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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die hannoverschen Nationalliberaleil

tisches Gebare" immer unsicherer und schwankender, und das Mißverhältnis
zwischen ihren hochtönenden Worten und ihren schwächlichen Thaten machte sie
zum Gegenstande einer nicht schmeichelhaften Heiterkeit bei allen andern poli¬
tischen Parteien. Ihre Anschauungen und Gesinnungen in allen Fragen, die
mit den Volksrechten im Zusammenhange standen, hatten sich in Wahrheit
verwandelt, sodaß sie sich in vielen Punkten mit nicht allzu extremen Konser¬
vativen berührten, gleichwohl konnten und können sie sich bis auf den heutigen
Tag nicht entschließen, das verschliffene liberale Gewand abzulegen, sie halten
es noch immer für nützlich, den Schein aufrecht zu erhalten, daß in ihrem
Lager die liberale Gedankenwelt eine feste Stütze habe. Wen sie damit zu
täuschen gedenken, ist nicht recht ersichtlich.

Um gerecht zu sein, muß man zugestehen, daß sich die matte und
schwankende Haltung der Nationalliberalen auf die innere Politik beschränkte,
und man muß andrerseits anerkennen, daß die Partei ihrem ursprünglichen
"nationalen" Programm und ihrer nationalen Überlieferung zu keiner Zeit
untren gewesen ist. Niemand wird den dentschen Patriotismus der National¬
liberalen bestreiten wollen, kein Unbefangner wird leugnen, daß sie in deutscheu
Fragen, in Militär- und Marineangelegenheiten, in der Kolonialpolitik einen
weit freiern Blick gezeigt haben und auf einer höhern Warte stehen, als ihre
frühern Freunde auf der Linken nebst den süddeutschen Demokraten, deren
Widerwilligkeit in allen diesen Angelegenheiten durch ihren ingrimmigen Haß
gegen das konservative Regiment in Preußen und gegen den Militarismus
bestimmt wird. Die hannoverschen Nationalliberalen machten darin keine Aus¬
nahme von ihren Parteigenossen, sie haben redlich dabei mitgewirkt, wenn es
galt, für die Machtstellung und Machtentfaltung des Deutschen Reichs nach
anßen und gegenüber unberechtigten partikularistischeu Strömungen für den
Neichsgedanken einzutreten. Das ist immerhin bei der Lage, in der sich
Deutschland noch befindet, ein großes Verdienst; dabei kann man schon über
einige Äußerlichkeiten von komischer Wirkung, wie die lärmenden Kundgebungen
des Hurrapatriotismus und die häufigen Selbstkvmplimcntirungen in Rede
und Presse, die in dem Grade zunahmen, wie die Partei quantitativ und
qualitativ zurückging, leicht hinwegsehen.




Grcnzvoten II 189840
Die hannoverschen Nationalliberaleil

tisches Gebare» immer unsicherer und schwankender, und das Mißverhältnis
zwischen ihren hochtönenden Worten und ihren schwächlichen Thaten machte sie
zum Gegenstande einer nicht schmeichelhaften Heiterkeit bei allen andern poli¬
tischen Parteien. Ihre Anschauungen und Gesinnungen in allen Fragen, die
mit den Volksrechten im Zusammenhange standen, hatten sich in Wahrheit
verwandelt, sodaß sie sich in vielen Punkten mit nicht allzu extremen Konser¬
vativen berührten, gleichwohl konnten und können sie sich bis auf den heutigen
Tag nicht entschließen, das verschliffene liberale Gewand abzulegen, sie halten
es noch immer für nützlich, den Schein aufrecht zu erhalten, daß in ihrem
Lager die liberale Gedankenwelt eine feste Stütze habe. Wen sie damit zu
täuschen gedenken, ist nicht recht ersichtlich.

