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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

der Richtung nach Pilnikau und Gitschin, das V. (Steinmetz) gefolgt vom VI.
(Mutius) von Glatz her gegen Nachod, in der Mitte zwischen beiden die Garden
als eine Art von Reserve für beide über Braunau. Anfangs schienen Benedeks
Voraussetzungen zuzutreffen. Gablenz wies am 27. Juni Bonin bei Trautenau
siegreich zurück, und gegen Ramming konnte Steinmetz bei Nachod eben nur den
Ausgang aus dem Desilee gewinnen. Daher setzte Benedek auch jetzt noch seine
Bewegung nach der Jser hin fort, schickte aber gegen den Kronprinzen noch
zwei Korps, das VIII. des Erzherzogs Leopold und das IV. (Festetics), die
beide ihren Marsch nach der Jser abbrechen mußten, um Ramming bei
Skalitz zu Hilfe zu kommen. Hier standen also am Morgen des 28. Juni
drei österreichische Armeekorps mit zehn Brigaden dem einzigen Armeekorps
Steinmetz (vier Brigaden) und einer Brigade vom VI. Korps gegenüber,
70000 gegen 30000 Mann, und Benedek selbst erschien bei seinen Truppen,
von ihnen mit Jubel begrüßt, denn sie erwarteten endlich von ihm zu einem
entscheidenden Schlage gegen den Feind geführt zu werden. In der That
rieten ihm auch Ramming und andre Offiziere dringend dazu, seine augenblick¬
liche Übermacht zu einem solchen zu benutzen, und vermutlich wäre es ihm ge¬
lungen, Steinmetz ins Gebirge zurückzuwerfen, worauf dann die vereinzelten
Garden ihren Vormarsch schwerlich hätten fortsetzen können, aber Benedek und
Krismanitsch wollten sich in ihrem "Plane" nicht stören lassen, gaben also den
Korps den Befehl, zurückzugehen, und kehrten selbst nach Josephstadt zurück.
Damit verspielten sie die letzte Möglichkeit zu einem entscheidenden Schlage;
es war die Krisis des Feldzugs. Mehrere Jahre später hat der Kriegsminister
Kühn zu seinem frühern Waffengefährten Benedek gesagt: "Freund, das war
dein Fehler, daß du den preußischen Kronprinzen nicht am 28. Juni angegriffen
hast." Die schlimmen Folgen zeigten sich auf der Stelle. Benedeks ausdrück¬
lichen Befehl ungehorsam blieb der Erzherzog Leopold ehrenhalber bei Skalitz
stehen und erlitt hier noch an demselben 28. Juni gegen den ungestüm an¬
dringenden Steinmetz eine zerschmetternde Niederlage. In denselben Stunden
faßten die Garden, von Eipel her vorbrechend, das Korps Gablenz in die
Flanke und drängten es nach dem blutigen Treffen bei Soor und Burkers-
dorf von Josephstadt ab nach Westen auf Königinhof zurück. Die Korps des
Kronprinzen hatten den Ausweg aus den Pässen erkämpft, waren vereinigt
und standen nur noch einen Tagemarsch vou der Elbe entfernt den Öster¬
reichern in der Flanke.

Damit war deren Vormarsch nach der Jser unmöglich geworden; abends
elf Uhr ergingen aus Josephstadt Benedeks Befehle an die vordersten Korps,
anzuhalten. Noch Hütte die Möglichkeit vorgelegen, mit raschem Frontwechsel
eine Übermacht auf das schlesische Heer zu werfen, allein dazu fehlte der Ent¬
schluß. Noch am 29. gab vielmehr Krismanitsch die Befehle aus, das ganze
Heer südlich von Königinhof auf der Hochebne von Dubenetz zu vereinigen, in
der Stellung von 1778, um hier wie damals den Preußen die Spitze zu


Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

der Richtung nach Pilnikau und Gitschin, das V. (Steinmetz) gefolgt vom VI.
(Mutius) von Glatz her gegen Nachod, in der Mitte zwischen beiden die Garden
als eine Art von Reserve für beide über Braunau. Anfangs schienen Benedeks
Voraussetzungen zuzutreffen. Gablenz wies am 27. Juni Bonin bei Trautenau
siegreich zurück, und gegen Ramming konnte Steinmetz bei Nachod eben nur den
Ausgang aus dem Desilee gewinnen. Daher setzte Benedek auch jetzt noch seine
Bewegung nach der Jser hin fort, schickte aber gegen den Kronprinzen noch
zwei Korps, das VIII. des Erzherzogs Leopold und das IV. (Festetics), die
beide ihren Marsch nach der Jser abbrechen mußten, um Ramming bei
Skalitz zu Hilfe zu kommen. Hier standen also am Morgen des 28. Juni
drei österreichische Armeekorps mit zehn Brigaden dem einzigen Armeekorps
Steinmetz (vier Brigaden) und einer Brigade vom VI. Korps gegenüber,
70000 gegen 30000 Mann, und Benedek selbst erschien bei seinen Truppen,
von ihnen mit Jubel begrüßt, denn sie erwarteten endlich von ihm zu einem
entscheidenden Schlage gegen den Feind geführt zu werden. In der That
rieten ihm auch Ramming und andre Offiziere dringend dazu, seine augenblick¬
liche Übermacht zu einem solchen zu benutzen, und vermutlich wäre es ihm ge¬
lungen, Steinmetz ins Gebirge zurückzuwerfen, worauf dann die vereinzelten
Garden ihren Vormarsch schwerlich hätten fortsetzen können, aber Benedek und
Krismanitsch wollten sich in ihrem „Plane" nicht stören lassen, gaben also den
Korps den Befehl, zurückzugehen, und kehrten selbst nach Josephstadt zurück.
Damit verspielten sie die letzte Möglichkeit zu einem entscheidenden Schlage;
es war die Krisis des Feldzugs. Mehrere Jahre später hat der Kriegsminister
Kühn zu seinem frühern Waffengefährten Benedek gesagt: „Freund, das war
dein Fehler, daß du den preußischen Kronprinzen nicht am 28. Juni angegriffen
hast." Die schlimmen Folgen zeigten sich auf der Stelle. Benedeks ausdrück¬
lichen Befehl ungehorsam blieb der Erzherzog Leopold ehrenhalber bei Skalitz
stehen und erlitt hier noch an demselben 28. Juni gegen den ungestüm an¬
dringenden Steinmetz eine zerschmetternde Niederlage. In denselben Stunden
faßten die Garden, von Eipel her vorbrechend, das Korps Gablenz in die
Flanke und drängten es nach dem blutigen Treffen bei Soor und Burkers-
dorf von Josephstadt ab nach Westen auf Königinhof zurück. Die Korps des
Kronprinzen hatten den Ausweg aus den Pässen erkämpft, waren vereinigt
und standen nur noch einen Tagemarsch vou der Elbe entfernt den Öster¬
reichern in der Flanke.

Damit war deren Vormarsch nach der Jser unmöglich geworden; abends
elf Uhr ergingen aus Josephstadt Benedeks Befehle an die vordersten Korps,
anzuhalten. Noch Hütte die Möglichkeit vorgelegen, mit raschem Frontwechsel
eine Übermacht auf das schlesische Heer zu werfen, allein dazu fehlte der Ent¬
schluß. Noch am 29. gab vielmehr Krismanitsch die Befehle aus, das ganze
Heer südlich von Königinhof auf der Hochebne von Dubenetz zu vereinigen, in
der Stellung von 1778, um hier wie damals den Preußen die Spitze zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/616>, abgerufen am 23.07.2024.