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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Das Recht der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuch

Sozialisten den Strick, womit sie die bürgerliche Gesellschaft erwürgen wollen." Die
Familie ist also "nicht bloß religiös, sondern mich sozial und politisch ein Heilig¬
tum----Die Familie antasten, heißt aller menschlichen Gesittung den Boden weg¬
ziehen. . . . Wie der Staat auf den Schwerpunkt des Rechts gestellt ist, so die
Familie auf den Schwerpunkt der sich ergänzenden Liebe und der auf diese gegrün¬
deten bewegenden Mächte der Autorität und Pietät. Die Familie steht unter
der natürlichen Oberovrmundschaft der Eltern und speziell des Familienvaters.
Diese Obervvrmundschcift ist ein Urrecht, in der Natur der Sache gegeben. . . .
Ebenso steht der Manu zu seiner Frau in dem aus der Liebe hervorwachsenden
Verhältnis der Autorität. Nicht gezwungen durch äußere Unterdrückung,
sondern weil sie ihrer Natur nach gar nicht anders kann und mag, tritt die
Frau unter die Autorität des Mannes. So war es, seit die Welt steht, und
so wird es bleiben." Alles das sind nicht "zufällige Aperyus, nicht persön¬
liche Ansichten und Erörterungen, sondern Erkennen und Festhalten ganz be¬
stimmter Thatsachen, die sich in der Sitte und Lebenspraxis des Volkes fest
und klar aussprechen."

Auch nicht legt sich die Frage vor: "Sollten wir nicht nach eignen
Heften neue Normen der Lebenspraxis aufstellen, begründet auf die in der
modernen Zeit unstreitig geläuterten Ideen der Freiheit, des Rechtes, des
Wohlstandes, der Bildung?" Seiner Antwort auf diese Frage läßt sich kein
Wort hinzusetzen oder wegnehmen: "An eine Sitte muß man glauben. Wenn
wir aber auch ganz vortreffliche neue Grundlagen des Hauses und der Familie
ersonnen, würden doch schwerlich noch einmal Sitten daraus aufwachsen, denn
eilte Welt würde unsre neuen Regeln kritisiren, und nur die wenigsten würden
sie gläubig hinnehmen und bewahren. Eine Epoche, welche so theoretisch
schöpferisch ist auf dem Gebiete des Rechts wie die unsrige, wird es niemals
Praktisch auf dem Gebiete der Sitte sein. Wir werden die ererbten Sitten
läutern, weiterbilden oder zerstören, in minder wichtigen Dingen werden wir
auch allenfalls Keime zu neuen Sitten pflanzen; aber Kardinalsitten der Nation,
die bestimmend würden für den ganzen Charakter derselben, schafft unsre Zeit
keine mehr. Wären darum die alten Kardinalsitten unsers Volkes auch weniger
gut, als sie wirklich siud, so müßten wir sie doch festhalten, weil in ihnen eine
Autorität gegeben ist, die, einmal gebrochen, sür uns nie mehr wieder ge¬
wonnen werden kann. Die Nationen selber fallen in Trümmer, wenn einmal
ihre Kardinnlsitten fallen; denn in dem Aufgeben dieser Sitten ist zugleich der
ganze Charakter der Nation, die innerste Kulturinacht derselben verleugnet und
abgeschworen."

Was finden wir von alledem, sei es Verteidigung oder Widerlegung, in
^n Neichstagsverhandlungen über das Recht der Frau? Nichts -- doch ja:
der Freiherr von Stumm, gespannt auf die Begründung des geltenden ehe¬
lichen Güterrechts, "mußte gestehen," er habe "eigentlich nichts gehört, als


Grenzboten II 1398 27
Das Recht der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuch

Sozialisten den Strick, womit sie die bürgerliche Gesellschaft erwürgen wollen." Die
Familie ist also „nicht bloß religiös, sondern mich sozial und politisch ein Heilig¬
tum----Die Familie antasten, heißt aller menschlichen Gesittung den Boden weg¬
ziehen. . . . Wie der Staat auf den Schwerpunkt des Rechts gestellt ist, so die
Familie auf den Schwerpunkt der sich ergänzenden Liebe und der auf diese gegrün¬
deten bewegenden Mächte der Autorität und Pietät. Die Familie steht unter
der natürlichen Oberovrmundschaft der Eltern und speziell des Familienvaters.
Diese Obervvrmundschcift ist ein Urrecht, in der Natur der Sache gegeben. . . .
Ebenso steht der Manu zu seiner Frau in dem aus der Liebe hervorwachsenden
Verhältnis der Autorität. Nicht gezwungen durch äußere Unterdrückung,
sondern weil sie ihrer Natur nach gar nicht anders kann und mag, tritt die
Frau unter die Autorität des Mannes. So war es, seit die Welt steht, und
so wird es bleiben." Alles das sind nicht „zufällige Aperyus, nicht persön¬
liche Ansichten und Erörterungen, sondern Erkennen und Festhalten ganz be¬
stimmter Thatsachen, die sich in der Sitte und Lebenspraxis des Volkes fest
und klar aussprechen."

