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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Neue Aunstlitteratur

kluger Taufe, die Kanzel in Sörup von 1663 und einige kleinere Epitaphe. Alle
Arbeiten, außer dem Kappelner Altar, der polychrom gewesen zu sein scheint,
zeigten ursprünglich das Eichenholz in seiner Naturfarbe, nur mit etwas Gold.
Der Aufbau im Barockstil ist namentlich bei den ersten zwei Altären sehr ge¬
lungen, die Behandlung des Ornaments im sogenannten Ohrmuschelstil und
der Zierfiguren gewandt; am Schluß geht der Künstler schon in eine Art
Rokoko über. Die Figuren sind in freier Skulptur, nur an der Söruper
Kanzel auch im Relief gegeben. Das Figürliche ist an den frühern Arbeiten
viel besser als später. Der Verfasser vermutet, daß Gudewerdt in Belgien
gewesen sei, weil er offenbar unter dem Einfluß von Rubens steht. Dreimal
hat er die "Anbetung der Hirten" nach Vorstermans Stich von 1620, jedesmal
mit kleinen Veränderungen gegeben. Der Verfasser Hütte, was er Seite 33
und 72 darüber sagt, in einander arbeiten müssen. Er scheint, wie alle, die
sich mit den norddeutschen Schnitzwerken beschäftigen, die Erfindung und die
Selbständigkeit im Figürlichem zu hoch anzuschlagen. Wozu waren denn die
Stiche da, die weitverbreiteten Anweisungen für alles und jedes, wenn sie von
diesen kleinen Prvvinzialmeistern nicht hätten benutzt werden sollen! Wie
gering ist selbst Hans Brüggemanns Erfindung, wenn wir nur z. V. an Adam
Krafts Sakrnmenthäuschen denken! Es wird sich ohne Frage das Gemeinsame
in den Kompositionen der Schnitzer durch umfängliche Vergleichungen immer
mehr herausstellen, und es ist nicht zu verlangen, daß ein erster Herausgeber
schon solche Fragen erledigt. Er hat genug gethan, wenn er uns durch eine
so sorgfältige Beschreibung seiner Denkmäler und durch vollständige Nachrichten
über den Meister erfreut. Wir hoffen ihm noch oft auf diesem Felde zu be¬
gegnen.

Von der neuen Zeitschrift für angewandte Kunst (München, Bruck-
mann), über die wir nach Erscheinen des ersten Heftes ausführlich gesprochen
haben, liegen weitere -- Dezember 1897 bis Januar 1808 -- vor uns. Die
Ausstattung ist wieder reich und anschaulich und der Text unterrichtend; hie
und da dürfte er etwas ruhiger sein, und es könnten die Superlative gespart
werden, mit denen der Propaganda nicht genützt wird. Es wird hier zuletzt
alles auf das Volk ankommen, aber nicht auf das, für das man heute "Volks¬
kunst" zu machen pflegt, sondern auf das kaufende, bessere Publikum. Die
Erscheinung der neuen Dekoration ist ja der hergebrachten, historischen genau
entgegengesetzt. Früher sollte ein Haus äußerlich nach etwas aussehen, was
man schön nannte, jetzt sieht es am besten nach gar nichts aus. Gesäße und
Geräte, die früher Architekten zu entwerfen pflegten, erfinden jetzt die Maler.
Während das historische Ornament eine gewisse Regelmäßigkeit und eine Mitte
hat, ist das neue zentrifugal und verkriecht sich in eine Ecke, je zufälliger es
da zu sitzen scheint, wie der Schmetterling am Zweig, desto echter, und die
Metallbeschläge, die früher das Holzwerk an Thüren oder Deckeln kräftig ge-


Neue Aunstlitteratur

kluger Taufe, die Kanzel in Sörup von 1663 und einige kleinere Epitaphe. Alle
Arbeiten, außer dem Kappelner Altar, der polychrom gewesen zu sein scheint,
zeigten ursprünglich das Eichenholz in seiner Naturfarbe, nur mit etwas Gold.
Der Aufbau im Barockstil ist namentlich bei den ersten zwei Altären sehr ge¬
lungen, die Behandlung des Ornaments im sogenannten Ohrmuschelstil und
der Zierfiguren gewandt; am Schluß geht der Künstler schon in eine Art
Rokoko über. Die Figuren sind in freier Skulptur, nur an der Söruper
Kanzel auch im Relief gegeben. Das Figürliche ist an den frühern Arbeiten
viel besser als später. Der Verfasser vermutet, daß Gudewerdt in Belgien
gewesen sei, weil er offenbar unter dem Einfluß von Rubens steht. Dreimal
hat er die „Anbetung der Hirten" nach Vorstermans Stich von 1620, jedesmal
mit kleinen Veränderungen gegeben. Der Verfasser Hütte, was er Seite 33
und 72 darüber sagt, in einander arbeiten müssen. Er scheint, wie alle, die
sich mit den norddeutschen Schnitzwerken beschäftigen, die Erfindung und die
Selbständigkeit im Figürlichem zu hoch anzuschlagen. Wozu waren denn die
Stiche da, die weitverbreiteten Anweisungen für alles und jedes, wenn sie von
diesen kleinen Prvvinzialmeistern nicht hätten benutzt werden sollen! Wie
gering ist selbst Hans Brüggemanns Erfindung, wenn wir nur z. V. an Adam
Krafts Sakrnmenthäuschen denken! Es wird sich ohne Frage das Gemeinsame
in den Kompositionen der Schnitzer durch umfängliche Vergleichungen immer
mehr herausstellen, und es ist nicht zu verlangen, daß ein erster Herausgeber
schon solche Fragen erledigt. Er hat genug gethan, wenn er uns durch eine
so sorgfältige Beschreibung seiner Denkmäler und durch vollständige Nachrichten
über den Meister erfreut. Wir hoffen ihm noch oft auf diesem Felde zu be¬
gegnen.

