Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Ramxf um die Vorherrschaft in Deutschland

bieten. Noch im Laufe dieses Tages rückten sechs Korps und drei Kavallerie¬
divisionen in diese Stellung ein, und mitten unter ihnen nahm Benedek in
Dnbenetz sein Hauptquartier. Er hatte seinen Plan, das eine der feindlichen
Heere mit Übermacht anzugreifen, nunmehr völlig aufgegeben und konnte jetzt
nicht einmal die Vereinigung der feindlichen Armeen mehr verhindern. Am
30. Juni erstürmten die Garden Königinhof und gewannen damit den Über¬
gang über die Elbe; an demselben Tage warf Steinmetz Festetics bei Schwein¬
schädel zurück und erreichte um sechs Uhr abends bei Gradlitz ebenfalls die Elbe.

Von der andern Seite her näherte sich Prinz Friedrich Karl. Den
27. Juni hatte er benutzt, um sein Korps zum Vormarsch über die Jser zu
sammeln; am 28. lieferte ihm Kronprinz Albert, der einzige General der Nord¬
armee, der seiner Aufgabe gewachsen war, im Osten von Turnau her schon
halb umgangen, ein scharfes Rückzugsgefecht bei Münchengrätz und wich dann
auf Gitschin zurück, noch in der Meinung, hier die Hauptarmee erwarten zu
können, und deshalb entschlossen, die Stadt zu halten. Er glaubte damit
Venedeks Absichten zu entsprechen, denn am 29. Juni nachmittags zwei Uhr
traf -- mit unglaublicher Verspätung! -- dessen Befehl vom 28. abends sechs
Uhr ein, der den Vormarsch nach der Jser anordnete, und von der seitdem
völlig veränderten Kriegslage, vou den Niederlagen des 27. und 28. Juni,
wußte der Kronprinz noch nichts. So nahm er, als die Preußen, einer Auf¬
forderung Moltkes folgend, stärker nachdrängten, am Nachmittage des 29. Juni
die Schlacht vor Gitschin an. Da traf einhalb acht abends der Befehl zum
Rückzüge ein; um die drei Reitstunden von Josephstadt nach Gitschin zurück¬
zulegen, hatte diese entscheidende Weisung, die, wenn sie dem Kronprinzen nur
wenige Stunden früher zugegangen wäre, das ganze blutige Gefecht verhindert
hätte, einen ganzen Tag gebraucht! Jetzt mußte es unter schweren Verlusten
abgebrochen und der Rückzug in dunkler Nacht angetreten werden. Aber noch
mehr. Auch die Vereinigung der Jserarmee mit Benedek in der Stellung von
Dubenetz war jetzt unmöglich geworden, denn die Sachsen mit der Reiter¬
division Edelsheim waren nach Süden auf Smidar abgedrängt, und auch ein
Teil des tieferschütterten Korps Clam-Gallas nahm seinen fluchtartigen Rückzug
nicht nach Miletin und Dubenetz, wohin nur zwei Brigaden marschierten,
sondern, von der feindlichen Reiterei fortwährend aufgescheucht und umschwärmt,
nach Horschitz und Königgrätz.

Damit war auch die Stellung von Dubenetz, in ihrer linken Flanke schon
von Prinz Friedrich Karl bedroht, unhaltbar geworden. Völlig nieder¬
geschmettert befahl Benedek noch am 30. Juni den allgemeinen Rückzug auf
die Höhen im Westen von Königgrätz. Noch in der Nacht wurde der Marsch
angetreten, aber er vollzog sich in solcher Unordnung und daher so langsam,
daß die Korps erst am Abend des 1. Juli in die ihnen zugedachten Positionen
eingerückt waren. Ein Glück, daß der Kronprinz in Königinhof den Abzug


