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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die Magyarisirung der Ortsnamen

In dem ganzen Gesetzentwurf ist darüber keine Bestimmung enthalten,
welcher Sprache diese Namen angehören müßten. Daß aber der Minister des
Innern und seine famose "Landesgemeindenstammbuchkommission" nur magya¬
rische Namen beantragen werden, das dürfte sicher zu den Thatsachen gehöre",
über die eine Erörterung oder gar ein Zweifel ausgeschlossen ist.

Es muß also als fest angesehen werden, daß der Gesetzentwurf, ohne jede
andre Rücksichtnahme, nur ein Ziel und eine Richtung hat, die Magyari-
sirung der Ortsnamen, womit ein mächtiger Schritt auf dem Wege der allge¬
meinen Magycirisirung vorwärts gethan werden soll.

Dieser Thatsache gegenüber verdient ein Wort der Vergessenheit entrissen
zu werden. Das Wort lautet: "Es ist in den heutigen Zeiten nicht genug,
Gesetze zu schreiben, man muß für dieselben auch Sympathie erwecken. Und
die Überstrenge ist zwecklos, macht Märtyrer und gebiert Fanatismus." Diese
Worte hat Graf Stefan Szechenyi, Ungarns größter Patriot, der eigentliche
Erwecker des magyarischen Volkes, bei festlicher Gelegenheit, einer Sitzung der
von ihm ins Leben gerufnen ungarischen Akademie gesprochen. Freilich schon
vor recht langer Zeit. Aber was vor fünfundfünfzig Jahren richtig war, wird
heute doch nicht eine veraltete und überwundne Thatsache sein. Und doch
scheint es so, nein, es muß so sein, wenn man nämlich an den vorliegenden
Gesetzentwurf den Maßstab der Szechenyischen Worte legt. Das Gesetz -- man
kann leider seit einigen Tagen nicht mehr sagen: der Gesetzentwurf -- ist über¬
streng und ist geeignet, Erbitterung, Fanatismus, Märtyrer zu schaffen. Und
das sonderbare ist, daß kein Magyare das einsehn oder wenigstens eingestehn
will; daß auch Minister und Abgeordnete das Gesetz als etwas ganz harm¬
loses und selbstverständliches darstellen; es sei wunderbar, daß man damit so
lange gezögert habe; es werde gar keine nachteiligen Folgen für die betroffnen
Nationen haben. Ein cingesehnes Blatt erklärte naiv, das Gesetz habe
eigentlich nur einen dekorativen Zweck, sodaß durch die magyarischen Namen
Fremde und womöglich auch Einheimische über den nationalen Charakter der
Ortschaften hinweggetäuscht würden. In der Beziehung sind die Abgeordneten
der äußersten Linken und ihre Organe ehrlicher. Sie jubeln über das Gesetz,
sie preisen es offen als einen Schlag gegen die fremden Nationen nud besonders
gegen das Deutschtum. Erinnert man sich aber an eine Äußerung desselben
Szechenyi, der den Charakter seines Volkes besser kannte, als irgend jemand,
daß nämlich dem besonnenen, einsichtigsten und gerechtesten Magyaren alle
diese Tugenden sofort abhanden kämen, wenn die nationale Frage gestellt
werde; ruft man sich dann ein Wort Grillparzers ins Gedächtnis, das wie
für die gegenwärtigen Zeiten bestimmt erscheint: Österreichs Verhängnis sei,
daß es die beiden eitelsten Völker der Erde, Tschechen und Magyaren zu seinen
Bewohnern zähle, dann erscheint dem Kundigen nichts mehr sonderbar. Vielleicht
kommt er sich selbst, einzig und allein, sonderbar vor, daß er, die Magyaren


Die Magyarisirung der Ortsnamen

In dem ganzen Gesetzentwurf ist darüber keine Bestimmung enthalten,
welcher Sprache diese Namen angehören müßten. Daß aber der Minister des
Innern und seine famose „Landesgemeindenstammbuchkommission" nur magya¬
rische Namen beantragen werden, das dürfte sicher zu den Thatsachen gehöre»,
über die eine Erörterung oder gar ein Zweifel ausgeschlossen ist.

Es muß also als fest angesehen werden, daß der Gesetzentwurf, ohne jede
andre Rücksichtnahme, nur ein Ziel und eine Richtung hat, die Magyari-
sirung der Ortsnamen, womit ein mächtiger Schritt auf dem Wege der allge¬
meinen Magycirisirung vorwärts gethan werden soll.

