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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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General Friedrich von Gagern

Feldzug mit der Schlacht bei Hasselt. Hieran schloß sich eine dauernde Kriegs¬
bereitschaft des holländischen Heeres in Nordbrabant, die bis 1839 währte,
bis die Niederlande endlich nachgaben. Gagern war 1834 zum Oberstleutnant
befördert worden, trat 1839 ans seinen Wunsch zur Kavallerie über, avancirte
zum Obersten und begleitete in diesem Jahre den Prinzen von Oranien auf
einer Reise nach Petersburg und Moskau.

Seine reich begabte und kräftige Persönlichkeit hatte dnrch die Anregungen
des Vaters, durch eifriges Selbststudium und durch die Mannigfaltigkeit der
gesellschaftlichen und militärischen Beziehungen, mit denen ihn seine Dienst¬
und Lebensverhültnisse in Berührung brachten, eine weit über das Gewöhn¬
liche hinausgehende Entwicklung genommen. Durch Dienst und gesellige Ver¬
hältnisse gehörte er Wohl den Niederlanden an, wo man ihm nie, auch nicht
unter den schwierigsten Verhältnissen, den Ausländer anrechnete, aber durch
die Bande der Familie und des Vaterlands blieb er im Herzen stets ein
Deutscher, und nie verließ ihn das hoffende Sehnen, endlich einmal für Deutsch¬
land etwas thun zu können. Vom Vater veranlaßt, hat er in gedankenreichen
Briefen, noch mehr aber in einer großen Anzahl politischer Aufsätze einen
wunderbar klaren Scharfblick für staatliche und militärische Verhältnisse, nament¬
lich über die Lage in Deutschland, gezeigt, zunächst im vollsten Gegensatz zu
der phantasievollcn Anschauungsweise des Vaters.

Dieser geistige Ideenaustausch zwischen Vater und Sohn trug einen seltsamen
Charakter, beruhte aber auf vertrauensvoller gegenseitiger Offenheit und be¬
wegte sich in den Formen diplomatischer Feinheit und zartfühlender Höflichkeit.
Als Beispiel möge hier eine der bittersten Auslassungen Friedrichs aus dem
Jahre 1824, wo er das Bundestagselend in Frankfurt deutlich vor Augen
hatte, angeführt werden: "Ich will Thatsachen sprechen lassen, die den Zu¬
stand der Nation schildern. In welchen Verhältnissen stehen oder standen die
Staatsmänner, welche in der letzten Zeit den größten Einfluß auf deutsche
Politik gehabt haben -- die Männer, die im guten oder bösen Sinne am
meisten genannt werden: 1. Der Fürst Metternich veräußert seiue deutschen
Güter, um andre, Gott weiß wo, in Kroatien oder Slawonien zu kaufen, und
bald wird er in Deutschland nichts mehr besitzen. 2. Graf Münster war in
Wien ein Mann von großem Einfluß. Es ist bekannt, daß seine hochschwangere
Frau sich einschiffen mußte, um in London von einem -- Engländer zu ge¬
nesen. 3. Der Freiherr vom Stein hat die Zentralverwaltung der Verbündeten
in Deutschland geleitet als -- russischer Staatsminister! 4. Freiherr von
Gagern trat in Wien und Frankfurt auf als niederländischer Gesandter.
5. Der deutsche Ritter, der bei der Krönung des deutschen Kaisers aufgerufen
wurde, der Stammherr des Hauses Dalberg, erschien beim Kongreß zu Wien --
als französischer Gesandter, Herzog und Pair. Ist es nötig, Folgerungen zu
ziehen? Viele der Männer, welchen Deutschland seine politische Gestaltung


General Friedrich von Gagern

Feldzug mit der Schlacht bei Hasselt. Hieran schloß sich eine dauernde Kriegs¬
bereitschaft des holländischen Heeres in Nordbrabant, die bis 1839 währte,
bis die Niederlande endlich nachgaben. Gagern war 1834 zum Oberstleutnant
befördert worden, trat 1839 ans seinen Wunsch zur Kavallerie über, avancirte
zum Obersten und begleitete in diesem Jahre den Prinzen von Oranien auf
einer Reise nach Petersburg und Moskau.

Seine reich begabte und kräftige Persönlichkeit hatte dnrch die Anregungen
des Vaters, durch eifriges Selbststudium und durch die Mannigfaltigkeit der
gesellschaftlichen und militärischen Beziehungen, mit denen ihn seine Dienst¬
und Lebensverhültnisse in Berührung brachten, eine weit über das Gewöhn¬
liche hinausgehende Entwicklung genommen. Durch Dienst und gesellige Ver¬
hältnisse gehörte er Wohl den Niederlanden an, wo man ihm nie, auch nicht
unter den schwierigsten Verhältnissen, den Ausländer anrechnete, aber durch
die Bande der Familie und des Vaterlands blieb er im Herzen stets ein
Deutscher, und nie verließ ihn das hoffende Sehnen, endlich einmal für Deutsch¬
land etwas thun zu können. Vom Vater veranlaßt, hat er in gedankenreichen
Briefen, noch mehr aber in einer großen Anzahl politischer Aufsätze einen
wunderbar klaren Scharfblick für staatliche und militärische Verhältnisse, nament¬
lich über die Lage in Deutschland, gezeigt, zunächst im vollsten Gegensatz zu
der phantasievollcn Anschauungsweise des Vaters.

