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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika

nördlichen Niederlande Holland) und die südlichen (Belgien) sind das Vorland
und Mündungsgebiet des Rheins und der Maas, deutscher Ströme, mag
die Maas jetzt auch durch das noch französisch gebliebne Westlothringen fließen.
Die Scheide ist der dritte Fluß dieses großen Deltas, der aber den Nieder¬
landen selbst angehört und sein Quellengebiet in den Waldbergen des leider auch
französisch gewordnen Ooster Baut hat. Die Niederlande sind somit die
natürliche Ausgangsstelle des großen deutschen Hinterlandes bis zu den Alpen,
und der Rhein ist die Wasserstraße, die durch den Leck in die Maasmün-
dungen führt. Daher ward auch die germanische Besiedlung dieses Vorlandes
bis zur Somme vorgeschoben, wo die alte Reichsgrenze lief, obwohl auch
südlich über Paris hinaus die Franken noch geschlossen saßen, aber bald
verwelschten. Nördlich von der Somme erhielt schon der Verkehr die
fränkisch-friesischen Stämme, die die niederländische Bevölkerung bilden,
deutsch, da hier Oberdeutschlands natürliche Hafenplätze lagen. Der Ge¬
werbefleiß folgte dem Handel, und gerade das gegenwärtige Belgien war
der Stolz des betriebsamen deutschen Bürgertums, dessen Macht und
Reichtum zeitweise sogar die Nheinstüdte und die oberdeutschen Handels¬
plätze überstrahlte. Am Ausgang des Mittelalters waren die flandrischen
Städte die Blüte des deutschen Handels und Gewerbes, die wirtschaftlich
auch die Königin der Hanse, das kriegerische Lübeck, weit überragten.
Die Unabhängigkeitskämpfe im Norden und die spanisch-österreichische Mi߬
wirtschaft im Süden der Niederlande zerrissen dieses natürliche Band und
schufen eine widersinnige Schranke zwischen dem Mutterland und dessen wich¬
tigstem Hafengebiet. Aber der Gegenwart ist es vergönnt gewesen, die zer¬
rissenen Fäden neu zu knüpfen, da der gegenseitige Aufschwung der Industrie
und des Verkehrs mit Naturnotwendigkeit den alten Zustand wenigstens wirt¬
schaftlich herbeiführen mußte. In Antwerpen hat sich kürzlich die alte, allezeit
gut vlämisch gesinnt gewesene Hafenstadt in der Erinnerung an ihre hansische Ver¬
gangenheit zur alten wirtschaftlichen Gemeinschaft bekannt und auch mit ihren
großartigen Einrichtungen zur Förderung des deutschen Ausfuhrhandels durch
die That die Aufrichtigkeit ihrer Kundgebung bewiesen. Im gewöhnlichen Leben
entscheidet gerechtermaßen bei allem sonstigen hochherzigen Idealismus der
materielle Vorteil, der sich hier mit dem nationalen Gebot deckt. Der Hebel
zur innigern Verbindung des durch die Schuld der alten Mutter Germania
der Heimat entfremdeten Tochterlandes voll urwüchsiger deutscher Kraft, die
zur Zeit allein das alternde und unfruchtbare Frankreich durch frische Blutznfnhr
vor dem allmählichen Absterben bewahrt, ist dort anzusetzen, wo sich wirtschaft¬
liche gemeinsame Interessen mit den nationalen decken. Solche Gründe der
Annäherung sind unwiderstehlich und müssen zum Ziele führen.

Holland hat sich dem deutschen Mutterlande gegenüber trotz der Bewahrung
seiner nationalen Eigenart stets ablehnender verhalten, als das teilweise ver-


Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika

nördlichen Niederlande Holland) und die südlichen (Belgien) sind das Vorland
und Mündungsgebiet des Rheins und der Maas, deutscher Ströme, mag
die Maas jetzt auch durch das noch französisch gebliebne Westlothringen fließen.
Die Scheide ist der dritte Fluß dieses großen Deltas, der aber den Nieder¬
landen selbst angehört und sein Quellengebiet in den Waldbergen des leider auch
französisch gewordnen Ooster Baut hat. Die Niederlande sind somit die
natürliche Ausgangsstelle des großen deutschen Hinterlandes bis zu den Alpen,
und der Rhein ist die Wasserstraße, die durch den Leck in die Maasmün-
dungen führt. Daher ward auch die germanische Besiedlung dieses Vorlandes
bis zur Somme vorgeschoben, wo die alte Reichsgrenze lief, obwohl auch
südlich über Paris hinaus die Franken noch geschlossen saßen, aber bald
verwelschten. Nördlich von der Somme erhielt schon der Verkehr die
fränkisch-friesischen Stämme, die die niederländische Bevölkerung bilden,
deutsch, da hier Oberdeutschlands natürliche Hafenplätze lagen. Der Ge¬
werbefleiß folgte dem Handel, und gerade das gegenwärtige Belgien war
der Stolz des betriebsamen deutschen Bürgertums, dessen Macht und
Reichtum zeitweise sogar die Nheinstüdte und die oberdeutschen Handels¬
plätze überstrahlte. Am Ausgang des Mittelalters waren die flandrischen
Städte die Blüte des deutschen Handels und Gewerbes, die wirtschaftlich
auch die Königin der Hanse, das kriegerische Lübeck, weit überragten.
Die Unabhängigkeitskämpfe im Norden und die spanisch-österreichische Mi߬
wirtschaft im Süden der Niederlande zerrissen dieses natürliche Band und
schufen eine widersinnige Schranke zwischen dem Mutterland und dessen wich¬
tigstem Hafengebiet. Aber der Gegenwart ist es vergönnt gewesen, die zer¬
rissenen Fäden neu zu knüpfen, da der gegenseitige Aufschwung der Industrie
und des Verkehrs mit Naturnotwendigkeit den alten Zustand wenigstens wirt¬
schaftlich herbeiführen mußte. In Antwerpen hat sich kürzlich die alte, allezeit
gut vlämisch gesinnt gewesene Hafenstadt in der Erinnerung an ihre hansische Ver¬
gangenheit zur alten wirtschaftlichen Gemeinschaft bekannt und auch mit ihren
großartigen Einrichtungen zur Förderung des deutschen Ausfuhrhandels durch
die That die Aufrichtigkeit ihrer Kundgebung bewiesen. Im gewöhnlichen Leben
entscheidet gerechtermaßen bei allem sonstigen hochherzigen Idealismus der
materielle Vorteil, der sich hier mit dem nationalen Gebot deckt. Der Hebel
zur innigern Verbindung des durch die Schuld der alten Mutter Germania
der Heimat entfremdeten Tochterlandes voll urwüchsiger deutscher Kraft, die
zur Zeit allein das alternde und unfruchtbare Frankreich durch frische Blutznfnhr
vor dem allmählichen Absterben bewahrt, ist dort anzusetzen, wo sich wirtschaft¬
liche gemeinsame Interessen mit den nationalen decken. Solche Gründe der
Annäherung sind unwiderstehlich und müssen zum Ziele führen.