Grenzboten II 1898 77
Der Ramxf um die Vorherrschaft in Deutschland

bieten. Noch im Laufe dieses Tages rückten sechs Korps und drei Kavallerie¬
divisionen in diese Stellung ein, und mitten unter ihnen nahm Benedek in
Dnbenetz sein Hauptquartier. Er hatte seinen Plan, das eine der feindlichen
Heere mit Übermacht anzugreifen, nunmehr völlig aufgegeben und konnte jetzt
nicht einmal die Vereinigung der feindlichen Armeen mehr verhindern. Am
30. Juni erstürmten die Garden Königinhof und gewannen damit den Über¬
gang über die Elbe; an demselben Tage warf Steinmetz Festetics bei Schwein¬
schädel zurück und erreichte um sechs Uhr abends bei Gradlitz ebenfalls die Elbe.

Von der andern Seite her näherte sich Prinz Friedrich Karl. Den
27. Juni hatte er benutzt, um sein Korps zum Vormarsch über die Jser zu
sammeln; am 28. lieferte ihm Kronprinz Albert, der einzige General der Nord¬
armee, der seiner Aufgabe gewachsen war, im Osten von Turnau her schon
halb umgangen, ein scharfes Rückzugsgefecht bei Münchengrätz und wich dann
auf Gitschin zurück, noch in der Meinung, hier die Hauptarmee erwarten zu
können, und deshalb entschlossen, die Stadt zu halten. Er glaubte damit
Venedeks Absichten zu entsprechen, denn am 29. Juni nachmittags zwei Uhr
traf — mit unglaublicher Verspätung! — dessen Befehl vom 28. abends sechs
Uhr ein, der den Vormarsch nach der Jser anordnete, und von der seitdem
völlig veränderten Kriegslage, vou den Niederlagen des 27. und 28. Juni,
wußte der Kronprinz noch nichts. So nahm er, als die Preußen, einer Auf¬
forderung Moltkes folgend, stärker nachdrängten, am Nachmittage des 29. Juni
die Schlacht vor Gitschin an. Da traf einhalb acht abends der Befehl zum
Rückzüge ein; um die drei Reitstunden von Josephstadt nach Gitschin zurück¬
zulegen, hatte diese entscheidende Weisung, die, wenn sie dem Kronprinzen nur
wenige Stunden früher zugegangen wäre, das ganze blutige Gefecht verhindert
hätte, einen ganzen Tag gebraucht! Jetzt mußte es unter schweren Verlusten
abgebrochen und der Rückzug in dunkler Nacht angetreten werden. Aber noch
mehr. Auch die Vereinigung der Jserarmee mit Benedek in der Stellung von
Dubenetz war jetzt unmöglich geworden, denn die Sachsen mit der Reiter¬
division Edelsheim waren nach Süden auf Smidar abgedrängt, und auch ein
Teil des tieferschütterten Korps Clam-Gallas nahm seinen fluchtartigen Rückzug
nicht nach Miletin und Dubenetz, wohin nur zwei Brigaden marschierten,
sondern, von der feindlichen Reiterei fortwährend aufgescheucht und umschwärmt,
nach Horschitz und Königgrätz.

Damit war auch die Stellung von Dubenetz, in ihrer linken Flanke schon
von Prinz Friedrich Karl bedroht, unhaltbar geworden. Völlig nieder¬
geschmettert befahl Benedek noch am 30. Juni den allgemeinen Rückzug auf
die Höhen im Westen von Königgrätz. Noch in der Nacht wurde der Marsch
angetreten, aber er vollzog sich in solcher Unordnung und daher so langsam,
daß die Korps erst am Abend des 1. Juli in die ihnen zugedachten Positionen
eingerückt waren. Ein Glück, daß der Kronprinz in Königinhof den Abzug


