Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
General Friedrich von Gagern

Schon seit Jahren hatte er das Heranwachsen der nationalen Strömung
mit Aufmerksamkeit verfolgt, zunächst mit wehmütigen Zweifeln, später mit
zunehmender Hoffnung. An den sanguinischen Bruder Heinrich, der den Tages¬
strömungen leicht nachgab, schrieb er am 13. März 1842 über den Eindruck
der Erwartungen, die der Thronwechsel in Berlin erregt hatte: "Wir stehen
noch immer am ersten Vers des Evangeliums Johannis: Im Anfang war das
Wort; ich wollte aber, es hieße bei uns: Im Anfang war die That." Den
Bruder Heinrich beneidete er überhaupt darum, daß er, wenn auch in be¬
scheidnen Grenzen, eine politische Rolle in Deutschland spielen konnte, und
liebte ihn darum um so inniger, bis zur Bewunderung. Wie sehr er selbst
dabei der eigentlich führende Geist war, hat er wohl kaum geahnt; ihm genügte,
daß der Bruder im vollen Einverständnis mit ihm wirkte. An diesen Bruder
entstand auch in der Langweile des niederländischen Lagerlebens schon im Jahre
1837 ein längeres Gedicht, das unvollendet geblieben ist. und dem die oben
angeführten Verse entnommen sind. Das Gedicht atmet die glutvollste Vater¬
landsliebe und beschwört den Bruder, dem deutschen Volke bei seinem Ringen
zum Einhcitsstaate ein Führer zu sein, denn "auch ohne Lorbeerkranz ist der
ein Held, der für die gute Sache steht und fällt." Er hat mit diesen Worten
das eigne Schicksal prophetisch vorausgesagt.

Die Ereignisse der Mürzbewegung hatten in ihm den Entschluß zur Reife
gebracht, den niederländischen Dienst, ungeachtet der verlockendsten Aussichten
für die Zukunft, zu verlassen und sich, gleich den Brüdern, den öffentlichen
Verhältnissen Deutschlands zu widmen. Es handelte sich für ihn bloß noch
um den schicklichen Zeitpunkt, seine Stellung, in der ihm so viel Liebe und
Auszeichnung entgegengebracht wurde, mit Anstand zu verlassen. Er schreibt
den 14. März an Bruder Heinrich: "Du kannst dir denken, wie in den letzten
Tagen mein Gemüt bewegt war, wie gern ich zu euch geeilt wäre; aber es
war nicht möglich, weil es unter den jetzigen Verhältnissen den Schein hätte,
als wollte ich mich den Schwierigkeiten meiner hiesigen Stellung aus Furcht
entziehen." Als Gouverneur der Residenz war er verpflichtet, die Ordnung
aufrecht zu erhalten, und man hatte darum nach den Pariser Vorgängen nicht
unbegründete Besorgnisse. Da aber nach einigen Änderungen der Verfassung,
bei der energischen Haltung aller besonnenen Elemente, und auch weil Belgien
sich ruhig verhielt, die innere Ruhe ungestört blieb, konnte am 30. März die
außerordentliche Vorsorge und militärische Bereitschaft wieder aufgehoben werden.
Nun drängte es ihn nach Deutschland, um zunächst selbst zu sehen, und er
schreibt am 1. April an Heinrich: "So ungern man mir jetzt Urlaub giebt,
so wird man mir einen kurzen von acht bis vierzehn Tagen nicht weigern,
wenn ich darauf bestehe; und ich werde darauf bestehen, sobald ihr mir schreibt:
Komme! ^ Ambition treibt mich nicht, aber ich bin zu allem bereit, wenn
die Stimme des Vaterlandes ruft, besonders im Falle des Krieges; im Frieden


General Friedrich von Gagern

Schon seit Jahren hatte er das Heranwachsen der nationalen Strömung
mit Aufmerksamkeit verfolgt, zunächst mit wehmütigen Zweifeln, später mit
zunehmender Hoffnung. An den sanguinischen Bruder Heinrich, der den Tages¬
strömungen leicht nachgab, schrieb er am 13. März 1842 über den Eindruck
der Erwartungen, die der Thronwechsel in Berlin erregt hatte: „Wir stehen
noch immer am ersten Vers des Evangeliums Johannis: Im Anfang war das
Wort; ich wollte aber, es hieße bei uns: Im Anfang war die That." Den
Bruder Heinrich beneidete er überhaupt darum, daß er, wenn auch in be¬
scheidnen Grenzen, eine politische Rolle in Deutschland spielen konnte, und
liebte ihn darum um so inniger, bis zur Bewunderung. Wie sehr er selbst
dabei der eigentlich führende Geist war, hat er wohl kaum geahnt; ihm genügte,
daß der Bruder im vollen Einverständnis mit ihm wirkte. An diesen Bruder
entstand auch in der Langweile des niederländischen Lagerlebens schon im Jahre
1837 ein längeres Gedicht, das unvollendet geblieben ist. und dem die oben
angeführten Verse entnommen sind. Das Gedicht atmet die glutvollste Vater¬
landsliebe und beschwört den Bruder, dem deutschen Volke bei seinem Ringen
zum Einhcitsstaate ein Führer zu sein, denn „auch ohne Lorbeerkranz ist der
ein Held, der für die gute Sache steht und fällt." Er hat mit diesen Worten
das eigne Schicksal prophetisch vorausgesagt.

