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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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lehr des auf den Marschallinseln in Haft gehaltnen Königs Malitoa in seine
Heimat nicht erlaubt. Beide Mächte müssen die Fortdauer unsichrer Zustände
und die Schwäche der einheimischen Regierung wünschen, um ihr Verbleiben
auf der Inselgruppe zu rechtfertigen und um den deutschen Interessen Abbruch
zu thun. Aber England ist vereinsamt, und Amerika hat genug mit sich selbst
zu thun. Wir können mühelos unsre Neutralität in Rechnung stellen und
dafür Amerikas Rückzug von Samoa verlangen. Englands Abgang ist dann
nur noch eine Frage der Zeit, und Samoa wird endlich deutsches Schutzgebiet
werdeu, was es schon vor der Kolonialära war. Richters thörichter Wider¬
spruch gegen die erste Dampfersubvention war der Anlaß, daß Bismarck die
deutsche Flagge dort nicht bisher ließ; Bismarck war damals noch nicht klar
über die einzuschlagende Kolonialpolitik und glaubte mit Recht die Zustimmung
der Mehrheit des Reichstags fordern zu müssen. England und später Amerika
nutzten diesen Mißerfolg deutscher Kolonialpolitik, was wir Herrn Richter nicht
vergessen wollen, mit anerkennenswerten Geschick aus, und bald mußten wir
uus mit den beiden Nebenbuhlern in die Herrschaft teilen. Dabei sind die
Interessen Englands dort nur wenig gestiegen und immer noch verhältnis¬
müßig gering im Vergleich zu den deutschen Pflanzungen. Amerika ist geradezu
winzig vertreten, was es durch desto größeres Geschrei wettzumachen sucht.
Freilich, die Waffen der Insulaner sind amerikanischen Ursprungs, wohl auch
der Branntwein, und dies sind die Hauptinteressen der Union, die ans diese
Weise die unterdrückten Völker beglückt.

Bei dieser günstigen Konstellation kann die Lösung der Samoafrage keinen
ernsten Schwierigkeiten begegnen, und unsre Zurückhaltung in der Neutralitäts¬
erklärung dürfte sich belohnen- Weder amerikanisches noch englisches Säbel¬
gerassel kann uns mehr schrecken. Die Proben in Nordindien und im Antillen¬
meer haben den Beweis geliefert, daß das Heldentum der Angelsachsen selbst
den schwächlichsten Gegnern nicht gewachsen ist, sie verdanken ihr politisches
Ansehen nur uoch ihren Geldmitteln. Es wäre freilich eine Ironie des
Schicksals, daß uns Spanien als Ersatz für die Karolinen zum Alleinbesitz
Samocis verHülfe. Jetzt würden die Karolinen auch billig sein. Ein Zollzuschlag
auf die amerikanische Einfuhr als Autwort auf die gleiche amerikanische Maß"
reget würde uus die nötigen Mittel verschaffen.

Die Genialität der Politik Bismarcks zeigte sich darin, daß er den Augen¬
blick zu benutzen wußte, während er das große Ziel nie ans den Augen verlor.
Wir sind nach den Caprivischen Irrfahrten glücklicherweise wieder zu diesem
bewährten Grundsatze zurückgekehrt, und die Gegenwart bietet uns eine treff¬
liche Gelegenheit zur Probe. Die Flottenvorlage ist mit der Forderung eines
ausgiebigern Schutzes der deutschen überseeischen Interessen begründet worden.
Samoa war ihr erster Gegenstand, in Lourenyo Marquez aber berühren sich
nationale, koloniale und Handelsinteressen. Das Angelsachsentum, das auf


lehr des auf den Marschallinseln in Haft gehaltnen Königs Malitoa in seine
Heimat nicht erlaubt. Beide Mächte müssen die Fortdauer unsichrer Zustände
und die Schwäche der einheimischen Regierung wünschen, um ihr Verbleiben
auf der Inselgruppe zu rechtfertigen und um den deutschen Interessen Abbruch
zu thun. Aber England ist vereinsamt, und Amerika hat genug mit sich selbst
zu thun. Wir können mühelos unsre Neutralität in Rechnung stellen und
dafür Amerikas Rückzug von Samoa verlangen. Englands Abgang ist dann
nur noch eine Frage der Zeit, und Samoa wird endlich deutsches Schutzgebiet
werdeu, was es schon vor der Kolonialära war. Richters thörichter Wider¬
spruch gegen die erste Dampfersubvention war der Anlaß, daß Bismarck die
deutsche Flagge dort nicht bisher ließ; Bismarck war damals noch nicht klar
über die einzuschlagende Kolonialpolitik und glaubte mit Recht die Zustimmung
der Mehrheit des Reichstags fordern zu müssen. England und später Amerika
nutzten diesen Mißerfolg deutscher Kolonialpolitik, was wir Herrn Richter nicht
vergessen wollen, mit anerkennenswerten Geschick aus, und bald mußten wir
uus mit den beiden Nebenbuhlern in die Herrschaft teilen. Dabei sind die
Interessen Englands dort nur wenig gestiegen und immer noch verhältnis¬
müßig gering im Vergleich zu den deutschen Pflanzungen. Amerika ist geradezu
winzig vertreten, was es durch desto größeres Geschrei wettzumachen sucht.
Freilich, die Waffen der Insulaner sind amerikanischen Ursprungs, wohl auch
der Branntwein, und dies sind die Hauptinteressen der Union, die ans diese
Weise die unterdrückten Völker beglückt.

Bei dieser günstigen Konstellation kann die Lösung der Samoafrage keinen
ernsten Schwierigkeiten begegnen, und unsre Zurückhaltung in der Neutralitäts¬
erklärung dürfte sich belohnen- Weder amerikanisches noch englisches Säbel¬
gerassel kann uns mehr schrecken. Die Proben in Nordindien und im Antillen¬
meer haben den Beweis geliefert, daß das Heldentum der Angelsachsen selbst
den schwächlichsten Gegnern nicht gewachsen ist, sie verdanken ihr politisches
Ansehen nur uoch ihren Geldmitteln. Es wäre freilich eine Ironie des
Schicksals, daß uns Spanien als Ersatz für die Karolinen zum Alleinbesitz
Samocis verHülfe. Jetzt würden die Karolinen auch billig sein. Ein Zollzuschlag
auf die amerikanische Einfuhr als Autwort auf die gleiche amerikanische Maß«
reget würde uus die nötigen Mittel verschaffen.

Die Genialität der Politik Bismarcks zeigte sich darin, daß er den Augen¬
blick zu benutzen wußte, während er das große Ziel nie ans den Augen verlor.
Wir sind nach den Caprivischen Irrfahrten glücklicherweise wieder zu diesem
bewährten Grundsatze zurückgekehrt, und die Gegenwart bietet uns eine treff¬
liche Gelegenheit zur Probe. Die Flottenvorlage ist mit der Forderung eines
ausgiebigern Schutzes der deutschen überseeischen Interessen begründet worden.
Samoa war ihr erster Gegenstand, in Lourenyo Marquez aber berühren sich
nationale, koloniale und Handelsinteressen. Das Angelsachsentum, das auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/530>, abgerufen am 23.07.2024.