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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Goethe als Kriegsminister

Manches Jahr später mußte er erkennen, daß Karl August sich selbst besser
beurteilt hatte, als er ihn; er schrieb aus dem Lager von Marienborn vor
Mainz an C. G. Voigt in Weimar (14. Juni 1793): "Der Herzog ist wohl
und in seinem Elemente glücklich. Es ist wahr, der Fisch kann sich im Wasser
nicht besser finden noch benehmen, als er in diesen Verhältnissen." Doch bis
es dahin kam, müssen Kämpfe vorausgegangen sein, deren Geschichte und Be¬
urteilung nicht in das kleine Kapitel "Goethe als Kriegsminister," sondern in
das große "Goethe und Karl August" gehören. Bis in die Mitte der acht¬
ziger Jahre war es Goethe gelungen, den Herzog bei seinen nächsten und er¬
erbten Aufgaben festzuhalten. Nach der Geburt des Erbprinzen Karl Friedrich
(1783) und mit der Begründung des von ihm so eifrig geförderten Fürsten¬
bundes (1785) regte sich das soldatische Blut Karl Augusts stärker als zuvor.
Er faßte den Plan, in preußische Dienste zu treten, an der Spitze preußischer
Regimenter und Brigaden zu wagen und zu thun, was ihm an der Spitze
seiner paar hundert Soldaten für immer versagt geblieben wäre.

Und damit trat dann der lang hinausgeschobne Angenblick ein, wo Goethe
einmal wieder an sich selbst und an seine ursprüngliche und eigenste Natur
denken durfte. Als der Herzog sich rüstete, einen Teil des Jahres hindurch
als Regimentskommandeur der Oscherslebner Kürassiere außer Landes zu ver¬
weilen, bereitete eines der Dichter still seinen Rückzug aus der bisherigen
amtlichen Thätigkeit vor. Die methodischen Borbereitungen Goethes zu einem
Abschied, der, zwar nicht nach seinem Wunsch und Willen, aber nach Lage der
Verhältnisse zu einem Abschied auf immer werden konnte, haben etwas Er¬
greifendes und gehören zu den innerlichen Dramen, deren der Dichter in seiner
Seele so viele durchzukämpfen hatte. In dem berühmten Karlsbader Brief
vom 2. September 1780 schrieb Goethe an Karl August: "Sie sind glücklich,
Sie gehen einer gewünschten und gewählten Bestimmung entgegen, Ihre häus¬
lichen Angelegenheiten sind in guter Ordnung, auf gutem Wege, und ich weiß,
Sie erlauben mir auch, daß ich nun an mich denke, ja Sie haben mich selbst
oft dazu aufgefordert. Im allgemeinen bin ich in diesem Augenblicke gewiß
entbehrlich, und was die besondern Geschäfte betrifft, die mir aufgetragen siud,
diese hab ich so gestellt, daß sie eine Zeit lang bequem ohne mich fortgehen
können; ja ich dürfte sterben, und es würde keinen Ruck thuen. Noch viele
Zusammenstimmuugen dieser Constellationen übergehe ich und bitte Sie nur
um einen unbestimmten Urlaub." Eine Nachschrift enthielt auch die freilich
nicht klar ausgesprvchne Berzichtleistung auf die zeitherige Kriegsministerschaft.
In den Weisungen, die Goethe seinem getreuen Hausgeist und Vertrauten
Philipp Seidel in Weimar hinterlassen hatte, stand die Kriegskommission noch
obenan. Seidel hatte Auftrag, alle Briefe zu erbrechen, und "wenn etwas
darin vorkommt, was die Kriegskommission angeht und eine baldige Expedition
erfordert, hat er es an des Herrn Geheimen Assistenzrat Schmidt Hochwohl-


Goethe als Kriegsminister

Manches Jahr später mußte er erkennen, daß Karl August sich selbst besser
beurteilt hatte, als er ihn; er schrieb aus dem Lager von Marienborn vor
Mainz an C. G. Voigt in Weimar (14. Juni 1793): „Der Herzog ist wohl
und in seinem Elemente glücklich. Es ist wahr, der Fisch kann sich im Wasser
nicht besser finden noch benehmen, als er in diesen Verhältnissen." Doch bis
es dahin kam, müssen Kämpfe vorausgegangen sein, deren Geschichte und Be¬
urteilung nicht in das kleine Kapitel „Goethe als Kriegsminister," sondern in
das große „Goethe und Karl August" gehören. Bis in die Mitte der acht¬
ziger Jahre war es Goethe gelungen, den Herzog bei seinen nächsten und er¬
erbten Aufgaben festzuhalten. Nach der Geburt des Erbprinzen Karl Friedrich
(1783) und mit der Begründung des von ihm so eifrig geförderten Fürsten¬
bundes (1785) regte sich das soldatische Blut Karl Augusts stärker als zuvor.
Er faßte den Plan, in preußische Dienste zu treten, an der Spitze preußischer
Regimenter und Brigaden zu wagen und zu thun, was ihm an der Spitze
seiner paar hundert Soldaten für immer versagt geblieben wäre.

