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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Groß-Germanien

So ist es nicht nur der Nasseninstinkt, sondern auch der Geistcswillc der
Kulturmenschheit, der das Germanentum auffordert, sich in engem Zusammen¬
schluß seiner Glieder die Existenzbedingung gegen das Slawentum zu schaffen,
und der den übrigen Kulturvölkern Europas anraten wird, diesen Zusammen¬
schluß zu verstärken. Wann sich aber England, seiner Abstammung entsprechend,
der Zugehörigkeit zu diesem "Großgermanien" bewußt werden wird, ist eine
Frage der Zeit -- daß es geschehen wird, ist naturnotwendig. Aber freilich,
nicht das England wird Glied des Bundes sein können, wie es jetzt stolz
thronend auf goldnem Stuhl bis in die Wolken zu ragen glaubt. Es ist an¬
zunehmen, daß es erst von seinem goldnen Sitz herabgeschleudert werden wird,
ehe ihm die Erinnerung kommt, daß Germanien das Mutterland der Angel¬
sachsen ist, daß es nur hier die Verbindung mit den Wurzeln seiner Kraft
wiederfinden kann.

Wir können das bedauern, aber nicht hindern; denn es liegt in der Natur
der Sache, daß einem über das Maß hinaus gewachsenen Staate jedes Maß
bei der Abschätzung seiner Größe und Sicherheit verloren geht. Englands
Größe beruht einzig auf seiner Flotte, die das Inselreich unangreifbar macht
und es befähigt, feine volle Kraft an jeder Stelle der Weltmeere zu entfalten.
Durch das Bestreben Englands, seine Flotte auf der Höhe zu halten, ist es
bis jetzt jeder Koalition der Mächte gewachsen gewesen. Dieses Bestreben
wird immer schwerer, je mehr die Mächte, in der Gewißheit, daß die Gegen¬
wart und nächste Zukunft die Entscheidung über die Weltteilung bringt, be¬
müht sind, ihre Flotten ihren Ansprüchen entsprechend stark zu machen, und
dieses Bestreben wird für England mit dem Tage unmöglich werden, wo die
Quelle des indischen Reichtums durch russische Bemühungen verstopft wird.
Es ist eine schlechte Vorbedeutung, daß seit den Tagen Cäsars das Jnselland
einer Invasion immer nur geringen Widerstand hat entgegensetzen können.

Wie gesagt, wir können eine Niederlage Englands nicht hindern; denn
wir sind nicht mehr gewillt, wie bisher jahrhundertelang den Aus an Uou
der Fabel zu spielen. Das Haus Hohenzollern ist seit den Tagen Friedrichs
des Großen mit Recht einer englischen Allianz möglichst aus dem Wege ge¬
gangen. Wir sind nicht mehr gewillt, mit unserm überschüssigen Blute andre
Nationen aufzufrischen, den Kulturdünger der Welt zu liefern. Wir verlangen
nicht nur uusern Platz an der Sonne, sondern wir verlangen auch das Recht,
uus selbst und andern, minder starken Völkern ihre Plätze an der Sonne an¬
zuweisen. Wir brauchen Kolonien, die uns unsre überschüssige Kraft bewahren;
mir zwei Jahrzehnte ungefähr trennen uns von der Zeit, wo das Mutterland
keinen Raum mehr hat für die Überzahl seiner Kinder, wo die Fläche Deutsch¬
lands nicht mehr reicht für die stetig wachsenden Millionen seiner Bewohner.
Aber diese Millionen sollten sich dann nicht sern auf der südlichen Hemisphäre
eine neue Heimat suchen müssen, wenn sie ans Reichsboden bleiben wollten


Groß-Germanien

So ist es nicht nur der Nasseninstinkt, sondern auch der Geistcswillc der
Kulturmenschheit, der das Germanentum auffordert, sich in engem Zusammen¬
schluß seiner Glieder die Existenzbedingung gegen das Slawentum zu schaffen,
und der den übrigen Kulturvölkern Europas anraten wird, diesen Zusammen¬
schluß zu verstärken. Wann sich aber England, seiner Abstammung entsprechend,
der Zugehörigkeit zu diesem „Großgermanien" bewußt werden wird, ist eine
Frage der Zeit — daß es geschehen wird, ist naturnotwendig. Aber freilich,
nicht das England wird Glied des Bundes sein können, wie es jetzt stolz
thronend auf goldnem Stuhl bis in die Wolken zu ragen glaubt. Es ist an¬
zunehmen, daß es erst von seinem goldnen Sitz herabgeschleudert werden wird,
ehe ihm die Erinnerung kommt, daß Germanien das Mutterland der Angel¬
sachsen ist, daß es nur hier die Verbindung mit den Wurzeln seiner Kraft
wiederfinden kann.

Wir können das bedauern, aber nicht hindern; denn es liegt in der Natur
der Sache, daß einem über das Maß hinaus gewachsenen Staate jedes Maß
bei der Abschätzung seiner Größe und Sicherheit verloren geht. Englands
Größe beruht einzig auf seiner Flotte, die das Inselreich unangreifbar macht
und es befähigt, feine volle Kraft an jeder Stelle der Weltmeere zu entfalten.
Durch das Bestreben Englands, seine Flotte auf der Höhe zu halten, ist es
bis jetzt jeder Koalition der Mächte gewachsen gewesen. Dieses Bestreben
wird immer schwerer, je mehr die Mächte, in der Gewißheit, daß die Gegen¬
wart und nächste Zukunft die Entscheidung über die Weltteilung bringt, be¬
müht sind, ihre Flotten ihren Ansprüchen entsprechend stark zu machen, und
dieses Bestreben wird für England mit dem Tage unmöglich werden, wo die
Quelle des indischen Reichtums durch russische Bemühungen verstopft wird.
Es ist eine schlechte Vorbedeutung, daß seit den Tagen Cäsars das Jnselland
einer Invasion immer nur geringen Widerstand hat entgegensetzen können.