Grenzboten II 1898 77
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0617" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228253"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Ramxf um die Vorherrschaft in Deutschland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1788" prev="#ID_1787"> bieten. Noch im Laufe dieses Tages rückten sechs Korps und drei Kavallerie¬<lb/>
divisionen in diese Stellung ein, und mitten unter ihnen nahm Benedek in<lb/>
Dnbenetz sein Hauptquartier. Er hatte seinen Plan, das eine der feindlichen<lb/>
Heere mit Übermacht anzugreifen, nunmehr völlig aufgegeben und konnte jetzt<lb/>
nicht einmal die Vereinigung der feindlichen Armeen mehr verhindern. Am<lb/>
30. Juni erstürmten die Garden Königinhof und gewannen damit den Über¬<lb/>
gang über die Elbe; an demselben Tage warf Steinmetz Festetics bei Schwein¬<lb/>
schädel zurück und erreichte um sechs Uhr abends bei Gradlitz ebenfalls die Elbe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1789"> Von der andern Seite her näherte sich Prinz Friedrich Karl. Den<lb/>
27. Juni hatte er benutzt, um sein Korps zum Vormarsch über die Jser zu<lb/>
sammeln; am 28. lieferte ihm Kronprinz Albert, der einzige General der Nord¬<lb/>
armee, der seiner Aufgabe gewachsen war, im Osten von Turnau her schon<lb/>
halb umgangen, ein scharfes Rückzugsgefecht bei Münchengrätz und wich dann<lb/>
auf Gitschin zurück, noch in der Meinung, hier die Hauptarmee erwarten zu<lb/>
können, und deshalb entschlossen, die Stadt zu halten. Er glaubte damit<lb/>
Venedeks Absichten zu entsprechen, denn am 29. Juni nachmittags zwei Uhr<lb/>
traf &#x2014; mit unglaublicher Verspätung! &#x2014; dessen Befehl vom 28. abends sechs<lb/>
Uhr ein, der den Vormarsch nach der Jser anordnete, und von der seitdem<lb/>
völlig veränderten Kriegslage, vou den Niederlagen des 27. und 28. Juni,<lb/>
wußte der Kronprinz noch nichts. So nahm er, als die Preußen, einer Auf¬<lb/>
forderung Moltkes folgend, stärker nachdrängten, am Nachmittage des 29. Juni<lb/>
die Schlacht vor Gitschin an. Da traf einhalb acht abends der Befehl zum<lb/>
Rückzüge ein; um die drei Reitstunden von Josephstadt nach Gitschin zurück¬<lb/>
zulegen, hatte diese entscheidende Weisung, die, wenn sie dem Kronprinzen nur<lb/>
wenige Stunden früher zugegangen wäre, das ganze blutige Gefecht verhindert<lb/>
hätte, einen ganzen Tag gebraucht! Jetzt mußte es unter schweren Verlusten<lb/>
abgebrochen und der Rückzug in dunkler Nacht angetreten werden. Aber noch<lb/>
mehr. Auch die Vereinigung der Jserarmee mit Benedek in der Stellung von<lb/>
Dubenetz war jetzt unmöglich geworden, denn die Sachsen mit der Reiter¬<lb/>
division Edelsheim waren nach Süden auf Smidar abgedrängt, und auch ein<lb/>
Teil des tieferschütterten Korps Clam-Gallas nahm seinen fluchtartigen Rückzug<lb/>
nicht nach Miletin und Dubenetz, wohin nur zwei Brigaden marschierten,<lb/>
sondern, von der feindlichen Reiterei fortwährend aufgescheucht und umschwärmt,<lb/>
nach Horschitz und Königgrätz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1790" next="#ID_1791"> Damit war auch die Stellung von Dubenetz, in ihrer linken Flanke schon<lb/>
von Prinz Friedrich Karl bedroht, unhaltbar geworden. Völlig nieder¬<lb/>
geschmettert befahl Benedek noch am 30. Juni den allgemeinen Rückzug auf<lb/>
die Höhen im Westen von Königgrätz. Noch in der Nacht wurde der Marsch<lb/>
angetreten, aber er vollzog sich in solcher Unordnung und daher so langsam,<lb/>
