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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Zur Frage der Stipendienreform

vornherein verzichten müssen, so genügen die vorstehenden Angaben ohne
Zweifel, die Meinung, daß hinsichtlich der Zersplitterung der Stipendien¬
beträge keine wesentliche Besserung zu verzeichnen ist, zu bestätigen. Nun
wird es aber jedem, der mit den studentischen Verhältnissen nur einiger¬
maßen vertraut ist, nicht schwer fallen, sich in die Lage eines Studenten
hineinzudenken, der ans eine nachhaltige Unterstützung gerechnet hat, in Wirk¬
lichkeit aber mit ein paar Mark, das heißt mit einem geringfügigen Almosen
abgespeist wird. Wir müssen gestehen, wir haben uns in einer ganzen Reihe
von Fällen, die wir aus nächster Nähe beobachten konnten, wahrlich nicht
gewundert, daß dieses sogenannte Stipendium alsbald verkneipt worden ist.

Wie nun aber auf diesem schwierigen Boden zu einer nachhaltigen Besse¬
rung gelangen?

1. Für sehr wünschenswert halten wir es, daß die Kultusministerien der
mit Universitäten ausgestatteten Bundesstaaten ihre Universitäten veranlassen,
sich einmal ausführlich über die Erfahrungen, die innerhalb der Universitüts-
kreise mit dem bisherigen Verfahren der Stipendienverleihung gemacht worden
sind, gutachtlich zu äußern. Man stellt ja heutzutage derartige Erhebungen über
die unglaublichsten Verhältnisse an, warum nicht einmal über die wichtige
Frage, die uns hier beschäftigt?

2. Ohne weiteres müßte überall der Grundsatz festgehalten oder -- was
zumeist wohl der Fall wäre -- neu eingeführt werden, daß Stipendienstiftnngen
uur unter der Voraussetzung angenommen werden, daß keinerlei beschränkende
Bedingungen (abgesehen einzig und allein von der nicht abzulehnenden Be¬
vorzugung von Bewerbern, die aus der betreffenden Familie stammen) die
ersprießliche Verwendung der Stiftungserträge von vornherein in Frage stellen.

3. Durchaus angezeigt wäre es, die an den meisten Hochschulen oder
sonstwo zu deren Gunsten bestehenden ältern Stiftungen daraufhin sorgfältig zu
Prüfen, ob deren Satzungen mit den heutigen Verhältnissen noch im Ein¬
klange stehen. Sache der Ministerien wäre es dann, für gewisse von diesen
Bestimmungen zu erklären, daß ihre Voraussetzungen nicht mehr bestünden,
und daß sie deshalb als gegenstandslos und hinfällig zu betrachten seien.
Selbst wenn man in dieser Hinsicht mit der größten Vorsicht vorgehen würde,
könnten doch manche unerquicklichen Erscheinungen, die große Schwierigkeiten
verursachen, beseitigt werden.

4. Einer speziellen Prüfung müßten alle Bestimmungen unterzogen werden,
die sich auf die bedingte Zurückzahlung empfangner Stipendien beziehen. Unsers
Erachtens dürfte eine solche Zurückzahlung immer nur eine Art von Strafe
für Verbummlung sein. Wie weit freilich in solchen Fällen die Versuche,
eine, derartige Rückzahlung zu verwirklichen, in der Praxis Erfolg haben
dürften, wird sehr fraglich sein. Jedenfalls müßte aber dafür gesorgt werden,
daß die Rückzahlung von Stipendien nicht ein Hindernis sür einen tüchtigen


Grenzboten II 1898 48
Zur Frage der Stipendienreform

vornherein verzichten müssen, so genügen die vorstehenden Angaben ohne
Zweifel, die Meinung, daß hinsichtlich der Zersplitterung der Stipendien¬
beträge keine wesentliche Besserung zu verzeichnen ist, zu bestätigen. Nun
wird es aber jedem, der mit den studentischen Verhältnissen nur einiger¬
maßen vertraut ist, nicht schwer fallen, sich in die Lage eines Studenten
hineinzudenken, der ans eine nachhaltige Unterstützung gerechnet hat, in Wirk¬
lichkeit aber mit ein paar Mark, das heißt mit einem geringfügigen Almosen
abgespeist wird. Wir müssen gestehen, wir haben uns in einer ganzen Reihe
von Fällen, die wir aus nächster Nähe beobachten konnten, wahrlich nicht
gewundert, daß dieses sogenannte Stipendium alsbald verkneipt worden ist.

Wie nun aber auf diesem schwierigen Boden zu einer nachhaltigen Besse¬
rung gelangen?

1. Für sehr wünschenswert halten wir es, daß die Kultusministerien der
mit Universitäten ausgestatteten Bundesstaaten ihre Universitäten veranlassen,
sich einmal ausführlich über die Erfahrungen, die innerhalb der Universitüts-
kreise mit dem bisherigen Verfahren der Stipendienverleihung gemacht worden
sind, gutachtlich zu äußern. Man stellt ja heutzutage derartige Erhebungen über
die unglaublichsten Verhältnisse an, warum nicht einmal über die wichtige
Frage, die uns hier beschäftigt?

