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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Zur Frage der Stipendienreform

jungen Mann wird, sich auf einem seiner innern Neigung und seiner Be¬
gabung entsprechenden Gebiete möglichst bald eine auskömmliche Existenz zu
gründen.

5. Mit den bloßen Fleißzeugnissen müßte, wie schon ausgeführt worden
ist, grundsätzlich gebrochen werden. Die Stipendiatcnprllfungen müßten all¬
gemein eingeführt werden. Dabei wäre selbstverständliche Voraussetzung, daß
unter gewissen Umständen die Prüfung durch eine entsprechende andre Leistung
ersetzt werden könnte. Wir denken hierbei namentlich an die wissenschaftlichen
Seminarien, die ja schon ziemlich überall als gleichwertige Unterrichtsanstalten
an die Seite der Vorlesungen getreten sind, oder an die praktischen Übungen
bei den Medizinern und Naturwissenschaften!. Das Zeugnis eines Seminar¬
direktors über schriftliche oder mündliche Leistungen eines Seminarmitglieds
ist ganz selbstverständlich mindestens gleichwertig mit dem Ausfall einer kurzeu
mündlichen Prüfung.

6. Gerade dieser Punkt des Seminarwesens führt uns dann zu einer
Forderung, die uns ganz besonders einer eingehenden Erwägung würdig
erscheint. Gegenwärtig werden die Stipendien unsers Wissens überall zu
Anfang des Semesters vollständig verliehen. Nun kann aber ein Professor
in seinem Seminar oder in seinen praktischen Übungen die Begabung und die
Leistungen eines Studenten, der neu in das Seminar eintritt, zu Beginn des
Semesters in keiner Weise beurteilen, und oft handelt es sich dabei um einen
Bewerber, der sich je länger je mehr als einer ausgiebigen Förderung würdig
erweist. Wir meinen daher, die Universitäten würden viel besser daran thun,
ihre reichen Stipendienmittel nicht sofort in den ersten Wochen des Semesters
wegzugeben. Es wäre schon sehr viel gewonnen, wenn etwa die Hälfte oder
doch ein bedeutender Teil dieser Mittel erst in der zweiten Hälfte oder gegell
Ende des Semesters verwandt würde, und zwar ausschließlich auf Vorschläge
der einzelnen Dozenten, die ganz unabhängig von allen formellen Fragen der
Bedürftigkeit usw. einzig und allein die tüchtigen Studienerfolge der Bewerber
zu beachten hätten. Damit wäre dann wenigstens sür diesen Teil der Stipendien¬
mittel in der besten Weise die Möglichkeit rein formalistischer Behandlung
aus der Welt geschafft und die Verleihung in die Hände der Persönlichkeiten
gelegt, die ausschließlich über die Würdigkeit als Sachverständige urteilen
können. Daß damit wieder eine recht beträchtliche Belastung der Professoren
herbeigeführt würde, ist uns natürlich vollständig klar; wir kennen aber die
Universitätsverhältnisse gut genug, um zu wissen, daß sich die betroffnen Kreise
mit verschwindenden Ausnahmen gern einer solchen Ehrenpflicht unterziehen
würden.

7. Endlich kommen wir noch zu einem Punkt, der zwar nicht formell,
wohl aber sachlich zum Gebiete der Stipendienfrage gehört, wir meinen die
Stundung der Vorlesungsgelder. Auch diese Stundung ist ja eingeführt als
ein Mittel, die Studirenden in materieller Hinsicht zu unterstützen, ihnen das


Zur Frage der Stipendienreform

jungen Mann wird, sich auf einem seiner innern Neigung und seiner Be¬
gabung entsprechenden Gebiete möglichst bald eine auskömmliche Existenz zu
gründen.

5. Mit den bloßen Fleißzeugnissen müßte, wie schon ausgeführt worden
ist, grundsätzlich gebrochen werden. Die Stipendiatcnprllfungen müßten all¬
gemein eingeführt werden. Dabei wäre selbstverständliche Voraussetzung, daß
unter gewissen Umständen die Prüfung durch eine entsprechende andre Leistung
ersetzt werden könnte. Wir denken hierbei namentlich an die wissenschaftlichen
Seminarien, die ja schon ziemlich überall als gleichwertige Unterrichtsanstalten
an die Seite der Vorlesungen getreten sind, oder an die praktischen Übungen
bei den Medizinern und Naturwissenschaften!. Das Zeugnis eines Seminar¬
direktors über schriftliche oder mündliche Leistungen eines Seminarmitglieds
ist ganz selbstverständlich mindestens gleichwertig mit dem Ausfall einer kurzeu
mündlichen Prüfung.

