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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

scharenweise in kaiserliche Dienste traten. Erst seit dem Ende des achtzehnten
Jahrhunderts gerieten die höhern Stellungen immer ausschließlicher in die
Hände des österreichischen Adels, nicht zum Vorteile des Heeres. Die Masse
der Offiziere entstammte bis auf die neueste Zeit den alten Soldatenfamilien,
die dnrch Generationen ihre Söhne immer wieder für den Heeresdienst erzogen
und damit diesem vielsprachigen Gemisch von Soldaten ausschließlich aus den
untern Schichten teilweise in der Kultur noch tief stehender Bevölkerungen erst
festen Halt gaben. Die Schwierigkeiten, die diese Vielsprachigkeit des Heeres
nicht sowohl der Vefehlgebung, als dem Verkehr der verschiedensprachigen
Truppenteile mit einander und der Einwirkung der Offiziere auf ihre Leute
entgegenstellen, unterschätzt Friedjung offenbar, und er verkennt, wie es scheint,
die Wirkung, die der dadurch verursachte Mangel an innerm Zusammenhange
besonders im Falle einer Niederlage ausüben mußte, obwohl er selbst II, 268
erzählt, daß bei dem Kampf um China am 3. Juli die Magyaren und Slowaken
der Brigade des Erzherzogs Joseph -- zugleich ein Beispiel von der natio¬
nalen Verschiedenheit in derselben Brigade -- die deutschen Zurufe der Ar¬
tillerieoffiziere, standzuhalten, nicht verstanden hätten. Es ist doch kein Zufall
und beruht nicht nur auf der bessern Schulbildung, daß sich die Sachsen in
allen diesen Niederlagen tadellos hielten. Seitdem die österreichisch-ungarischen
Regimenter 1882 grundsätzlich in ihre Ersatzbezirke verlegt worden sind und
die Kenntnis des Deutschen auch bei den Offizieren und Unteroffizieren immer
mehr abnimmt, müssen sich diese Übelstände noch wesentlich gesteigert haben.
Bei Manövern ist es schon oft genug vorgekommen, daß wichtige Meldungen
bei den Truppenteilen, denen sie galten, nicht verstanden wurden, und selbst
der Nachwuchs der alten Ofsiziersfmuilien ist gefährdet, da diese für ihre Söhne
in den außerdeutschen Ländern nicht mehr genug deutsche Schulen finden. Wohin
soll das vollends im Kriegsfalle führen!^)

Seit Lacy, dem Kriegsminister Maria Theresias und Josephs II., begann
auch die Routine im Dienst und die abstrakte Gelehrsamkeit in der Kriegführung
zu überwiege", die zu den Niederlagen von 1796/97. 1800 und 1805 führten;
die Bemühungen des Erzherzogs Karl, eine Landwehr und damit einen
Rückhalt für das stehende Heer zu schaffen, hatten keinen dauernden Erfolg,
und noch 1866 war ein Grund des Unterliegens für Österreich der, daß Öster¬
reich keine eigentlichen Reserven hatte und statt der 800000 bis 900000 Mann,
von denen seine Anhänger auch in Deutschland fabelten und faselten, im ganzen
von einer Bevölkerung von 35 Millionen nur 528000 Mann, davon etwa
460000 streitsähige Leute, mvbilisiren konnte, während Preußen von seinen
18 Millionen zuletzt 600000 Mann zur Verfügung hatte. Auch die öster-



Auf diese bedenklichen Übelstände weist nachdrücklich hin Karl Schwarzenberg: Kann
sich die österreichisch-ungarische Armee dein Einflüsse der Nntionalitntenkämpfe entziehen? München,
I- F, Lehmann, 18!"8,
Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

scharenweise in kaiserliche Dienste traten. Erst seit dem Ende des achtzehnten
Jahrhunderts gerieten die höhern Stellungen immer ausschließlicher in die
Hände des österreichischen Adels, nicht zum Vorteile des Heeres. Die Masse
der Offiziere entstammte bis auf die neueste Zeit den alten Soldatenfamilien,
die dnrch Generationen ihre Söhne immer wieder für den Heeresdienst erzogen
und damit diesem vielsprachigen Gemisch von Soldaten ausschließlich aus den
untern Schichten teilweise in der Kultur noch tief stehender Bevölkerungen erst
festen Halt gaben. Die Schwierigkeiten, die diese Vielsprachigkeit des Heeres
nicht sowohl der Vefehlgebung, als dem Verkehr der verschiedensprachigen
Truppenteile mit einander und der Einwirkung der Offiziere auf ihre Leute
entgegenstellen, unterschätzt Friedjung offenbar, und er verkennt, wie es scheint,
die Wirkung, die der dadurch verursachte Mangel an innerm Zusammenhange
besonders im Falle einer Niederlage ausüben mußte, obwohl er selbst II, 268
erzählt, daß bei dem Kampf um China am 3. Juli die Magyaren und Slowaken
der Brigade des Erzherzogs Joseph — zugleich ein Beispiel von der natio¬
nalen Verschiedenheit in derselben Brigade — die deutschen Zurufe der Ar¬
tillerieoffiziere, standzuhalten, nicht verstanden hätten. Es ist doch kein Zufall
und beruht nicht nur auf der bessern Schulbildung, daß sich die Sachsen in
allen diesen Niederlagen tadellos hielten. Seitdem die österreichisch-ungarischen
Regimenter 1882 grundsätzlich in ihre Ersatzbezirke verlegt worden sind und
die Kenntnis des Deutschen auch bei den Offizieren und Unteroffizieren immer
mehr abnimmt, müssen sich diese Übelstände noch wesentlich gesteigert haben.
Bei Manövern ist es schon oft genug vorgekommen, daß wichtige Meldungen
bei den Truppenteilen, denen sie galten, nicht verstanden wurden, und selbst
der Nachwuchs der alten Ofsiziersfmuilien ist gefährdet, da diese für ihre Söhne
in den außerdeutschen Ländern nicht mehr genug deutsche Schulen finden. Wohin
soll das vollends im Kriegsfalle führen!^)

Seit Lacy, dem Kriegsminister Maria Theresias und Josephs II., begann
auch die Routine im Dienst und die abstrakte Gelehrsamkeit in der Kriegführung
zu überwiege», die zu den Niederlagen von 1796/97. 1800 und 1805 führten;
die Bemühungen des Erzherzogs Karl, eine Landwehr und damit einen
Rückhalt für das stehende Heer zu schaffen, hatten keinen dauernden Erfolg,
und noch 1866 war ein Grund des Unterliegens für Österreich der, daß Öster¬
reich keine eigentlichen Reserven hatte und statt der 800000 bis 900000 Mann,
von denen seine Anhänger auch in Deutschland fabelten und faselten, im ganzen
von einer Bevölkerung von 35 Millionen nur 528000 Mann, davon etwa
460000 streitsähige Leute, mvbilisiren konnte, während Preußen von seinen
18 Millionen zuletzt 600000 Mann zur Verfügung hatte. Auch die öster-



Auf diese bedenklichen Übelstände weist nachdrücklich hin Karl Schwarzenberg: Kann
sich die österreichisch-ungarische Armee dein Einflüsse der Nntionalitntenkämpfe entziehen? München,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/565>, abgerufen am 29.12.2024.