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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Aunst in deutscher Bearbeitung

Die Italiener verhalten sich also hier in Bezug auf ihre Kunst wie die
Chinesen, die den Fremden die Verwertung ihrer ganzen Kultur überlassen,
anders als die Japaner, die das selbst übernommen und zu dem Zwecke von
weiter vorgeschrittenen modernen Völkern gelernt und angenommen haben.
Dafür gewinnen sie aber auch zum Staunen Enropas große Schlachten, die
die Chinesen verlieren! Wir wollen den Vergleich nicht auf die Italiener an¬
wenden, da wir von Kunst zu reden haben und nicht von Kriegskunst, obwohl
man ja auch sagen könnte, daß, wer sich nicht die Kultur seiner Vergangenheit
durch täglich neue Arbeit zu eigen macht, sie nicht erhalten kann und darüber
auch endlich seine nationale Kraft einbüßen muß. Spanien ist gerade jetzt nicht
weit von diesem Ende.

In Bezug auf die Kunst also haben die Italiener das Feld so gut wie
ganz den Fremden überlassen. Auf den Ruhm Vasaris ist nur enge Lokal-
forschung gefolgt, so nützlich sie auch oft gewesen sein mag. Die wenigen
hervorragenden Männer, die weiter ausgriffen, haben mit dem Widerstand und
der Trägheit, wenn nicht mit noch schlimmern Eigenschaften ihrer eignen
Landsleute zu kämpfen gehabt. Aus welcher Verwahrlosung mußten so viele
Kunstwerke erst in unsern Tagen gerettet und neu geborgen werden! Wie
mangelhaft ist noch jetzt, abgesehen von wenigen großen Sammlungen der
Hauptstädte, ihre Bewahrung, Aufstellung und Anordnung! In welch skanda¬
lösen Zustande verharren die Kataloge! Aber wie wenig Italiener sieht man
auch in den Galerien! Es giebt ferner kein einziges brauchbares kunstgeschicht¬
liches Handbuch eines Jtalieners, und als Lesebuch für höhere Schulen schleppt
ein Auszug aus Milauesis Vasari seine zahlreichen Irrtümer und Druckfehler
geduldig von einer Auflage in die andre. Und so ziemlich in der ganzen Ge¬
schichtswissenschaft ist es ja so gegangen: die brauchbarsten Arbeiten über ita¬
lienische Geschichte werden von Ausländern gemacht. Man wird sich darüber
kaum wundern, wenn man bedenkt, daß die Italiener nicht einmal eine ge¬
nügend ausführliche allgemeine Darstellung ihrer eignen politischen Geschichte
geliefert haben (wozu sie in den fünfundzwanzig Jahren seit der Einigung des
rc^no doch hinlänglich Zeit gehabt hätten), dergleichen doch z. B. wir Deutschen
für unsre Geschichte in mindestens einem Dutzend guter Schulbücher besitzen.
Wer von uns sich über italienische Geschichte unterrichten will, muß zunächst,
also bis er in die Spezial- oder Lvkallitteratur vordringen kann, wieder zu
Büchern Fremder greifen.

Kommen dann die Fremden und verarbeiten das Material zu ihren
Büchern nach ihren Grundsätzen und für ihre Zwecke, denn sie schreiben ja
nicht für Italiener: so hinken diese höchstens in ihren verschiednen Lokalblättern
>nit allerlei kritischen Nörgeleien und Nachträgen hinterher und wissen doch
aus eignen Mitteln kaum etwas dazu beizutragen als die immer wieder gehörten
Phrasen von ihrer herrlichen Kunst und ihrer unvergänglichen Kultur. Selbst


Grenzboten II 1M8 g
Italienische Aunst in deutscher Bearbeitung

Die Italiener verhalten sich also hier in Bezug auf ihre Kunst wie die
Chinesen, die den Fremden die Verwertung ihrer ganzen Kultur überlassen,
anders als die Japaner, die das selbst übernommen und zu dem Zwecke von
weiter vorgeschrittenen modernen Völkern gelernt und angenommen haben.
Dafür gewinnen sie aber auch zum Staunen Enropas große Schlachten, die
die Chinesen verlieren! Wir wollen den Vergleich nicht auf die Italiener an¬
wenden, da wir von Kunst zu reden haben und nicht von Kriegskunst, obwohl
man ja auch sagen könnte, daß, wer sich nicht die Kultur seiner Vergangenheit
durch täglich neue Arbeit zu eigen macht, sie nicht erhalten kann und darüber
auch endlich seine nationale Kraft einbüßen muß. Spanien ist gerade jetzt nicht
weit von diesem Ende.

