Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

gefühl auch der nichtdeutschen Nationalitäten beleben, also die thatsächliche
Vorherrschaft der Dentschen, die doch für eine großdeutsche Politik die unent¬
behrliche Voraussetzung war, ins Wanken bringen. Die Seele dieser Politik
war Anton von Schmerling (seit Dezember 1860), der Schöpfer der einheits¬
staatlichen parlamentarischen Verfassung vom 16. Februar 1861. Aber weder
konnte er die Ungarn zur Unterwerfung unter diese Verfassung bewegen, noch
war der Kaiser vollständig mit ihm einverstanden, und die auswärtige Politik
wurde nicht ganz in seinem Sinne geleitet. Vielmehr erstrebte Graf Bernhard
Rechberg, 1855 bis 1859 Bundestagsgesandter neben Bismarck, ein enges Zu¬
sammengehen mit Preußen im Sinne des alten friedlichen Dualismus vor
1848, also ungefähr dasselbe, was auch Bismarck ursprünglich wollte. Beide
Auffassungen bekämpften sich fortwährend im Kabinett und im Ministerrat,
denn sie schlössen sich aus. siegte Schmerling, so mußte Preußen mit Gewalt
niedergeworfen und auf die Stellung eines Mittelstaats hinabgedrückt, also ein
Krieg auf Leben und Tod geführt werden, da doch an eine friedliche Unter¬
werfung Preußens unter die österreichische Vorherrschaft damals, unter der
Leitung König Wilhelms und Bismarcks, gar nicht mehr zu denken war. Zu¬
nächst behauptete Schmerling das Übergewicht, er knüpfte auch mit den preußen¬
feindlichen Ultramontanen und Demokraten in Deutschland Verbindungen an.
Von diesen, von Julius Fröbel, einem Demokraten von 1848, und dem Erb¬
prinzen von Thurn und Taxis, einem Haupte der Ultramontanen, ging der
Gedanke aus, Kaiser Franz Joseph solle durch einen Fürstentag in Frankfurt
die Reform des deutschen Bundes im österreichisch-großdcutschen Sinne selb¬
ständig in die Hand nehmen. Schmerling und der Freiherr M. von Biege¬
leben, der Referent für die deutschen Angelegenheiten, ein geborner Hessen-
Darmstädter von durchaus katholisch-aristokratischer Überzeugung, geistvoll und
federgewandt, aber mehr gelehrter Publizist als praktischer Staatsmann,
stimmten eifrig bei, Graf Rechberg widersprach aufs entschiedenste und setzte
es wenigstens durch, daß uicht Schmerling, wie dieser natürlich erwartet hatte,
sondern er selbst mit Biegeleben den Kaiser nach Frankfurt begleitete. Das that¬
sächliche Scheitern des Fürstentags im August 1863 war natürlich auch eine
entschied"" persönliche Niederlage Schmerlings und ein Sieg Rechbergs.

So gelang es Rechberg, das gute Einvernehmen mit Preußen noch einmal
herzustellen. In der Schleswig-holsteinischen Frage gingen 1864 beide Gro߬
mächte, die Mittelstaaten beiseite schiebend, gemeinsam vor und nahmen die Herzog¬
tümer den Dänen ab. Aber sobald die Frage auftauchte, was denn nun aus
dieser gemeinsamen Eroberung werden sollte, begannen ihre Bahnen sich wieder
zu trennen. Nechbergs Rat, gegen den Verzicht ans das Anrecht Österreichs
an Schleswig-Holstein die preußische Bürgschaft für den Besitz Veneziens ein¬
zutauschen, drang nicht durch, und obwohl im August 1864 die beiden Mo¬
narchen mit ihren Ministern noch einmal in Wien zusammentrafen und hier
selbst einen gemeinsamen Krieg gegen Frankreich ins Auge faßten, so begann


Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

gefühl auch der nichtdeutschen Nationalitäten beleben, also die thatsächliche
Vorherrschaft der Dentschen, die doch für eine großdeutsche Politik die unent¬
behrliche Voraussetzung war, ins Wanken bringen. Die Seele dieser Politik
war Anton von Schmerling (seit Dezember 1860), der Schöpfer der einheits¬
staatlichen parlamentarischen Verfassung vom 16. Februar 1861. Aber weder
konnte er die Ungarn zur Unterwerfung unter diese Verfassung bewegen, noch
war der Kaiser vollständig mit ihm einverstanden, und die auswärtige Politik
wurde nicht ganz in seinem Sinne geleitet. Vielmehr erstrebte Graf Bernhard
Rechberg, 1855 bis 1859 Bundestagsgesandter neben Bismarck, ein enges Zu¬
sammengehen mit Preußen im Sinne des alten friedlichen Dualismus vor
1848, also ungefähr dasselbe, was auch Bismarck ursprünglich wollte. Beide
Auffassungen bekämpften sich fortwährend im Kabinett und im Ministerrat,
denn sie schlössen sich aus. siegte Schmerling, so mußte Preußen mit Gewalt
niedergeworfen und auf die Stellung eines Mittelstaats hinabgedrückt, also ein
Krieg auf Leben und Tod geführt werden, da doch an eine friedliche Unter¬
werfung Preußens unter die österreichische Vorherrschaft damals, unter der
Leitung König Wilhelms und Bismarcks, gar nicht mehr zu denken war. Zu¬
nächst behauptete Schmerling das Übergewicht, er knüpfte auch mit den preußen¬
feindlichen Ultramontanen und Demokraten in Deutschland Verbindungen an.
Von diesen, von Julius Fröbel, einem Demokraten von 1848, und dem Erb¬
prinzen von Thurn und Taxis, einem Haupte der Ultramontanen, ging der
Gedanke aus, Kaiser Franz Joseph solle durch einen Fürstentag in Frankfurt
die Reform des deutschen Bundes im österreichisch-großdcutschen Sinne selb¬
ständig in die Hand nehmen. Schmerling und der Freiherr M. von Biege¬
leben, der Referent für die deutschen Angelegenheiten, ein geborner Hessen-
Darmstädter von durchaus katholisch-aristokratischer Überzeugung, geistvoll und
federgewandt, aber mehr gelehrter Publizist als praktischer Staatsmann,
stimmten eifrig bei, Graf Rechberg widersprach aufs entschiedenste und setzte
es wenigstens durch, daß uicht Schmerling, wie dieser natürlich erwartet hatte,
sondern er selbst mit Biegeleben den Kaiser nach Frankfurt begleitete. Das that¬
sächliche Scheitern des Fürstentags im August 1863 war natürlich auch eine
entschied»« persönliche Niederlage Schmerlings und ein Sieg Rechbergs.

So gelang es Rechberg, das gute Einvernehmen mit Preußen noch einmal
herzustellen. In der Schleswig-holsteinischen Frage gingen 1864 beide Gro߬
mächte, die Mittelstaaten beiseite schiebend, gemeinsam vor und nahmen die Herzog¬
tümer den Dänen ab. Aber sobald die Frage auftauchte, was denn nun aus
dieser gemeinsamen Eroberung werden sollte, begannen ihre Bahnen sich wieder
zu trennen. Nechbergs Rat, gegen den Verzicht ans das Anrecht Österreichs
an Schleswig-Holstein die preußische Bürgschaft für den Besitz Veneziens ein¬
zutauschen, drang nicht durch, und obwohl im August 1864 die beiden Mo¬
narchen mit ihren Ministern noch einmal in Wien zusammentrafen und hier
selbst einen gemeinsamen Krieg gegen Frankreich ins Auge faßten, so begann


