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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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suchen die Großbanken Stimmung für das friedensbrecherische Nordamerika zu
machen, weil sie dessen wirtschaftliche Rache fürchten. Das zeugt von ge¬
ringem Selbstvertrauen! Wir sind leider gewohnt, alle Hilfe von der Regie¬
rung zu erwarten, statt der Diplomatie durch wirtschaftliche Unternehmungen
die Wege zu ebnen und die Aufgabe zu erleichtern. Zum Schutz deutscher
wirtschaftlicher Interessen könnte die Reichsregieruug schärfer einschreiten, als
wenn bloß ideale nationale Interessen auf dem Spiele stehen. Ist erst der
eigne Geldbeutel in Mitleidenschaft gezogen, so wird auch der Börsenfreisinn
national empfindlich werden.

Der Aufschwung unsrer südafrikanischen Kolonien, die einzeln ebenso wenig
wert sind wie Kamerun und Togo, hängt durchaus von der Möglichkeit einer
Verbindung beider Schutzgebiete ab, wodurch England im Süden ausgeschaltet
wird, und der Traum eines großen britischen Kolonialreichs vom Kap bis zur
Nilmündung zerrinnen muß. Im Norden bleibt England dabei immer noch
mächtig genug. Von einigen Seite" wurde empfohlen, wenn England die
Delagoabucht erwerben sollte, dafür andern Ersatz zu fordern, z. B. Zanzibar
und die Walfischbncht. Aber die unsrer ostafrikanischen Küste vorgelagerten
Inseln Pemba und Zanzibar müssen uns später von selbst als reife Frucht
in den Schoß fallen. Unsre Kosten für unsre festländischen Hufen wären doch
auch vergeblich aufgewandt, wenn wir Zanzibar eintauschen wollten, das wir
freilich vor dem unseligen Vertrag schon in der Gewalt hatten. Zanzibar und
die Walsischbucht gehen übrigens augenscheinlich zurück. In der Walsischbai
bleiben die Engländer bloß aus Eigensinn, wobei sie freilich auch auf einen
Austausch hoffen mögen, bei den? sie uns wieder einmal übervorteilen könnten.
Wir dürfen aber nicht wertlose Dinge als Kompensationen annehmen, die uns
schließlich doch nicht entgehen können, sondern wir müssen England auf dem
Kampfplatz selbst, zunächst mit wirtschaftlichen Waffen, entgegentreten und uns
mit ihm messen. England ist überall bedroht; in Ostasien, in Indien, in
Afghanistan, am Nil und in Südafrika stehen ebenbürtige Gegner auf der
Lauer. Nur dürfen wir nicht aus übergroßer Vorsicht Frankreich und Ru߬
land gegenüber vor allen außereuropäischen Verwicklungen zurückschrecken, denn
auf dem Kolonialschlachtplatz werden sie Schulter an Schulter mit uns gegen
den gemeinsamen englischen Feind kämpfen.

Als Kvmpcnsationsobjekt für die Delagoabucht wird auch die Wieder¬
erlangung der ausschließlichen Bewegungsfreiheit auf Samoa genannt. Dort
sind England und Nordamerika aber mehr Hemmschuhe als Mitregenten für
uns. Der Krieg in den Antillen setzt die Union zur Zeit ganz außer Wett¬
bewerb, wenn sie auch trotz ihrer Schisfsnot gerade jetzt einen kleinen Kreuzer
als Stationsboot nach Apia gesandt hat. Diese Kraftleistung kann uns über
die Schwäche der stolzen Republik nicht täuschen. Inzwischen besorgt aber
England die amerikanischen Geschäfte, indem es die von uns empfohlne Rück-


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suchen die Großbanken Stimmung für das friedensbrecherische Nordamerika zu
machen, weil sie dessen wirtschaftliche Rache fürchten. Das zeugt von ge¬
ringem Selbstvertrauen! Wir sind leider gewohnt, alle Hilfe von der Regie¬
rung zu erwarten, statt der Diplomatie durch wirtschaftliche Unternehmungen
die Wege zu ebnen und die Aufgabe zu erleichtern. Zum Schutz deutscher
wirtschaftlicher Interessen könnte die Reichsregieruug schärfer einschreiten, als
wenn bloß ideale nationale Interessen auf dem Spiele stehen. Ist erst der
eigne Geldbeutel in Mitleidenschaft gezogen, so wird auch der Börsenfreisinn
national empfindlich werden.

