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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Neue Romane und Novellen

mögen wohl vierzehn oder fünfzehn Jahre dahingegangen sein, als wir dem
Namen der Verfasserin im Feuilleton einer Berliner Tageszeitung zuerst
begegneten und in ihr ein frisches, lebendiges Talent entdeckten, von dem trotz
jugendlicher Unreife und drolliger Unkenntnis der Gesetze künstlerischen Schaffens
gutes zu hoffen war. Ihrem ersten Roman: Mark Albrecht sind dann auch
noch einige andre gefolgt, die einen Fortschritt in der Vertiefung ihrer Menschen¬
kenntnis wie auch in ihrer künstlerischen Reife erkennen ließen. Dann hat
man lange nichts von ihr gesehen, wenigstens nichts, was sich aus der Masse
des Lesefutters der Beachtung ernsthafter Leser aufgedrängt hätte. Um so
peinlicher ist die Überraschung, die uns das erste Lebenszeichen bereitet, das
wir jetzt von ihr erhalten haben. Es scheint, daß sie ihre schöpferische Phan¬
tasie nur noch mit Lebens- und Reiseerinnerungen befruchtet, die schon halb
verblaßt sind, und die sie nur noch durch Zeitungslektüre auffrischt. Davon
hat auch ihr Stil, der sonst von Leben und Bewegung strotzte, seine graue
Färbung augenommen. Es ist ein "papierner" Stil, und aus Papier und
Karton sind auch ihre Gestalten geschnitten, mit Ausnahme der Bewohner
des Jnselhofs, der allein noch mit seinen Insassen die Spuren der Zeichnung
nach dem Leben an sich trügt. Was sonst an Figuren und Szenerien um uns
vorüberhuscht, das sind wesenlose Schatten oder Typen, deren Bekanntschaft
wir in Hunderten von Romanen gemacht haben. Paris, die Riviera, Neapel,
eine deutsche Hauptstadt ohne nähere Charakteristik -- es kann ebensogut
Stuttgart wie Berlin sein --, eine geographisch ebensowenig bestimmbare
Gegend an einem "langen See" und ein vernachlässigtes Gut in Ostpreußen --
das sind die Schauplätze, und reiche Emporkömmlinge mit ihren Familien und
ihrem schmarotzenden Anhang, Fürsten des Geldes und Fürsten von Geburt,
die letztern Sprößlinge eines verarmten Adelsgeschlechts, eine polnische Gräfin,
die sich von russischen Geheimpolizisten wegen revolutionärer Umtriebe aus
völlig unbegreiflichen Gründen zum Selbstmord gedrängt glaubt, ein junger
Afrikaforscher, der sich ihrer Tochter annimmt und sie sich nach vielen Fähr¬
nissen auf dem einsamen Jnselhvfe unter der Obhut seines Oheims zum Weibe
erzieht -- das sind die Hauptfiguren, die die Verfasserin auf jenen Schau¬
plätzen durcheinander wirbelt. Wir zweifeln nicht, daß stoffhungrige Leser an
dieser abenteuerlichen Geschichte, die nach vielen bedrohlichen Zwischenfällen
doch noch so lieblich endet, ihre herzlichste Freude haben werden. Das ernst¬
haftere künstlerische Schaffen liegt aber von dieser Art von Geschichtenerzählerei
völlig abseits.

Eine Enttäuschung, wenn auch keine so große wie Frau von Manteuffel,
hat uus auch Karl Mauro mit dem dreibändigen Roman: Jugend¬
genossen (Berlin, Otto Janke) bereitet. Wenn wirs nicht schon längst aus
Kürschners Litteraturkalender gewußt hätten, so würden wir jetzt aus dem
Titel ersehen, daß Karl Mauro nur ein Deckname für den bekannten Kunst-


Neue Romane und Novellen

mögen wohl vierzehn oder fünfzehn Jahre dahingegangen sein, als wir dem
Namen der Verfasserin im Feuilleton einer Berliner Tageszeitung zuerst
begegneten und in ihr ein frisches, lebendiges Talent entdeckten, von dem trotz
jugendlicher Unreife und drolliger Unkenntnis der Gesetze künstlerischen Schaffens
gutes zu hoffen war. Ihrem ersten Roman: Mark Albrecht sind dann auch
noch einige andre gefolgt, die einen Fortschritt in der Vertiefung ihrer Menschen¬
kenntnis wie auch in ihrer künstlerischen Reife erkennen ließen. Dann hat
man lange nichts von ihr gesehen, wenigstens nichts, was sich aus der Masse
des Lesefutters der Beachtung ernsthafter Leser aufgedrängt hätte. Um so
peinlicher ist die Überraschung, die uns das erste Lebenszeichen bereitet, das
wir jetzt von ihr erhalten haben. Es scheint, daß sie ihre schöpferische Phan¬
tasie nur noch mit Lebens- und Reiseerinnerungen befruchtet, die schon halb
verblaßt sind, und die sie nur noch durch Zeitungslektüre auffrischt. Davon
hat auch ihr Stil, der sonst von Leben und Bewegung strotzte, seine graue
Färbung augenommen. Es ist ein „papierner" Stil, und aus Papier und
Karton sind auch ihre Gestalten geschnitten, mit Ausnahme der Bewohner
des Jnselhofs, der allein noch mit seinen Insassen die Spuren der Zeichnung
nach dem Leben an sich trügt. Was sonst an Figuren und Szenerien um uns
vorüberhuscht, das sind wesenlose Schatten oder Typen, deren Bekanntschaft
wir in Hunderten von Romanen gemacht haben. Paris, die Riviera, Neapel,
eine deutsche Hauptstadt ohne nähere Charakteristik — es kann ebensogut
Stuttgart wie Berlin sein —, eine geographisch ebensowenig bestimmbare
Gegend an einem „langen See" und ein vernachlässigtes Gut in Ostpreußen —
das sind die Schauplätze, und reiche Emporkömmlinge mit ihren Familien und
ihrem schmarotzenden Anhang, Fürsten des Geldes und Fürsten von Geburt,
die letztern Sprößlinge eines verarmten Adelsgeschlechts, eine polnische Gräfin,
die sich von russischen Geheimpolizisten wegen revolutionärer Umtriebe aus
völlig unbegreiflichen Gründen zum Selbstmord gedrängt glaubt, ein junger
Afrikaforscher, der sich ihrer Tochter annimmt und sie sich nach vielen Fähr¬
nissen auf dem einsamen Jnselhvfe unter der Obhut seines Oheims zum Weibe
erzieht — das sind die Hauptfiguren, die die Verfasserin auf jenen Schau¬
plätzen durcheinander wirbelt. Wir zweifeln nicht, daß stoffhungrige Leser an
dieser abenteuerlichen Geschichte, die nach vielen bedrohlichen Zwischenfällen
doch noch so lieblich endet, ihre herzlichste Freude haben werden. Das ernst¬
haftere künstlerische Schaffen liegt aber von dieser Art von Geschichtenerzählerei
völlig abseits.

Eine Enttäuschung, wenn auch keine so große wie Frau von Manteuffel,
hat uus auch Karl Mauro mit dem dreibändigen Roman: Jugend¬
genossen (Berlin, Otto Janke) bereitet. Wenn wirs nicht schon längst aus
Kürschners Litteraturkalender gewußt hätten, so würden wir jetzt aus dem
Titel ersehen, daß Karl Mauro nur ein Deckname für den bekannten Kunst-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/38>, abgerufen am 23.07.2024.