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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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General Friedrich von Gagern

Verdanke, wurden von fremden, ausländischen Interessen ^ vielleicht ge¬
leitet --, ganz gewiß durch diese auswärtigen Dienstverhältnisse in ihrer
Thätigkeit gehemmt; und es ist klar, daß diese Herren, nachdem sie unser und
unsrer Kinder Wohl so sest begründet haben, für das ihrer eignen Kinder am
besten zu sorgen glaubten, wenn sie ihnen den Jammer sparten -- Deutsche
zu sein."

So schrieb der Dreißigjährige an und für den Vater, doch ohne Persön-
lichen Groll. Wir vermögen uns gar nicht vorzustellen, nachdem wir ein
Deutsches Reich haben, was damals in der Seele eines Mannes vorging, der
in jeder Faser ein Deutscher war und doch kein Vaterland hatte.

Seine sehr interessanten Briefe, politischen Aufsätze und Reisetagebücher,
ihrer Natur und seiner Stellung nach nicht für die Öffentlichkeit bestimmt,
wanderten in die Schublade des Vaters, der sie mit Randbemerkungen in
seinem Sinne versah, höchstens kamen sie noch den engern Familiengliedern zu
Gesicht. Bekannt wurden sie erst dnrch das dreibändige Werk "Das Leben
des Generals Friedrich von Gagern" (Leipzig und Heidelberg, F. C. Winter,
1856/57), das Heinrich von Gagern dem Andenken des Bruders widmete, ein
etwas weitschweifiges, aber immerhin noch sehr lesenswertes Buch. Uns ist gar
manches schon als sicheres Geschenk in der Wiege eingebunden worden, was den
Besten der Nation vor fünfzig Jahren noch Gegenstand unklarer Erörterung
war, und nur mit Überwindung vermögen wir uns darum durch die phan¬
tastische Weitschweifigkeit hindurchzuarbeiten, die damals, als die Nationalver¬
sammlung in der Paulskirche tagte, als Blüte politischer Weisheit galt; aber
noch immer fesseln die helle Beweisführung, der sichere Ausdruck, die die
Schriften Friedrich von Gagerns schon aus den zwanziger und dreißiger Jahren
auszeichneten. Mit Staunen begegnet mau Gedanken und Ausführungen, die
dreißig und fünfzig Jahre später aus den Schriften Treitschkes und in den
Reden Bismarcks an das Herz der Nation schlugen. Scharfer Verstand, Ruhe
und sachliche Gediegenheit, knappe, schmucklose Darstellungsweise verleihen den
Ausführungen des thatkräftigen Mannes, den keine allgemein giltige Phrase,
leine blendende Überlieferung zu beirren vermag, einen unwiderstehlichen Reiz
und zeigen eine ritterliche, dem Idealen zugewandte Gesinnung, eine reiche,
vielseitig entwickelte Seele, völliges Aufgehen in der Größe seines Volkes, des
Vaterlandes, dem er äußerlich fern stand, dem er aber den Rest seines Lebens
zu widmen hoffte.

Jener zuknnftreiche politische Plan, der zuerst als unbestimmt ferne Aus¬
sicht vor Fichtes Seele geschwebt hatte, der Plan des deutschen Vundesstaats
unter Preußens Führung stand schon 1823 in greifbarer Gestalt in Gagerns
Seele fest begründet da. Paul Pfizer, der erst über ein Jahrzehnt später mit
dem gleichen Gedanken an die Öffentlichkeit trat, eroberte sich damit einen
Ehrenplatz in der Geschichte der deutschen nationalen Bewegung, aber sollte es


General Friedrich von Gagern

Verdanke, wurden von fremden, ausländischen Interessen ^ vielleicht ge¬
leitet —, ganz gewiß durch diese auswärtigen Dienstverhältnisse in ihrer
Thätigkeit gehemmt; und es ist klar, daß diese Herren, nachdem sie unser und
unsrer Kinder Wohl so sest begründet haben, für das ihrer eignen Kinder am
besten zu sorgen glaubten, wenn sie ihnen den Jammer sparten — Deutsche
zu sein."

So schrieb der Dreißigjährige an und für den Vater, doch ohne Persön-
lichen Groll. Wir vermögen uns gar nicht vorzustellen, nachdem wir ein
Deutsches Reich haben, was damals in der Seele eines Mannes vorging, der
in jeder Faser ein Deutscher war und doch kein Vaterland hatte.

Seine sehr interessanten Briefe, politischen Aufsätze und Reisetagebücher,
ihrer Natur und seiner Stellung nach nicht für die Öffentlichkeit bestimmt,
wanderten in die Schublade des Vaters, der sie mit Randbemerkungen in
seinem Sinne versah, höchstens kamen sie noch den engern Familiengliedern zu
Gesicht. Bekannt wurden sie erst dnrch das dreibändige Werk „Das Leben
des Generals Friedrich von Gagern" (Leipzig und Heidelberg, F. C. Winter,
1856/57), das Heinrich von Gagern dem Andenken des Bruders widmete, ein
etwas weitschweifiges, aber immerhin noch sehr lesenswertes Buch. Uns ist gar
manches schon als sicheres Geschenk in der Wiege eingebunden worden, was den
Besten der Nation vor fünfzig Jahren noch Gegenstand unklarer Erörterung
war, und nur mit Überwindung vermögen wir uns darum durch die phan¬
tastische Weitschweifigkeit hindurchzuarbeiten, die damals, als die Nationalver¬
sammlung in der Paulskirche tagte, als Blüte politischer Weisheit galt; aber
noch immer fesseln die helle Beweisführung, der sichere Ausdruck, die die
Schriften Friedrich von Gagerns schon aus den zwanziger und dreißiger Jahren
auszeichneten. Mit Staunen begegnet mau Gedanken und Ausführungen, die
dreißig und fünfzig Jahre später aus den Schriften Treitschkes und in den
Reden Bismarcks an das Herz der Nation schlugen. Scharfer Verstand, Ruhe
und sachliche Gediegenheit, knappe, schmucklose Darstellungsweise verleihen den
Ausführungen des thatkräftigen Mannes, den keine allgemein giltige Phrase,
leine blendende Überlieferung zu beirren vermag, einen unwiderstehlichen Reiz
und zeigen eine ritterliche, dem Idealen zugewandte Gesinnung, eine reiche,
vielseitig entwickelte Seele, völliges Aufgehen in der Größe seines Volkes, des
Vaterlandes, dem er äußerlich fern stand, dem er aber den Rest seines Lebens
zu widmen hoffte.

Jener zuknnftreiche politische Plan, der zuerst als unbestimmt ferne Aus¬
sicht vor Fichtes Seele geschwebt hatte, der Plan des deutschen Vundesstaats
unter Preußens Führung stand schon 1823 in greifbarer Gestalt in Gagerns
Seele fest begründet da. Paul Pfizer, der erst über ein Jahrzehnt später mit
dem gleichen Gedanken an die Öffentlichkeit trat, eroberte sich damit einen
Ehrenplatz in der Geschichte der deutschen nationalen Bewegung, aber sollte es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/271>, abgerufen am 28.12.2024.