Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neues zur Litteratur über parte

toter Ballast, ein Hindernis, das ihnen den Weg zu der tiefen, unvergäng¬
lichen Schönheit und Wahrheit Dantischer Poesie versperrt. Gerade dieser tote
Wortballast wird durch Wassermanns Werk lebendig gemacht, und mancher
Leser, der vielleicht schon nach der Lektüre weniger Gesänge die Göttliche
Komödie enttäuscht und ermüdet aus der Hand fallen läßt, wird diese Gesänge
mit ganz andern Augen ansehen, wenn er zuvor durch Bassermann in das
Land Dantes eingeführt worden ist. Wir schmälern gewiß nicht sein Verdienst,
wenn wir sagen, daß einzelne Abschnitte seines Werks, das sich, wie Philo¬
logen sagen, wesentlich mit den "Realien" zu Dante beschäftigt, den farben¬
prächtigen Bildern in Gregorovius "Wanderjahren in Italien" nahe kommen.

Ein Kuriosum der neuern Dantelitteratur sei hier noch beiläufig erwähnt.
Bassermann hat sich durch seinen Forschungseifer nicht verleiten lassen,
Dantes Wanderungen bis in ungemessene Fernen auszudehnen. Ein schwei¬
zerischer Patriot, Paul Pochhammer, hat dies unternommen, indem er in
einer kleinen Schrift "Dante in der Schweiz" die Behauptung aufgestellt
hat, daß sich der Dichter der Göttlichen Komödie eine Zeit lang auch in
der Schweiz aufgehalten haben müsse. Denn nur in der Schweiz seien die
Schluchten, Wasserfülle, Gießbäche und vornehmlich Gletscher zu sehen, von
denen Dante in seinen Naturschilderungen oft rede. Auch die Bergsteigerei,
die in Dantes Fahrten durch Hölle, Fegefeuer und Paradies eine bedeutende
Rolle spielt, und besonders das wohlthuende Atmen auf freier Berges¬
höhe, das Dante als Symbol für eine sittliche Läuterung braucht, seien
schweizerische Eigentümlichkeiten, die Dante nur in der Schweiz kennen gelernt
haben könne. Eine ernsthafte Widerlegung verdienen diese Phantastereien nicht.
Mit demselben Rechte könnte ein Lokalpatriot ans Trient, wo man Dante
übrigens unlängst ein prunkvolles Denkmal gesetzt hat, kommen, um alles das,
ums der Schweizer gesagt hat, für Welschtirol in Anspruch zu nehmen. Mit
größeren Recht, da sich Dante unzweifelhaft in der Nähe von Trient aufge¬
halten hat, nach einer alten, anscheinend begründeten Überlieferung auf dem
Schlosse von Lizzcmna, einem Besitztum der Grafen von Castelbarco, die am
Hofe der Scaliger in Verona eine hervorragende Rolle spielten, und mit denen
Dante dort bekannt geworden sein mag. Von jenem Schlosse aus hat er das
gewaltige Trümmerfeld, die sogenannten Llg-vini al Narov überblicken können,
die er, wie man in jedem Reiseführer lesen kann, im "Inferno" bei der Er¬
wähnung des Bergsturzes, der zum Kreise der Gewaltthätigen sührt, zum Ver¬
gleiche heranzieht.

Allzuviele so zwingende Beweise für die Anwesenheit Dantes an diesem
oder jenem entlegnen Orte lassen sich freilich nicht führen. Immerhin hat
Bassermann das Verdienst, mit großem Scharfsinn alles beigebracht zu haben,
was zur Aufklärung des Zusammenhangs von Dantes großem Gedicht mit
dieser Welt dienen kann, und dieser Teil der Dantegeographie, der den meisten


Neues zur Litteratur über parte

toter Ballast, ein Hindernis, das ihnen den Weg zu der tiefen, unvergäng¬
lichen Schönheit und Wahrheit Dantischer Poesie versperrt. Gerade dieser tote
Wortballast wird durch Wassermanns Werk lebendig gemacht, und mancher
Leser, der vielleicht schon nach der Lektüre weniger Gesänge die Göttliche
Komödie enttäuscht und ermüdet aus der Hand fallen läßt, wird diese Gesänge
mit ganz andern Augen ansehen, wenn er zuvor durch Bassermann in das
Land Dantes eingeführt worden ist. Wir schmälern gewiß nicht sein Verdienst,
wenn wir sagen, daß einzelne Abschnitte seines Werks, das sich, wie Philo¬
logen sagen, wesentlich mit den „Realien" zu Dante beschäftigt, den farben¬
prächtigen Bildern in Gregorovius „Wanderjahren in Italien" nahe kommen.

