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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Dasein, das viele neben der Mündelmutter wider ihren Willen bestellte Vor¬
münder besonders in größern Städten zu führen Pflegen.

Es ist vielleicht die größte, jedenfalls aber die erfreulichste Überraschung
gewesen, daß das bürgerliche Gesetzbuch in diesem Punkte die Frau, die Mutter
in ihre natürlichen Rechte wieder eingesetzt hat. Auch dies ist keine mühsam
erkämpfte Errungenschaft der Frauenbewegung, sondern das wertvolle Ver¬
mächtnis, mit dem das französische Recht sein Dasein in Deutschland verewigt
hat; schon der erste Entwurf hat es im Gegensatze zu dem Rechte sast
des ganzen Deutschen Reichs übernommen und mit vorsichtig abwägenden
Worten begründet: "Es ist nicht ein öffentliches Amt, durch welches der
Mutter fremde Geschäfte vou außen überwiesen werden; vielmehr handelt
es sich wesentlich doch nur um eine Erweiterung ihrer familienrechtlichen
Stellung, um eine vollere Ausgestaltung ihres hausfraulichen und mütter¬
lichen Berufs. Die Mutter soll nicht aus ihrem natürlichen Berufe heraus¬
gehoben, sondern im Gegenteil nur von Schranken befreit werden, welche
sie bisher in der Erfüllung des ihr eignen Berufs beengten. Dem Ent¬
Wurfe liegt nichts ferner, als der Gedanke der sogenannten Emanzipation der
Frauen. Er geht vielmehr von der Erwägung aus, daß das Mißtrauen,
welches frühere Jahrhunderte in die Fähigkeit der Frau zu einer vollen Er¬
füllung ihres elterlichen Berufs setzten und bei der Unsicherheit der Zustände,
der Schwierigkeit der Rechtsverfolguug usw. vielfach setzen mußten, nach den
Verhältnissen der Gegenwart nicht mehr berechtigt ist. ... In den weitaus
meisten Fällen kann die Fähigkeit der Mutter zur Übernahme dieser vollem
Elternpflicht nicht wohl in Zweifel gezogen werden. . . . Wie die Anerkennung
der elterlichen Gewalt der Mutter einerseits das innere Familienleben vor der
sich eindrängenden Einmischung vormundschaftlicher Aufsichtsorgaue bewahrt,
so vermindert sie andrerseits in erheblicher Weise die Geschäfte der Vormund¬
schaftsgerichte, entlastet die durch die neuere Gesetzgebung auf andern Gebieten
mehr als früher in Anspruch genommne Thätigkeit der Staatsbürger ans dem
Gebiete der Vormundschaftsverwaltung und erspart so nicht allein dem Staate,
sondern auch den Kindern und den Staatsbürgern nicht unerhebliche Kosten
und Ausgaben."

Nach dem französischen Rechte hat die Witwe, ebenso wie der Vater in
demselben Falle, nur die Stellung eines gesetzlichen, aber immerhin beaufsich¬
tigten Vormunds mit Erziehungsrecht und elterlichen Nießbrauch an dem Ver¬
mögen des Mündels; dies ist dem bürgerlichen Gesetzbuch fremd; wie der Tod
der Frau die Rechtsstellung des Vaters zu den minderjährigen Kindern nicht
berührt, so erlangt die Mutter durch den Tod des Vaters aus eignem Rechte
und ohne jede Einmischung und Mitwirkung des Vormundschaftsgerichts die
volle elterliche Gewalt; das bürgerliche Gesetzbuch kennt keine väterliche Gewalt
mehr, .sondern nur eine elterliche Gewalt, die bei seinen Lebzeiten dem Vater,


Dasein, das viele neben der Mündelmutter wider ihren Willen bestellte Vor¬
münder besonders in größern Städten zu führen Pflegen.

Es ist vielleicht die größte, jedenfalls aber die erfreulichste Überraschung
gewesen, daß das bürgerliche Gesetzbuch in diesem Punkte die Frau, die Mutter
in ihre natürlichen Rechte wieder eingesetzt hat. Auch dies ist keine mühsam
erkämpfte Errungenschaft der Frauenbewegung, sondern das wertvolle Ver¬
mächtnis, mit dem das französische Recht sein Dasein in Deutschland verewigt
hat; schon der erste Entwurf hat es im Gegensatze zu dem Rechte sast
des ganzen Deutschen Reichs übernommen und mit vorsichtig abwägenden
Worten begründet: „Es ist nicht ein öffentliches Amt, durch welches der
Mutter fremde Geschäfte vou außen überwiesen werden; vielmehr handelt
es sich wesentlich doch nur um eine Erweiterung ihrer familienrechtlichen
Stellung, um eine vollere Ausgestaltung ihres hausfraulichen und mütter¬
lichen Berufs. Die Mutter soll nicht aus ihrem natürlichen Berufe heraus¬
gehoben, sondern im Gegenteil nur von Schranken befreit werden, welche
sie bisher in der Erfüllung des ihr eignen Berufs beengten. Dem Ent¬
Wurfe liegt nichts ferner, als der Gedanke der sogenannten Emanzipation der
Frauen. Er geht vielmehr von der Erwägung aus, daß das Mißtrauen,
welches frühere Jahrhunderte in die Fähigkeit der Frau zu einer vollen Er¬
füllung ihres elterlichen Berufs setzten und bei der Unsicherheit der Zustände,
der Schwierigkeit der Rechtsverfolguug usw. vielfach setzen mußten, nach den
Verhältnissen der Gegenwart nicht mehr berechtigt ist. ... In den weitaus
meisten Fällen kann die Fähigkeit der Mutter zur Übernahme dieser vollem
Elternpflicht nicht wohl in Zweifel gezogen werden. . . . Wie die Anerkennung
der elterlichen Gewalt der Mutter einerseits das innere Familienleben vor der
sich eindrängenden Einmischung vormundschaftlicher Aufsichtsorgaue bewahrt,
so vermindert sie andrerseits in erheblicher Weise die Geschäfte der Vormund¬
schaftsgerichte, entlastet die durch die neuere Gesetzgebung auf andern Gebieten
mehr als früher in Anspruch genommne Thätigkeit der Staatsbürger ans dem
Gebiete der Vormundschaftsverwaltung und erspart so nicht allein dem Staate,
sondern auch den Kindern und den Staatsbürgern nicht unerhebliche Kosten
und Ausgaben."

