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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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verschmolzen werden, und daß man in absehbarer Zeit bei der berufsgenosseuschaftlich
organisirten allgemeinen Zwangsversicherung anlangen wird; da die Entschädignngs-
Pflicht den einzelnen Unternehmern auferlegt ist, die kleinern unter diesen daher
durch größere Unglücksfälle in ihrer Existenz bedroht werden, während gleichzeitig
der Bankrott der Unternehmer den Anspruch der Entschädigungsberechtigten ge¬
fährdet, so werden sich sowohl die Arbeiter wie die Unternehmer gezwungen sehen,
auf das genannte Ziel loszusteuern. -- Dr. Nikolaus Buschmann giebt in seiner
Broschüre: Die Arbeitslosigkeit und die Berufsorganisationen (Berlin,
Puttkammer und Mühlbrecht, 1897) zunächst eine dankenswerte Übersicht über die bis¬
herigen Versuche einer Regelung des Arbeitsnachweises und macht dann eigne Vor¬
schläge. Er bestreitet, daß die Kommunen die geeigneten Träger einer mit Arbeits¬
nachweis verbundnen Arbeitslosenversicherung seien. Eine Spezialisirung nach Ge¬
werben lasse sich im Umfange einer mittleren Stadt nicht durchführen, weil da die
Zahl der jeder Unterstützungskasse Angehörigen zu klein sei. Würden aber alle
Arbeiter zusammengeworfen, so ergäben sich arge Übelstände. Am öftesten werde
die zahlreiche Klasse der ungelernten Arbeiter von Arbeitslosigkeit betroffen. Sei
nun die Versicherung fakultativ, so würden gerade die zahlungsfähigsten Arbeiter,
die der höhern Gewerbe, auf die Teilnahme verzichten, um nicht für die ungelernten
zahlen zu müssen; werde dagegen die Versicherung obligatorisch gemacht, so trete
diese Schädigung der gelernten Arbeiter wirklich ein. Der Verfasser will daher,
daß die Verhinderungspflicht Arbeiterberufsvereinen auferlegt werde, die vom Staate
organisirt werden und von ihm eine Geldhilfe erhalten sollen. Unmöglich ist es
ja nicht, daß wir mit der Zeit zu dieser Lösung der Schwierigkeit gelangen, nachdem
der Staat einmal den Weg der Zwangsversicherungen beschritten hat. -- Was zu
viel ist, ist zu viel! Die Statistik ist eine interessante Wissenschaft, die unter Um¬
ständen gute Dienste leistet und heutzutage Wohl nicht mehr zu entbehren ist, ober
wenn man uns Tabellen mit Textbegleitnng aufbürdet, aus denen wir z. B. er¬
fahren, daß von den zu Stockholm in der Flaschenkapselfabrikation beschäftigte!! Ar¬
beiterinnen vier aus Östergötland und Gotland und fünf aus Vestmanland und
Nerike stammen, und daß von den fünf in der Milchabliefcrung beschäftigten Ar¬
beiterinnen je eine den Gesnndheitsklassen a, b, e im Wohnnngsverhältnis 1 an¬
gehört, während sich die zwei übrigen mit Wvhnuugsverhältuis II begnügen müssen,
aber sich dennoch der gute" Gesundheit der Klasse ii. erfreuen, so ist das entschieden
zu viel, und wir fühlen uns weder durch den Nezensentenberuf noch als Svzial-
pvlitiker verpflichtet, solche Tabellen durchzustudireu, wie sie die Schrift des
Dr. I. A. Leffler: Zur Kenntnis von den Lebens- und Lvhnverhnltnisse" in¬
dustrieller Arbeiterinnen in Stockholm (Leipzig, Duncker und Humblot, 1898)
enthält. Wenn wir lesen, daß in einem Berufe alljährlich ein paar hundert Menschen
tödlich verunglücken und ein paar tausend sich erhebliche Verwundungen zuziehen,
so rechtfertigt das schon eher eine statistische Aufnahme. Das einzige interessante
an der Broschüre ist, daß sie die Vermutung bestätigt, die wir ir priori hegen, es
könnten in der mäßig großen Hauptstadt eines dünn bevölkerten Landes, dessen
tüchtige germanische Einwohner meistens von Landwirtschaft leben, die Arbeiter-
Verhältnisse nicht gerade unerfreulich sein. Daß die Leutchen dort noch nicht allzu
sehr von der Kvnknrrenzhche ergriffen sind> darf man wohl ans dem Umstände
schließen, daß die wöchentliche Arbeitszeit durchschnittlich K0 Stunden beträgt, >"
keinem Gewerbe 69 übersteigt, und daß Sonntagsnrbeit äußerst selten vorkommt.




