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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Auf der Akademie

Dem Vater wars recht, als ich ihm sagte: Ich will fort, und zwar nach
München. Er hätte selber schon dran gedacht, sagte er. Ich sollte auf dem
Sprung sein, falls in Pullach was passirte. Der Großvater war einmal krank im
vergangnen Jahre, und der Vater meint, wenn an den alten Habicht was kommt,
dann ist es gewiß zum Tode. Er hat mir gesagt, in München in der Blüteu-
straße wohn ein Bekannter von ihm, der Pvchinger, der hat auch eine Druckerei.
Bei dein könnt ich Arbeit nehmen, und dann, Wenns die Gelegenheit giebt, hat
der Vater gesagt, etwa daß der Großvater krank wird, und kein erwachsenes Manns¬
bild außer den Knechten auf dem Hof draußen ist, daß sie dich brauchen, dann
zeig, was du wert bist, und wenn du einmal draußen sitzt, dann sitzt du auch
fest. Dem Joseph seine Mutter hat bei des Großvaters Lebzeiten nie den Mund
aufgethan und wirds nach seinem Tod nicht auf einen Prozeß hin versuchen, dich
wieder hinauszudrängen. -- Nein, Vater, habe ich gesagt, ich will ja auf die
Akademie, Kunstmaler werden!

Da hättest du ihn sehn sollen. Zuerst hab ich gemeint, er wird zuschlagen.
Vater, sagte ich, du hast es jn selber gesagt: Zweihundert Mark soll ich kriegen
an dem Tag, wo ich dir ein Historienbild von meiner Hand vor die Augen stelle. --
Bub, hat er geantwortet, alles hat seine Zeit, die Betrunkenheit auch. Aber wenn
der Rausch ausgeschlafen ist, dann ist man wieder wie vorher ein vernünftiger
Mensch, außer man ist rechtschaffen verrückt, und ich will nicht hoffen, daß es mit
dir so steht. -- Wir haben nicht mehr davon geredet. Er wird meinen, ich würde
schon bedacht sein, mich von der Verrücktheit ledig zu erweisen. Den Brief an den
Pochinger hat er mir mitgegeben, und so bin ich halt hier. Jn Pullach draußen
bin ich gewesen, heute, bevor ich zu dir in die Akademie kam. Den Joseph hab
ich herausrufen lassen. Er ist gesprungen wie ein Lamm, als er mich sah, und
hat nicht geruht, bis ich mit ihm ins Haus gekommen bin. Der Großvater ist
auch nicht weiter wild gewesen. Vielleicht hat er gedacht, ich käme wegen meiner
Rechte, von denen der Vater immer spricht, und wie von der Art nichts zum Vor¬
schein kam, ist er ganz umgänglich geworden, hat gefragt, wies mit meinem Ge¬
werbe geh, und gesagt, am Sonntag sollt ich nur zu ihnen hinauskommen: So
einer wie du wird hier immer noch satt! -- Also schon, für einmal satt essen in
der Woche ist schon gesorgt, und dann mein Geld! Für eine Weile reiches --
wenn du also meinst, so probir ichs halt.

Freilich, versuch es doch, sagte Rainer. Aber was war denn das mit den
zweihundert Mark, die dir dein Vater geben sollte?

Wilhelm wurde rot und erzählte die Geschichte jenes Kegelabends. Den ver-
tragnen Zettel mit den Unterschriften hatte er immer bei sich. Er faltete ihn vor¬
sichtig auseinander und reichte ihn Rainer hin: Siehst du, in der Zukunft hab ich
einmal das Geld gut.

Ja, und wenn du dir dies Geld Verdienst, dann kannst du der Künstlerschaft
adieu sagen, antwortete Rainer heftig. Ich wenigstens will nichts mit Historien¬
malern zu thun haben, diesen Großmäulern. Ins Hoftheater gehn und im fünften
Akt, wenn der Held in der Schlußpose steht, den Apparat hernehmen und Phvtv-
grnphiren, das können sie.

Thun sie das? fragte Wilhelm verschüchtert.