Holland hat sich dem deutschen Mutterlande gegenüber trotz der Bewahrung
seiner nationalen Eigenart stets ablehnender verhalten, als das teilweise ver-


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[0128] Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika nördlichen Niederlande Holland) und die südlichen (Belgien) sind das Vorland und Mündungsgebiet des Rheins und der Maas, deutscher Ströme, mag die Maas jetzt auch durch das noch französisch gebliebne Westlothringen fließen. Die Scheide ist der dritte Fluß dieses großen Deltas, der aber den Nieder¬ landen selbst angehört und sein Quellengebiet in den Waldbergen des leider auch französisch gewordnen Ooster Baut hat. Die Niederlande sind somit die natürliche Ausgangsstelle des großen deutschen Hinterlandes bis zu den Alpen, und der Rhein ist die Wasserstraße, die durch den Leck in die Maasmün- dungen führt. Daher ward auch die germanische Besiedlung dieses Vorlandes bis zur Somme vorgeschoben, wo die alte Reichsgrenze lief, obwohl auch südlich über Paris hinaus die Franken noch geschlossen saßen, aber bald verwelschten. Nördlich von der Somme erhielt schon der Verkehr die fränkisch-friesischen Stämme, die die niederländische Bevölkerung bilden, deutsch, da hier Oberdeutschlands natürliche Hafenplätze lagen. Der Ge¬ werbefleiß folgte dem Handel, und gerade das gegenwärtige Belgien war der Stolz des betriebsamen deutschen Bürgertums, dessen Macht und Reichtum zeitweise sogar die Nheinstüdte und die oberdeutschen Handels¬ plätze überstrahlte. Am Ausgang des Mittelalters waren die flandrischen Städte die Blüte des deutschen Handels und Gewerbes, die wirtschaftlich auch die Königin der Hanse, das kriegerische Lübeck, weit überragten. Die Unabhängigkeitskämpfe im Norden und die spanisch-österreichische Mi߬ wirtschaft im Süden der Niederlande zerrissen dieses natürliche Band und schufen eine widersinnige Schranke zwischen dem Mutterland und dessen wich¬ tigstem Hafengebiet. Aber der Gegenwart ist es vergönnt gewesen, die zer¬ rissenen Fäden neu zu knüpfen, da der gegenseitige Aufschwung der Industrie und des Verkehrs mit Naturnotwendigkeit den alten Zustand wenigstens wirt¬ schaftlich herbeiführen mußte. In Antwerpen hat sich kürzlich die alte, allezeit gut vlämisch gesinnt gewesene Hafenstadt in der Erinnerung an ihre hansische Ver¬ gangenheit zur alten wirtschaftlichen Gemeinschaft bekannt und auch mit ihren großartigen Einrichtungen zur Förderung des deutschen Ausfuhrhandels durch die That die Aufrichtigkeit ihrer Kundgebung bewiesen. Im gewöhnlichen Leben entscheidet gerechtermaßen bei allem sonstigen hochherzigen Idealismus der materielle Vorteil, der sich hier mit dem nationalen Gebot deckt. Der Hebel zur innigern Verbindung des durch die Schuld der alten Mutter Germania der Heimat entfremdeten Tochterlandes voll urwüchsiger deutscher Kraft, die zur Zeit allein das alternde und unfruchtbare Frankreich durch frische Blutznfnhr vor dem allmählichen Absterben bewahrt, ist dort anzusetzen, wo sich wirtschaft¬ liche gemeinsame Interessen mit den nationalen decken. Solche Gründe der Annäherung sind unwiderstehlich und müssen zum Ziele führen. Holland hat sich dem deutschen Mutterlande gegenüber trotz der Bewahrung seiner nationalen Eigenart stets ablehnender verhalten, als das teilweise ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/128>, abgerufen am 27.12.2024.