6. Gerade dieser Punkt des Seminarwesens führt uns dann zu einer
Forderung, die uns ganz besonders einer eingehenden Erwägung würdig
erscheint. Gegenwärtig werden die Stipendien unsers Wissens überall zu
Anfang des Semesters vollständig verliehen. Nun kann aber ein Professor
in seinem Seminar oder in seinen praktischen Übungen die Begabung und die
Leistungen eines Studenten, der neu in das Seminar eintritt, zu Beginn des
Semesters in keiner Weise beurteilen, und oft handelt es sich dabei um einen
Bewerber, der sich je länger je mehr als einer ausgiebigen Förderung würdig
erweist. Wir meinen daher, die Universitäten würden viel besser daran thun,
ihre reichen Stipendienmittel nicht sofort in den ersten Wochen des Semesters
wegzugeben. Es wäre schon sehr viel gewonnen, wenn etwa die Hälfte oder
doch ein bedeutender Teil dieser Mittel erst in der zweiten Hälfte oder gegell
Ende des Semesters verwandt würde, und zwar ausschließlich auf Vorschläge
der einzelnen Dozenten, die ganz unabhängig von allen formellen Fragen der
Bedürftigkeit usw. einzig und allein die tüchtigen Studienerfolge der Bewerber
zu beachten hätten. Damit wäre dann wenigstens sür diesen Teil der Stipendien¬
mittel in der besten Weise die Möglichkeit rein formalistischer Behandlung
aus der Welt geschafft und die Verleihung in die Hände der Persönlichkeiten
gelegt, die ausschließlich über die Würdigkeit als Sachverständige urteilen
können. Daß damit wieder eine recht beträchtliche Belastung der Professoren
herbeigeführt würde, ist uns natürlich vollständig klar; wir kennen aber die
Universitätsverhältnisse gut genug, um zu wissen, daß sich die betroffnen Kreise
mit verschwindenden Ausnahmen gern einer solchen Ehrenpflicht unterziehen
würden.

7. Endlich kommen wir noch zu einem Punkt, der zwar nicht formell,
wohl aber sachlich zum Gebiete der Stipendienfrage gehört, wir meinen die
Stundung der Vorlesungsgelder. Auch diese Stundung ist ja eingeführt als
ein Mittel, die Studirenden in materieller Hinsicht zu unterstützen, ihnen das


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[0386] Zur Frage der Stipendienreform jungen Mann wird, sich auf einem seiner innern Neigung und seiner Be¬ gabung entsprechenden Gebiete möglichst bald eine auskömmliche Existenz zu gründen. 5. Mit den bloßen Fleißzeugnissen müßte, wie schon ausgeführt worden ist, grundsätzlich gebrochen werden. Die Stipendiatcnprllfungen müßten all¬ gemein eingeführt werden. Dabei wäre selbstverständliche Voraussetzung, daß unter gewissen Umständen die Prüfung durch eine entsprechende andre Leistung ersetzt werden könnte. Wir denken hierbei namentlich an die wissenschaftlichen Seminarien, die ja schon ziemlich überall als gleichwertige Unterrichtsanstalten an die Seite der Vorlesungen getreten sind, oder an die praktischen Übungen bei den Medizinern und Naturwissenschaften!. Das Zeugnis eines Seminar¬ direktors über schriftliche oder mündliche Leistungen eines Seminarmitglieds ist ganz selbstverständlich mindestens gleichwertig mit dem Ausfall einer kurzeu mündlichen Prüfung. 6. Gerade dieser Punkt des Seminarwesens führt uns dann zu einer Forderung, die uns ganz besonders einer eingehenden Erwägung würdig erscheint. Gegenwärtig werden die Stipendien unsers Wissens überall zu Anfang des Semesters vollständig verliehen. Nun kann aber ein Professor in seinem Seminar oder in seinen praktischen Übungen die Begabung und die Leistungen eines Studenten, der neu in das Seminar eintritt, zu Beginn des Semesters in keiner Weise beurteilen, und oft handelt es sich dabei um einen Bewerber, der sich je länger je mehr als einer ausgiebigen Förderung würdig erweist. Wir meinen daher, die Universitäten würden viel besser daran thun, ihre reichen Stipendienmittel nicht sofort in den ersten Wochen des Semesters wegzugeben. Es wäre schon sehr viel gewonnen, wenn etwa die Hälfte oder doch ein bedeutender Teil dieser Mittel erst in der zweiten Hälfte oder gegell Ende des Semesters verwandt würde, und zwar ausschließlich auf Vorschläge der einzelnen Dozenten, die ganz unabhängig von allen formellen Fragen der Bedürftigkeit usw. einzig und allein die tüchtigen Studienerfolge der Bewerber zu beachten hätten. Damit wäre dann wenigstens sür diesen Teil der Stipendien¬ mittel in der besten Weise die Möglichkeit rein formalistischer Behandlung aus der Welt geschafft und die Verleihung in die Hände der Persönlichkeiten gelegt, die ausschließlich über die Würdigkeit als Sachverständige urteilen können. Daß damit wieder eine recht beträchtliche Belastung der Professoren herbeigeführt würde, ist uns natürlich vollständig klar; wir kennen aber die Universitätsverhältnisse gut genug, um zu wissen, daß sich die betroffnen Kreise mit verschwindenden Ausnahmen gern einer solchen Ehrenpflicht unterziehen würden. 7. Endlich kommen wir noch zu einem Punkt, der zwar nicht formell, wohl aber sachlich zum Gebiete der Stipendienfrage gehört, wir meinen die Stundung der Vorlesungsgelder. Auch diese Stundung ist ja eingeführt als ein Mittel, die Studirenden in materieller Hinsicht zu unterstützen, ihnen das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/386>, abgerufen am 23.07.2024.