Ob sich thun oder nicht thun, weiß ich nicht. Aber Historienbilder sehen so
aus, als ob sich thäten. Wenn einer Atlas und sonstwas malen will, was zum
Stilleben gehört, meinetwegen! Und wenn er bengalisches Feuer gern hat, das ist
zwar keine künstlerische, aber doch vielleicht eine verzeihliche Liebhaberei. Wenn


Auf der Akademie

Dem Vater wars recht, als ich ihm sagte: Ich will fort, und zwar nach
München. Er hätte selber schon dran gedacht, sagte er. Ich sollte auf dem
Sprung sein, falls in Pullach was passirte. Der Großvater war einmal krank im
vergangnen Jahre, und der Vater meint, wenn an den alten Habicht was kommt,
dann ist es gewiß zum Tode. Er hat mir gesagt, in München in der Blüteu-
straße wohn ein Bekannter von ihm, der Pvchinger, der hat auch eine Druckerei.
Bei dein könnt ich Arbeit nehmen, und dann, Wenns die Gelegenheit giebt, hat
der Vater gesagt, etwa daß der Großvater krank wird, und kein erwachsenes Manns¬
bild außer den Knechten auf dem Hof draußen ist, daß sie dich brauchen, dann
zeig, was du wert bist, und wenn du einmal draußen sitzt, dann sitzt du auch
fest. Dem Joseph seine Mutter hat bei des Großvaters Lebzeiten nie den Mund
aufgethan und wirds nach seinem Tod nicht auf einen Prozeß hin versuchen, dich
wieder hinauszudrängen. — Nein, Vater, habe ich gesagt, ich will ja auf die
Akademie, Kunstmaler werden!

Da hättest du ihn sehn sollen. Zuerst hab ich gemeint, er wird zuschlagen.
Vater, sagte ich, du hast es jn selber gesagt: Zweihundert Mark soll ich kriegen
an dem Tag, wo ich dir ein Historienbild von meiner Hand vor die Augen stelle. —
Bub, hat er geantwortet, alles hat seine Zeit, die Betrunkenheit auch. Aber wenn
der Rausch ausgeschlafen ist, dann ist man wieder wie vorher ein vernünftiger
Mensch, außer man ist rechtschaffen verrückt, und ich will nicht hoffen, daß es mit
dir so steht. — Wir haben nicht mehr davon geredet. Er wird meinen, ich würde
schon bedacht sein, mich von der Verrücktheit ledig zu erweisen. Den Brief an den
Pochinger hat er mir mitgegeben, und so bin ich halt hier. Jn Pullach draußen
bin ich gewesen, heute, bevor ich zu dir in die Akademie kam. Den Joseph hab
ich herausrufen lassen. Er ist gesprungen wie ein Lamm, als er mich sah, und
hat nicht geruht, bis ich mit ihm ins Haus gekommen bin. Der Großvater ist
auch nicht weiter wild gewesen. Vielleicht hat er gedacht, ich käme wegen meiner
Rechte, von denen der Vater immer spricht, und wie von der Art nichts zum Vor¬
schein kam, ist er ganz umgänglich geworden, hat gefragt, wies mit meinem Ge¬
werbe geh, und gesagt, am Sonntag sollt ich nur zu ihnen hinauskommen: So
einer wie du wird hier immer noch satt! — Also schon, für einmal satt essen in
der Woche ist schon gesorgt, und dann mein Geld! Für eine Weile reiches —
wenn du also meinst, so probir ichs halt.

Freilich, versuch es doch, sagte Rainer. Aber was war denn das mit den
zweihundert Mark, die dir dein Vater geben sollte?

Wilhelm wurde rot und erzählte die Geschichte jenes Kegelabends. Den ver-
tragnen Zettel mit den Unterschriften hatte er immer bei sich. Er faltete ihn vor¬
sichtig auseinander und reichte ihn Rainer hin: Siehst du, in der Zukunft hab ich
einmal das Geld gut.

Ja, und wenn du dir dies Geld Verdienst, dann kannst du der Künstlerschaft
adieu sagen, antwortete Rainer heftig. Ich wenigstens will nichts mit Historien¬
malern zu thun haben, diesen Großmäulern. Ins Hoftheater gehn und im fünften
Akt, wenn der Held in der Schlußpose steht, den Apparat hernehmen und Phvtv-
grnphiren, das können sie.

Thun sie das? fragte Wilhelm verschüchtert.

