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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

Wilhelm nicht, den die Ausländer fast niemals ganz verstehen, und zu diesen
scheinen hierin auch die deutschen Österreicher zu gehören. Ans eine eingehendere
Charakteristik Kaiser Franz Josephs verzichtet er, dieser Monarch sei für die Zeit¬
genossen noch eine verhüllte Gestalt; gleichwohl lassen sich ziemlich deutlich die
Punkte erkennen, wo der Kaiser persönlich die Entscheidung gegeben hat. Bei
allem innern Anteil aber, den der Verfasser an den Ereignissen nimmt, bewegt
sich die Erzählung doch in ruhigem Flusse einher und vermeidet jedes Pathos.

Sehr ausführlich und eingehend schildert er die innern Verhältnisse Öster¬
reichs. Er betont die eigentümliche Stellung des Kaisers, der noch immer
von einem Schimmer der Laora Oassarsa umMtiis umgeben sei, und zu dem
sich auch das Urteil nicht hinanfwage, während in Deutschland über die re¬
gierenden Persönlichkeiten noch bei ihren Lebzeiten sehr freimütig geurteilt
worden sei und geurteilt würde. Er führt auch das nicht nur auf die Tra¬
dition, sondern auch auf das Interesse des Staates zurück, dessen Zusammen¬
halt nun einmal wesentlich in dem Herrscherhause beruhe. Gar nicht bespricht
er die politische Bedeutung der römisch-katholischen Kirche in Österreich, die
doch offenbar noch immer sehr groß ist; um so mehr betont er die Stellung der
österreichischen Aristokratie. Etwa sechshundert adliche Familien regieren das
Reich; sie behaupten den größten Teil des Grundbesitzes und damit auch des
werbenden Kapitals in industriellen Unternehmungen; sie nehmen die obersten
Stellen im Staats- und Heeresdienst ein, auch wenn die Befähigung dieser
Herren deu an sie gestellten Aufgaben nicht entspricht, und sie pflegen "sanft
zu fallen," wenn sie Mißerfolge gehabt haben, wie Graf Clam-Gallas 1866,
der nach seinen böhmischen Niederlagen zwar vom Heer abgerufen wurde, aber
später ein anerkennendes Handschreiben des Kaisers erhielt, weil seine Standes¬
genossen über seine Maßregelung tief verletzt waren. Den unvermeidlichen
Sündenbock Pflegt man sich dann in andern Kreisen auszusuchen; im Jahre
1866 war es der unglückliche Beuedek, auf den alle Schuld an der Niederlage
gehäuft wurde, während z. V. die Grafen Thun und Festeties, deren befehls¬
widrige Führung des rechten österreichischen Flügels bei Königgrätz die Nieder¬
lage wesentlich verschuldete, nicht zur Verantwortung gezogen wurden.

Ausführlich schildert Friedjung die österreichische Armee vor und nach
1859. Ihr Gründer ist, was die ganze österreichische Geschichte bezeichnet,
nicht ein Monarch, wie in Preußen, sondern ein Feldherr, und zwar ein zuletzt
rebellischer Feldherr, nämlich Wallenstein; sie wurde seitdem die beste Stütze,
das eigentliche Rückgrat des Reichs. Lange wirkten in ihr die von Wallenstein
geschaffnen Traditionen nach: die bunte Zusammensetzung ans allerlei Volk,
die Beförderung ohne Rücksicht auf Abkunft und Religion, während bis 1868
kein Protestant Richter oder Lehrer werden konnte, das Übergewicht des deutschen
Elements in den Offizieren, weil ja damals noch ausgedehnte Landschaften in
Süddeutschland den Habsburgern gehörten und die Söhne des Reichsadels


Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

Wilhelm nicht, den die Ausländer fast niemals ganz verstehen, und zu diesen
scheinen hierin auch die deutschen Österreicher zu gehören. Ans eine eingehendere
Charakteristik Kaiser Franz Josephs verzichtet er, dieser Monarch sei für die Zeit¬
genossen noch eine verhüllte Gestalt; gleichwohl lassen sich ziemlich deutlich die
Punkte erkennen, wo der Kaiser persönlich die Entscheidung gegeben hat. Bei
allem innern Anteil aber, den der Verfasser an den Ereignissen nimmt, bewegt
sich die Erzählung doch in ruhigem Flusse einher und vermeidet jedes Pathos.

Sehr ausführlich und eingehend schildert er die innern Verhältnisse Öster¬
reichs. Er betont die eigentümliche Stellung des Kaisers, der noch immer
von einem Schimmer der Laora Oassarsa umMtiis umgeben sei, und zu dem
sich auch das Urteil nicht hinanfwage, während in Deutschland über die re¬
gierenden Persönlichkeiten noch bei ihren Lebzeiten sehr freimütig geurteilt
worden sei und geurteilt würde. Er führt auch das nicht nur auf die Tra¬
dition, sondern auch auf das Interesse des Staates zurück, dessen Zusammen¬
halt nun einmal wesentlich in dem Herrscherhause beruhe. Gar nicht bespricht
er die politische Bedeutung der römisch-katholischen Kirche in Österreich, die
doch offenbar noch immer sehr groß ist; um so mehr betont er die Stellung der
österreichischen Aristokratie. Etwa sechshundert adliche Familien regieren das
Reich; sie behaupten den größten Teil des Grundbesitzes und damit auch des
werbenden Kapitals in industriellen Unternehmungen; sie nehmen die obersten
Stellen im Staats- und Heeresdienst ein, auch wenn die Befähigung dieser
Herren deu an sie gestellten Aufgaben nicht entspricht, und sie pflegen „sanft
zu fallen," wenn sie Mißerfolge gehabt haben, wie Graf Clam-Gallas 1866,
der nach seinen böhmischen Niederlagen zwar vom Heer abgerufen wurde, aber
später ein anerkennendes Handschreiben des Kaisers erhielt, weil seine Standes¬
genossen über seine Maßregelung tief verletzt waren. Den unvermeidlichen
Sündenbock Pflegt man sich dann in andern Kreisen auszusuchen; im Jahre
1866 war es der unglückliche Beuedek, auf den alle Schuld an der Niederlage
gehäuft wurde, während z. V. die Grafen Thun und Festeties, deren befehls¬
widrige Führung des rechten österreichischen Flügels bei Königgrätz die Nieder¬
lage wesentlich verschuldete, nicht zur Verantwortung gezogen wurden.

