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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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verzichten würde. Dieser aber hat die Ereignisse von 1866 nicht miterlebt,
er kennt sie nur aus der Geschichte. Nichts ist natürlicher, als daß er sie
nicht mit der Schärfe empfindet wie der Vater, und daß mit der Zeit der
letzte Stachel schwinden würde. Betrachtet man die Sache von diesem Gesichts¬
punkt aus, so erscheint die Nachgiebigkeit Preußens als ein Akt politischer
Klugheit, der die Quelle mancher Unzufriedenheit verstopfen würde.

Kann sich aber Preußen dazu nicht entschließen, so erledige man die
Thronfolge in einer andern Form. Es geht nicht an, daß das Provisorium
auf unbestimmte Zeit hinaus verlängert werde. Will man die formelle Ver¬
zichterklärung des Herzogs nicht missen, so führe man im Interesse des
Landes eine Entscheidung herbei, indem man den Herzog zu einer end-
giltigen Erklärung veranlaßt und ihn vor die Alternative stellt, entweder den
Verzicht auf Hannover auszusprechen oder seiner braunschweigischen Erbschaft
verlustig zu gehn. Dann mag sich das Land seinen Fürsten wählen. Den
Vertretern des starren Rechtsprinzips wird dieser Gedanke wahrscheinlich als
ein Frevel erscheinen, aber das Interesse des Landes verlangt gebieterisch
eine Lösung, und schließlich ist dieses Interesse doch mindestens ebenso be¬
rechtigt, als es die Bedenken des Thronfolgers bezüglich der Verzichtleistung
auf Hannover sind.

Es giebt übrigens auch in Braunschweig eine große Anzahl von Leuten,
die zwar unter allen Umstünden die Erhaltung der Selbständigkeit des Landes
^- Gegner davon giebts überhaupt nicht -- wünschen, die aber den Mitgliedern
des hannöverschen Waisenhauses sehr ablehnend gegenüber stehn. Sie fürchten
von der Thronbesteigung des Herzogs zwar nicht eine welfische reichsfeindliche
Agitation, wohl aber eine Invasion des hannöverschen Adels und damit eine
Zurückdrängung des braunschweigischen Elements in Braunschweig. Wie weit
diese Befürchtungen berechtigt sind, vermögen wir nicht zu entscheiden. Jeden¬
falls sind sie vorhanden, und in einer Darstellung der gegenwärtigen Lage
durften sie nicht unerwähnt bleiben.

Je eher die braunschweigische Frage zum Abschluß gebracht wird, desto
besser ist es sür das Land und in weiteren Sinne auch für das Reich. Die
Gründe zur Unzufriedenheit sind gegenwärtig so zahlreich, daß die Ursachen, die
"ut etwas gutem Willen aus der Welt geschafft werden könnten, nicht länger
F. "is unumgänglich nötig bestehen bleiben sollten.")





') Wir halten nach wie vor an der Ansicht fest, das; der förmliche Verzicht aus Hannover
unbedingt gefordert werden muß, nicht weil wir dem Herzog von Cumberland oder seinem
"hre mißtrauten, sondern weil wir den hannöverschen Welsen keine Gelegenheit geboten sehn
kochten, den künftigen Herzog von Brnunschmcig in eine gefährliche Versuchung zu führen.
Die Redaktion
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verzichten würde. Dieser aber hat die Ereignisse von 1866 nicht miterlebt,
er kennt sie nur aus der Geschichte. Nichts ist natürlicher, als daß er sie
nicht mit der Schärfe empfindet wie der Vater, und daß mit der Zeit der
letzte Stachel schwinden würde. Betrachtet man die Sache von diesem Gesichts¬
punkt aus, so erscheint die Nachgiebigkeit Preußens als ein Akt politischer
Klugheit, der die Quelle mancher Unzufriedenheit verstopfen würde.

Kann sich aber Preußen dazu nicht entschließen, so erledige man die
Thronfolge in einer andern Form. Es geht nicht an, daß das Provisorium
auf unbestimmte Zeit hinaus verlängert werde. Will man die formelle Ver¬
zichterklärung des Herzogs nicht missen, so führe man im Interesse des
Landes eine Entscheidung herbei, indem man den Herzog zu einer end-
giltigen Erklärung veranlaßt und ihn vor die Alternative stellt, entweder den
Verzicht auf Hannover auszusprechen oder seiner braunschweigischen Erbschaft
verlustig zu gehn. Dann mag sich das Land seinen Fürsten wählen. Den
Vertretern des starren Rechtsprinzips wird dieser Gedanke wahrscheinlich als
ein Frevel erscheinen, aber das Interesse des Landes verlangt gebieterisch
eine Lösung, und schließlich ist dieses Interesse doch mindestens ebenso be¬
rechtigt, als es die Bedenken des Thronfolgers bezüglich der Verzichtleistung
auf Hannover sind.

Es giebt übrigens auch in Braunschweig eine große Anzahl von Leuten,
die zwar unter allen Umstünden die Erhaltung der Selbständigkeit des Landes
^- Gegner davon giebts überhaupt nicht — wünschen, die aber den Mitgliedern
des hannöverschen Waisenhauses sehr ablehnend gegenüber stehn. Sie fürchten
von der Thronbesteigung des Herzogs zwar nicht eine welfische reichsfeindliche
Agitation, wohl aber eine Invasion des hannöverschen Adels und damit eine
Zurückdrängung des braunschweigischen Elements in Braunschweig. Wie weit
diese Befürchtungen berechtigt sind, vermögen wir nicht zu entscheiden. Jeden¬
falls sind sie vorhanden, und in einer Darstellung der gegenwärtigen Lage
durften sie nicht unerwähnt bleiben.

Je eher die braunschweigische Frage zum Abschluß gebracht wird, desto
besser ist es sür das Land und in weiteren Sinne auch für das Reich. Die
Gründe zur Unzufriedenheit sind gegenwärtig so zahlreich, daß die Ursachen, die
"ut etwas gutem Willen aus der Welt geschafft werden könnten, nicht länger
F. "is unumgänglich nötig bestehen bleiben sollten.")





') Wir halten nach wie vor an der Ansicht fest, das; der förmliche Verzicht aus Hannover
unbedingt gefordert werden muß, nicht weil wir dem Herzog von Cumberland oder seinem
"hre mißtrauten, sondern weil wir den hannöverschen Welsen keine Gelegenheit geboten sehn
kochten, den künftigen Herzog von Brnunschmcig in eine gefährliche Versuchung zu führen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/27>, abgerufen am 23.07.2024.