Dieser Thatsache gegenüber verdient ein Wort der Vergessenheit entrissen
zu werden. Das Wort lautet: „Es ist in den heutigen Zeiten nicht genug,
Gesetze zu schreiben, man muß für dieselben auch Sympathie erwecken. Und
die Überstrenge ist zwecklos, macht Märtyrer und gebiert Fanatismus." Diese
Worte hat Graf Stefan Szechenyi, Ungarns größter Patriot, der eigentliche
Erwecker des magyarischen Volkes, bei festlicher Gelegenheit, einer Sitzung der
von ihm ins Leben gerufnen ungarischen Akademie gesprochen. Freilich schon
vor recht langer Zeit. Aber was vor fünfundfünfzig Jahren richtig war, wird
heute doch nicht eine veraltete und überwundne Thatsache sein. Und doch
scheint es so, nein, es muß so sein, wenn man nämlich an den vorliegenden
Gesetzentwurf den Maßstab der Szechenyischen Worte legt. Das Gesetz — man
kann leider seit einigen Tagen nicht mehr sagen: der Gesetzentwurf — ist über¬
streng und ist geeignet, Erbitterung, Fanatismus, Märtyrer zu schaffen. Und
das sonderbare ist, daß kein Magyare das einsehn oder wenigstens eingestehn
will; daß auch Minister und Abgeordnete das Gesetz als etwas ganz harm¬
loses und selbstverständliches darstellen; es sei wunderbar, daß man damit so
lange gezögert habe; es werde gar keine nachteiligen Folgen für die betroffnen
Nationen haben. Ein cingesehnes Blatt erklärte naiv, das Gesetz habe
eigentlich nur einen dekorativen Zweck, sodaß durch die magyarischen Namen
Fremde und womöglich auch Einheimische über den nationalen Charakter der
Ortschaften hinweggetäuscht würden. In der Beziehung sind die Abgeordneten
der äußersten Linken und ihre Organe ehrlicher. Sie jubeln über das Gesetz,
sie preisen es offen als einen Schlag gegen die fremden Nationen nud besonders
gegen das Deutschtum. Erinnert man sich aber an eine Äußerung desselben
Szechenyi, der den Charakter seines Volkes besser kannte, als irgend jemand,
daß nämlich dem besonnenen, einsichtigsten und gerechtesten Magyaren alle
diese Tugenden sofort abhanden kämen, wenn die nationale Frage gestellt
werde; ruft man sich dann ein Wort Grillparzers ins Gedächtnis, das wie
für die gegenwärtigen Zeiten bestimmt erscheint: Österreichs Verhängnis sei,
daß es die beiden eitelsten Völker der Erde, Tschechen und Magyaren zu seinen
Bewohnern zähle, dann erscheint dem Kundigen nichts mehr sonderbar. Vielleicht
kommt er sich selbst, einzig und allein, sonderbar vor, daß er, die Magyaren


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[0323] Die Magyarisirung der Ortsnamen In dem ganzen Gesetzentwurf ist darüber keine Bestimmung enthalten, welcher Sprache diese Namen angehören müßten. Daß aber der Minister des Innern und seine famose „Landesgemeindenstammbuchkommission" nur magya¬ rische Namen beantragen werden, das dürfte sicher zu den Thatsachen gehöre», über die eine Erörterung oder gar ein Zweifel ausgeschlossen ist. Es muß also als fest angesehen werden, daß der Gesetzentwurf, ohne jede andre Rücksichtnahme, nur ein Ziel und eine Richtung hat, die Magyari- sirung der Ortsnamen, womit ein mächtiger Schritt auf dem Wege der allge¬ meinen Magycirisirung vorwärts gethan werden soll. Dieser Thatsache gegenüber verdient ein Wort der Vergessenheit entrissen zu werden. Das Wort lautet: „Es ist in den heutigen Zeiten nicht genug, Gesetze zu schreiben, man muß für dieselben auch Sympathie erwecken. Und die Überstrenge ist zwecklos, macht Märtyrer und gebiert Fanatismus." Diese Worte hat Graf Stefan Szechenyi, Ungarns größter Patriot, der eigentliche Erwecker des magyarischen Volkes, bei festlicher Gelegenheit, einer Sitzung der von ihm ins Leben gerufnen ungarischen Akademie gesprochen. Freilich schon vor recht langer Zeit. Aber was vor fünfundfünfzig Jahren richtig war, wird heute doch nicht eine veraltete und überwundne Thatsache sein. Und doch scheint es so, nein, es muß so sein, wenn man nämlich an den vorliegenden Gesetzentwurf den Maßstab der Szechenyischen Worte legt. Das Gesetz — man kann leider seit einigen Tagen nicht mehr sagen: der Gesetzentwurf — ist über¬ streng und ist geeignet, Erbitterung, Fanatismus, Märtyrer zu schaffen. Und das sonderbare ist, daß kein Magyare das einsehn oder wenigstens eingestehn will; daß auch Minister und Abgeordnete das Gesetz als etwas ganz harm¬ loses und selbstverständliches darstellen; es sei wunderbar, daß man damit so lange gezögert habe; es werde gar keine nachteiligen Folgen für die betroffnen Nationen haben. Ein cingesehnes Blatt erklärte naiv, das Gesetz habe eigentlich nur einen dekorativen Zweck, sodaß durch die magyarischen Namen Fremde und womöglich auch Einheimische über den nationalen Charakter der Ortschaften hinweggetäuscht würden. In der Beziehung sind die Abgeordneten der äußersten Linken und ihre Organe ehrlicher. Sie jubeln über das Gesetz, sie preisen es offen als einen Schlag gegen die fremden Nationen nud besonders gegen das Deutschtum. Erinnert man sich aber an eine Äußerung desselben Szechenyi, der den Charakter seines Volkes besser kannte, als irgend jemand, daß nämlich dem besonnenen, einsichtigsten und gerechtesten Magyaren alle diese Tugenden sofort abhanden kämen, wenn die nationale Frage gestellt werde; ruft man sich dann ein Wort Grillparzers ins Gedächtnis, das wie für die gegenwärtigen Zeiten bestimmt erscheint: Österreichs Verhängnis sei, daß es die beiden eitelsten Völker der Erde, Tschechen und Magyaren zu seinen Bewohnern zähle, dann erscheint dem Kundigen nichts mehr sonderbar. Vielleicht kommt er sich selbst, einzig und allein, sonderbar vor, daß er, die Magyaren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/323>, abgerufen am 23.07.2024.