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0567" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228203"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1596" prev="#ID_1595"> gefühl auch der nichtdeutschen Nationalitäten beleben, also die thatsächliche<lb/>
Vorherrschaft der Dentschen, die doch für eine großdeutsche Politik die unent¬<lb/>
behrliche Voraussetzung war, ins Wanken bringen. Die Seele dieser Politik<lb/>
war Anton von Schmerling (seit Dezember 1860), der Schöpfer der einheits¬<lb/>
staatlichen parlamentarischen Verfassung vom 16. Februar 1861. Aber weder<lb/>
konnte er die Ungarn zur Unterwerfung unter diese Verfassung bewegen, noch<lb/>
war der Kaiser vollständig mit ihm einverstanden, und die auswärtige Politik<lb/>
wurde nicht ganz in seinem Sinne geleitet. Vielmehr erstrebte Graf Bernhard<lb/>
Rechberg, 1855 bis 1859 Bundestagsgesandter neben Bismarck, ein enges Zu¬<lb/>
sammengehen mit Preußen im Sinne des alten friedlichen Dualismus vor<lb/>
1848, also ungefähr dasselbe, was auch Bismarck ursprünglich wollte. Beide<lb/>
Auffassungen bekämpften sich fortwährend im Kabinett und im Ministerrat,<lb/>
denn sie schlössen sich aus. siegte Schmerling, so mußte Preußen mit Gewalt<lb/>
niedergeworfen und auf die Stellung eines Mittelstaats hinabgedrückt, also ein<lb/>
Krieg auf Leben und Tod geführt werden, da doch an eine friedliche Unter¬<lb/>
werfung Preußens unter die österreichische Vorherrschaft damals, unter der<lb/>
Leitung König Wilhelms und Bismarcks, gar nicht mehr zu denken war. Zu¬<lb/>
nächst behauptete Schmerling das Übergewicht, er knüpfte auch mit den preußen¬<lb/>
feindlichen Ultramontanen und Demokraten in Deutschland Verbindungen an.<lb/>
Von diesen, von Julius Fröbel, einem Demokraten von 1848, und dem Erb¬<lb/>
prinzen von Thurn und Taxis, einem Haupte der Ultramontanen, ging der<lb/>
Gedanke aus, Kaiser Franz Joseph solle durch einen Fürstentag in Frankfurt<lb/>
die Reform des deutschen Bundes im österreichisch-großdcutschen Sinne selb¬<lb/>
ständig in die Hand nehmen. Schmerling und der Freiherr M. von Biege¬<lb/>
leben, der Referent für die deutschen Angelegenheiten, ein geborner Hessen-<lb/>
Darmstädter von durchaus katholisch-aristokratischer Überzeugung, geistvoll und<lb/>
federgewandt, aber mehr gelehrter Publizist als praktischer Staatsmann,<lb/>
stimmten eifrig bei, Graf Rechberg widersprach aufs entschiedenste und setzte<lb/>
es wenigstens durch, daß uicht Schmerling, wie dieser natürlich erwartet hatte,<lb/>
sondern er selbst mit Biegeleben den Kaiser nach Frankfurt begleitete. Das that¬<lb/>
sächliche Scheitern des Fürstentags im August 1863 war natürlich auch eine<lb/>
entschied»« persönliche Niederlage Schmerlings und ein Sieg Rechbergs.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1597" next="#ID_1598"> So gelang es Rechberg, das gute Einvernehmen mit Preußen noch einmal<lb/>
herzustellen. In der Schleswig-holsteinischen Frage gingen 1864 beide Gro߬<lb/>
mächte, die Mittelstaaten beiseite schiebend, gemeinsam vor und nahmen die Herzog¬<lb/>
tümer den Dänen ab. Aber sobald die Frage auftauchte, was denn nun aus<lb/>
dieser gemeinsamen Eroberung werden sollte, begannen ihre Bahnen sich wieder<lb/>
zu trennen. Nechbergs Rat, gegen den Verzicht ans das Anrecht Österreichs<lb/>
an Schleswig-Holstein die preußische Bürgschaft für den Besitz Veneziens ein¬<lb/>
zutauschen, drang nicht durch, und obwohl im August 1864 die beiden Mo¬<lb/>
narchen mit ihren Ministern noch einmal in Wien zusammentrafen und hier<lb/>
