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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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General Friedrich von Gagern

vordringenden badischen Seitendeckung vertrieben und mußten an der Scheidegg
vorüber. An dieser Stelle hatte das Feuern längst aufgehört, die Freischärler
sahen den gefallnen General. Einige wollten durchaus die Fahne wieder
haben, Hauptmann Keim rief ihnen zu: "Hört auf zu schießen; es hat Opfer
genug gekostet und hilft euch doch nichts!" Sie gaben ihr Wort, nicht mehr
zu feuern, worauf Leutnant Becker ihnen die Fahne zuwarf. Auch hieraus hat
Mögling hinterher eine Heldengeschichte von einer angeblichen Gefangennahme des
verwundeten Generals und seiner Auslösung gegen die Fahne gemacht; sie ist
einfach erlogen. Das Gefecht war zu Ende, die beiden Offiziere waren mit dem
sterbenden General beschäftigt und legten keinen Wert auf die vermeintliche
Trophäe. Als man mit Mühe den Verwundeten vom Pferde befreit und
etwas in die Höhe gerichtet hatte, sprach er seine letzten Worte: "Brave Sol¬
daten!" -- eine Anerkennung für die tapfern Hessen, deren Zuverlässigkeit er
vielleicht zu wenig vertraut hatte. Man trug ihn ans Gewehren nach einem
Erdaufwurf am Rande der Scheidegg etwa dreißig Schritte weit; als man
ihn niederlegte, war er schon verschieden. Wie die nächst hinter der aufge-
lösten badischen Kompagnie marschierenden Hessen im Laufschritt oben eintrafen,
war der General schon tot, der in ziemlicher Entfernung flüchtende Feind nicht
mehr zu erreichen. Das Gefecht hatte nach Uhr begonnen und war in
weniger als einer halben Stunde zu Ende. Es war am Gründonners¬
tag 1848.

Die Leiche von Gagerns wurde von den Truppen bis Müllheim geführt
und dort auf dem Kirchhof beerdigt. Auf Wunsch des Vaters wurde sie nach
wenigen Tagen wieder abgeholt und unter großer Teilnahme am 1. Mai in
Hornau beigesetzt. Dort auf dem Friedhofe unter dem Fuße des Staufen
wurde dem Gefallnen später von den Brüdern ein einfacher Denkstein von
Granit errichtet. Obgleich die Grabstätte nur wenige Stunden von Frank¬
furt a. M. liegt, wird sie doch eigentlich von niemand besucht. Wer weiß
auch noch etwas von dem General Friedrich von Gagern? Die Leute, die
wenige Jahre nach seinem Tode während und nach der Revolutionsperiode
die gelesenen Blätter beherrschten, waren beflissen, die revolutionären Thor¬
heiten des "tollen Jahres" als große historische Thaten zu preisen, die natio¬
nale Seite trat gänzlich in den Hintergrund, diente höchstens, etwas undeutlich
gehalten, als zierende Verbrämung. Für sie war General Friedrich von
Gagern nur der "Aristokrat," der das "souveräne" Volk zusammenschießen
wollte. Wir haben jetzt ein Deutsches Reich, und der Weg, auf dem allein
es zu erreichen war, liegt historisch festgelegt, für jedermanns Urteil klar vor
Augen. Trotzdem hat man gerade in den letzten Tagen versucht, verschiedene
falsche Götzen und gewisse verfehlte, wenn auch vielleicht gut gemeinte Hand¬
lungen vor fünfzig Jahren zu bedeutsamen nationalen Erscheinungen aufzu¬
putzen. Die Versuche haben sich als vergeblich erwiesen. Aber dem gegenüber


General Friedrich von Gagern

vordringenden badischen Seitendeckung vertrieben und mußten an der Scheidegg
vorüber. An dieser Stelle hatte das Feuern längst aufgehört, die Freischärler
sahen den gefallnen General. Einige wollten durchaus die Fahne wieder
haben, Hauptmann Keim rief ihnen zu: „Hört auf zu schießen; es hat Opfer
genug gekostet und hilft euch doch nichts!" Sie gaben ihr Wort, nicht mehr
zu feuern, worauf Leutnant Becker ihnen die Fahne zuwarf. Auch hieraus hat
Mögling hinterher eine Heldengeschichte von einer angeblichen Gefangennahme des
verwundeten Generals und seiner Auslösung gegen die Fahne gemacht; sie ist
einfach erlogen. Das Gefecht war zu Ende, die beiden Offiziere waren mit dem
sterbenden General beschäftigt und legten keinen Wert auf die vermeintliche
Trophäe. Als man mit Mühe den Verwundeten vom Pferde befreit und
etwas in die Höhe gerichtet hatte, sprach er seine letzten Worte: „Brave Sol¬
daten!" — eine Anerkennung für die tapfern Hessen, deren Zuverlässigkeit er
vielleicht zu wenig vertraut hatte. Man trug ihn ans Gewehren nach einem
Erdaufwurf am Rande der Scheidegg etwa dreißig Schritte weit; als man
ihn niederlegte, war er schon verschieden. Wie die nächst hinter der aufge-
lösten badischen Kompagnie marschierenden Hessen im Laufschritt oben eintrafen,
war der General schon tot, der in ziemlicher Entfernung flüchtende Feind nicht
mehr zu erreichen. Das Gefecht hatte nach Uhr begonnen und war in
weniger als einer halben Stunde zu Ende. Es war am Gründonners¬
tag 1848.