verschmolzen werden, und daß man in absehbarer Zeit bei der berufsgenosseuschaftlich
organisirten allgemeinen Zwangsversicherung anlangen wird; da die Entschädignngs-
Pflicht den einzelnen Unternehmern auferlegt ist, die kleinern unter diesen daher
durch größere Unglücksfälle in ihrer Existenz bedroht werden, während gleichzeitig
der Bankrott der Unternehmer den Anspruch der Entschädigungsberechtigten ge¬
fährdet, so werden sich sowohl die Arbeiter wie die Unternehmer gezwungen sehen,
auf das genannte Ziel loszusteuern. — Dr. Nikolaus Buschmann giebt in seiner
Broschüre: Die Arbeitslosigkeit und die Berufsorganisationen (Berlin,
Puttkammer und Mühlbrecht, 1897) zunächst eine dankenswerte Übersicht über die bis¬
herigen Versuche einer Regelung des Arbeitsnachweises und macht dann eigne Vor¬
schläge. Er bestreitet, daß die Kommunen die geeigneten Träger einer mit Arbeits¬
nachweis verbundnen Arbeitslosenversicherung seien. Eine Spezialisirung nach Ge¬
werben lasse sich im Umfange einer mittleren Stadt nicht durchführen, weil da die
Zahl der jeder Unterstützungskasse Angehörigen zu klein sei. Würden aber alle
Arbeiter zusammengeworfen, so ergäben sich arge Übelstände. Am öftesten werde
die zahlreiche Klasse der ungelernten Arbeiter von Arbeitslosigkeit betroffen. Sei
nun die Versicherung fakultativ, so würden gerade die zahlungsfähigsten Arbeiter,
die der höhern Gewerbe, auf die Teilnahme verzichten, um nicht für die ungelernten
zahlen zu müssen; werde dagegen die Versicherung obligatorisch gemacht, so trete
diese Schädigung der gelernten Arbeiter wirklich ein. Der Verfasser will daher,
daß die Verhinderungspflicht Arbeiterberufsvereinen auferlegt werde, die vom Staate
organisirt werden und von ihm eine Geldhilfe erhalten sollen. Unmöglich ist es
ja nicht, daß wir mit der Zeit zu dieser Lösung der Schwierigkeit gelangen, nachdem
der Staat einmal den Weg der Zwangsversicherungen beschritten hat. — Was zu
viel ist, ist zu viel! Die Statistik ist eine interessante Wissenschaft, die unter Um¬
ständen gute Dienste leistet und heutzutage Wohl nicht mehr zu entbehren ist, ober
wenn man uns Tabellen mit Textbegleitnng aufbürdet, aus denen wir z. B. er¬
fahren, daß von den zu Stockholm in der Flaschenkapselfabrikation beschäftigte!! Ar¬
beiterinnen vier aus Östergötland und Gotland und fünf aus Vestmanland und
Nerike stammen, und daß von den fünf in der Milchabliefcrung beschäftigten Ar¬
beiterinnen je eine den Gesnndheitsklassen a, b, e im Wohnnngsverhältnis 1 an¬
gehört, während sich die zwei übrigen mit Wvhnuugsverhältuis II begnügen müssen,
aber sich dennoch der gute» Gesundheit der Klasse ii. erfreuen, so ist das entschieden
zu viel, und wir fühlen uns weder durch den Nezensentenberuf noch als Svzial-
pvlitiker verpflichtet, solche Tabellen durchzustudireu, wie sie die Schrift des
Dr. I. A. Leffler: Zur Kenntnis von den Lebens- und Lvhnverhnltnisse» in¬
dustrieller Arbeiterinnen in Stockholm (Leipzig, Duncker und Humblot, 1898)
enthält. Wenn wir lesen, daß in einem Berufe alljährlich ein paar hundert Menschen
tödlich verunglücken und ein paar tausend sich erhebliche Verwundungen zuziehen,
so rechtfertigt das schon eher eine statistische Aufnahme. Das einzige interessante
an der Broschüre ist, daß sie die Vermutung bestätigt, die wir ir priori hegen, es
könnten in der mäßig großen Hauptstadt eines dünn bevölkerten Landes, dessen
tüchtige germanische Einwohner meistens von Landwirtschaft leben, die Arbeiter-
Verhältnisse nicht gerade unerfreulich sein. Daß die Leutchen dort noch nicht allzu
sehr von der Kvnknrrenzhche ergriffen sind> darf man wohl ans dem Umstände
schließen, daß die wöchentliche Arbeitszeit durchschnittlich K0 Stunden beträgt, >»
keinem Gewerbe 69 übersteigt, und daß Sonntagsnrbeit äußerst selten vorkommt.




