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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Der schütz der persönlichen Freiheit

angesehenen Bürger auf der Wache behalte, so entsteht für den einen eine
Wohlthat, für den andern eine Kränkung, an der er vielleicht sein Leben lang
trägt. Darum muß die Polizei durch Takt die Härten des ungleichen Gesetzes
aufheben, kurz sie darf nicht schematisch arbeiten, sondern muß jeden Fall
einzeln betrachten. Dazu ist aber nötig, daß unsre Polizeibeamten anders
ausgebildet und anders gestellt werden als jetzt. Um nur eins zu erwähnen,
so werden die mittlern Venmtenstellen bei der Polizei, die der Inspektoren,
Pvlizeioffiziere und Räte meist mit ansgeschiednen Offizieren oder mit Juristen
besetzt, die gewöhnlich vor dem zweiten Examen abgegangen sind. Daß diese
aus ihrem eigentlichen Beruf herausgedräugteu Leute bei der Polizei nicht mit
derselben Liebe arbeiten, scheint natürlich, um so mehr, als sie im Range trotz
der großen Machtbefugnis, die ihnen ihr Amt giebt, den höhern Beamten
andrer Kategorien nicht gleich stehen. Sollte da nicht durch Schaffung einer
besondern Laufbahn eine Besserung möglich sein? Jedenfalls würde schon dnrch
häufigere Instruktion der Unterbeamten manches gebessert werden.

Das Publikum kann sich vor ärgerlichen Vorkommnissen in gewisser Weise
dadurch schützen, daß es sich daran gewöhnt, irgend eine Legitimation mit sich
zu führen. In großen Städten ist das für Personen, die viel ans den
Straßen zu thun haben, auch für einzelnstehende Mädchen, geradezu geboten,
da niemand in dem Menschentreiben sicher sein kann, nicht gelegentlich in einen
ärgerlichen Konflikt verwickelt zu werden. Als solche Legitimationszeichen
kommen in Betracht die Paßkarten, die von der Behörde zu 1 Mark abgegeben
werden, ferner werden stets ausreichen Militärpapiere, Versichernngskarten,
Gesinde- und Dienstbücher. Die meisten Wachthabenden lassen wohl auch auf
den Namen lautende gedruckte Mitgliedskarten größerer Vereine und Verbände
(Radfahrerbuud :c.) gelten, ja selbst an den Inhaber adressirte Vriefum-
schläge, wenigstens eingeschriebner Briefe, kommen in Frage.

Bei uns wird auf der einen Seite bei all und jeder Gelegenheit nach
der Polizei gerufen, auf der andern Seite steht eine zuweilen geradezu bis
zum Krankhaften gesteigerte Abneigung gegen alles, was Polizei heißt --
eine Erscheinung, die in ihrer schlimmsten Form unter der Bezeichnung
"Blaukollcr" bei den Gerichten wohl bekannt ist. Daß die bösen Vorfälle der
letzten Zeit nur zu sehr geeignet sind, dem Haß gegen die Polizei neue Nahrung
zuzuführen, ist leider unbestreitbar. Und doch wird man sich bei aller Teil¬
nahme für die Geschädigten davor hüten müssen, zu weitgehende Folgen bis
zur Gesetzesänderung usw. aus den Vorfällen zu ziehen. Vor gelegentlichen
Irrtümern werden auch die besten Gesetze die Polizei nicht bewahren können.
Verlangt werden muß dagegen und mit allen Mitteln ist dahin zu wirken,
daß die Behörden mit allem Ernst aus die genaueste Beobachtung der be¬
stehenden Gesetze und auf ihre taktvolle Anwendung sehen. Die Staatsanwalt¬
schaften arbeiten viel mit den Polizeibeamten zusammen und sind vielfach auf


Grenzboten II 1898 34
Der schütz der persönlichen Freiheit

angesehenen Bürger auf der Wache behalte, so entsteht für den einen eine
Wohlthat, für den andern eine Kränkung, an der er vielleicht sein Leben lang
trägt. Darum muß die Polizei durch Takt die Härten des ungleichen Gesetzes
aufheben, kurz sie darf nicht schematisch arbeiten, sondern muß jeden Fall
einzeln betrachten. Dazu ist aber nötig, daß unsre Polizeibeamten anders
ausgebildet und anders gestellt werden als jetzt. Um nur eins zu erwähnen,
so werden die mittlern Venmtenstellen bei der Polizei, die der Inspektoren,
Pvlizeioffiziere und Räte meist mit ansgeschiednen Offizieren oder mit Juristen
besetzt, die gewöhnlich vor dem zweiten Examen abgegangen sind. Daß diese
aus ihrem eigentlichen Beruf herausgedräugteu Leute bei der Polizei nicht mit
derselben Liebe arbeiten, scheint natürlich, um so mehr, als sie im Range trotz
der großen Machtbefugnis, die ihnen ihr Amt giebt, den höhern Beamten
andrer Kategorien nicht gleich stehen. Sollte da nicht durch Schaffung einer
besondern Laufbahn eine Besserung möglich sein? Jedenfalls würde schon dnrch
häufigere Instruktion der Unterbeamten manches gebessert werden.

