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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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sächsischen Bevölkerung, ihren Bestrebungen und Ansichten dienstbar zu
machen, niemals ausgezeichnet, uoch weniger verstand sie es, die ihr wider¬
strebenden Volksteile zu sich herüberzuziehen. Was man vor allem und von
vornherein von den Nationalliberalen erwartete, nämlich die allmähliche Ver¬
nichtung der Welfeupartei, das ist auch nicht im entferntesten erreicht worden.
Die Welfeupartei steht heute -- es ist traurig, das bekennen zu müssen --
in gesicherterer und festerer Stellung da als die Nationalliberalen selbst. Die
großen Hoffnungen insbesondre, die man außerhalb Hannovers an gewissen
Stellen auf die Versöhnungskraft des Oberpräsidiums von Bennigsen setzte,
haben sich nicht erfüllt. Fernerstehende mögen sich die Thatsache, daß heute
die Welsen in kaum schwächerer Ziffer zur Wahlurne schreiten als in den ersten
Jahren nach der Einverleibung des Königreichs, um so weniger erklären, als
die Anhänger der abgesetzten Dynastie, die vermöge ihres persönlichen Einflusses
unter der Bevölkerung noch in den siebziger Jahren die Massen um sich scharten,
jetzt sämtlich gestorben oder wenigstens von der Schaubühne des öffentlichen
Lebens abgetreten sind, und als der erträumte ro^ keineswegs zu den Männern
gehört, die durch ihre Persönlichkeit und durch die Art ihres Auftretens die
Meuge zu bezaubern verstehen. Der Satz von der Wiederherstellung des
Königreichs Hannover, der noch immer auf dem Programm der deutsch-han-
noverschen Partei prunkt, ist denn auch bei der europäischen Lage, wie die
welfischen Politiker wohl wissen, nichts andres mehr als eine historische Ver¬
zierung. Das wesentliche Kennzeichen der Partei ist seit langem die Preußen-,
mindestens die Regierungsfeindlich^. Unter diesem Zeichen sammeln sich die
oppositionellen Geister, soweit sie nicht der Sozialdemokrcitie zulaufen, in vielen
Gegenden der Provinz unter welsischer Fahne., Viele von denen, die in andern
Provinzen des Staates mit einer freisinnigen oder demokratischen Partei gehen
würden, gehen hier immer noch mit den Welsen, unbekümmert darum, daß die
führende" Kreise dort einer Aristokratie angehören, die exklusiver, freilich auch
liebenswürdiger ist als die dem Niedersachsen antipathische Juukersippe in Ost-
elbien. Die alte Fortschrittspartei und der neuere Freisinn haben daher aller
Mühen ungeachtet unter den Autochthonen der Provinz bis ans den heutigen
Tag nicht recht Fuß fassen können und sind, abgesehen von dem einen Wahl¬
kreise, weder den Welsen noch den Nationalliberalen gefährlich geworden. Erst
in neuester Zeit scheint der Rickertsche Freisinn beiden Parteien in einigen
Gegenden Abbruch zu thun. Übrigens ist die welfische Parteileitung keines¬
wegs ungeschickt, sie hat von den Taktikern des Zentrums gelernt und ist heute
gescheiter als die uationalliberalc Leitung in der Provinz; der welfische Adel
ist in der harten Schule der letzten dreißig Jahre in gewisser Weise volks¬
freundlich geworden und hat dadurch eine Popularität erlangt, die ihm in
den Zeiten seiner Herrschaft abging, und um die ihn die uativnalliberalen Ton¬
angeber von heute beneiden.


