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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Groß-Germanien

lands mit Japan nicht in Frage gestellt werden wird, da Japans Landheer
dem Kampfe mit der russischen Macht nicht gewachsen ist. In Persien und
Afghanistan kämpft russischer und englischer Einfluß einen stillen, aber er¬
bitterten Kampf; und hier in Afghanistan, dem Einfallthore nach Indien,
muß die schließliche Entscheidung zwischen beiden Staaten fallen. Gelingt es
Rußland, in Afghanistan festen Fuß zu fassen, so wird ein Zerbröckeln der
englischen Herrschaft in Indien die Folge sein. Eine sofortige Besetzung
Indiens durch Rußland selbst ist gar nicht nötig; ein mit Hilfe Rußlands
unternommener Aufstand einer Bevölkerung von dreihundert Millionen würde
der englischen Weltherrschaft den Todesstoß geben.

Denn darüber ist keine Täuschung möglich: die andern großen Kolonien
Englands sind ja gute Absatzgebiete, geben aber dem Mutterlande nicht die
Mittel zur Weltmacht, die es thatsächlich nur durch seinen indischen Reichtum
hat. Außerdem wird zweifellos Kanada im Laufe der Zeit amerikanisirt
werden, und Australien wird die Verbindung mit dem sieghaft thronenden
Mutterlande zwar gern aufrecht erhalten, für ein geschlagnes England jedoch
kaum zu besondern Opfern bereit sein. Der Gedanke Cecil Rhodes endlich,
ganz Afrika zu einer neuen Domäne Großbritanniens umzuschaffen, dürfte
doch wohl endgiltig als gescheitert anzusehen sein; die verschiednen europäischen
Kolonien, Transvaal und das mit Rußland in Verbindung stehende Abessinien
sind ebenso viele Riegel, die das von Rhodes ursprünglich geplante Vordringen
Englands für immer hindern.

So liegen die Verhältnisse, die den nervös werdenden Staatsmännern
Englands den Ruf nach Bundesgenossen entlockt haben. Der Kampf mit dem
russischen Bären ist unabwendbar; alle Versuche, ihn auf seinem asiatischen
Veutegcmge durch Zettelungen im Orient aufzuhalten, sind vergebens gewesen.
Die Kontinentalkabinette wissen ja sehr gut, daß sich eine in der Türkei ent¬
stehende Feuersbrunst zum europäischen Brande entwickeln muß, der allen Be¬
teiligten so ungeheure Schädigungen verursachen würde, daß für lange Zeit
das sich selbstverständlich vom Kampfe möglichst fern haltende England allein
im Vollbesitze seiner Kraft bleiben würde. So sind die Wirren in Armenien
erfolglos geblieben, so hat der griechische Krieg seinen eigentlichen Zweck ver¬
fehlt. Es sieht ganz so aus, als ob wirklich der Aufrollung der Balkaufrage
die Auseinandersetzung zwischen Rußland und England vorausgehen soll.

Welchen Wert dabei nun die amerikanische Vundesgenosscnschaft für Eng¬
land haben würde, glauben wir vorhin gezeigt zu haben. England braucht
ein schlagfertiges Landheer, um seinen Gegner zu Lande in Schach zu halten,
und das kann ihm weder Amerika noch sonst eine außereuropäische Macht
bieten. Die Schlußfolgerung liegt auf der Hand: ein solches Landheer bietet
nur der mitteleuropäische Staatenbund, der stark genug wäre, mit Nußland
zugleich auch das durch die Ereignisse von 1870 dem Slawenreiche in die


Groß-Germanien

lands mit Japan nicht in Frage gestellt werden wird, da Japans Landheer
dem Kampfe mit der russischen Macht nicht gewachsen ist. In Persien und
Afghanistan kämpft russischer und englischer Einfluß einen stillen, aber er¬
bitterten Kampf; und hier in Afghanistan, dem Einfallthore nach Indien,
muß die schließliche Entscheidung zwischen beiden Staaten fallen. Gelingt es
Rußland, in Afghanistan festen Fuß zu fassen, so wird ein Zerbröckeln der
englischen Herrschaft in Indien die Folge sein. Eine sofortige Besetzung
Indiens durch Rußland selbst ist gar nicht nötig; ein mit Hilfe Rußlands
unternommener Aufstand einer Bevölkerung von dreihundert Millionen würde
der englischen Weltherrschaft den Todesstoß geben.

Denn darüber ist keine Täuschung möglich: die andern großen Kolonien
Englands sind ja gute Absatzgebiete, geben aber dem Mutterlande nicht die
Mittel zur Weltmacht, die es thatsächlich nur durch seinen indischen Reichtum
hat. Außerdem wird zweifellos Kanada im Laufe der Zeit amerikanisirt
werden, und Australien wird die Verbindung mit dem sieghaft thronenden
Mutterlande zwar gern aufrecht erhalten, für ein geschlagnes England jedoch
kaum zu besondern Opfern bereit sein. Der Gedanke Cecil Rhodes endlich,
ganz Afrika zu einer neuen Domäne Großbritanniens umzuschaffen, dürfte
doch wohl endgiltig als gescheitert anzusehen sein; die verschiednen europäischen
Kolonien, Transvaal und das mit Rußland in Verbindung stehende Abessinien
sind ebenso viele Riegel, die das von Rhodes ursprünglich geplante Vordringen
Englands für immer hindern.