Die Ereignisse der Mürzbewegung hatten in ihm den Entschluß zur Reife
gebracht, den niederländischen Dienst, ungeachtet der verlockendsten Aussichten
für die Zukunft, zu verlassen und sich, gleich den Brüdern, den öffentlichen
Verhältnissen Deutschlands zu widmen. Es handelte sich für ihn bloß noch
um den schicklichen Zeitpunkt, seine Stellung, in der ihm so viel Liebe und
Auszeichnung entgegengebracht wurde, mit Anstand zu verlassen. Er schreibt
den 14. März an Bruder Heinrich: „Du kannst dir denken, wie in den letzten
Tagen mein Gemüt bewegt war, wie gern ich zu euch geeilt wäre; aber es
war nicht möglich, weil es unter den jetzigen Verhältnissen den Schein hätte,
als wollte ich mich den Schwierigkeiten meiner hiesigen Stellung aus Furcht
entziehen." Als Gouverneur der Residenz war er verpflichtet, die Ordnung
aufrecht zu erhalten, und man hatte darum nach den Pariser Vorgängen nicht
unbegründete Besorgnisse. Da aber nach einigen Änderungen der Verfassung,
bei der energischen Haltung aller besonnenen Elemente, und auch weil Belgien
sich ruhig verhielt, die innere Ruhe ungestört blieb, konnte am 30. März die
außerordentliche Vorsorge und militärische Bereitschaft wieder aufgehoben werden.
Nun drängte es ihn nach Deutschland, um zunächst selbst zu sehen, und er
schreibt am 1. April an Heinrich: „So ungern man mir jetzt Urlaub giebt,
so wird man mir einen kurzen von acht bis vierzehn Tagen nicht weigern,
wenn ich darauf bestehe; und ich werde darauf bestehen, sobald ihr mir schreibt:
Komme! ^ Ambition treibt mich nicht, aber ich bin zu allem bereit, wenn
die Stimme des Vaterlandes ruft, besonders im Falle des Krieges; im Frieden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0333" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227969"/>
          <fw type="header" place="top"> General Friedrich von Gagern</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_897"> Schon seit Jahren hatte er das Heranwachsen der nationalen Strömung<lb/>
mit Aufmerksamkeit verfolgt, zunächst mit wehmütigen Zweifeln, später mit<lb/>
zunehmender Hoffnung. An den sanguinischen Bruder Heinrich, der den Tages¬<lb/>
strömungen leicht nachgab, schrieb er am 13. März 1842 über den Eindruck<lb/>
der Erwartungen, die der Thronwechsel in Berlin erregt hatte: &#x201E;Wir stehen<lb/>
noch immer am ersten Vers des Evangeliums Johannis: Im Anfang war das<lb/>
Wort; ich wollte aber, es hieße bei uns: Im Anfang war die That." Den<lb/>
Bruder Heinrich beneidete er überhaupt darum, daß er, wenn auch in be¬<lb/>
scheidnen Grenzen, eine politische Rolle in Deutschland spielen konnte, und<lb/>
liebte ihn darum um so inniger, bis zur Bewunderung. Wie sehr er selbst<lb/>
dabei der eigentlich führende Geist war, hat er wohl kaum geahnt; ihm genügte,<lb/>
daß der Bruder im vollen Einverständnis mit ihm wirkte. An diesen Bruder<lb/>
entstand auch in der Langweile des niederländischen Lagerlebens schon im Jahre<lb/>
1837 ein längeres Gedicht, das unvollendet geblieben ist. und dem die oben<lb/>
angeführten Verse entnommen sind. Das Gedicht atmet die glutvollste Vater¬<lb/>
landsliebe und beschwört den Bruder, dem deutschen Volke bei seinem Ringen<lb/>
zum Einhcitsstaate ein Führer zu sein, denn &#x201E;auch ohne Lorbeerkranz ist der<lb/>
ein Held, der für die gute Sache steht und fällt." Er hat mit diesen Worten<lb/>
das eigne Schicksal prophetisch vorausgesagt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_898" next="#ID_899"> Die Ereignisse der Mürzbewegung hatten in ihm den Entschluß zur Reife<lb/>
gebracht, den niederländischen Dienst, ungeachtet der verlockendsten Aussichten<lb/>
für die Zukunft, zu verlassen und sich, gleich den Brüdern, den öffentlichen<lb/>
Verhältnissen Deutschlands zu widmen. Es handelte sich für ihn bloß noch<lb/>
um den schicklichen Zeitpunkt, seine Stellung, in der ihm so viel Liebe und<lb/>
Auszeichnung entgegengebracht wurde, mit Anstand zu verlassen. Er schreibt<lb/>
den 14. März an Bruder Heinrich: &#x201E;Du kannst dir denken, wie in den letzten<lb/>
Tagen mein Gemüt bewegt war, wie gern ich zu euch geeilt wäre; aber es<lb/>
war nicht möglich, weil es unter den jetzigen Verhältnissen den Schein hätte,<lb/>
als wollte ich mich den Schwierigkeiten meiner hiesigen Stellung aus Furcht<lb/>