Nach dem französischen Rechte hat die Witwe, ebenso wie der Vater in
demselben Falle, nur die Stellung eines gesetzlichen, aber immerhin beaufsich¬
tigten Vormunds mit Erziehungsrecht und elterlichen Nießbrauch an dem Ver¬
mögen des Mündels; dies ist dem bürgerlichen Gesetzbuch fremd; wie der Tod
der Frau die Rechtsstellung des Vaters zu den minderjährigen Kindern nicht
berührt, so erlangt die Mutter durch den Tod des Vaters aus eignem Rechte
und ohne jede Einmischung und Mitwirkung des Vormundschaftsgerichts die
volle elterliche Gewalt; das bürgerliche Gesetzbuch kennt keine väterliche Gewalt
mehr, .sondern nur eine elterliche Gewalt, die bei seinen Lebzeiten dem Vater,


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[0282] Dasein, das viele neben der Mündelmutter wider ihren Willen bestellte Vor¬ münder besonders in größern Städten zu führen Pflegen. Es ist vielleicht die größte, jedenfalls aber die erfreulichste Überraschung gewesen, daß das bürgerliche Gesetzbuch in diesem Punkte die Frau, die Mutter in ihre natürlichen Rechte wieder eingesetzt hat. Auch dies ist keine mühsam erkämpfte Errungenschaft der Frauenbewegung, sondern das wertvolle Ver¬ mächtnis, mit dem das französische Recht sein Dasein in Deutschland verewigt hat; schon der erste Entwurf hat es im Gegensatze zu dem Rechte sast des ganzen Deutschen Reichs übernommen und mit vorsichtig abwägenden Worten begründet: „Es ist nicht ein öffentliches Amt, durch welches der Mutter fremde Geschäfte vou außen überwiesen werden; vielmehr handelt es sich wesentlich doch nur um eine Erweiterung ihrer familienrechtlichen Stellung, um eine vollere Ausgestaltung ihres hausfraulichen und mütter¬ lichen Berufs. Die Mutter soll nicht aus ihrem natürlichen Berufe heraus¬ gehoben, sondern im Gegenteil nur von Schranken befreit werden, welche sie bisher in der Erfüllung des ihr eignen Berufs beengten. Dem Ent¬ Wurfe liegt nichts ferner, als der Gedanke der sogenannten Emanzipation der Frauen. Er geht vielmehr von der Erwägung aus, daß das Mißtrauen, welches frühere Jahrhunderte in die Fähigkeit der Frau zu einer vollen Er¬ füllung ihres elterlichen Berufs setzten und bei der Unsicherheit der Zustände, der Schwierigkeit der Rechtsverfolguug usw. vielfach setzen mußten, nach den Verhältnissen der Gegenwart nicht mehr berechtigt ist. ... In den weitaus meisten Fällen kann die Fähigkeit der Mutter zur Übernahme dieser vollem Elternpflicht nicht wohl in Zweifel gezogen werden. . . . Wie die Anerkennung der elterlichen Gewalt der Mutter einerseits das innere Familienleben vor der sich eindrängenden Einmischung vormundschaftlicher Aufsichtsorgaue bewahrt, so vermindert sie andrerseits in erheblicher Weise die Geschäfte der Vormund¬ schaftsgerichte, entlastet die durch die neuere Gesetzgebung auf andern Gebieten mehr als früher in Anspruch genommne Thätigkeit der Staatsbürger ans dem Gebiete der Vormundschaftsverwaltung und erspart so nicht allein dem Staate, sondern auch den Kindern und den Staatsbürgern nicht unerhebliche Kosten und Ausgaben." Nach dem französischen Rechte hat die Witwe, ebenso wie der Vater in demselben Falle, nur die Stellung eines gesetzlichen, aber immerhin beaufsich¬ tigten Vormunds mit Erziehungsrecht und elterlichen Nießbrauch an dem Ver¬ mögen des Mündels; dies ist dem bürgerlichen Gesetzbuch fremd; wie der Tod der Frau die Rechtsstellung des Vaters zu den minderjährigen Kindern nicht berührt, so erlangt die Mutter durch den Tod des Vaters aus eignem Rechte und ohne jede Einmischung und Mitwirkung des Vormundschaftsgerichts die volle elterliche Gewalt; das bürgerliche Gesetzbuch kennt keine väterliche Gewalt mehr, .sondern nur eine elterliche Gewalt, die bei seinen Lebzeiten dem Vater,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/282>, abgerufen am 23.07.2024.