Und damit trat dann der lang hinausgeschobne Angenblick ein, wo Goethe
einmal wieder an sich selbst und an seine ursprüngliche und eigenste Natur
denken durfte. Als der Herzog sich rüstete, einen Teil des Jahres hindurch
als Regimentskommandeur der Oscherslebner Kürassiere außer Landes zu ver¬
weilen, bereitete eines der Dichter still seinen Rückzug aus der bisherigen
amtlichen Thätigkeit vor. Die methodischen Borbereitungen Goethes zu einem
Abschied, der, zwar nicht nach seinem Wunsch und Willen, aber nach Lage der
Verhältnisse zu einem Abschied auf immer werden konnte, haben etwas Er¬
greifendes und gehören zu den innerlichen Dramen, deren der Dichter in seiner
Seele so viele durchzukämpfen hatte. In dem berühmten Karlsbader Brief
vom 2. September 1780 schrieb Goethe an Karl August: „Sie sind glücklich,
Sie gehen einer gewünschten und gewählten Bestimmung entgegen, Ihre häus¬
lichen Angelegenheiten sind in guter Ordnung, auf gutem Wege, und ich weiß,
Sie erlauben mir auch, daß ich nun an mich denke, ja Sie haben mich selbst
oft dazu aufgefordert. Im allgemeinen bin ich in diesem Augenblicke gewiß
entbehrlich, und was die besondern Geschäfte betrifft, die mir aufgetragen siud,
diese hab ich so gestellt, daß sie eine Zeit lang bequem ohne mich fortgehen
können; ja ich dürfte sterben, und es würde keinen Ruck thuen. Noch viele
Zusammenstimmuugen dieser Constellationen übergehe ich und bitte Sie nur
um einen unbestimmten Urlaub." Eine Nachschrift enthielt auch die freilich
nicht klar ausgesprvchne Berzichtleistung auf die zeitherige Kriegsministerschaft.
In den Weisungen, die Goethe seinem getreuen Hausgeist und Vertrauten
Philipp Seidel in Weimar hinterlassen hatte, stand die Kriegskommission noch
obenan. Seidel hatte Auftrag, alle Briefe zu erbrechen, und „wenn etwas
darin vorkommt, was die Kriegskommission angeht und eine baldige Expedition
erfordert, hat er es an des Herrn Geheimen Assistenzrat Schmidt Hochwohl-


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[0395] Goethe als Kriegsminister Manches Jahr später mußte er erkennen, daß Karl August sich selbst besser beurteilt hatte, als er ihn; er schrieb aus dem Lager von Marienborn vor Mainz an C. G. Voigt in Weimar (14. Juni 1793): „Der Herzog ist wohl und in seinem Elemente glücklich. Es ist wahr, der Fisch kann sich im Wasser nicht besser finden noch benehmen, als er in diesen Verhältnissen." Doch bis es dahin kam, müssen Kämpfe vorausgegangen sein, deren Geschichte und Be¬ urteilung nicht in das kleine Kapitel „Goethe als Kriegsminister," sondern in das große „Goethe und Karl August" gehören. Bis in die Mitte der acht¬ ziger Jahre war es Goethe gelungen, den Herzog bei seinen nächsten und er¬ erbten Aufgaben festzuhalten. Nach der Geburt des Erbprinzen Karl Friedrich (1783) und mit der Begründung des von ihm so eifrig geförderten Fürsten¬ bundes (1785) regte sich das soldatische Blut Karl Augusts stärker als zuvor. Er faßte den Plan, in preußische Dienste zu treten, an der Spitze preußischer Regimenter und Brigaden zu wagen und zu thun, was ihm an der Spitze seiner paar hundert Soldaten für immer versagt geblieben wäre. Und damit trat dann der lang hinausgeschobne Angenblick ein, wo Goethe einmal wieder an sich selbst und an seine ursprüngliche und eigenste Natur denken durfte. Als der Herzog sich rüstete, einen Teil des Jahres hindurch als Regimentskommandeur der Oscherslebner Kürassiere außer Landes zu ver¬ weilen, bereitete eines der Dichter still seinen Rückzug aus der bisherigen amtlichen Thätigkeit vor. Die methodischen Borbereitungen Goethes zu einem Abschied, der, zwar nicht nach seinem Wunsch und Willen, aber nach Lage der Verhältnisse zu einem Abschied auf immer werden konnte, haben etwas Er¬ greifendes und gehören zu den innerlichen Dramen, deren der Dichter in seiner Seele so viele durchzukämpfen hatte. In dem berühmten Karlsbader Brief vom 2. September 1780 schrieb Goethe an Karl August: „Sie sind glücklich, Sie gehen einer gewünschten und gewählten Bestimmung entgegen, Ihre häus¬ lichen Angelegenheiten sind in guter Ordnung, auf gutem Wege, und ich weiß, Sie erlauben mir auch, daß ich nun an mich denke, ja Sie haben mich selbst oft dazu aufgefordert. Im allgemeinen bin ich in diesem Augenblicke gewiß entbehrlich, und was die besondern Geschäfte betrifft, die mir aufgetragen siud, diese hab ich so gestellt, daß sie eine Zeit lang bequem ohne mich fortgehen können; ja ich dürfte sterben, und es würde keinen Ruck thuen. Noch viele Zusammenstimmuugen dieser Constellationen übergehe ich und bitte Sie nur um einen unbestimmten Urlaub." Eine Nachschrift enthielt auch die freilich nicht klar ausgesprvchne Berzichtleistung auf die zeitherige Kriegsministerschaft. In den Weisungen, die Goethe seinem getreuen Hausgeist und Vertrauten Philipp Seidel in Weimar hinterlassen hatte, stand die Kriegskommission noch obenan. Seidel hatte Auftrag, alle Briefe zu erbrechen, und „wenn etwas darin vorkommt, was die Kriegskommission angeht und eine baldige Expedition erfordert, hat er es an des Herrn Geheimen Assistenzrat Schmidt Hochwohl-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/395>, abgerufen am 23.07.2024.