Ein Kuriosum der neuern Dantelitteratur sei hier noch beiläufig erwähnt.
Bassermann hat sich durch seinen Forschungseifer nicht verleiten lassen,
Dantes Wanderungen bis in ungemessene Fernen auszudehnen. Ein schwei¬
zerischer Patriot, Paul Pochhammer, hat dies unternommen, indem er in
einer kleinen Schrift „Dante in der Schweiz" die Behauptung aufgestellt
hat, daß sich der Dichter der Göttlichen Komödie eine Zeit lang auch in
der Schweiz aufgehalten haben müsse. Denn nur in der Schweiz seien die
Schluchten, Wasserfülle, Gießbäche und vornehmlich Gletscher zu sehen, von
denen Dante in seinen Naturschilderungen oft rede. Auch die Bergsteigerei,
die in Dantes Fahrten durch Hölle, Fegefeuer und Paradies eine bedeutende
Rolle spielt, und besonders das wohlthuende Atmen auf freier Berges¬
höhe, das Dante als Symbol für eine sittliche Läuterung braucht, seien
schweizerische Eigentümlichkeiten, die Dante nur in der Schweiz kennen gelernt
haben könne. Eine ernsthafte Widerlegung verdienen diese Phantastereien nicht.
Mit demselben Rechte könnte ein Lokalpatriot ans Trient, wo man Dante
übrigens unlängst ein prunkvolles Denkmal gesetzt hat, kommen, um alles das,
ums der Schweizer gesagt hat, für Welschtirol in Anspruch zu nehmen. Mit
größeren Recht, da sich Dante unzweifelhaft in der Nähe von Trient aufge¬
halten hat, nach einer alten, anscheinend begründeten Überlieferung auf dem
Schlosse von Lizzcmna, einem Besitztum der Grafen von Castelbarco, die am
Hofe der Scaliger in Verona eine hervorragende Rolle spielten, und mit denen
Dante dort bekannt geworden sein mag. Von jenem Schlosse aus hat er das
gewaltige Trümmerfeld, die sogenannten Llg-vini al Narov überblicken können,
die er, wie man in jedem Reiseführer lesen kann, im „Inferno" bei der Er¬
wähnung des Bergsturzes, der zum Kreise der Gewaltthätigen sührt, zum Ver¬
gleiche heranzieht.

