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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Zur Charakteristik König Alberts

ihn nicht persönlich begrüßen könne, sondern dankte ihm auch für den Segen,
der durch das Wirken des großen Kanzlers auch in seine eigne Arbeit gekommen
sei. Diese tiefe Empfindung macht es unserm König auch zu einem Herzens¬
bedürfnis, sich eins zu fühlen mit seinem Volke. Die Ausbreitung der Sozial¬
demokratie in Sachsen ist ihm offenbar ein Gegenstand ganz persönlichen
Unbehagens. Nach der Neichstagswahl vom Februar 1887, die dieser Partei
alle ihre Sitze in ganz Sachsen entriß, sprach er seine Freude darüber aus,
daß er nunmehr alle sächsischen Reichstagsabgeordneten empfangen könne
-- denn Vertreter einer ausgesprochen antunouarchischen Partei empfängt er
natürlich nicht --, und es bereitete ihm offenbar eine ganz besondre Genug¬
thuung, daß er einmal in Chemnitz auch von den Arbeitern warm begrüßt
wurde, denn er bemerkte zu einem seiner Begleiter wie erleichtert: "Ich glaube,
die Leute haben im Grunde gar nichts gegen mich."

Die kirchliche Differenz, die ihn von seinem Volke trennt, weiß er doch
so zu behandeln, daß ihm das persönliche Vertrauen der Evangelischen niemals
gefehlt hat. Sein eigentlicher Erzieher war ein Protestant, der Geheimrat
von Langenn, und seinen Neffen gab er in den Hauptfächern protestantische
Lehrer. Oft genug hat er evangelische Kirchen besucht, zuweilen sogar evan¬
gelischem Gottesdienst beigewohnt. Bei einer Besichtigung der neuen Martin
Lutherkirche in Dresden wollte ihn der Pfarrer an dem Medaillonbildnis des
Reformators am Altarplatz ohne weitere Bemerkung vorüber führen; der König
aber blieb stehen, betrachtete es aufmerksam und sagte: "Das ist ja ein wohl-
getroffnes Bild des Dr. Martinus." Allerdings sind ihm peinliche Empfin¬
dungen nicht immer erspart geblieben. Bei der großartigen Lutherfeier des
Jahres 1883 empfand er den Zwiespalt schwer; er bemerkte am nächsten Tage
zu einem hohen Beamten bekümmert: "Ich konnte gestern nicht mit meinem
Volke beten; ich bin auf die Jagd gegangen."

Ein Herrscher von so tiefem Gemüt kann nicht anders, als herzlich wohl¬
wollend für alle sein. Im Sommer 1880 verwüstete ein fürchterlicher Wolken¬
bruch, über die ahnungslosen Bewohner binnen wenigen Stunden reißende
Ströme ergießend, die südliche Oberlausitz. Auf die ersten Telegramme schickte
der König noch am Abend eine Abteilung Pioniere unmittelbar vom Übungs¬
plätze hinweg mit Sonderzng nach den Unglücksstätten, wo sie bei strömendem
Regen in schwarzer Nacht ihr Nettungswerk begannen; schon am nächsten
Morgen war er selbst zur Stelle, Dorf um Dorf durchschritt er stundenlang,
überall Trost spendend und die nötigen Anordnungen unmittelbar treffend.
Eine Herzenssache ist ihm die Ausübung des Begnadigungsrechts. Ein Be¬
amter des Justizministeriums hat den besondern Auftrag, über alle Fälle dieser
Art genau schriftlich zu berichten; der König liest jedes dieser Schriftstücke
aufs sorgfältigste und trifft darnach seine Entscheidung, wenn es irgend geht,
zu Gunsten des Verurteilten. In den ersten Jahren seiner Negierung hat


Zur Charakteristik König Alberts

ihn nicht persönlich begrüßen könne, sondern dankte ihm auch für den Segen,
der durch das Wirken des großen Kanzlers auch in seine eigne Arbeit gekommen
sei. Diese tiefe Empfindung macht es unserm König auch zu einem Herzens¬
bedürfnis, sich eins zu fühlen mit seinem Volke. Die Ausbreitung der Sozial¬
demokratie in Sachsen ist ihm offenbar ein Gegenstand ganz persönlichen
Unbehagens. Nach der Neichstagswahl vom Februar 1887, die dieser Partei
alle ihre Sitze in ganz Sachsen entriß, sprach er seine Freude darüber aus,
daß er nunmehr alle sächsischen Reichstagsabgeordneten empfangen könne
— denn Vertreter einer ausgesprochen antunouarchischen Partei empfängt er
natürlich nicht —, und es bereitete ihm offenbar eine ganz besondre Genug¬
thuung, daß er einmal in Chemnitz auch von den Arbeitern warm begrüßt
wurde, denn er bemerkte zu einem seiner Begleiter wie erleichtert: „Ich glaube,
die Leute haben im Grunde gar nichts gegen mich."

Die kirchliche Differenz, die ihn von seinem Volke trennt, weiß er doch
so zu behandeln, daß ihm das persönliche Vertrauen der Evangelischen niemals
gefehlt hat. Sein eigentlicher Erzieher war ein Protestant, der Geheimrat
von Langenn, und seinen Neffen gab er in den Hauptfächern protestantische
Lehrer. Oft genug hat er evangelische Kirchen besucht, zuweilen sogar evan¬
gelischem Gottesdienst beigewohnt. Bei einer Besichtigung der neuen Martin
Lutherkirche in Dresden wollte ihn der Pfarrer an dem Medaillonbildnis des
Reformators am Altarplatz ohne weitere Bemerkung vorüber führen; der König
aber blieb stehen, betrachtete es aufmerksam und sagte: „Das ist ja ein wohl-
getroffnes Bild des Dr. Martinus." Allerdings sind ihm peinliche Empfin¬
dungen nicht immer erspart geblieben. Bei der großartigen Lutherfeier des
Jahres 1883 empfand er den Zwiespalt schwer; er bemerkte am nächsten Tage
zu einem hohen Beamten bekümmert: „Ich konnte gestern nicht mit meinem
Volke beten; ich bin auf die Jagd gegangen."