Der Aufschwung unsrer südafrikanischen Kolonien, die einzeln ebenso wenig
wert sind wie Kamerun und Togo, hängt durchaus von der Möglichkeit einer
Verbindung beider Schutzgebiete ab, wodurch England im Süden ausgeschaltet
wird, und der Traum eines großen britischen Kolonialreichs vom Kap bis zur
Nilmündung zerrinnen muß. Im Norden bleibt England dabei immer noch
mächtig genug. Von einigen Seite» wurde empfohlen, wenn England die
Delagoabucht erwerben sollte, dafür andern Ersatz zu fordern, z. B. Zanzibar
und die Walfischbncht. Aber die unsrer ostafrikanischen Küste vorgelagerten
Inseln Pemba und Zanzibar müssen uns später von selbst als reife Frucht
in den Schoß fallen. Unsre Kosten für unsre festländischen Hufen wären doch
auch vergeblich aufgewandt, wenn wir Zanzibar eintauschen wollten, das wir
freilich vor dem unseligen Vertrag schon in der Gewalt hatten. Zanzibar und
die Walsischbucht gehen übrigens augenscheinlich zurück. In der Walsischbai
bleiben die Engländer bloß aus Eigensinn, wobei sie freilich auch auf einen
Austausch hoffen mögen, bei den? sie uns wieder einmal übervorteilen könnten.
Wir dürfen aber nicht wertlose Dinge als Kompensationen annehmen, die uns
schließlich doch nicht entgehen können, sondern wir müssen England auf dem
Kampfplatz selbst, zunächst mit wirtschaftlichen Waffen, entgegentreten und uns
mit ihm messen. England ist überall bedroht; in Ostasien, in Indien, in
Afghanistan, am Nil und in Südafrika stehen ebenbürtige Gegner auf der
Lauer. Nur dürfen wir nicht aus übergroßer Vorsicht Frankreich und Ru߬
land gegenüber vor allen außereuropäischen Verwicklungen zurückschrecken, denn
auf dem Kolonialschlachtplatz werden sie Schulter an Schulter mit uns gegen
den gemeinsamen englischen Feind kämpfen.

Als Kvmpcnsationsobjekt für die Delagoabucht wird auch die Wieder¬
erlangung der ausschließlichen Bewegungsfreiheit auf Samoa genannt. Dort
sind England und Nordamerika aber mehr Hemmschuhe als Mitregenten für
uns. Der Krieg in den Antillen setzt die Union zur Zeit ganz außer Wett¬
bewerb, wenn sie auch trotz ihrer Schisfsnot gerade jetzt einen kleinen Kreuzer
als Stationsboot nach Apia gesandt hat. Diese Kraftleistung kann uns über
die Schwäche der stolzen Republik nicht täuschen. Inzwischen besorgt aber
England die amerikanischen Geschäfte, indem es die von uns empfohlne Rück-


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[0529] suchen die Großbanken Stimmung für das friedensbrecherische Nordamerika zu machen, weil sie dessen wirtschaftliche Rache fürchten. Das zeugt von ge¬ ringem Selbstvertrauen! Wir sind leider gewohnt, alle Hilfe von der Regie¬ rung zu erwarten, statt der Diplomatie durch wirtschaftliche Unternehmungen die Wege zu ebnen und die Aufgabe zu erleichtern. Zum Schutz deutscher wirtschaftlicher Interessen könnte die Reichsregieruug schärfer einschreiten, als wenn bloß ideale nationale Interessen auf dem Spiele stehen. Ist erst der eigne Geldbeutel in Mitleidenschaft gezogen, so wird auch der Börsenfreisinn national empfindlich werden. Der Aufschwung unsrer südafrikanischen Kolonien, die einzeln ebenso wenig wert sind wie Kamerun und Togo, hängt durchaus von der Möglichkeit einer Verbindung beider Schutzgebiete ab, wodurch England im Süden ausgeschaltet wird, und der Traum eines großen britischen Kolonialreichs vom Kap bis zur Nilmündung zerrinnen muß. Im Norden bleibt England dabei immer noch mächtig genug. Von einigen Seite» wurde empfohlen, wenn England die Delagoabucht erwerben sollte, dafür andern Ersatz zu fordern, z. B. Zanzibar und die Walfischbncht. Aber die unsrer ostafrikanischen Küste vorgelagerten Inseln Pemba und Zanzibar müssen uns später von selbst als reife Frucht in den Schoß fallen. Unsre Kosten für unsre festländischen Hufen wären doch auch vergeblich aufgewandt, wenn wir Zanzibar eintauschen wollten, das wir freilich vor dem unseligen Vertrag schon in der Gewalt hatten. Zanzibar und die Walsischbucht gehen übrigens augenscheinlich zurück. In der Walsischbai bleiben die Engländer bloß aus Eigensinn, wobei sie freilich auch auf einen Austausch hoffen mögen, bei den? sie uns wieder einmal übervorteilen könnten. Wir dürfen aber nicht wertlose Dinge als Kompensationen annehmen, die uns schließlich doch nicht entgehen können, sondern wir müssen England auf dem Kampfplatz selbst, zunächst mit wirtschaftlichen Waffen, entgegentreten und uns mit ihm messen. England ist überall bedroht; in Ostasien, in Indien, in Afghanistan, am Nil und in Südafrika stehen ebenbürtige Gegner auf der Lauer. Nur dürfen wir nicht aus übergroßer Vorsicht Frankreich und Ru߬ land gegenüber vor allen außereuropäischen Verwicklungen zurückschrecken, denn auf dem Kolonialschlachtplatz werden sie Schulter an Schulter mit uns gegen den gemeinsamen englischen Feind kämpfen. Als Kvmpcnsationsobjekt für die Delagoabucht wird auch die Wieder¬ erlangung der ausschließlichen Bewegungsfreiheit auf Samoa genannt. Dort sind England und Nordamerika aber mehr Hemmschuhe als Mitregenten für uns. Der Krieg in den Antillen setzt die Union zur Zeit ganz außer Wett¬ bewerb, wenn sie auch trotz ihrer Schisfsnot gerade jetzt einen kleinen Kreuzer als Stationsboot nach Apia gesandt hat. Diese Kraftleistung kann uns über die Schwäche der stolzen Republik nicht täuschen. Inzwischen besorgt aber England die amerikanischen Geschäfte, indem es die von uns empfohlne Rück- Grenzboten II 1ML VA

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/529>, abgerufen am 23.07.2024.