Ob sich thun oder nicht thun, weiß ich nicht. Aber Historienbilder sehen so
aus, als ob sich thäten. Wenn einer Atlas und sonstwas malen will, was zum
Stilleben gehört, meinetwegen! Und wenn er bengalisches Feuer gern hat, das ist
zwar keine künstlerische, aber doch vielleicht eine verzeihliche Liebhaberei. Wenn


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[0602] Auf der Akademie Dem Vater wars recht, als ich ihm sagte: Ich will fort, und zwar nach München. Er hätte selber schon dran gedacht, sagte er. Ich sollte auf dem Sprung sein, falls in Pullach was passirte. Der Großvater war einmal krank im vergangnen Jahre, und der Vater meint, wenn an den alten Habicht was kommt, dann ist es gewiß zum Tode. Er hat mir gesagt, in München in der Blüteu- straße wohn ein Bekannter von ihm, der Pvchinger, der hat auch eine Druckerei. Bei dein könnt ich Arbeit nehmen, und dann, Wenns die Gelegenheit giebt, hat der Vater gesagt, etwa daß der Großvater krank wird, und kein erwachsenes Manns¬ bild außer den Knechten auf dem Hof draußen ist, daß sie dich brauchen, dann zeig, was du wert bist, und wenn du einmal draußen sitzt, dann sitzt du auch fest. Dem Joseph seine Mutter hat bei des Großvaters Lebzeiten nie den Mund aufgethan und wirds nach seinem Tod nicht auf einen Prozeß hin versuchen, dich wieder hinauszudrängen. — Nein, Vater, habe ich gesagt, ich will ja auf die Akademie, Kunstmaler werden! Da hättest du ihn sehn sollen. Zuerst hab ich gemeint, er wird zuschlagen. Vater, sagte ich, du hast es jn selber gesagt: Zweihundert Mark soll ich kriegen an dem Tag, wo ich dir ein Historienbild von meiner Hand vor die Augen stelle. — Bub, hat er geantwortet, alles hat seine Zeit, die Betrunkenheit auch. Aber wenn der Rausch ausgeschlafen ist, dann ist man wieder wie vorher ein vernünftiger Mensch, außer man ist rechtschaffen verrückt, und ich will nicht hoffen, daß es mit dir so steht. — Wir haben nicht mehr davon geredet. Er wird meinen, ich würde schon bedacht sein, mich von der Verrücktheit ledig zu erweisen. Den Brief an den Pochinger hat er mir mitgegeben, und so bin ich halt hier. Jn Pullach draußen bin ich gewesen, heute, bevor ich zu dir in die Akademie kam. Den Joseph hab ich herausrufen lassen. Er ist gesprungen wie ein Lamm, als er mich sah, und hat nicht geruht, bis ich mit ihm ins Haus gekommen bin. Der Großvater ist auch nicht weiter wild gewesen. Vielleicht hat er gedacht, ich käme wegen meiner Rechte, von denen der Vater immer spricht, und wie von der Art nichts zum Vor¬ schein kam, ist er ganz umgänglich geworden, hat gefragt, wies mit meinem Ge¬ werbe geh, und gesagt, am Sonntag sollt ich nur zu ihnen hinauskommen: So einer wie du wird hier immer noch satt! — Also schon, für einmal satt essen in der Woche ist schon gesorgt, und dann mein Geld! Für eine Weile reiches — wenn du also meinst, so probir ichs halt. Freilich, versuch es doch, sagte Rainer. Aber was war denn das mit den zweihundert Mark, die dir dein Vater geben sollte? Wilhelm wurde rot und erzählte die Geschichte jenes Kegelabends. Den ver- tragnen Zettel mit den Unterschriften hatte er immer bei sich. Er faltete ihn vor¬ sichtig auseinander und reichte ihn Rainer hin: Siehst du, in der Zukunft hab ich einmal das Geld gut. Ja, und wenn du dir dies Geld Verdienst, dann kannst du der Künstlerschaft adieu sagen, antwortete Rainer heftig. Ich wenigstens will nichts mit Historien¬ malern zu thun haben, diesen Großmäulern. Ins Hoftheater gehn und im fünften Akt, wenn der Held in der Schlußpose steht, den Apparat hernehmen und Phvtv- grnphiren, das können sie. Thun sie das? fragte Wilhelm verschüchtert. Ob sich thun oder nicht thun, weiß ich nicht. Aber Historienbilder sehen so aus, als ob sich thäten. Wenn einer Atlas und sonstwas malen will, was zum Stilleben gehört, meinetwegen! Und wenn er bengalisches Feuer gern hat, das ist zwar keine künstlerische, aber doch vielleicht eine verzeihliche Liebhaberei. Wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/602>, abgerufen am 28.12.2024.