In Bezug auf die Kunst also haben die Italiener das Feld so gut wie
ganz den Fremden überlassen. Auf den Ruhm Vasaris ist nur enge Lokal-
forschung gefolgt, so nützlich sie auch oft gewesen sein mag. Die wenigen
hervorragenden Männer, die weiter ausgriffen, haben mit dem Widerstand und
der Trägheit, wenn nicht mit noch schlimmern Eigenschaften ihrer eignen
Landsleute zu kämpfen gehabt. Aus welcher Verwahrlosung mußten so viele
Kunstwerke erst in unsern Tagen gerettet und neu geborgen werden! Wie
mangelhaft ist noch jetzt, abgesehen von wenigen großen Sammlungen der
Hauptstädte, ihre Bewahrung, Aufstellung und Anordnung! In welch skanda¬
lösen Zustande verharren die Kataloge! Aber wie wenig Italiener sieht man
auch in den Galerien! Es giebt ferner kein einziges brauchbares kunstgeschicht¬
liches Handbuch eines Jtalieners, und als Lesebuch für höhere Schulen schleppt
ein Auszug aus Milauesis Vasari seine zahlreichen Irrtümer und Druckfehler
geduldig von einer Auflage in die andre. Und so ziemlich in der ganzen Ge¬
schichtswissenschaft ist es ja so gegangen: die brauchbarsten Arbeiten über ita¬
lienische Geschichte werden von Ausländern gemacht. Man wird sich darüber
kaum wundern, wenn man bedenkt, daß die Italiener nicht einmal eine ge¬
nügend ausführliche allgemeine Darstellung ihrer eignen politischen Geschichte
geliefert haben (wozu sie in den fünfundzwanzig Jahren seit der Einigung des
rc^no doch hinlänglich Zeit gehabt hätten), dergleichen doch z. B. wir Deutschen
für unsre Geschichte in mindestens einem Dutzend guter Schulbücher besitzen.
Wer von uns sich über italienische Geschichte unterrichten will, muß zunächst,
also bis er in die Spezial- oder Lvkallitteratur vordringen kann, wieder zu
Büchern Fremder greifen.

Kommen dann die Fremden und verarbeiten das Material zu ihren
Büchern nach ihren Grundsätzen und für ihre Zwecke, denn sie schreiben ja
nicht für Italiener: so hinken diese höchstens in ihren verschiednen Lokalblättern
>nit allerlei kritischen Nörgeleien und Nachträgen hinterher und wissen doch
aus eignen Mitteln kaum etwas dazu beizutragen als die immer wieder gehörten
Phrasen von ihrer herrlichen Kunst und ihrer unvergänglichen Kultur. Selbst


Grenzboten II 1M8 g
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[0041] Italienische Aunst in deutscher Bearbeitung Die Italiener verhalten sich also hier in Bezug auf ihre Kunst wie die Chinesen, die den Fremden die Verwertung ihrer ganzen Kultur überlassen, anders als die Japaner, die das selbst übernommen und zu dem Zwecke von weiter vorgeschrittenen modernen Völkern gelernt und angenommen haben. Dafür gewinnen sie aber auch zum Staunen Enropas große Schlachten, die die Chinesen verlieren! Wir wollen den Vergleich nicht auf die Italiener an¬ wenden, da wir von Kunst zu reden haben und nicht von Kriegskunst, obwohl man ja auch sagen könnte, daß, wer sich nicht die Kultur seiner Vergangenheit durch täglich neue Arbeit zu eigen macht, sie nicht erhalten kann und darüber auch endlich seine nationale Kraft einbüßen muß. Spanien ist gerade jetzt nicht weit von diesem Ende. In Bezug auf die Kunst also haben die Italiener das Feld so gut wie ganz den Fremden überlassen. Auf den Ruhm Vasaris ist nur enge Lokal- forschung gefolgt, so nützlich sie auch oft gewesen sein mag. Die wenigen hervorragenden Männer, die weiter ausgriffen, haben mit dem Widerstand und der Trägheit, wenn nicht mit noch schlimmern Eigenschaften ihrer eignen Landsleute zu kämpfen gehabt. Aus welcher Verwahrlosung mußten so viele Kunstwerke erst in unsern Tagen gerettet und neu geborgen werden! Wie mangelhaft ist noch jetzt, abgesehen von wenigen großen Sammlungen der Hauptstädte, ihre Bewahrung, Aufstellung und Anordnung! In welch skanda¬ lösen Zustande verharren die Kataloge! Aber wie wenig Italiener sieht man auch in den Galerien! Es giebt ferner kein einziges brauchbares kunstgeschicht¬ liches Handbuch eines Jtalieners, und als Lesebuch für höhere Schulen schleppt ein Auszug aus Milauesis Vasari seine zahlreichen Irrtümer und Druckfehler geduldig von einer Auflage in die andre. Und so ziemlich in der ganzen Ge¬ schichtswissenschaft ist es ja so gegangen: die brauchbarsten Arbeiten über ita¬ lienische Geschichte werden von Ausländern gemacht. Man wird sich darüber kaum wundern, wenn man bedenkt, daß die Italiener nicht einmal eine ge¬ nügend ausführliche allgemeine Darstellung ihrer eignen politischen Geschichte geliefert haben (wozu sie in den fünfundzwanzig Jahren seit der Einigung des rc^no doch hinlänglich Zeit gehabt hätten), dergleichen doch z. B. wir Deutschen für unsre Geschichte in mindestens einem Dutzend guter Schulbücher besitzen. Wer von uns sich über italienische Geschichte unterrichten will, muß zunächst, also bis er in die Spezial- oder Lvkallitteratur vordringen kann, wieder zu Büchern Fremder greifen. Kommen dann die Fremden und verarbeiten das Material zu ihren Büchern nach ihren Grundsätzen und für ihre Zwecke, denn sie schreiben ja nicht für Italiener: so hinken diese höchstens in ihren verschiednen Lokalblättern >nit allerlei kritischen Nörgeleien und Nachträgen hinterher und wissen doch aus eignen Mitteln kaum etwas dazu beizutragen als die immer wieder gehörten Phrasen von ihrer herrlichen Kunst und ihrer unvergänglichen Kultur. Selbst Grenzboten II 1M8 g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/41>, abgerufen am 27.12.2024.