Von der neuen Zeitschrift für angewandte Kunst (München, Bruck-
mann), über die wir nach Erscheinen des ersten Heftes ausführlich gesprochen
haben, liegen weitere — Dezember 1897 bis Januar 1808 — vor uns. Die
Ausstattung ist wieder reich und anschaulich und der Text unterrichtend; hie
und da dürfte er etwas ruhiger sein, und es könnten die Superlative gespart
werden, mit denen der Propaganda nicht genützt wird. Es wird hier zuletzt
alles auf das Volk ankommen, aber nicht auf das, für das man heute „Volks¬
kunst" zu machen pflegt, sondern auf das kaufende, bessere Publikum. Die
Erscheinung der neuen Dekoration ist ja der hergebrachten, historischen genau
entgegengesetzt. Früher sollte ein Haus äußerlich nach etwas aussehen, was
man schön nannte, jetzt sieht es am besten nach gar nichts aus. Gesäße und
Geräte, die früher Architekten zu entwerfen pflegten, erfinden jetzt die Maler.
Während das historische Ornament eine gewisse Regelmäßigkeit und eine Mitte
hat, ist das neue zentrifugal und verkriecht sich in eine Ecke, je zufälliger es
da zu sitzen scheint, wie der Schmetterling am Zweig, desto echter, und die
Metallbeschläge, die früher das Holzwerk an Thüren oder Deckeln kräftig ge-


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[0456] Neue Aunstlitteratur kluger Taufe, die Kanzel in Sörup von 1663 und einige kleinere Epitaphe. Alle Arbeiten, außer dem Kappelner Altar, der polychrom gewesen zu sein scheint, zeigten ursprünglich das Eichenholz in seiner Naturfarbe, nur mit etwas Gold. Der Aufbau im Barockstil ist namentlich bei den ersten zwei Altären sehr ge¬ lungen, die Behandlung des Ornaments im sogenannten Ohrmuschelstil und der Zierfiguren gewandt; am Schluß geht der Künstler schon in eine Art Rokoko über. Die Figuren sind in freier Skulptur, nur an der Söruper Kanzel auch im Relief gegeben. Das Figürliche ist an den frühern Arbeiten viel besser als später. Der Verfasser vermutet, daß Gudewerdt in Belgien gewesen sei, weil er offenbar unter dem Einfluß von Rubens steht. Dreimal hat er die „Anbetung der Hirten" nach Vorstermans Stich von 1620, jedesmal mit kleinen Veränderungen gegeben. Der Verfasser Hütte, was er Seite 33 und 72 darüber sagt, in einander arbeiten müssen. Er scheint, wie alle, die sich mit den norddeutschen Schnitzwerken beschäftigen, die Erfindung und die Selbständigkeit im Figürlichem zu hoch anzuschlagen. Wozu waren denn die Stiche da, die weitverbreiteten Anweisungen für alles und jedes, wenn sie von diesen kleinen Prvvinzialmeistern nicht hätten benutzt werden sollen! Wie gering ist selbst Hans Brüggemanns Erfindung, wenn wir nur z. V. an Adam Krafts Sakrnmenthäuschen denken! Es wird sich ohne Frage das Gemeinsame in den Kompositionen der Schnitzer durch umfängliche Vergleichungen immer mehr herausstellen, und es ist nicht zu verlangen, daß ein erster Herausgeber schon solche Fragen erledigt. Er hat genug gethan, wenn er uns durch eine so sorgfältige Beschreibung seiner Denkmäler und durch vollständige Nachrichten über den Meister erfreut. Wir hoffen ihm noch oft auf diesem Felde zu be¬ gegnen. Von der neuen Zeitschrift für angewandte Kunst (München, Bruck- mann), über die wir nach Erscheinen des ersten Heftes ausführlich gesprochen haben, liegen weitere — Dezember 1897 bis Januar 1808 — vor uns. Die Ausstattung ist wieder reich und anschaulich und der Text unterrichtend; hie und da dürfte er etwas ruhiger sein, und es könnten die Superlative gespart werden, mit denen der Propaganda nicht genützt wird. Es wird hier zuletzt alles auf das Volk ankommen, aber nicht auf das, für das man heute „Volks¬ kunst" zu machen pflegt, sondern auf das kaufende, bessere Publikum. Die Erscheinung der neuen Dekoration ist ja der hergebrachten, historischen genau entgegengesetzt. Früher sollte ein Haus äußerlich nach etwas aussehen, was man schön nannte, jetzt sieht es am besten nach gar nichts aus. Gesäße und Geräte, die früher Architekten zu entwerfen pflegten, erfinden jetzt die Maler. Während das historische Ornament eine gewisse Regelmäßigkeit und eine Mitte hat, ist das neue zentrifugal und verkriecht sich in eine Ecke, je zufälliger es da zu sitzen scheint, wie der Schmetterling am Zweig, desto echter, und die Metallbeschläge, die früher das Holzwerk an Thüren oder Deckeln kräftig ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/456>, abgerufen am 23.07.2024.