Wie gesagt, wir können eine Niederlage Englands nicht hindern; denn
wir sind nicht mehr gewillt, wie bisher jahrhundertelang den Aus an Uou
der Fabel zu spielen. Das Haus Hohenzollern ist seit den Tagen Friedrichs
des Großen mit Recht einer englischen Allianz möglichst aus dem Wege ge¬
gangen. Wir sind nicht mehr gewillt, mit unserm überschüssigen Blute andre
Nationen aufzufrischen, den Kulturdünger der Welt zu liefern. Wir verlangen
nicht nur uusern Platz an der Sonne, sondern wir verlangen auch das Recht,
uus selbst und andern, minder starken Völkern ihre Plätze an der Sonne an¬
zuweisen. Wir brauchen Kolonien, die uns unsre überschüssige Kraft bewahren;
mir zwei Jahrzehnte ungefähr trennen uns von der Zeit, wo das Mutterland
keinen Raum mehr hat für die Überzahl seiner Kinder, wo die Fläche Deutsch¬
lands nicht mehr reicht für die stetig wachsenden Millionen seiner Bewohner.
Aber diese Millionen sollten sich dann nicht sern auf der südlichen Hemisphäre
eine neue Heimat suchen müssen, wenn sie ans Reichsboden bleiben wollten


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[0509] Groß-Germanien So ist es nicht nur der Nasseninstinkt, sondern auch der Geistcswillc der Kulturmenschheit, der das Germanentum auffordert, sich in engem Zusammen¬ schluß seiner Glieder die Existenzbedingung gegen das Slawentum zu schaffen, und der den übrigen Kulturvölkern Europas anraten wird, diesen Zusammen¬ schluß zu verstärken. Wann sich aber England, seiner Abstammung entsprechend, der Zugehörigkeit zu diesem „Großgermanien" bewußt werden wird, ist eine Frage der Zeit — daß es geschehen wird, ist naturnotwendig. Aber freilich, nicht das England wird Glied des Bundes sein können, wie es jetzt stolz thronend auf goldnem Stuhl bis in die Wolken zu ragen glaubt. Es ist an¬ zunehmen, daß es erst von seinem goldnen Sitz herabgeschleudert werden wird, ehe ihm die Erinnerung kommt, daß Germanien das Mutterland der Angel¬ sachsen ist, daß es nur hier die Verbindung mit den Wurzeln seiner Kraft wiederfinden kann. Wir können das bedauern, aber nicht hindern; denn es liegt in der Natur der Sache, daß einem über das Maß hinaus gewachsenen Staate jedes Maß bei der Abschätzung seiner Größe und Sicherheit verloren geht. Englands Größe beruht einzig auf seiner Flotte, die das Inselreich unangreifbar macht und es befähigt, feine volle Kraft an jeder Stelle der Weltmeere zu entfalten. Durch das Bestreben Englands, seine Flotte auf der Höhe zu halten, ist es bis jetzt jeder Koalition der Mächte gewachsen gewesen. Dieses Bestreben wird immer schwerer, je mehr die Mächte, in der Gewißheit, daß die Gegen¬ wart und nächste Zukunft die Entscheidung über die Weltteilung bringt, be¬ müht sind, ihre Flotten ihren Ansprüchen entsprechend stark zu machen, und dieses Bestreben wird für England mit dem Tage unmöglich werden, wo die Quelle des indischen Reichtums durch russische Bemühungen verstopft wird. Es ist eine schlechte Vorbedeutung, daß seit den Tagen Cäsars das Jnselland einer Invasion immer nur geringen Widerstand hat entgegensetzen können. Wie gesagt, wir können eine Niederlage Englands nicht hindern; denn wir sind nicht mehr gewillt, wie bisher jahrhundertelang den Aus an Uou der Fabel zu spielen. Das Haus Hohenzollern ist seit den Tagen Friedrichs des Großen mit Recht einer englischen Allianz möglichst aus dem Wege ge¬ gangen. Wir sind nicht mehr gewillt, mit unserm überschüssigen Blute andre Nationen aufzufrischen, den Kulturdünger der Welt zu liefern. Wir verlangen nicht nur uusern Platz an der Sonne, sondern wir verlangen auch das Recht, uus selbst und andern, minder starken Völkern ihre Plätze an der Sonne an¬ zuweisen. Wir brauchen Kolonien, die uns unsre überschüssige Kraft bewahren; mir zwei Jahrzehnte ungefähr trennen uns von der Zeit, wo das Mutterland keinen Raum mehr hat für die Überzahl seiner Kinder, wo die Fläche Deutsch¬ lands nicht mehr reicht für die stetig wachsenden Millionen seiner Bewohner. Aber diese Millionen sollten sich dann nicht sern auf der südlichen Hemisphäre eine neue Heimat suchen müssen, wenn sie ans Reichsboden bleiben wollten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/509>, abgerufen am 27.12.2024.