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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Der Schutz der persönlichen Freiheit

er dableiben, denn er ist nach der Ansicht des Wächters bei der Verübung
einer strafbaren Handlung betroffen worden, und seine Persönlichkeit hat nicht
festgestellt werden können. Die andern, jetzt in der Tagespresse besprochnen
Vorkommnisse ähnlicher Art sind weit schlimmer. Sie sind häufiger, als man
annimmt, da der Betroffne den ihm peinlichen Vorfall meist verschweigen wird.

Daß somit aus jenen weitgehenden Bestimmungen große Unannehmlich¬
keiten, ja Nachteile für den Einzelnen erwachsen tonnen, läßt sich nicht leugnen.
Dem gegenüber stehen aber die großen Gefahren, die daraus entspringen
könnten, wenn man dem Staat ein schnelles energisches Eingreifen selbst in
die Freiheit des Einzelnen verböte oder allzu sehr erschwerte. Bricht bei einem
Menschen plötzlich Tobsucht aus, und bedroht er seine Umgebung; mißhandelt
ein roher Arbeiter auf das Grausamste Frau und Kinder, taumelt ein schwer
Betrunkner durch die Straßen; ist aus bestimmten Anzeichen anzunehmen,
daß jemand seinen Todfeind ermorden will, wenn auch uoch kein strafbarer
Versuch gemacht worden ist, so muß in allen diesen und unendlich vielen andern
Fällen der Staat das Recht haben, ohne weiteres in die Freiheit des Einzelnen
einzugreifen.

Die Zahl solcher Fälle ist aber Legion, sodaß es ein vergebliches Bemühen
wäre, sie spezialisiren zu wollen. So bleibt denn nichts andres übrig, als die
Bestimmungen, die dem Staat das Recht zum Einschreiten geben, so weit zu
fassen, daß alle solche Begebenheiten darunter fallen. Daß dann freilich auch
Vorkommnisse mit einbegriffen werden, die nicht dahin gehören, ist natürlich
und unvermeidlich. Nimmt man hinzu, daß bei der dichtgedrängten Be¬
völkerungsmasse unsrer großen Städte ein an sich harmloser, doch Aufsehn
erregender Vorfall durch das Herbeidrängen der rohen Menschenmenge allzu
leicht zu bedenklichen Tumulten führen kann, so wird man kaum dazu neigen,
die Befugnisse der Polizei "zur Aufrechterhaltung der allgemeinen Ruhe und
Sicherheit" einzuschränken. Ebensowenig dürften die Bestimmungen über die
vorläufige Festnahme im wesentlichen geändert werden können. Auch hier ist
die Zahl und Art der Fälle zu groß, als daß sie sich genauer bestimmen
ließen. Dem Staate muß die Gewalt gegeben sein, auch bei kleinen Straf¬
sachen energisch gegen den böswilligen Thäter vorzugehn. Die bedauerlichen
Fälle, daß durch Irrtum der Beamten oder durch sonstige ungünstige Um¬
stände ein Unschuldiger betroffen wird, werden sich durch gesetzliche Bestimmungen
nicht vermeiden lassen.

Dagegen könnten die Behörden bei der Ausführung der gesetzlichen Be¬
stimmungen und in gewisser Weise auch das Publikum manches thun, um die
Zahl solcher Vorkommnisse zu verringern. Von den Behörden ist es die
Polizeibehörde, die hier selbst allein in Frage kom"me. Die notwendige An¬
forderung, die man an ihre Beamten stellen muß, ist Takt. Gleichheit ist ein
schönes Wort. Aber wenn ich nach demselben Gesetz den Bummler und den


Der Schutz der persönlichen Freiheit

er dableiben, denn er ist nach der Ansicht des Wächters bei der Verübung
einer strafbaren Handlung betroffen worden, und seine Persönlichkeit hat nicht
festgestellt werden können. Die andern, jetzt in der Tagespresse besprochnen
Vorkommnisse ähnlicher Art sind weit schlimmer. Sie sind häufiger, als man
annimmt, da der Betroffne den ihm peinlichen Vorfall meist verschweigen wird.

Daß somit aus jenen weitgehenden Bestimmungen große Unannehmlich¬
keiten, ja Nachteile für den Einzelnen erwachsen tonnen, läßt sich nicht leugnen.
Dem gegenüber stehen aber die großen Gefahren, die daraus entspringen
könnten, wenn man dem Staat ein schnelles energisches Eingreifen selbst in
die Freiheit des Einzelnen verböte oder allzu sehr erschwerte. Bricht bei einem
Menschen plötzlich Tobsucht aus, und bedroht er seine Umgebung; mißhandelt
ein roher Arbeiter auf das Grausamste Frau und Kinder, taumelt ein schwer
Betrunkner durch die Straßen; ist aus bestimmten Anzeichen anzunehmen,
daß jemand seinen Todfeind ermorden will, wenn auch uoch kein strafbarer
Versuch gemacht worden ist, so muß in allen diesen und unendlich vielen andern
Fällen der Staat das Recht haben, ohne weiteres in die Freiheit des Einzelnen
einzugreifen.