Allzuviele so zwingende Beweise für die Anwesenheit Dantes an diesem
oder jenem entlegnen Orte lassen sich freilich nicht führen. Immerhin hat
Bassermann das Verdienst, mit großem Scharfsinn alles beigebracht zu haben,
was zur Aufklärung des Zusammenhangs von Dantes großem Gedicht mit
dieser Welt dienen kann, und dieser Teil der Dantegeographie, der den meisten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0498" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228134"/>
          <fw type="header" place="top"> Neues zur Litteratur über parte</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1359" prev="#ID_1358"> toter Ballast, ein Hindernis, das ihnen den Weg zu der tiefen, unvergäng¬<lb/>
lichen Schönheit und Wahrheit Dantischer Poesie versperrt. Gerade dieser tote<lb/>
Wortballast wird durch Wassermanns Werk lebendig gemacht, und mancher<lb/>
Leser, der vielleicht schon nach der Lektüre weniger Gesänge die Göttliche<lb/>
Komödie enttäuscht und ermüdet aus der Hand fallen läßt, wird diese Gesänge<lb/>
mit ganz andern Augen ansehen, wenn er zuvor durch Bassermann in das<lb/>
Land Dantes eingeführt worden ist. Wir schmälern gewiß nicht sein Verdienst,<lb/>
wenn wir sagen, daß einzelne Abschnitte seines Werks, das sich, wie Philo¬<lb/>
logen sagen, wesentlich mit den &#x201E;Realien" zu Dante beschäftigt, den farben¬<lb/>
prächtigen Bildern in Gregorovius &#x201E;Wanderjahren in Italien" nahe kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1360"> Ein Kuriosum der neuern Dantelitteratur sei hier noch beiläufig erwähnt.<lb/>
Bassermann hat sich durch seinen Forschungseifer nicht verleiten lassen,<lb/>
Dantes Wanderungen bis in ungemessene Fernen auszudehnen. Ein schwei¬<lb/>
zerischer Patriot, Paul Pochhammer, hat dies unternommen, indem er in<lb/>
einer kleinen Schrift &#x201E;Dante in der Schweiz" die Behauptung aufgestellt<lb/>
hat, daß sich der Dichter der Göttlichen Komödie eine Zeit lang auch in<lb/>
der Schweiz aufgehalten haben müsse. Denn nur in der Schweiz seien die<lb/>
Schluchten, Wasserfülle, Gießbäche und vornehmlich Gletscher zu sehen, von<lb/>
denen Dante in seinen Naturschilderungen oft rede. Auch die Bergsteigerei,<lb/>
die in Dantes Fahrten durch Hölle, Fegefeuer und Paradies eine bedeutende<lb/>
Rolle spielt, und besonders das wohlthuende Atmen auf freier Berges¬<lb/>
höhe, das Dante als Symbol für eine sittliche Läuterung braucht, seien<lb/>
schweizerische Eigentümlichkeiten, die Dante nur in der Schweiz kennen gelernt<lb/>
haben könne. Eine ernsthafte Widerlegung verdienen diese Phantastereien nicht.<lb/>
Mit demselben Rechte könnte ein Lokalpatriot ans Trient, wo man Dante<lb/>
übrigens unlängst ein prunkvolles Denkmal gesetzt hat, kommen, um alles das,<lb/>
ums der Schweizer gesagt hat, für Welschtirol in Anspruch zu nehmen. Mit<lb/>
größeren Recht, da sich Dante unzweifelhaft in der Nähe von Trient aufge¬<lb/>
halten hat, nach einer alten, anscheinend begründeten Überlieferung auf dem<lb/>
Schlosse von Lizzcmna, einem Besitztum der Grafen von Castelbarco, die am<lb/>
Hofe der Scaliger in Verona eine hervorragende Rolle spielten, und mit denen<lb/>
Dante dort bekannt geworden sein mag. Von jenem Schlosse aus hat er das<lb/>
gewaltige Trümmerfeld, die sogenannten Llg-vini al Narov überblicken können,<lb/>
die er, wie man in jedem Reiseführer lesen kann, im &#x201E;Inferno" bei der Er¬<lb/>
wähnung des Bergsturzes, der zum Kreise der Gewaltthätigen sührt, zum Ver¬<lb/>
gleiche heranzieht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1361" next="#ID_1362"> Allzuviele so zwingende Beweise für die Anwesenheit Dantes an diesem<lb/>
oder jenem entlegnen Orte lassen sich freilich nicht führen. Immerhin hat<lb/>
Bassermann das Verdienst, mit großem Scharfsinn alles beigebracht zu haben,<lb/>
was zur Aufklärung des Zusammenhangs von Dantes großem Gedicht mit<lb/>
dieser Welt dienen kann, und dieser Teil der Dantegeographie, der den meisten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0498] Neues zur Litteratur über parte toter Ballast, ein Hindernis, das ihnen den Weg zu der tiefen, unvergäng¬ lichen Schönheit und Wahrheit Dantischer Poesie versperrt. Gerade dieser tote Wortballast wird durch Wassermanns Werk lebendig gemacht, und mancher Leser, der vielleicht schon nach der Lektüre weniger Gesänge die Göttliche Komödie enttäuscht und ermüdet aus der Hand fallen läßt, wird diese Gesänge mit ganz andern Augen ansehen, wenn er zuvor durch Bassermann in das Land Dantes eingeführt worden ist. Wir schmälern gewiß nicht sein Verdienst, wenn wir sagen, daß einzelne Abschnitte seines Werks, das sich, wie Philo¬ logen sagen, wesentlich mit den „Realien" zu Dante beschäftigt, den farben¬ prächtigen Bildern in Gregorovius „Wanderjahren in Italien" nahe kommen. Ein Kuriosum der neuern Dantelitteratur sei hier noch beiläufig erwähnt. Bassermann hat sich durch seinen Forschungseifer nicht verleiten lassen, Dantes Wanderungen bis in ungemessene Fernen auszudehnen. Ein schwei¬ zerischer Patriot, Paul Pochhammer, hat dies unternommen, indem er in einer kleinen Schrift „Dante in der Schweiz" die Behauptung aufgestellt hat, daß sich der Dichter der Göttlichen Komödie eine Zeit lang auch in der Schweiz aufgehalten haben müsse. Denn nur in der Schweiz seien die Schluchten, Wasserfülle, Gießbäche und vornehmlich Gletscher zu sehen, von denen Dante in seinen Naturschilderungen oft rede. Auch die Bergsteigerei, die in Dantes Fahrten durch Hölle, Fegefeuer und Paradies eine bedeutende Rolle spielt, und besonders das wohlthuende Atmen auf freier Berges¬ höhe, das Dante als Symbol für eine sittliche Läuterung braucht, seien schweizerische Eigentümlichkeiten, die Dante nur in der Schweiz kennen gelernt haben könne. Eine ernsthafte Widerlegung verdienen diese Phantastereien nicht. Mit demselben Rechte könnte ein Lokalpatriot ans Trient, wo man Dante übrigens unlängst ein prunkvolles Denkmal gesetzt hat, kommen, um alles das, ums der Schweizer gesagt hat, für Welschtirol in Anspruch zu nehmen. Mit größeren Recht, da sich Dante unzweifelhaft in der Nähe von Trient aufge¬ halten hat, nach einer alten, anscheinend begründeten Überlieferung auf dem Schlosse von Lizzcmna, einem Besitztum der Grafen von Castelbarco, die am Hofe der Scaliger in Verona eine hervorragende Rolle spielten, und mit denen Dante dort bekannt geworden sein mag. Von jenem Schlosse aus hat er das gewaltige Trümmerfeld, die sogenannten Llg-vini al Narov überblicken können, die er, wie man in jedem Reiseführer lesen kann, im „Inferno" bei der Er¬ wähnung des Bergsturzes, der zum Kreise der Gewaltthätigen sührt, zum Ver¬ gleiche heranzieht. Allzuviele so zwingende Beweise für die Anwesenheit Dantes an diesem oder jenem entlegnen Orte lassen sich freilich nicht führen. Immerhin hat Bassermann das Verdienst, mit großem Scharfsinn alles beigebracht zu haben, was zur Aufklärung des Zusammenhangs von Dantes großem Gedicht mit dieser Welt dienen kann, und dieser Teil der Dantegeographie, der den meisten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/498
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/498>, abgerufen am 23.07.2024.