So liegen die Verhältnisse, die den nervös werdenden Staatsmännern
Englands den Ruf nach Bundesgenossen entlockt haben. Der Kampf mit dem
russischen Bären ist unabwendbar; alle Versuche, ihn auf seinem asiatischen
Veutegcmge durch Zettelungen im Orient aufzuhalten, sind vergebens gewesen.
Die Kontinentalkabinette wissen ja sehr gut, daß sich eine in der Türkei ent¬
stehende Feuersbrunst zum europäischen Brande entwickeln muß, der allen Be¬
teiligten so ungeheure Schädigungen verursachen würde, daß für lange Zeit
das sich selbstverständlich vom Kampfe möglichst fern haltende England allein
im Vollbesitze seiner Kraft bleiben würde. So sind die Wirren in Armenien
erfolglos geblieben, so hat der griechische Krieg seinen eigentlichen Zweck ver¬
fehlt. Es sieht ganz so aus, als ob wirklich der Aufrollung der Balkaufrage
die Auseinandersetzung zwischen Rußland und England vorausgehen soll.

Welchen Wert dabei nun die amerikanische Vundesgenosscnschaft für Eng¬
land haben würde, glauben wir vorhin gezeigt zu haben. England braucht
ein schlagfertiges Landheer, um seinen Gegner zu Lande in Schach zu halten,
und das kann ihm weder Amerika noch sonst eine außereuropäische Macht
bieten. Die Schlußfolgerung liegt auf der Hand: ein solches Landheer bietet
nur der mitteleuropäische Staatenbund, der stark genug wäre, mit Nußland
zugleich auch das durch die Ereignisse von 1870 dem Slawenreiche in die


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[0507] Groß-Germanien lands mit Japan nicht in Frage gestellt werden wird, da Japans Landheer dem Kampfe mit der russischen Macht nicht gewachsen ist. In Persien und Afghanistan kämpft russischer und englischer Einfluß einen stillen, aber er¬ bitterten Kampf; und hier in Afghanistan, dem Einfallthore nach Indien, muß die schließliche Entscheidung zwischen beiden Staaten fallen. Gelingt es Rußland, in Afghanistan festen Fuß zu fassen, so wird ein Zerbröckeln der englischen Herrschaft in Indien die Folge sein. Eine sofortige Besetzung Indiens durch Rußland selbst ist gar nicht nötig; ein mit Hilfe Rußlands unternommener Aufstand einer Bevölkerung von dreihundert Millionen würde der englischen Weltherrschaft den Todesstoß geben. Denn darüber ist keine Täuschung möglich: die andern großen Kolonien Englands sind ja gute Absatzgebiete, geben aber dem Mutterlande nicht die Mittel zur Weltmacht, die es thatsächlich nur durch seinen indischen Reichtum hat. Außerdem wird zweifellos Kanada im Laufe der Zeit amerikanisirt werden, und Australien wird die Verbindung mit dem sieghaft thronenden Mutterlande zwar gern aufrecht erhalten, für ein geschlagnes England jedoch kaum zu besondern Opfern bereit sein. Der Gedanke Cecil Rhodes endlich, ganz Afrika zu einer neuen Domäne Großbritanniens umzuschaffen, dürfte doch wohl endgiltig als gescheitert anzusehen sein; die verschiednen europäischen Kolonien, Transvaal und das mit Rußland in Verbindung stehende Abessinien sind ebenso viele Riegel, die das von Rhodes ursprünglich geplante Vordringen Englands für immer hindern. So liegen die Verhältnisse, die den nervös werdenden Staatsmännern Englands den Ruf nach Bundesgenossen entlockt haben. Der Kampf mit dem russischen Bären ist unabwendbar; alle Versuche, ihn auf seinem asiatischen Veutegcmge durch Zettelungen im Orient aufzuhalten, sind vergebens gewesen. Die Kontinentalkabinette wissen ja sehr gut, daß sich eine in der Türkei ent¬ stehende Feuersbrunst zum europäischen Brande entwickeln muß, der allen Be¬ teiligten so ungeheure Schädigungen verursachen würde, daß für lange Zeit das sich selbstverständlich vom Kampfe möglichst fern haltende England allein im Vollbesitze seiner Kraft bleiben würde. So sind die Wirren in Armenien erfolglos geblieben, so hat der griechische Krieg seinen eigentlichen Zweck ver¬ fehlt. Es sieht ganz so aus, als ob wirklich der Aufrollung der Balkaufrage die Auseinandersetzung zwischen Rußland und England vorausgehen soll. Welchen Wert dabei nun die amerikanische Vundesgenosscnschaft für Eng¬ land haben würde, glauben wir vorhin gezeigt zu haben. England braucht ein schlagfertiges Landheer, um seinen Gegner zu Lande in Schach zu halten, und das kann ihm weder Amerika noch sonst eine außereuropäische Macht bieten. Die Schlußfolgerung liegt auf der Hand: ein solches Landheer bietet nur der mitteleuropäische Staatenbund, der stark genug wäre, mit Nußland zugleich auch das durch die Ereignisse von 1870 dem Slawenreiche in die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/507>, abgerufen am 28.12.2024.