Um gerecht zu sein, muß man zugestehen, daß sich die matte und
schwankende Haltung der Nationalliberalen auf die innere Politik beschränkte,
und man muß andrerseits anerkennen, daß die Partei ihrem ursprünglichen
„nationalen" Programm und ihrer nationalen Überlieferung zu keiner Zeit
untren gewesen ist. Niemand wird den dentschen Patriotismus der National¬
liberalen bestreiten wollen, kein Unbefangner wird leugnen, daß sie in deutscheu
Fragen, in Militär- und Marineangelegenheiten, in der Kolonialpolitik einen
weit freiern Blick gezeigt haben und auf einer höhern Warte stehen, als ihre
frühern Freunde auf der Linken nebst den süddeutschen Demokraten, deren
Widerwilligkeit in allen diesen Angelegenheiten durch ihren ingrimmigen Haß
gegen das konservative Regiment in Preußen und gegen den Militarismus
bestimmt wird. Die hannoverschen Nationalliberalen machten darin keine Aus¬
nahme von ihren Parteigenossen, sie haben redlich dabei mitgewirkt, wenn es
galt, für die Machtstellung und Machtentfaltung des Deutschen Reichs nach
anßen und gegenüber unberechtigten partikularistischeu Strömungen für den
Neichsgedanken einzutreten. Das ist immerhin bei der Lage, in der sich
Deutschland noch befindet, ein großes Verdienst; dabei kann man schon über
einige Äußerlichkeiten von komischer Wirkung, wie die lärmenden Kundgebungen
des Hurrapatriotismus und die häufigen Selbstkvmplimcntirungen in Rede
und Presse, die in dem Grade zunahmen, wie die Partei quantitativ und
qualitativ zurückging, leicht hinwegsehen.




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[0321] Die hannoverschen Nationalliberaleil tisches Gebare» immer unsicherer und schwankender, und das Mißverhältnis zwischen ihren hochtönenden Worten und ihren schwächlichen Thaten machte sie zum Gegenstande einer nicht schmeichelhaften Heiterkeit bei allen andern poli¬ tischen Parteien. Ihre Anschauungen und Gesinnungen in allen Fragen, die mit den Volksrechten im Zusammenhange standen, hatten sich in Wahrheit verwandelt, sodaß sie sich in vielen Punkten mit nicht allzu extremen Konser¬ vativen berührten, gleichwohl konnten und können sie sich bis auf den heutigen Tag nicht entschließen, das verschliffene liberale Gewand abzulegen, sie halten es noch immer für nützlich, den Schein aufrecht zu erhalten, daß in ihrem Lager die liberale Gedankenwelt eine feste Stütze habe. Wen sie damit zu täuschen gedenken, ist nicht recht ersichtlich. Um gerecht zu sein, muß man zugestehen, daß sich die matte und schwankende Haltung der Nationalliberalen auf die innere Politik beschränkte, und man muß andrerseits anerkennen, daß die Partei ihrem ursprünglichen „nationalen" Programm und ihrer nationalen Überlieferung zu keiner Zeit untren gewesen ist. Niemand wird den dentschen Patriotismus der National¬ liberalen bestreiten wollen, kein Unbefangner wird leugnen, daß sie in deutscheu Fragen, in Militär- und Marineangelegenheiten, in der Kolonialpolitik einen weit freiern Blick gezeigt haben und auf einer höhern Warte stehen, als ihre frühern Freunde auf der Linken nebst den süddeutschen Demokraten, deren Widerwilligkeit in allen diesen Angelegenheiten durch ihren ingrimmigen Haß gegen das konservative Regiment in Preußen und gegen den Militarismus bestimmt wird. Die hannoverschen Nationalliberalen machten darin keine Aus¬ nahme von ihren Parteigenossen, sie haben redlich dabei mitgewirkt, wenn es galt, für die Machtstellung und Machtentfaltung des Deutschen Reichs nach anßen und gegenüber unberechtigten partikularistischeu Strömungen für den Neichsgedanken einzutreten. Das ist immerhin bei der Lage, in der sich Deutschland noch befindet, ein großes Verdienst; dabei kann man schon über einige Äußerlichkeiten von komischer Wirkung, wie die lärmenden Kundgebungen des Hurrapatriotismus und die häufigen Selbstkvmplimcntirungen in Rede und Presse, die in dem Grade zunahmen, wie die Partei quantitativ und qualitativ zurückging, leicht hinwegsehen. Grcnzvoten II 189840

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/321>, abgerufen am 23.07.2024.