Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.Südwestdeutsche Wanderungen Säckingen, die Stadt des heiligen Fridolin, oder das einst starke Waldshut Baden hat sich indessen in seinen alten Bischofs- und Fürstenstädten, be¬ Karlsruhe wird von vielen, die es nicht genau kennen, als eine der Grenzboten II 1898 50
Südwestdeutsche Wanderungen Säckingen, die Stadt des heiligen Fridolin, oder das einst starke Waldshut Baden hat sich indessen in seinen alten Bischofs- und Fürstenstädten, be¬ Karlsruhe wird von vielen, die es nicht genau kennen, als eine der Grenzboten II 1898 50
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0401" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228037"/> <fw type="header" place="top"> Südwestdeutsche Wanderungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1096" prev="#ID_1095"> Säckingen, die Stadt des heiligen Fridolin, oder das einst starke Waldshut<lb/> vergleichen. Die Nüchternheit der meisten badischen Amtsstädte bezeugt dagegen<lb/> deutlich, daß niemand von der Büreaukmtie, und wäre sie so gebildet wie die<lb/> badische, Schöpfungen von eigner Art verlangen darf. Und man möge nicht<lb/> vergessen, daß das rechte Rheinufer von schwerer verwüstender Kriegsnot in<lb/> demselben Zeitalter heimgesucht wurde, wo sich das linke unter Frankreichs<lb/> Schutz tiefer Ruhe erfreute.</p><lb/> <p xml:id="ID_1097"> Baden hat sich indessen in seinen alten Bischofs- und Fürstenstädten, be¬<lb/> sonders in Konstanz, Freiburg, Baden-Baden und Heidelberg, genug geschicht¬<lb/> liche Denkmäler bewahrt, daß es seinen Nachbarn im Westen nicht zu beneiden<lb/> braucht. Ja in Rastatt und Karlsruhe verdankt es seinem Fürstenhause Städte,<lb/> die zu den eigentümlichsten Deutschlands gehören. Rastatt trägt die Spuren<lb/> des Markgrafen Ludwig aus der ausgestorbnen Baden-Badenschen Linie, des<lb/> Siegers von Zerda, des Gefährten des großen Eugen. Es ist eine aus-<lb/> gesprochne Militärstadt. Die Festung und nach der Festung die Garnison<lb/> haben die Residenz verschlungen. Einige Denkmäler erinnern an die Kriege<lb/> mit Türken und Franzosen, der Stil Ludwigs XIV. ist mit Glück nachgeahmt.<lb/> Das Rastadter Schloß aber, breit, geräumig, imposant wie alle Nokokobauten, ist<lb/> trotz seiner Nutzbarmachung als Kaserne des dritten badischen Infanterieregiments<lb/> Ur. 111 eine traurige Ruine. Der Eindruck des Vergeblichen, vollkommen Über¬<lb/> flüssigem ist besonders allen Bemühungen der Götter und Genien eigen, die in un¬<lb/> zählbarer Menge die Zinnen, Giebel und Galerien bevölkern. Der vergoldete<lb/> Jupiter auf der Spitze der Kuppel mag noch so gleißende Blitze schleudern,<lb/> sie erreichen nicht das Bajonett des kleinen badisch-preußischen Musketiers, der<lb/> langweilig unten auf- und abschreitet. Den edeln und mannigfaltigen Be¬<lb/> mühungen der mit allen Geräten, Waffen und Früchten der Erde ausgestatteten<lb/> steinernen Götter spricht die einförmige Übung des Stechschritts Hohn, die die<lb/> Rekruten auf der Ebne der Sandwüste hinter dem Schloß ausführen. Und<lb/> ganz besonders ergebnislos kommt uns die Anstrengung der Genienpaare vor,<lb/> die auf allen Seiten das badische Wappen zeigen. Sie vermögen höchstens<lb/> die Neugierde eines zufälligen Besuchers zu reizen, dessen Aufmerksamkeit im<lb/> nächsten Augenblick durch die sehr leserliche Inschrift: Kgl. Preußisches Proviant¬<lb/> amt abgelenkt wird. Indessen geht seit der Niederlegung der Wälle Rastatt<lb/> als Mittelpunkt der badischen Nheinthalbahnen, der Murgthalbahn und der<lb/> Linie nach Selz und Hagenau einer gesunden Entwicklung entgegen, die sich<lb/> schon in einem nicht unbeträchtlichen neuen Bahnhofstadtteil ausspricht. Die<lb/> strategischen Erwägungen des alten Türkenbesiegers bei der Befestigung Nastcitts<lb/> sind durch die Zurückgewinnung von Straßburg hinfällig geworden; zugleich<lb/> wird aber durch diese Rastatt eiuer neuen Blüte entgegengeführt. Und das<lb/> hat sich der alte Feldherr wohl nicht träumen lassen, wieviel Weisheit auch<lb/> seine mächtige Allongeperrücke bedeckt haben mag.</p><lb/> <p xml:id="ID_1098" next="#ID_1099"> Karlsruhe wird von vielen, die es nicht genau kennen, als eine der<lb/> langweiligsten Städte Deutschlands bezeichnet; seine Fächeranlage ist aller¬<lb/> dings sehr regelmäßig, und da es nicht älter als hundertachtzig Jahre ist,<lb/> kann es keine ehrwürdigen Denkmäler umschließen. Ich teile jene Ansicht<lb/> nicht, finde vielmehr gerade in dieser jungen Stadt erfreuliche Zeugnisse dafür,<lb/> daß der diesen warm- und weichherzigen Südwestdeutschen innewohnende Schön¬<lb/> heitssinn nicht bloß als ein geschichtlicher Schatten dünn und grau in alten<lb/> Städten, Münstern und Schlössern umgeht. So herrliches er dort geschaffen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1898 50</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0401]
Südwestdeutsche Wanderungen
Säckingen, die Stadt des heiligen Fridolin, oder das einst starke Waldshut
vergleichen. Die Nüchternheit der meisten badischen Amtsstädte bezeugt dagegen
deutlich, daß niemand von der Büreaukmtie, und wäre sie so gebildet wie die
badische, Schöpfungen von eigner Art verlangen darf. Und man möge nicht
vergessen, daß das rechte Rheinufer von schwerer verwüstender Kriegsnot in
demselben Zeitalter heimgesucht wurde, wo sich das linke unter Frankreichs
Schutz tiefer Ruhe erfreute.