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[0310] verschmolzen werden, und daß man in absehbarer Zeit bei der berufsgenosseuschaftlich organisirten allgemeinen Zwangsversicherung anlangen wird; da die Entschädignngs- Pflicht den einzelnen Unternehmern auferlegt ist, die kleinern unter diesen daher durch größere Unglücksfälle in ihrer Existenz bedroht werden, während gleichzeitig der Bankrott der Unternehmer den Anspruch der Entschädigungsberechtigten ge¬ fährdet, so werden sich sowohl die Arbeiter wie die Unternehmer gezwungen sehen, auf das genannte Ziel loszusteuern. — Dr. Nikolaus Buschmann giebt in seiner Broschüre: Die Arbeitslosigkeit und die Berufsorganisationen (Berlin, Puttkammer und Mühlbrecht, 1897) zunächst eine dankenswerte Übersicht über die bis¬ herigen Versuche einer Regelung des Arbeitsnachweises und macht dann eigne Vor¬ schläge. Er bestreitet, daß die Kommunen die geeigneten Träger einer mit Arbeits¬ nachweis verbundnen Arbeitslosenversicherung seien. Eine Spezialisirung nach Ge¬ werben lasse sich im Umfange einer mittleren Stadt nicht durchführen, weil da die Zahl der jeder Unterstützungskasse Angehörigen zu klein sei. Würden aber alle Arbeiter zusammengeworfen, so ergäben sich arge Übelstände. Am öftesten werde die zahlreiche Klasse der ungelernten Arbeiter von Arbeitslosigkeit betroffen. Sei nun die Versicherung fakultativ, so würden gerade die zahlungsfähigsten Arbeiter, die der höhern Gewerbe, auf die Teilnahme verzichten, um nicht für die ungelernten zahlen zu müssen; werde dagegen die Versicherung obligatorisch gemacht, so trete diese Schädigung der gelernten Arbeiter wirklich ein. Der Verfasser will daher, daß die Verhinderungspflicht Arbeiterberufsvereinen auferlegt werde, die vom Staate organisirt werden und von ihm eine Geldhilfe erhalten sollen. Unmöglich ist es ja nicht, daß wir mit der Zeit zu dieser Lösung der Schwierigkeit gelangen, nachdem der Staat einmal den Weg der Zwangsversicherungen beschritten hat. — Was zu viel ist, ist zu viel! Die Statistik ist eine interessante Wissenschaft, die unter Um¬ ständen gute Dienste leistet und heutzutage Wohl nicht mehr zu entbehren ist, ober wenn man uns Tabellen mit Textbegleitnng aufbürdet, aus denen wir z. B. er¬ fahren, daß von den zu Stockholm in der Flaschenkapselfabrikation beschäftigte!! Ar¬ beiterinnen vier aus Östergötland und Gotland und fünf aus Vestmanland und Nerike stammen, und daß von den fünf in der Milchabliefcrung beschäftigten Ar¬ beiterinnen je eine den Gesnndheitsklassen a, b, e im Wohnnngsverhältnis 1 an¬ gehört, während sich die zwei übrigen mit Wvhnuugsverhältuis II begnügen müssen, aber sich dennoch der gute» Gesundheit der Klasse ii. erfreuen, so ist das entschieden zu viel, und wir fühlen uns weder durch den Nezensentenberuf noch als Svzial- pvlitiker verpflichtet, solche Tabellen durchzustudireu, wie sie die Schrift des Dr. I. A. Leffler: Zur Kenntnis von den Lebens- und Lvhnverhnltnisse» in¬ dustrieller Arbeiterinnen in Stockholm (Leipzig, Duncker und Humblot, 1898) enthält. Wenn wir lesen, daß in einem Berufe alljährlich ein paar hundert Menschen tödlich verunglücken und ein paar tausend sich erhebliche Verwundungen zuziehen, so rechtfertigt das schon eher eine statistische Aufnahme. Das einzige interessante an der Broschüre ist, daß sie die Vermutung bestätigt, die wir ir priori hegen, es könnten in der mäßig großen Hauptstadt eines dünn bevölkerten Landes, dessen tüchtige germanische Einwohner meistens von Landwirtschaft leben, die Arbeiter- Verhältnisse nicht gerade unerfreulich sein. Daß die Leutchen dort noch nicht allzu sehr von der Kvnknrrenzhche ergriffen sind> darf man wohl ans dem Umstände schließen, daß die wöchentliche Arbeitszeit durchschnittlich K0 Stunden beträgt, >» keinem Gewerbe 69 übersteigt, und daß Sonntagsnrbeit äußerst selten vorkommt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/310>, abgerufen am 27.12.2024.