entziehen." Als Gouverneur der Residenz war er verpflichtet, die Ordnung<lb/>
aufrecht zu erhalten, und man hatte darum nach den Pariser Vorgängen nicht<lb/>
unbegründete Besorgnisse. Da aber nach einigen Änderungen der Verfassung,<lb/>
bei der energischen Haltung aller besonnenen Elemente, und auch weil Belgien<lb/>
sich ruhig verhielt, die innere Ruhe ungestört blieb, konnte am 30. März die<lb/>
außerordentliche Vorsorge und militärische Bereitschaft wieder aufgehoben werden.<lb/>
Nun drängte es ihn nach Deutschland, um zunächst selbst zu sehen, und er<lb/>
schreibt am 1. April an Heinrich: &#x201E;So ungern man mir jetzt Urlaub giebt,<lb/>
so wird man mir einen kurzen von acht bis vierzehn Tagen nicht weigern,<lb/>
wenn ich darauf bestehe; und ich werde darauf bestehen, sobald ihr mir schreibt:<lb/>
Komme! ^ Ambition treibt mich nicht, aber ich bin zu allem bereit, wenn<lb/>
die Stimme des Vaterlandes ruft, besonders im Falle des Krieges; im Frieden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0333] General Friedrich von Gagern Schon seit Jahren hatte er das Heranwachsen der nationalen Strömung mit Aufmerksamkeit verfolgt, zunächst mit wehmütigen Zweifeln, später mit zunehmender Hoffnung. An den sanguinischen Bruder Heinrich, der den Tages¬ strömungen leicht nachgab, schrieb er am 13. März 1842 über den Eindruck der Erwartungen, die der Thronwechsel in Berlin erregt hatte: „Wir stehen noch immer am ersten Vers des Evangeliums Johannis: Im Anfang war das Wort; ich wollte aber, es hieße bei uns: Im Anfang war die That." Den Bruder Heinrich beneidete er überhaupt darum, daß er, wenn auch in be¬ scheidnen Grenzen, eine politische Rolle in Deutschland spielen konnte, und liebte ihn darum um so inniger, bis zur Bewunderung. Wie sehr er selbst dabei der eigentlich führende Geist war, hat er wohl kaum geahnt; ihm genügte, daß der Bruder im vollen Einverständnis mit ihm wirkte. An diesen Bruder entstand auch in der Langweile des niederländischen Lagerlebens schon im Jahre 1837 ein längeres Gedicht, das unvollendet geblieben ist. und dem die oben angeführten Verse entnommen sind. Das Gedicht atmet die glutvollste Vater¬ landsliebe und beschwört den Bruder, dem deutschen Volke bei seinem Ringen zum Einhcitsstaate ein Führer zu sein, denn „auch ohne Lorbeerkranz ist der ein Held, der für die gute Sache steht und fällt." Er hat mit diesen Worten das eigne Schicksal prophetisch vorausgesagt. Die Ereignisse der Mürzbewegung hatten in ihm den Entschluß zur Reife gebracht, den niederländischen Dienst, ungeachtet der verlockendsten Aussichten für die Zukunft, zu verlassen und sich, gleich den Brüdern, den öffentlichen Verhältnissen Deutschlands zu widmen. Es handelte sich für ihn bloß noch um den schicklichen Zeitpunkt, seine Stellung, in der ihm so viel Liebe und Auszeichnung entgegengebracht wurde, mit Anstand zu verlassen. Er schreibt den 14. März an Bruder Heinrich: „Du kannst dir denken, wie in den letzten Tagen mein Gemüt bewegt war, wie gern ich zu euch geeilt wäre; aber es war nicht möglich, weil es unter den jetzigen Verhältnissen den Schein hätte, als wollte ich mich den Schwierigkeiten meiner hiesigen Stellung aus Furcht entziehen." Als Gouverneur der Residenz war er verpflichtet, die Ordnung aufrecht zu erhalten, und man hatte darum nach den Pariser Vorgängen nicht unbegründete Besorgnisse. Da aber nach einigen Änderungen der Verfassung, bei der energischen Haltung aller besonnenen Elemente, und auch weil Belgien sich ruhig verhielt, die innere Ruhe ungestört blieb, konnte am 30. März die außerordentliche Vorsorge und militärische Bereitschaft wieder aufgehoben werden. Nun drängte es ihn nach Deutschland, um zunächst selbst zu sehen, und er schreibt am 1. April an Heinrich: „So ungern man mir jetzt Urlaub giebt, so wird man mir einen kurzen von acht bis vierzehn Tagen nicht weigern, wenn ich darauf bestehe; und ich werde darauf bestehen, sobald ihr mir schreibt: Komme! ^ Ambition treibt mich nicht, aber ich bin zu allem bereit, wenn die Stimme des Vaterlandes ruft, besonders im Falle des Krieges; im Frieden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/333
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/333>, abgerufen am 23.07.2024.