Baden hat sich indessen in seinen alten Bischofs- und Fürstenstädten, be¬
sonders in Konstanz, Freiburg, Baden-Baden und Heidelberg, genug geschicht¬
liche Denkmäler bewahrt, daß es seinen Nachbarn im Westen nicht zu beneiden
braucht. Ja in Rastatt und Karlsruhe verdankt es seinem Fürstenhause Städte,
die zu den eigentümlichsten Deutschlands gehören. Rastatt trägt die Spuren
des Markgrafen Ludwig aus der ausgestorbnen Baden-Badenschen Linie, des
Siegers von Zerda, des Gefährten des großen Eugen. Es ist eine aus-
gesprochne Militärstadt. Die Festung und nach der Festung die Garnison
haben die Residenz verschlungen. Einige Denkmäler erinnern an die Kriege
mit Türken und Franzosen, der Stil Ludwigs XIV. ist mit Glück nachgeahmt.
Das Rastadter Schloß aber, breit, geräumig, imposant wie alle Nokokobauten, ist
trotz seiner Nutzbarmachung als Kaserne des dritten badischen Infanterieregiments
Ur. 111 eine traurige Ruine. Der Eindruck des Vergeblichen, vollkommen Über¬
flüssigem ist besonders allen Bemühungen der Götter und Genien eigen, die in un¬
zählbarer Menge die Zinnen, Giebel und Galerien bevölkern. Der vergoldete
Jupiter auf der Spitze der Kuppel mag noch so gleißende Blitze schleudern,
sie erreichen nicht das Bajonett des kleinen badisch-preußischen Musketiers, der
langweilig unten auf- und abschreitet. Den edeln und mannigfaltigen Be¬
mühungen der mit allen Geräten, Waffen und Früchten der Erde ausgestatteten
steinernen Götter spricht die einförmige Übung des Stechschritts Hohn, die die
Rekruten auf der Ebne der Sandwüste hinter dem Schloß ausführen. Und
ganz besonders ergebnislos kommt uns die Anstrengung der Genienpaare vor,
die auf allen Seiten das badische Wappen zeigen. Sie vermögen höchstens
die Neugierde eines zufälligen Besuchers zu reizen, dessen Aufmerksamkeit im
nächsten Augenblick durch die sehr leserliche Inschrift: Kgl. Preußisches Proviant¬
amt abgelenkt wird. Indessen geht seit der Niederlegung der Wälle Rastatt
als Mittelpunkt der badischen Nheinthalbahnen, der Murgthalbahn und der
Linie nach Selz und Hagenau einer gesunden Entwicklung entgegen, die sich
schon in einem nicht unbeträchtlichen neuen Bahnhofstadtteil ausspricht. Die
strategischen Erwägungen des alten Türkenbesiegers bei der Befestigung Nastcitts
sind durch die Zurückgewinnung von Straßburg hinfällig geworden; zugleich
wird aber durch diese Rastatt eiuer neuen Blüte entgegengeführt. Und das
hat sich der alte Feldherr wohl nicht träumen lassen, wieviel Weisheit auch
seine mächtige Allongeperrücke bedeckt haben mag.
Karlsruhe wird von vielen, die es nicht genau kennen, als eine der
langweiligsten Städte Deutschlands bezeichnet; seine Fächeranlage ist aller¬
dings sehr regelmäßig, und da es nicht älter als hundertachtzig Jahre ist,
kann es keine ehrwürdigen Denkmäler umschließen. Ich teile jene Ansicht
nicht, finde vielmehr gerade in dieser jungen Stadt erfreuliche Zeugnisse dafür,
daß der diesen warm- und weichherzigen Südwestdeutschen innewohnende Schön¬
heitssinn nicht bloß als ein geschichtlicher Schatten dünn und grau in alten
Städten, Münstern und Schlössern umgeht. So herrliches er dort geschaffen
Grenzboten II 1898 50
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