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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich Nietzsche

glauben können. Wurde ja doch auch in Athen nicht, wie bei uns, alle Tage
Theater gespielt, sondern uur zur Feier von Götter- und Staatsfesten. Sie
vergaßen ferner, daß die Athener im Theater Weisheitslehren zu hören be¬
kamen, die sie als etwas Neues und Erbauliches mit Andacht hörten, und daß
sich die Christenheit für diesen Zweck Einrichtungen geschaffen hat, die darum
noch lange nicht überlebt waren, weil sie es am Hofe von Weimar zu sein
schienen. Und diese Veranstaltung zur Belehrung und Erbauung bietet zu¬
gleich die Aufführung eines Dramas, bei dem in der katholischen Kirche der
Priester der Anfftthrende ist, während in der evangelischen die ganze Gemeinde
für ihn eintritt, die mit ihrem Gesänge, metzschisch zu sprechen, den diony¬
sischen Chor bildet, der ja nach Nietzsche die Hauptsache und durch den Dialog
einzelner Personen zur Ungebühr zurückgedrängt worden sein soll. Dabei ist
noch zu erwägen, daß die Träger einer Handlung, von der die sittliche Er¬
neuerung oder sonst etwas Großes ausgehen soll, selbst große Charaktere sein
müssen. Die christlichen Geistlichen sind nun zwar im Durchschnitt niemals
Idealmenschen gewesen, aber man hat auch niemals aufgehört, der Idee ihres
Amtes gemäß die Forderung zu stellen, daß sie es sein sollen. Diese Forde¬
rung wird kein Vernünftiger je an den Schauspieler stellen. Der kann es gar
nicht sein. Eine komische Rolle könnte, auf der Liebhaberbühne, allenfalls auch
ein Jdealmensch übernehmen, denn hier weiß jedermann, daß es bloß Spaß ist,
und außerdem wird in der Komödie nicht die Tiefe des Charakters enthüllt,
sondern nur die Oberfläche des Menschen dargestellt: seine Manieren und
Schrullen. Wer dagegen heute den Lear, morgen den Franz Moor und über¬
morgen den Karl Moor darstellen muß, der mag ein guter Kerl und ein recht¬
schaffner Mensch sein, ein Charakter und vollends ein großer Charakter kann
er nicht sein. Nietzsche führt einmal ganz richtig aus (IX, 159), daß uns die
Darstellung eines Shakespearischen Stücks auf der Bühne anwidert und
wie eine Entweihung vorkommt; wir wollen es lieber lesen, und wiederum,
weim wir das laut thun, nicht mit Differenzirung der Stimme nach Personen
und Affekten, sondern mit einem monotonen Pathos, wie es in der Wirklich¬
keit gar nicht vorkommt. Mit einem Wort: alles Schauspielerische ist wider¬
lich. Diesem Widerlicher haben die Alten vorgebeugt: der Träger einer Rolle
war nicht Schauspieler, sondern bloß Rezitator. Seine Person verschwand
hinter der toten xersoua, der Maske, und der Ort der Aufführung nötigte
ihn zu gleichmäßigem Schreien. Es war eigentlich der Dichter, nicht der
Schauspieler, den man hörte.