2. Ohne weiteres müßte überall der Grundsatz festgehalten oder — was
zumeist wohl der Fall wäre — neu eingeführt werden, daß Stipendienstiftnngen
uur unter der Voraussetzung angenommen werden, daß keinerlei beschränkende
Bedingungen (abgesehen einzig und allein von der nicht abzulehnenden Be¬
vorzugung von Bewerbern, die aus der betreffenden Familie stammen) die
ersprießliche Verwendung der Stiftungserträge von vornherein in Frage stellen.

3. Durchaus angezeigt wäre es, die an den meisten Hochschulen oder
sonstwo zu deren Gunsten bestehenden ältern Stiftungen daraufhin sorgfältig zu
Prüfen, ob deren Satzungen mit den heutigen Verhältnissen noch im Ein¬
klange stehen. Sache der Ministerien wäre es dann, für gewisse von diesen
Bestimmungen zu erklären, daß ihre Voraussetzungen nicht mehr bestünden,
und daß sie deshalb als gegenstandslos und hinfällig zu betrachten seien.
Selbst wenn man in dieser Hinsicht mit der größten Vorsicht vorgehen würde,
könnten doch manche unerquicklichen Erscheinungen, die große Schwierigkeiten
verursachen, beseitigt werden.

4. Einer speziellen Prüfung müßten alle Bestimmungen unterzogen werden,
die sich auf die bedingte Zurückzahlung empfangner Stipendien beziehen. Unsers
Erachtens dürfte eine solche Zurückzahlung immer nur eine Art von Strafe
für Verbummlung sein. Wie weit freilich in solchen Fällen die Versuche,
eine, derartige Rückzahlung zu verwirklichen, in der Praxis Erfolg haben
dürften, wird sehr fraglich sein. Jedenfalls müßte aber dafür gesorgt werden,
daß die Rückzahlung von Stipendien nicht ein Hindernis sür einen tüchtigen


Grenzboten II 1898 48
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[0385] Zur Frage der Stipendienreform vornherein verzichten müssen, so genügen die vorstehenden Angaben ohne Zweifel, die Meinung, daß hinsichtlich der Zersplitterung der Stipendien¬ beträge keine wesentliche Besserung zu verzeichnen ist, zu bestätigen. Nun wird es aber jedem, der mit den studentischen Verhältnissen nur einiger¬ maßen vertraut ist, nicht schwer fallen, sich in die Lage eines Studenten hineinzudenken, der ans eine nachhaltige Unterstützung gerechnet hat, in Wirk¬ lichkeit aber mit ein paar Mark, das heißt mit einem geringfügigen Almosen abgespeist wird. Wir müssen gestehen, wir haben uns in einer ganzen Reihe von Fällen, die wir aus nächster Nähe beobachten konnten, wahrlich nicht gewundert, daß dieses sogenannte Stipendium alsbald verkneipt worden ist. Wie nun aber auf diesem schwierigen Boden zu einer nachhaltigen Besse¬ rung gelangen? 1. Für sehr wünschenswert halten wir es, daß die Kultusministerien der mit Universitäten ausgestatteten Bundesstaaten ihre Universitäten veranlassen, sich einmal ausführlich über die Erfahrungen, die innerhalb der Universitüts- kreise mit dem bisherigen Verfahren der Stipendienverleihung gemacht worden sind, gutachtlich zu äußern. Man stellt ja heutzutage derartige Erhebungen über die unglaublichsten Verhältnisse an, warum nicht einmal über die wichtige Frage, die uns hier beschäftigt? 2. Ohne weiteres müßte überall der Grundsatz festgehalten oder — was zumeist wohl der Fall wäre — neu eingeführt werden, daß Stipendienstiftnngen uur unter der Voraussetzung angenommen werden, daß keinerlei beschränkende Bedingungen (abgesehen einzig und allein von der nicht abzulehnenden Be¬ vorzugung von Bewerbern, die aus der betreffenden Familie stammen) die ersprießliche Verwendung der Stiftungserträge von vornherein in Frage stellen. 3. Durchaus angezeigt wäre es, die an den meisten Hochschulen oder sonstwo zu deren Gunsten bestehenden ältern Stiftungen daraufhin sorgfältig zu Prüfen, ob deren Satzungen mit den heutigen Verhältnissen noch im Ein¬ klange stehen. Sache der Ministerien wäre es dann, für gewisse von diesen Bestimmungen zu erklären, daß ihre Voraussetzungen nicht mehr bestünden, und daß sie deshalb als gegenstandslos und hinfällig zu betrachten seien. Selbst wenn man in dieser Hinsicht mit der größten Vorsicht vorgehen würde, könnten doch manche unerquicklichen Erscheinungen, die große Schwierigkeiten verursachen, beseitigt werden. 4. Einer speziellen Prüfung müßten alle Bestimmungen unterzogen werden, die sich auf die bedingte Zurückzahlung empfangner Stipendien beziehen. Unsers Erachtens dürfte eine solche Zurückzahlung immer nur eine Art von Strafe für Verbummlung sein. Wie weit freilich in solchen Fällen die Versuche, eine, derartige Rückzahlung zu verwirklichen, in der Praxis Erfolg haben dürften, wird sehr fraglich sein. Jedenfalls müßte aber dafür gesorgt werden, daß die Rückzahlung von Stipendien nicht ein Hindernis sür einen tüchtigen Grenzboten II 1898 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/385>, abgerufen am 23.07.2024.