Die Leiche von Gagerns wurde von den Truppen bis Müllheim geführt
und dort auf dem Kirchhof beerdigt. Auf Wunsch des Vaters wurde sie nach
wenigen Tagen wieder abgeholt und unter großer Teilnahme am 1. Mai in
Hornau beigesetzt. Dort auf dem Friedhofe unter dem Fuße des Staufen
wurde dem Gefallnen später von den Brüdern ein einfacher Denkstein von
Granit errichtet. Obgleich die Grabstätte nur wenige Stunden von Frank¬
furt a. M. liegt, wird sie doch eigentlich von niemand besucht. Wer weiß
auch noch etwas von dem General Friedrich von Gagern? Die Leute, die
wenige Jahre nach seinem Tode während und nach der Revolutionsperiode
die gelesenen Blätter beherrschten, waren beflissen, die revolutionären Thor¬
heiten des „tollen Jahres" als große historische Thaten zu preisen, die natio¬
nale Seite trat gänzlich in den Hintergrund, diente höchstens, etwas undeutlich
gehalten, als zierende Verbrämung. Für sie war General Friedrich von
Gagern nur der „Aristokrat," der das „souveräne" Volk zusammenschießen
wollte. Wir haben jetzt ein Deutsches Reich, und der Weg, auf dem allein
es zu erreichen war, liegt historisch festgelegt, für jedermanns Urteil klar vor
Augen. Trotzdem hat man gerade in den letzten Tagen versucht, verschiedene
falsche Götzen und gewisse verfehlte, wenn auch vielleicht gut gemeinte Hand¬
lungen vor fünfzig Jahren zu bedeutsamen nationalen Erscheinungen aufzu¬
putzen. Die Versuche haben sich als vergeblich erwiesen. Aber dem gegenüber


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[0339] General Friedrich von Gagern vordringenden badischen Seitendeckung vertrieben und mußten an der Scheidegg vorüber. An dieser Stelle hatte das Feuern längst aufgehört, die Freischärler sahen den gefallnen General. Einige wollten durchaus die Fahne wieder haben, Hauptmann Keim rief ihnen zu: „Hört auf zu schießen; es hat Opfer genug gekostet und hilft euch doch nichts!" Sie gaben ihr Wort, nicht mehr zu feuern, worauf Leutnant Becker ihnen die Fahne zuwarf. Auch hieraus hat Mögling hinterher eine Heldengeschichte von einer angeblichen Gefangennahme des verwundeten Generals und seiner Auslösung gegen die Fahne gemacht; sie ist einfach erlogen. Das Gefecht war zu Ende, die beiden Offiziere waren mit dem sterbenden General beschäftigt und legten keinen Wert auf die vermeintliche Trophäe. Als man mit Mühe den Verwundeten vom Pferde befreit und etwas in die Höhe gerichtet hatte, sprach er seine letzten Worte: „Brave Sol¬ daten!" — eine Anerkennung für die tapfern Hessen, deren Zuverlässigkeit er vielleicht zu wenig vertraut hatte. Man trug ihn ans Gewehren nach einem Erdaufwurf am Rande der Scheidegg etwa dreißig Schritte weit; als man ihn niederlegte, war er schon verschieden. Wie die nächst hinter der aufge- lösten badischen Kompagnie marschierenden Hessen im Laufschritt oben eintrafen, war der General schon tot, der in ziemlicher Entfernung flüchtende Feind nicht mehr zu erreichen. Das Gefecht hatte nach Uhr begonnen und war in weniger als einer halben Stunde zu Ende. Es war am Gründonners¬ tag 1848. Die Leiche von Gagerns wurde von den Truppen bis Müllheim geführt und dort auf dem Kirchhof beerdigt. Auf Wunsch des Vaters wurde sie nach wenigen Tagen wieder abgeholt und unter großer Teilnahme am 1. Mai in Hornau beigesetzt. Dort auf dem Friedhofe unter dem Fuße des Staufen wurde dem Gefallnen später von den Brüdern ein einfacher Denkstein von Granit errichtet. Obgleich die Grabstätte nur wenige Stunden von Frank¬ furt a. M. liegt, wird sie doch eigentlich von niemand besucht. Wer weiß auch noch etwas von dem General Friedrich von Gagern? Die Leute, die wenige Jahre nach seinem Tode während und nach der Revolutionsperiode die gelesenen Blätter beherrschten, waren beflissen, die revolutionären Thor¬ heiten des „tollen Jahres" als große historische Thaten zu preisen, die natio¬ nale Seite trat gänzlich in den Hintergrund, diente höchstens, etwas undeutlich gehalten, als zierende Verbrämung. Für sie war General Friedrich von Gagern nur der „Aristokrat," der das „souveräne" Volk zusammenschießen wollte. Wir haben jetzt ein Deutsches Reich, und der Weg, auf dem allein es zu erreichen war, liegt historisch festgelegt, für jedermanns Urteil klar vor Augen. Trotzdem hat man gerade in den letzten Tagen versucht, verschiedene falsche Götzen und gewisse verfehlte, wenn auch vielleicht gut gemeinte Hand¬ lungen vor fünfzig Jahren zu bedeutsamen nationalen Erscheinungen aufzu¬ putzen. Die Versuche haben sich als vergeblich erwiesen. Aber dem gegenüber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/339>, abgerufen am 28.12.2024.