selbst einen gemeinsamen Krieg gegen Frankreich ins Auge faßten, so begann</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0567] Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland gefühl auch der nichtdeutschen Nationalitäten beleben, also die thatsächliche Vorherrschaft der Dentschen, die doch für eine großdeutsche Politik die unent¬ behrliche Voraussetzung war, ins Wanken bringen. Die Seele dieser Politik war Anton von Schmerling (seit Dezember 1860), der Schöpfer der einheits¬ staatlichen parlamentarischen Verfassung vom 16. Februar 1861. Aber weder konnte er die Ungarn zur Unterwerfung unter diese Verfassung bewegen, noch war der Kaiser vollständig mit ihm einverstanden, und die auswärtige Politik wurde nicht ganz in seinem Sinne geleitet. Vielmehr erstrebte Graf Bernhard Rechberg, 1855 bis 1859 Bundestagsgesandter neben Bismarck, ein enges Zu¬ sammengehen mit Preußen im Sinne des alten friedlichen Dualismus vor 1848, also ungefähr dasselbe, was auch Bismarck ursprünglich wollte. Beide Auffassungen bekämpften sich fortwährend im Kabinett und im Ministerrat, denn sie schlössen sich aus. siegte Schmerling, so mußte Preußen mit Gewalt niedergeworfen und auf die Stellung eines Mittelstaats hinabgedrückt, also ein Krieg auf Leben und Tod geführt werden, da doch an eine friedliche Unter¬ werfung Preußens unter die österreichische Vorherrschaft damals, unter der Leitung König Wilhelms und Bismarcks, gar nicht mehr zu denken war. Zu¬ nächst behauptete Schmerling das Übergewicht, er knüpfte auch mit den preußen¬ feindlichen Ultramontanen und Demokraten in Deutschland Verbindungen an. Von diesen, von Julius Fröbel, einem Demokraten von 1848, und dem Erb¬ prinzen von Thurn und Taxis, einem Haupte der Ultramontanen, ging der Gedanke aus, Kaiser Franz Joseph solle durch einen Fürstentag in Frankfurt die Reform des deutschen Bundes im österreichisch-großdcutschen Sinne selb¬ ständig in die Hand nehmen. Schmerling und der Freiherr M. von Biege¬ leben, der Referent für die deutschen Angelegenheiten, ein geborner Hessen- Darmstädter von durchaus katholisch-aristokratischer Überzeugung, geistvoll und federgewandt, aber mehr gelehrter Publizist als praktischer Staatsmann, stimmten eifrig bei, Graf Rechberg widersprach aufs entschiedenste und setzte es wenigstens durch, daß uicht Schmerling, wie dieser natürlich erwartet hatte, sondern er selbst mit Biegeleben den Kaiser nach Frankfurt begleitete. Das that¬ sächliche Scheitern des Fürstentags im August 1863 war natürlich auch eine entschied»« persönliche Niederlage Schmerlings und ein Sieg Rechbergs. So gelang es Rechberg, das gute Einvernehmen mit Preußen noch einmal herzustellen. In der Schleswig-holsteinischen Frage gingen 1864 beide Gro߬ mächte, die Mittelstaaten beiseite schiebend, gemeinsam vor und nahmen die Herzog¬ tümer den Dänen ab. Aber sobald die Frage auftauchte, was denn nun aus dieser gemeinsamen Eroberung werden sollte, begannen ihre Bahnen sich wieder zu trennen. Nechbergs Rat, gegen den Verzicht ans das Anrecht Österreichs an Schleswig-Holstein die preußische Bürgschaft für den Besitz Veneziens ein¬ zutauschen, drang nicht durch, und obwohl im August 1864 die beiden Mo¬ narchen mit ihren Ministern noch einmal in Wien zusammentrafen und hier selbst einen gemeinsamen Krieg gegen Frankreich ins Auge faßten, so begann

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/567
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/567>, abgerufen am 23.07.2024.