Das Publikum kann sich vor ärgerlichen Vorkommnissen in gewisser Weise
dadurch schützen, daß es sich daran gewöhnt, irgend eine Legitimation mit sich
zu führen. In großen Städten ist das für Personen, die viel ans den
Straßen zu thun haben, auch für einzelnstehende Mädchen, geradezu geboten,
da niemand in dem Menschentreiben sicher sein kann, nicht gelegentlich in einen
ärgerlichen Konflikt verwickelt zu werden. Als solche Legitimationszeichen
kommen in Betracht die Paßkarten, die von der Behörde zu 1 Mark abgegeben
werden, ferner werden stets ausreichen Militärpapiere, Versichernngskarten,
Gesinde- und Dienstbücher. Die meisten Wachthabenden lassen wohl auch auf
den Namen lautende gedruckte Mitgliedskarten größerer Vereine und Verbände
(Radfahrerbuud :c.) gelten, ja selbst an den Inhaber adressirte Vriefum-
schläge, wenigstens eingeschriebner Briefe, kommen in Frage.

Bei uns wird auf der einen Seite bei all und jeder Gelegenheit nach
der Polizei gerufen, auf der andern Seite steht eine zuweilen geradezu bis
zum Krankhaften gesteigerte Abneigung gegen alles, was Polizei heißt —
eine Erscheinung, die in ihrer schlimmsten Form unter der Bezeichnung
„Blaukollcr" bei den Gerichten wohl bekannt ist. Daß die bösen Vorfälle der
letzten Zeit nur zu sehr geeignet sind, dem Haß gegen die Polizei neue Nahrung
zuzuführen, ist leider unbestreitbar. Und doch wird man sich bei aller Teil¬
nahme für die Geschädigten davor hüten müssen, zu weitgehende Folgen bis
zur Gesetzesänderung usw. aus den Vorfällen zu ziehen. Vor gelegentlichen
Irrtümern werden auch die besten Gesetze die Polizei nicht bewahren können.
Verlangt werden muß dagegen und mit allen Mitteln ist dahin zu wirken,
daß die Behörden mit allem Ernst aus die genaueste Beobachtung der be¬
stehenden Gesetze und auf ihre taktvolle Anwendung sehen. Die Staatsanwalt¬
schaften arbeiten viel mit den Polizeibeamten zusammen und sind vielfach auf


Grenzboten II 1898 34
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[0433] Der schütz der persönlichen Freiheit angesehenen Bürger auf der Wache behalte, so entsteht für den einen eine Wohlthat, für den andern eine Kränkung, an der er vielleicht sein Leben lang trägt. Darum muß die Polizei durch Takt die Härten des ungleichen Gesetzes aufheben, kurz sie darf nicht schematisch arbeiten, sondern muß jeden Fall einzeln betrachten. Dazu ist aber nötig, daß unsre Polizeibeamten anders ausgebildet und anders gestellt werden als jetzt. Um nur eins zu erwähnen, so werden die mittlern Venmtenstellen bei der Polizei, die der Inspektoren, Pvlizeioffiziere und Räte meist mit ansgeschiednen Offizieren oder mit Juristen besetzt, die gewöhnlich vor dem zweiten Examen abgegangen sind. Daß diese aus ihrem eigentlichen Beruf herausgedräugteu Leute bei der Polizei nicht mit derselben Liebe arbeiten, scheint natürlich, um so mehr, als sie im Range trotz der großen Machtbefugnis, die ihnen ihr Amt giebt, den höhern Beamten andrer Kategorien nicht gleich stehen. Sollte da nicht durch Schaffung einer besondern Laufbahn eine Besserung möglich sein? Jedenfalls würde schon dnrch häufigere Instruktion der Unterbeamten manches gebessert werden. Das Publikum kann sich vor ärgerlichen Vorkommnissen in gewisser Weise dadurch schützen, daß es sich daran gewöhnt, irgend eine Legitimation mit sich zu führen. In großen Städten ist das für Personen, die viel ans den Straßen zu thun haben, auch für einzelnstehende Mädchen, geradezu geboten, da niemand in dem Menschentreiben sicher sein kann, nicht gelegentlich in einen ärgerlichen Konflikt verwickelt zu werden. Als solche Legitimationszeichen kommen in Betracht die Paßkarten, die von der Behörde zu 1 Mark abgegeben werden, ferner werden stets ausreichen Militärpapiere, Versichernngskarten, Gesinde- und Dienstbücher. Die meisten Wachthabenden lassen wohl auch auf den Namen lautende gedruckte Mitgliedskarten größerer Vereine und Verbände (Radfahrerbuud :c.) gelten, ja selbst an den Inhaber adressirte Vriefum- schläge, wenigstens eingeschriebner Briefe, kommen in Frage. Bei uns wird auf der einen Seite bei all und jeder Gelegenheit nach der Polizei gerufen, auf der andern Seite steht eine zuweilen geradezu bis zum Krankhaften gesteigerte Abneigung gegen alles, was Polizei heißt — eine Erscheinung, die in ihrer schlimmsten Form unter der Bezeichnung „Blaukollcr" bei den Gerichten wohl bekannt ist. Daß die bösen Vorfälle der letzten Zeit nur zu sehr geeignet sind, dem Haß gegen die Polizei neue Nahrung zuzuführen, ist leider unbestreitbar. Und doch wird man sich bei aller Teil¬ nahme für die Geschädigten davor hüten müssen, zu weitgehende Folgen bis zur Gesetzesänderung usw. aus den Vorfällen zu ziehen. Vor gelegentlichen Irrtümern werden auch die besten Gesetze die Polizei nicht bewahren können. Verlangt werden muß dagegen und mit allen Mitteln ist dahin zu wirken, daß die Behörden mit allem Ernst aus die genaueste Beobachtung der be¬ stehenden Gesetze und auf ihre taktvolle Anwendung sehen. Die Staatsanwalt¬ schaften arbeiten viel mit den Polizeibeamten zusammen und sind vielfach auf Grenzboten II 1898 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/433>, abgerufen am 27.12.2024.