Ausführlich schildert Friedjung die österreichische Armee vor und nach
1859. Ihr Gründer ist, was die ganze österreichische Geschichte bezeichnet,
nicht ein Monarch, wie in Preußen, sondern ein Feldherr, und zwar ein zuletzt
rebellischer Feldherr, nämlich Wallenstein; sie wurde seitdem die beste Stütze,
das eigentliche Rückgrat des Reichs. Lange wirkten in ihr die von Wallenstein
geschaffnen Traditionen nach: die bunte Zusammensetzung ans allerlei Volk,
die Beförderung ohne Rücksicht auf Abkunft und Religion, während bis 1868
kein Protestant Richter oder Lehrer werden konnte, das Übergewicht des deutschen
Elements in den Offizieren, weil ja damals noch ausgedehnte Landschaften in
Süddeutschland den Habsburgern gehörten und die Söhne des Reichsadels


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[0564] Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland Wilhelm nicht, den die Ausländer fast niemals ganz verstehen, und zu diesen scheinen hierin auch die deutschen Österreicher zu gehören. Ans eine eingehendere Charakteristik Kaiser Franz Josephs verzichtet er, dieser Monarch sei für die Zeit¬ genossen noch eine verhüllte Gestalt; gleichwohl lassen sich ziemlich deutlich die Punkte erkennen, wo der Kaiser persönlich die Entscheidung gegeben hat. Bei allem innern Anteil aber, den der Verfasser an den Ereignissen nimmt, bewegt sich die Erzählung doch in ruhigem Flusse einher und vermeidet jedes Pathos. Sehr ausführlich und eingehend schildert er die innern Verhältnisse Öster¬ reichs. Er betont die eigentümliche Stellung des Kaisers, der noch immer von einem Schimmer der Laora Oassarsa umMtiis umgeben sei, und zu dem sich auch das Urteil nicht hinanfwage, während in Deutschland über die re¬ gierenden Persönlichkeiten noch bei ihren Lebzeiten sehr freimütig geurteilt worden sei und geurteilt würde. Er führt auch das nicht nur auf die Tra¬ dition, sondern auch auf das Interesse des Staates zurück, dessen Zusammen¬ halt nun einmal wesentlich in dem Herrscherhause beruhe. Gar nicht bespricht er die politische Bedeutung der römisch-katholischen Kirche in Österreich, die doch offenbar noch immer sehr groß ist; um so mehr betont er die Stellung der österreichischen Aristokratie. Etwa sechshundert adliche Familien regieren das Reich; sie behaupten den größten Teil des Grundbesitzes und damit auch des werbenden Kapitals in industriellen Unternehmungen; sie nehmen die obersten Stellen im Staats- und Heeresdienst ein, auch wenn die Befähigung dieser Herren deu an sie gestellten Aufgaben nicht entspricht, und sie pflegen „sanft zu fallen," wenn sie Mißerfolge gehabt haben, wie Graf Clam-Gallas 1866, der nach seinen böhmischen Niederlagen zwar vom Heer abgerufen wurde, aber später ein anerkennendes Handschreiben des Kaisers erhielt, weil seine Standes¬ genossen über seine Maßregelung tief verletzt waren. Den unvermeidlichen Sündenbock Pflegt man sich dann in andern Kreisen auszusuchen; im Jahre 1866 war es der unglückliche Beuedek, auf den alle Schuld an der Niederlage gehäuft wurde, während z. V. die Grafen Thun und Festeties, deren befehls¬ widrige Führung des rechten österreichischen Flügels bei Königgrätz die Nieder¬ lage wesentlich verschuldete, nicht zur Verantwortung gezogen wurden. Ausführlich schildert Friedjung die österreichische Armee vor und nach 1859. Ihr Gründer ist, was die ganze österreichische Geschichte bezeichnet, nicht ein Monarch, wie in Preußen, sondern ein Feldherr, und zwar ein zuletzt rebellischer Feldherr, nämlich Wallenstein; sie wurde seitdem die beste Stütze, das eigentliche Rückgrat des Reichs. Lange wirkten in ihr die von Wallenstein geschaffnen Traditionen nach: die bunte Zusammensetzung ans allerlei Volk, die Beförderung ohne Rücksicht auf Abkunft und Religion, während bis 1868 kein Protestant Richter oder Lehrer werden konnte, das Übergewicht des deutschen Elements in den Offizieren, weil ja damals noch ausgedehnte Landschaften in Süddeutschland den Habsburgern gehörten und die Söhne des Reichsadels

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/564>, abgerufen am 26.08.2024.