daß die Korps erst am Abend des 1. Juli in die ihnen zugedachten Positionen<lb/>
eingerückt waren. Ein Glück, daß der Kronprinz in Königinhof den Abzug</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1898 77</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0617] Der Ramxf um die Vorherrschaft in Deutschland bieten. Noch im Laufe dieses Tages rückten sechs Korps und drei Kavallerie¬ divisionen in diese Stellung ein, und mitten unter ihnen nahm Benedek in Dnbenetz sein Hauptquartier. Er hatte seinen Plan, das eine der feindlichen Heere mit Übermacht anzugreifen, nunmehr völlig aufgegeben und konnte jetzt nicht einmal die Vereinigung der feindlichen Armeen mehr verhindern. Am 30. Juni erstürmten die Garden Königinhof und gewannen damit den Über¬ gang über die Elbe; an demselben Tage warf Steinmetz Festetics bei Schwein¬ schädel zurück und erreichte um sechs Uhr abends bei Gradlitz ebenfalls die Elbe. Von der andern Seite her näherte sich Prinz Friedrich Karl. Den 27. Juni hatte er benutzt, um sein Korps zum Vormarsch über die Jser zu sammeln; am 28. lieferte ihm Kronprinz Albert, der einzige General der Nord¬ armee, der seiner Aufgabe gewachsen war, im Osten von Turnau her schon halb umgangen, ein scharfes Rückzugsgefecht bei Münchengrätz und wich dann auf Gitschin zurück, noch in der Meinung, hier die Hauptarmee erwarten zu können, und deshalb entschlossen, die Stadt zu halten. Er glaubte damit Venedeks Absichten zu entsprechen, denn am 29. Juni nachmittags zwei Uhr traf — mit unglaublicher Verspätung! — dessen Befehl vom 28. abends sechs Uhr ein, der den Vormarsch nach der Jser anordnete, und von der seitdem völlig veränderten Kriegslage, vou den Niederlagen des 27. und 28. Juni, wußte der Kronprinz noch nichts. So nahm er, als die Preußen, einer Auf¬ forderung Moltkes folgend, stärker nachdrängten, am Nachmittage des 29. Juni die Schlacht vor Gitschin an. Da traf einhalb acht abends der Befehl zum Rückzüge ein; um die drei Reitstunden von Josephstadt nach Gitschin zurück¬ zulegen, hatte diese entscheidende Weisung, die, wenn sie dem Kronprinzen nur wenige Stunden früher zugegangen wäre, das ganze blutige Gefecht verhindert hätte, einen ganzen Tag gebraucht! Jetzt mußte es unter schweren Verlusten abgebrochen und der Rückzug in dunkler Nacht angetreten werden. Aber noch mehr. Auch die Vereinigung der Jserarmee mit Benedek in der Stellung von Dubenetz war jetzt unmöglich geworden, denn die Sachsen mit der Reiter¬ division Edelsheim waren nach Süden auf Smidar abgedrängt, und auch ein Teil des tieferschütterten Korps Clam-Gallas nahm seinen fluchtartigen Rückzug nicht nach Miletin und Dubenetz, wohin nur zwei Brigaden marschierten, sondern, von der feindlichen Reiterei fortwährend aufgescheucht und umschwärmt, nach Horschitz und Königgrätz. Damit war auch die Stellung von Dubenetz, in ihrer linken Flanke schon von Prinz Friedrich Karl bedroht, unhaltbar geworden. Völlig nieder¬ geschmettert befahl Benedek noch am 30. Juni den allgemeinen Rückzug auf die Höhen im Westen von Königgrätz. Noch in der Nacht wurde der Marsch angetreten, aber er vollzog sich in solcher Unordnung und daher so langsam, daß die Korps erst am Abend des 1. Juli in die ihnen zugedachten Positionen eingerückt waren. Ein Glück, daß der Kronprinz in Königinhof den Abzug Grenzboten II 1898 77

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/617
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/617>, abgerufen am 23.07.2024.