Ein Herrscher von so tiefem Gemüt kann nicht anders, als herzlich wohl¬
wollend für alle sein. Im Sommer 1880 verwüstete ein fürchterlicher Wolken¬
bruch, über die ahnungslosen Bewohner binnen wenigen Stunden reißende
Ströme ergießend, die südliche Oberlausitz. Auf die ersten Telegramme schickte
der König noch am Abend eine Abteilung Pioniere unmittelbar vom Übungs¬
plätze hinweg mit Sonderzng nach den Unglücksstätten, wo sie bei strömendem
Regen in schwarzer Nacht ihr Nettungswerk begannen; schon am nächsten
Morgen war er selbst zur Stelle, Dorf um Dorf durchschritt er stundenlang,
überall Trost spendend und die nötigen Anordnungen unmittelbar treffend.
Eine Herzenssache ist ihm die Ausübung des Begnadigungsrechts. Ein Be¬
amter des Justizministeriums hat den besondern Auftrag, über alle Fälle dieser
Art genau schriftlich zu berichten; der König liest jedes dieser Schriftstücke
aufs sorgfältigste und trifft darnach seine Entscheidung, wenn es irgend geht,
zu Gunsten des Verurteilten. In den ersten Jahren seiner Negierung hat


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[0248] Zur Charakteristik König Alberts ihn nicht persönlich begrüßen könne, sondern dankte ihm auch für den Segen, der durch das Wirken des großen Kanzlers auch in seine eigne Arbeit gekommen sei. Diese tiefe Empfindung macht es unserm König auch zu einem Herzens¬ bedürfnis, sich eins zu fühlen mit seinem Volke. Die Ausbreitung der Sozial¬ demokratie in Sachsen ist ihm offenbar ein Gegenstand ganz persönlichen Unbehagens. Nach der Neichstagswahl vom Februar 1887, die dieser Partei alle ihre Sitze in ganz Sachsen entriß, sprach er seine Freude darüber aus, daß er nunmehr alle sächsischen Reichstagsabgeordneten empfangen könne — denn Vertreter einer ausgesprochen antunouarchischen Partei empfängt er natürlich nicht —, und es bereitete ihm offenbar eine ganz besondre Genug¬ thuung, daß er einmal in Chemnitz auch von den Arbeitern warm begrüßt wurde, denn er bemerkte zu einem seiner Begleiter wie erleichtert: „Ich glaube, die Leute haben im Grunde gar nichts gegen mich." Die kirchliche Differenz, die ihn von seinem Volke trennt, weiß er doch so zu behandeln, daß ihm das persönliche Vertrauen der Evangelischen niemals gefehlt hat. Sein eigentlicher Erzieher war ein Protestant, der Geheimrat von Langenn, und seinen Neffen gab er in den Hauptfächern protestantische Lehrer. Oft genug hat er evangelische Kirchen besucht, zuweilen sogar evan¬ gelischem Gottesdienst beigewohnt. Bei einer Besichtigung der neuen Martin Lutherkirche in Dresden wollte ihn der Pfarrer an dem Medaillonbildnis des Reformators am Altarplatz ohne weitere Bemerkung vorüber führen; der König aber blieb stehen, betrachtete es aufmerksam und sagte: „Das ist ja ein wohl- getroffnes Bild des Dr. Martinus." Allerdings sind ihm peinliche Empfin¬ dungen nicht immer erspart geblieben. Bei der großartigen Lutherfeier des Jahres 1883 empfand er den Zwiespalt schwer; er bemerkte am nächsten Tage zu einem hohen Beamten bekümmert: „Ich konnte gestern nicht mit meinem Volke beten; ich bin auf die Jagd gegangen." Ein Herrscher von so tiefem Gemüt kann nicht anders, als herzlich wohl¬ wollend für alle sein. Im Sommer 1880 verwüstete ein fürchterlicher Wolken¬ bruch, über die ahnungslosen Bewohner binnen wenigen Stunden reißende Ströme ergießend, die südliche Oberlausitz. Auf die ersten Telegramme schickte der König noch am Abend eine Abteilung Pioniere unmittelbar vom Übungs¬ plätze hinweg mit Sonderzng nach den Unglücksstätten, wo sie bei strömendem Regen in schwarzer Nacht ihr Nettungswerk begannen; schon am nächsten Morgen war er selbst zur Stelle, Dorf um Dorf durchschritt er stundenlang, überall Trost spendend und die nötigen Anordnungen unmittelbar treffend. Eine Herzenssache ist ihm die Ausübung des Begnadigungsrechts. Ein Be¬ amter des Justizministeriums hat den besondern Auftrag, über alle Fälle dieser Art genau schriftlich zu berichten; der König liest jedes dieser Schriftstücke aufs sorgfältigste und trifft darnach seine Entscheidung, wenn es irgend geht, zu Gunsten des Verurteilten. In den ersten Jahren seiner Negierung hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/248>, abgerufen am 25.08.2024.