Dieser geistige Ideenaustausch zwischen Vater und Sohn trug einen seltsamen
Charakter, beruhte aber auf vertrauensvoller gegenseitiger Offenheit und be¬
wegte sich in den Formen diplomatischer Feinheit und zartfühlender Höflichkeit.
Als Beispiel möge hier eine der bittersten Auslassungen Friedrichs aus dem
Jahre 1824, wo er das Bundestagselend in Frankfurt deutlich vor Augen
hatte, angeführt werden: „Ich will Thatsachen sprechen lassen, die den Zu¬
stand der Nation schildern. In welchen Verhältnissen stehen oder standen die
Staatsmänner, welche in der letzten Zeit den größten Einfluß auf deutsche
Politik gehabt haben — die Männer, die im guten oder bösen Sinne am
meisten genannt werden: 1. Der Fürst Metternich veräußert seiue deutschen
Güter, um andre, Gott weiß wo, in Kroatien oder Slawonien zu kaufen, und
bald wird er in Deutschland nichts mehr besitzen. 2. Graf Münster war in
Wien ein Mann von großem Einfluß. Es ist bekannt, daß seine hochschwangere
Frau sich einschiffen mußte, um in London von einem — Engländer zu ge¬
nesen. 3. Der Freiherr vom Stein hat die Zentralverwaltung der Verbündeten
in Deutschland geleitet als — russischer Staatsminister! 4. Freiherr von
Gagern trat in Wien und Frankfurt auf als niederländischer Gesandter.
5. Der deutsche Ritter, der bei der Krönung des deutschen Kaisers aufgerufen
wurde, der Stammherr des Hauses Dalberg, erschien beim Kongreß zu Wien —
als französischer Gesandter, Herzog und Pair. Ist es nötig, Folgerungen zu
ziehen? Viele der Männer, welchen Deutschland seine politische Gestaltung


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[0270] General Friedrich von Gagern Feldzug mit der Schlacht bei Hasselt. Hieran schloß sich eine dauernde Kriegs¬ bereitschaft des holländischen Heeres in Nordbrabant, die bis 1839 währte, bis die Niederlande endlich nachgaben. Gagern war 1834 zum Oberstleutnant befördert worden, trat 1839 ans seinen Wunsch zur Kavallerie über, avancirte zum Obersten und begleitete in diesem Jahre den Prinzen von Oranien auf einer Reise nach Petersburg und Moskau. Seine reich begabte und kräftige Persönlichkeit hatte dnrch die Anregungen des Vaters, durch eifriges Selbststudium und durch die Mannigfaltigkeit der gesellschaftlichen und militärischen Beziehungen, mit denen ihn seine Dienst¬ und Lebensverhültnisse in Berührung brachten, eine weit über das Gewöhn¬ liche hinausgehende Entwicklung genommen. Durch Dienst und gesellige Ver¬ hältnisse gehörte er Wohl den Niederlanden an, wo man ihm nie, auch nicht unter den schwierigsten Verhältnissen, den Ausländer anrechnete, aber durch die Bande der Familie und des Vaterlands blieb er im Herzen stets ein Deutscher, und nie verließ ihn das hoffende Sehnen, endlich einmal für Deutsch¬ land etwas thun zu können. Vom Vater veranlaßt, hat er in gedankenreichen Briefen, noch mehr aber in einer großen Anzahl politischer Aufsätze einen wunderbar klaren Scharfblick für staatliche und militärische Verhältnisse, nament¬ lich über die Lage in Deutschland, gezeigt, zunächst im vollsten Gegensatz zu der phantasievollcn Anschauungsweise des Vaters. Dieser geistige Ideenaustausch zwischen Vater und Sohn trug einen seltsamen Charakter, beruhte aber auf vertrauensvoller gegenseitiger Offenheit und be¬ wegte sich in den Formen diplomatischer Feinheit und zartfühlender Höflichkeit. Als Beispiel möge hier eine der bittersten Auslassungen Friedrichs aus dem Jahre 1824, wo er das Bundestagselend in Frankfurt deutlich vor Augen hatte, angeführt werden: „Ich will Thatsachen sprechen lassen, die den Zu¬ stand der Nation schildern. In welchen Verhältnissen stehen oder standen die Staatsmänner, welche in der letzten Zeit den größten Einfluß auf deutsche Politik gehabt haben — die Männer, die im guten oder bösen Sinne am meisten genannt werden: 1. Der Fürst Metternich veräußert seiue deutschen Güter, um andre, Gott weiß wo, in Kroatien oder Slawonien zu kaufen, und bald wird er in Deutschland nichts mehr besitzen. 2. Graf Münster war in Wien ein Mann von großem Einfluß. Es ist bekannt, daß seine hochschwangere Frau sich einschiffen mußte, um in London von einem — Engländer zu ge¬ nesen. 3. Der Freiherr vom Stein hat die Zentralverwaltung der Verbündeten in Deutschland geleitet als — russischer Staatsminister! 4. Freiherr von Gagern trat in Wien und Frankfurt auf als niederländischer Gesandter. 5. Der deutsche Ritter, der bei der Krönung des deutschen Kaisers aufgerufen wurde, der Stammherr des Hauses Dalberg, erschien beim Kongreß zu Wien — als französischer Gesandter, Herzog und Pair. Ist es nötig, Folgerungen zu ziehen? Viele der Männer, welchen Deutschland seine politische Gestaltung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/270>, abgerufen am 23.07.2024.