiltig. Dieser Zopf, auf den freilich mancher Regierungsrat sehr stolz war, ist glücklich abgeschnitten, aber auch die jetzigen Anforderungen werden sich ohne Schaden für die Verwaltung ermäßigen lassen. Wissenschaftliche Abhandlungen zu schreiben ist vielen nicht gegeben, und doch können diese Leute im praktischen Leben etwas Tüchtiges leisten. Eine Prüfung im Privatrechte müßte unbedingt wegfallen, denn die Kenntnisse hierin hat der Referendar in der ersten juristischen Prüfung schon nachweisen müssen. Sich hierin weiter bilden zu müssen, kann nur eine Beeinträchtigung wichtiger Studien zur Folge haben, außerdem ist der Justiziar dazu berufen, über die Rechtsfragen zu Votiren und in dieser Hinsicht auch die Verantwortung zu tragen. Die große Staatsprüfung soll sich dann freilich auch auf Nationalökonomie und Finanzwissenschaft erstrecken, aber man lasse sich nur einmal eine Aufzeichnung der in dieser Prüfung vor- gekommnen Fragen geben, wie sie von den Kandidaten nach der Prüfung zu¬ sammengestellt und als öffentliches Geheimnis weiter gegeben werden, und man wird sich überzeugen, wie sehr diese Wissenschaften in den Hintergrund treten. Eine uns vorliegende derartige Aufzeichnung enthält keine einzige Frage aus diesen Wissenschaften, nur Fragen ans dem Verwaltungsrechte und den Verwaltungsgesetzen und Fragen aus dem privatrechtlichen Gebiete. Wie wird die Vorbildung des künftigen Verwaltungsbeamten nun in einer den Anforderungen des praktischen Lebens entsprechenden Weise einzurichten sein? Wir haben vorhin gesehen, daß der Referendar jetzt nur bei dem Landrat und allenfalls dem Vorstande einer Stadtgemeinde Gelegenheit hat, das prak¬ tische Leben kennen zu lernen, aber auch in Bezug auf die Thätigkeit der Landräte, wie sie sich jetzt entwickelt hat, hat Herr von Köller Bedenken geäußert. Diese mögen auch vielfach begründet sein, und besonders werden die jungen Landräte, die oft wenige Jahre nach der großen Staatsprüfung selbst noch unerfahren und in den meisten Angelegenheiten auf die Erfahrungen der ältern Kreissekretäre angewiesen sind, sehr wenig geeignet sein, einen nicht viel jüngern Referendar praktisch auszubilden; es wird daher immer eine Aus¬ wahl unter den Landräteu geboten sein. Man wird aber doch eine genügende Anzahl älterer Lcmdrüte finden, die zu diesem Zwecke geeignet und außerhalb ihrer Akten und ihrer Bureaus mit den Verhältnissen des Lebens vertraut geworden sind. Wenn sie wollen, können die Landräte noch überall persönlich und ohne sich auf das Dekretiren aus der Amtsstube zu beschränken, direkt eingreifen und einwirken. Die Mehrzahl wohnt auch an kleinern Orten, wo

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/626>, abgerufen am 23.07.2024.