Friedrich Nietzsche

glauben können. Wurde ja doch auch in Athen nicht, wie bei uns, alle Tage
Theater gespielt, sondern uur zur Feier von Götter- und Staatsfesten. Sie
vergaßen ferner, daß die Athener im Theater Weisheitslehren zu hören be¬
kamen, die sie als etwas Neues und Erbauliches mit Andacht hörten, und daß
sich die Christenheit für diesen Zweck Einrichtungen geschaffen hat, die darum
noch lange nicht überlebt waren, weil sie es am Hofe von Weimar zu sein
schienen. Und diese Veranstaltung zur Belehrung und Erbauung bietet zu¬
gleich die Aufführung eines Dramas, bei dem in der katholischen Kirche der
Priester der Anfftthrende ist, während in der evangelischen die ganze Gemeinde
für ihn eintritt, die mit ihrem Gesänge, metzschisch zu sprechen, den diony¬
sischen Chor bildet, der ja nach Nietzsche die Hauptsache und durch den Dialog
einzelner Personen zur Ungebühr zurückgedrängt worden sein soll. Dabei ist
noch zu erwägen, daß die Träger einer Handlung, von der die sittliche Er¬
neuerung oder sonst etwas Großes ausgehen soll, selbst große Charaktere sein
müssen. Die christlichen Geistlichen sind nun zwar im Durchschnitt niemals
Idealmenschen gewesen, aber man hat auch niemals aufgehört, der Idee ihres
Amtes gemäß die Forderung zu stellen, daß sie es sein sollen. Diese Forde¬
rung wird kein Vernünftiger je an den Schauspieler stellen. Der kann es gar
nicht sein. Eine komische Rolle könnte, auf der Liebhaberbühne, allenfalls auch
ein Jdealmensch übernehmen, denn hier weiß jedermann, daß es bloß Spaß ist,
und außerdem wird in der Komödie nicht die Tiefe des Charakters enthüllt,
sondern nur die Oberfläche des Menschen dargestellt: seine Manieren und
Schrullen. Wer dagegen heute den Lear, morgen den Franz Moor und über¬
morgen den Karl Moor darstellen muß, der mag ein guter Kerl und ein recht¬
schaffner Mensch sein, ein Charakter und vollends ein großer Charakter kann
er nicht sein. Nietzsche führt einmal ganz richtig aus (IX, 159), daß uns die
Darstellung eines Shakespearischen Stücks auf der Bühne anwidert und
wie eine Entweihung vorkommt; wir wollen es lieber lesen, und wiederum,
weim wir das laut thun, nicht mit Differenzirung der Stimme nach Personen
und Affekten, sondern mit einem monotonen Pathos, wie es in der Wirklich¬
keit gar nicht vorkommt. Mit einem Wort: alles Schauspielerische ist wider¬
lich. Diesem Widerlicher haben die Alten vorgebeugt: der Träger einer Rolle
war nicht Schauspieler, sondern bloß Rezitator. Seine Person verschwand
hinter der toten xersoua, der Maske, und der Ort der Aufführung nötigte
ihn zu gleichmäßigem Schreien. Es war eigentlich der Dichter, nicht der
Schauspieler, den man hörte.




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[0296] Friedrich Nietzsche glauben können. Wurde ja doch auch in Athen nicht, wie bei uns, alle Tage Theater gespielt, sondern uur zur Feier von Götter- und Staatsfesten. Sie vergaßen ferner, daß die Athener im Theater Weisheitslehren zu hören be¬ kamen, die sie als etwas Neues und Erbauliches mit Andacht hörten, und daß sich die Christenheit für diesen Zweck Einrichtungen geschaffen hat, die darum noch lange nicht überlebt waren, weil sie es am Hofe von Weimar zu sein schienen. Und diese Veranstaltung zur Belehrung und Erbauung bietet zu¬ gleich die Aufführung eines Dramas, bei dem in der katholischen Kirche der Priester der Anfftthrende ist, während in der evangelischen die ganze Gemeinde für ihn eintritt, die mit ihrem Gesänge, metzschisch zu sprechen, den diony¬ sischen Chor bildet, der ja nach Nietzsche die Hauptsache und durch den Dialog einzelner Personen zur Ungebühr zurückgedrängt worden sein soll. Dabei ist noch zu erwägen, daß die Träger einer Handlung, von der die sittliche Er¬ neuerung oder sonst etwas Großes ausgehen soll, selbst große Charaktere sein müssen. Die christlichen Geistlichen sind nun zwar im Durchschnitt niemals Idealmenschen gewesen, aber man hat auch niemals aufgehört, der Idee ihres Amtes gemäß die Forderung zu stellen, daß sie es sein sollen. Diese Forde¬ rung wird kein Vernünftiger je an den Schauspieler stellen. Der kann es gar nicht sein. Eine komische Rolle könnte, auf der Liebhaberbühne, allenfalls auch ein Jdealmensch übernehmen, denn hier weiß jedermann, daß es bloß Spaß ist, und außerdem wird in der Komödie nicht die Tiefe des Charakters enthüllt, sondern nur die Oberfläche des Menschen dargestellt: seine Manieren und Schrullen. Wer dagegen heute den Lear, morgen den Franz Moor und über¬ morgen den Karl Moor darstellen muß, der mag ein guter Kerl und ein recht¬ schaffner Mensch sein, ein Charakter und vollends ein großer Charakter kann er nicht sein. Nietzsche führt einmal ganz richtig aus (IX, 159), daß uns die Darstellung eines Shakespearischen Stücks auf der Bühne anwidert und wie eine Entweihung vorkommt; wir wollen es lieber lesen, und wiederum, weim wir das laut thun, nicht mit Differenzirung der Stimme nach Personen und Affekten, sondern mit einem monotonen Pathos, wie es in der Wirklich¬ keit gar nicht vorkommt. Mit einem Wort: alles Schauspielerische ist wider¬ lich. Diesem Widerlicher haben die Alten vorgebeugt: der Träger einer Rolle war nicht Schauspieler, sondern bloß Rezitator. Seine Person verschwand hinter der toten xersoua, der Maske, und der Ort der Aufführung nötigte ihn zu gleichmäßigem Schreien. Es war eigentlich der Dichter, nicht der Schauspieler, den man hörte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/296>, abgerufen am 27.12.2024.