Auch nicht legt sich die Frage vor: „Sollten wir nicht nach eignen
Heften neue Normen der Lebenspraxis aufstellen, begründet auf die in der
modernen Zeit unstreitig geläuterten Ideen der Freiheit, des Rechtes, des
Wohlstandes, der Bildung?" Seiner Antwort auf diese Frage läßt sich kein
Wort hinzusetzen oder wegnehmen: „An eine Sitte muß man glauben. Wenn
wir aber auch ganz vortreffliche neue Grundlagen des Hauses und der Familie
ersonnen, würden doch schwerlich noch einmal Sitten daraus aufwachsen, denn
eilte Welt würde unsre neuen Regeln kritisiren, und nur die wenigsten würden
sie gläubig hinnehmen und bewahren. Eine Epoche, welche so theoretisch
schöpferisch ist auf dem Gebiete des Rechts wie die unsrige, wird es niemals
Praktisch auf dem Gebiete der Sitte sein. Wir werden die ererbten Sitten
läutern, weiterbilden oder zerstören, in minder wichtigen Dingen werden wir
auch allenfalls Keime zu neuen Sitten pflanzen; aber Kardinalsitten der Nation,
die bestimmend würden für den ganzen Charakter derselben, schafft unsre Zeit
keine mehr. Wären darum die alten Kardinalsitten unsers Volkes auch weniger
gut, als sie wirklich siud, so müßten wir sie doch festhalten, weil in ihnen eine
Autorität gegeben ist, die, einmal gebrochen, sür uns nie mehr wieder ge¬
wonnen werden kann. Die Nationen selber fallen in Trümmer, wenn einmal
ihre Kardinnlsitten fallen; denn in dem Aufgeben dieser Sitten ist zugleich der
ganze Charakter der Nation, die innerste Kulturinacht derselben verleugnet und
abgeschworen."

Was finden wir von alledem, sei es Verteidigung oder Widerlegung, in
^n Neichstagsverhandlungen über das Recht der Frau? Nichts — doch ja:
der Freiherr von Stumm, gespannt auf die Begründung des geltenden ehe¬
lichen Güterrechts, „mußte gestehen," er habe „eigentlich nichts gehört, als


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[0217] Das Recht der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuch Sozialisten den Strick, womit sie die bürgerliche Gesellschaft erwürgen wollen." Die Familie ist also „nicht bloß religiös, sondern mich sozial und politisch ein Heilig¬ tum----Die Familie antasten, heißt aller menschlichen Gesittung den Boden weg¬ ziehen. . . . Wie der Staat auf den Schwerpunkt des Rechts gestellt ist, so die Familie auf den Schwerpunkt der sich ergänzenden Liebe und der auf diese gegrün¬ deten bewegenden Mächte der Autorität und Pietät. Die Familie steht unter der natürlichen Oberovrmundschaft der Eltern und speziell des Familienvaters. Diese Obervvrmundschcift ist ein Urrecht, in der Natur der Sache gegeben. . . . Ebenso steht der Manu zu seiner Frau in dem aus der Liebe hervorwachsenden Verhältnis der Autorität. Nicht gezwungen durch äußere Unterdrückung, sondern weil sie ihrer Natur nach gar nicht anders kann und mag, tritt die Frau unter die Autorität des Mannes. So war es, seit die Welt steht, und so wird es bleiben." Alles das sind nicht „zufällige Aperyus, nicht persön¬ liche Ansichten und Erörterungen, sondern Erkennen und Festhalten ganz be¬ stimmter Thatsachen, die sich in der Sitte und Lebenspraxis des Volkes fest und klar aussprechen." Auch nicht legt sich die Frage vor: „Sollten wir nicht nach eignen Heften neue Normen der Lebenspraxis aufstellen, begründet auf die in der modernen Zeit unstreitig geläuterten Ideen der Freiheit, des Rechtes, des Wohlstandes, der Bildung?" Seiner Antwort auf diese Frage läßt sich kein Wort hinzusetzen oder wegnehmen: „An eine Sitte muß man glauben. Wenn wir aber auch ganz vortreffliche neue Grundlagen des Hauses und der Familie ersonnen, würden doch schwerlich noch einmal Sitten daraus aufwachsen, denn eilte Welt würde unsre neuen Regeln kritisiren, und nur die wenigsten würden sie gläubig hinnehmen und bewahren. Eine Epoche, welche so theoretisch schöpferisch ist auf dem Gebiete des Rechts wie die unsrige, wird es niemals Praktisch auf dem Gebiete der Sitte sein. Wir werden die ererbten Sitten läutern, weiterbilden oder zerstören, in minder wichtigen Dingen werden wir auch allenfalls Keime zu neuen Sitten pflanzen; aber Kardinalsitten der Nation, die bestimmend würden für den ganzen Charakter derselben, schafft unsre Zeit keine mehr. Wären darum die alten Kardinalsitten unsers Volkes auch weniger gut, als sie wirklich siud, so müßten wir sie doch festhalten, weil in ihnen eine Autorität gegeben ist, die, einmal gebrochen, sür uns nie mehr wieder ge¬ wonnen werden kann. Die Nationen selber fallen in Trümmer, wenn einmal ihre Kardinnlsitten fallen; denn in dem Aufgeben dieser Sitten ist zugleich der ganze Charakter der Nation, die innerste Kulturinacht derselben verleugnet und abgeschworen." Was finden wir von alledem, sei es Verteidigung oder Widerlegung, in ^n Neichstagsverhandlungen über das Recht der Frau? Nichts — doch ja: der Freiherr von Stumm, gespannt auf die Begründung des geltenden ehe¬ lichen Güterrechts, „mußte gestehen," er habe „eigentlich nichts gehört, als Grenzboten II 1398 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/217>, abgerufen am 23.07.2024.