Grenzboten II 1898 "17

sächsischen Bevölkerung, ihren Bestrebungen und Ansichten dienstbar zu
machen, niemals ausgezeichnet, uoch weniger verstand sie es, die ihr wider¬
strebenden Volksteile zu sich herüberzuziehen. Was man vor allem und von
vornherein von den Nationalliberalen erwartete, nämlich die allmähliche Ver¬
nichtung der Welfeupartei, das ist auch nicht im entferntesten erreicht worden.
Die Welfeupartei steht heute — es ist traurig, das bekennen zu müssen —
in gesicherterer und festerer Stellung da als die Nationalliberalen selbst. Die
großen Hoffnungen insbesondre, die man außerhalb Hannovers an gewissen
Stellen auf die Versöhnungskraft des Oberpräsidiums von Bennigsen setzte,
haben sich nicht erfüllt. Fernerstehende mögen sich die Thatsache, daß heute
die Welsen in kaum schwächerer Ziffer zur Wahlurne schreiten als in den ersten
Jahren nach der Einverleibung des Königreichs, um so weniger erklären, als
die Anhänger der abgesetzten Dynastie, die vermöge ihres persönlichen Einflusses
unter der Bevölkerung noch in den siebziger Jahren die Massen um sich scharten,
jetzt sämtlich gestorben oder wenigstens von der Schaubühne des öffentlichen
Lebens abgetreten sind, und als der erträumte ro^ keineswegs zu den Männern
gehört, die durch ihre Persönlichkeit und durch die Art ihres Auftretens die
Meuge zu bezaubern verstehen. Der Satz von der Wiederherstellung des
Königreichs Hannover, der noch immer auf dem Programm der deutsch-han-
noverschen Partei prunkt, ist denn auch bei der europäischen Lage, wie die
welfischen Politiker wohl wissen, nichts andres mehr als eine historische Ver¬
zierung. Das wesentliche Kennzeichen der Partei ist seit langem die Preußen-,
mindestens die Regierungsfeindlich^. Unter diesem Zeichen sammeln sich die
oppositionellen Geister, soweit sie nicht der Sozialdemokrcitie zulaufen, in vielen
Gegenden der Provinz unter welsischer Fahne., Viele von denen, die in andern
Provinzen des Staates mit einer freisinnigen oder demokratischen Partei gehen
würden, gehen hier immer noch mit den Welsen, unbekümmert darum, daß die
führende» Kreise dort einer Aristokratie angehören, die exklusiver, freilich auch
liebenswürdiger ist als die dem Niedersachsen antipathische Juukersippe in Ost-
elbien. Die alte Fortschrittspartei und der neuere Freisinn haben daher aller
Mühen ungeachtet unter den Autochthonen der Provinz bis ans den heutigen
Tag nicht recht Fuß fassen können und sind, abgesehen von dem einen Wahl¬
kreise, weder den Welsen noch den Nationalliberalen gefährlich geworden. Erst
in neuester Zeit scheint der Rickertsche Freisinn beiden Parteien in einigen
Gegenden Abbruch zu thun. Übrigens ist die welfische Parteileitung keines¬
wegs ungeschickt, sie hat von den Taktikern des Zentrums gelernt und ist heute
gescheiter als die uationalliberalc Leitung in der Provinz; der welfische Adel
ist in der harten Schule der letzten dreißig Jahre in gewisser Weise volks¬
freundlich geworden und hat dadurch eine Popularität erlangt, die ihm in
den Zeiten seiner Herrschaft abging, und um die ihn die uativnalliberalen Ton¬
angeber von heute beneiden.


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[0377] sächsischen Bevölkerung, ihren Bestrebungen und Ansichten dienstbar zu machen, niemals ausgezeichnet, uoch weniger verstand sie es, die ihr wider¬ strebenden Volksteile zu sich herüberzuziehen. Was man vor allem und von vornherein von den Nationalliberalen erwartete, nämlich die allmähliche Ver¬ nichtung der Welfeupartei, das ist auch nicht im entferntesten erreicht worden. Die Welfeupartei steht heute — es ist traurig, das bekennen zu müssen — in gesicherterer und festerer Stellung da als die Nationalliberalen selbst. Die großen Hoffnungen insbesondre, die man außerhalb Hannovers an gewissen Stellen auf die Versöhnungskraft des Oberpräsidiums von Bennigsen setzte, haben sich nicht erfüllt. Fernerstehende mögen sich die Thatsache, daß heute die Welsen in kaum schwächerer Ziffer zur Wahlurne schreiten als in den ersten Jahren nach der Einverleibung des Königreichs, um so weniger erklären, als die Anhänger der abgesetzten Dynastie, die vermöge ihres persönlichen Einflusses unter der Bevölkerung noch in den siebziger Jahren die Massen um sich scharten, jetzt sämtlich gestorben oder wenigstens von der Schaubühne des öffentlichen Lebens abgetreten sind, und als der erträumte ro^ keineswegs zu den Männern gehört, die durch ihre Persönlichkeit und durch die Art ihres Auftretens die Meuge zu bezaubern verstehen. Der Satz von der Wiederherstellung des Königreichs Hannover, der noch immer auf dem Programm der deutsch-han- noverschen Partei prunkt, ist denn auch bei der europäischen Lage, wie die welfischen Politiker wohl wissen, nichts andres mehr als eine historische Ver¬ zierung. Das wesentliche Kennzeichen der Partei ist seit langem die Preußen-, mindestens die Regierungsfeindlich^. Unter diesem Zeichen sammeln sich die oppositionellen Geister, soweit sie nicht der Sozialdemokrcitie zulaufen, in vielen Gegenden der Provinz unter welsischer Fahne., Viele von denen, die in andern Provinzen des Staates mit einer freisinnigen oder demokratischen Partei gehen würden, gehen hier immer noch mit den Welsen, unbekümmert darum, daß die führende» Kreise dort einer Aristokratie angehören, die exklusiver, freilich auch liebenswürdiger ist als die dem Niedersachsen antipathische Juukersippe in Ost- elbien. Die alte Fortschrittspartei und der neuere Freisinn haben daher aller Mühen ungeachtet unter den Autochthonen der Provinz bis ans den heutigen Tag nicht recht Fuß fassen können und sind, abgesehen von dem einen Wahl¬ kreise, weder den Welsen noch den Nationalliberalen gefährlich geworden. Erst in neuester Zeit scheint der Rickertsche Freisinn beiden Parteien in einigen Gegenden Abbruch zu thun. Übrigens ist die welfische Parteileitung keines¬ wegs ungeschickt, sie hat von den Taktikern des Zentrums gelernt und ist heute gescheiter als die uationalliberalc Leitung in der Provinz; der welfische Adel ist in der harten Schule der letzten dreißig Jahre in gewisser Weise volks¬ freundlich geworden und hat dadurch eine Popularität erlangt, die ihm in den Zeiten seiner Herrschaft abging, und um die ihn die uativnalliberalen Ton¬ angeber von heute beneiden. Grenzboten II 1898 "17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/377>, abgerufen am 23.07.2024.