Die Zahl solcher Fälle ist aber Legion, sodaß es ein vergebliches Bemühen
wäre, sie spezialisiren zu wollen. So bleibt denn nichts andres übrig, als die
Bestimmungen, die dem Staat das Recht zum Einschreiten geben, so weit zu
fassen, daß alle solche Begebenheiten darunter fallen. Daß dann freilich auch
Vorkommnisse mit einbegriffen werden, die nicht dahin gehören, ist natürlich
und unvermeidlich. Nimmt man hinzu, daß bei der dichtgedrängten Be¬
völkerungsmasse unsrer großen Städte ein an sich harmloser, doch Aufsehn
erregender Vorfall durch das Herbeidrängen der rohen Menschenmenge allzu
leicht zu bedenklichen Tumulten führen kann, so wird man kaum dazu neigen,
die Befugnisse der Polizei „zur Aufrechterhaltung der allgemeinen Ruhe und
Sicherheit" einzuschränken. Ebensowenig dürften die Bestimmungen über die
vorläufige Festnahme im wesentlichen geändert werden können. Auch hier ist
die Zahl und Art der Fälle zu groß, als daß sie sich genauer bestimmen
ließen. Dem Staate muß die Gewalt gegeben sein, auch bei kleinen Straf¬
sachen energisch gegen den böswilligen Thäter vorzugehn. Die bedauerlichen
Fälle, daß durch Irrtum der Beamten oder durch sonstige ungünstige Um¬
stände ein Unschuldiger betroffen wird, werden sich durch gesetzliche Bestimmungen
nicht vermeiden lassen.

Dagegen könnten die Behörden bei der Ausführung der gesetzlichen Be¬
stimmungen und in gewisser Weise auch das Publikum manches thun, um die
Zahl solcher Vorkommnisse zu verringern. Von den Behörden ist es die
Polizeibehörde, die hier selbst allein in Frage kom»me. Die notwendige An¬
forderung, die man an ihre Beamten stellen muß, ist Takt. Gleichheit ist ein
schönes Wort. Aber wenn ich nach demselben Gesetz den Bummler und den


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[0432] Der Schutz der persönlichen Freiheit er dableiben, denn er ist nach der Ansicht des Wächters bei der Verübung einer strafbaren Handlung betroffen worden, und seine Persönlichkeit hat nicht festgestellt werden können. Die andern, jetzt in der Tagespresse besprochnen Vorkommnisse ähnlicher Art sind weit schlimmer. Sie sind häufiger, als man annimmt, da der Betroffne den ihm peinlichen Vorfall meist verschweigen wird. Daß somit aus jenen weitgehenden Bestimmungen große Unannehmlich¬ keiten, ja Nachteile für den Einzelnen erwachsen tonnen, läßt sich nicht leugnen. Dem gegenüber stehen aber die großen Gefahren, die daraus entspringen könnten, wenn man dem Staat ein schnelles energisches Eingreifen selbst in die Freiheit des Einzelnen verböte oder allzu sehr erschwerte. Bricht bei einem Menschen plötzlich Tobsucht aus, und bedroht er seine Umgebung; mißhandelt ein roher Arbeiter auf das Grausamste Frau und Kinder, taumelt ein schwer Betrunkner durch die Straßen; ist aus bestimmten Anzeichen anzunehmen, daß jemand seinen Todfeind ermorden will, wenn auch uoch kein strafbarer Versuch gemacht worden ist, so muß in allen diesen und unendlich vielen andern Fällen der Staat das Recht haben, ohne weiteres in die Freiheit des Einzelnen einzugreifen. Die Zahl solcher Fälle ist aber Legion, sodaß es ein vergebliches Bemühen wäre, sie spezialisiren zu wollen. So bleibt denn nichts andres übrig, als die Bestimmungen, die dem Staat das Recht zum Einschreiten geben, so weit zu fassen, daß alle solche Begebenheiten darunter fallen. Daß dann freilich auch Vorkommnisse mit einbegriffen werden, die nicht dahin gehören, ist natürlich und unvermeidlich. Nimmt man hinzu, daß bei der dichtgedrängten Be¬ völkerungsmasse unsrer großen Städte ein an sich harmloser, doch Aufsehn erregender Vorfall durch das Herbeidrängen der rohen Menschenmenge allzu leicht zu bedenklichen Tumulten führen kann, so wird man kaum dazu neigen, die Befugnisse der Polizei „zur Aufrechterhaltung der allgemeinen Ruhe und Sicherheit" einzuschränken. Ebensowenig dürften die Bestimmungen über die vorläufige Festnahme im wesentlichen geändert werden können. Auch hier ist die Zahl und Art der Fälle zu groß, als daß sie sich genauer bestimmen ließen. Dem Staate muß die Gewalt gegeben sein, auch bei kleinen Straf¬ sachen energisch gegen den böswilligen Thäter vorzugehn. Die bedauerlichen Fälle, daß durch Irrtum der Beamten oder durch sonstige ungünstige Um¬ stände ein Unschuldiger betroffen wird, werden sich durch gesetzliche Bestimmungen nicht vermeiden lassen. Dagegen könnten die Behörden bei der Ausführung der gesetzlichen Be¬ stimmungen und in gewisser Weise auch das Publikum manches thun, um die Zahl solcher Vorkommnisse zu verringern. Von den Behörden ist es die Polizeibehörde, die hier selbst allein in Frage kom»me. Die notwendige An¬ forderung, die man an ihre Beamten stellen muß, ist Takt. Gleichheit ist ein schönes Wort. Aber wenn ich nach demselben Gesetz den Bummler und den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/432>, abgerufen am 27.12.2024.