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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika

Der Umstand, daß England sein Panzergeschwader aus der Delagoa-
bucht zurückgezogen hat, übrigens das stärkste, das in der Gegenwart den
Indischen Ozean durchfahren hat, darf uns nicht in vertrauensseligen
Schlummer versenken. Portugal ist eben nicht so gefügig gewesen, als man
in London und Kapstadt erwartet hatte. Vielleicht liegt auch ein diplomatischer
Druck andrer Mächte vor; wir wollen zu unsrer Ehre annehmen, daß Deutsch¬
land hierbei mitgewirkt hat. Unsre Vertretung in Lissabon war freilich in der
Glüubigerfrage bisher ziemlich schwächlich. Ob es an der Person oder der
Berliner Weisung lag, ist für den Uneingeweihten schwer zu entscheiden. Aber
die Truppeunachschübe nach Südafrika dauern englischerseits ganz harmlos
fort und benachteiligen die militärische Lage Transvaals immer mehr. Nur
der klugen und zugleich nachgiebigen Haltung seiner Regierung verdankt dieser
Boerenstaat noch den Frieden. Nach der jüngsten Phase der parlamentarischen
Untersuchung ist mit Sicherheit anzunehmen, daß der englische Staatssekretär
sür die Kolonien rechtzeitige Kenntnis von den Jamesonschen Einfallsvor-
bereitnngen hatte und diese nicht hinderte. Chamberlain wird auch nachträglich
nicht über diesen offiziösen Friedensbruch fallen. Das ländersüchtige System
besteht eben weiter fort unter jeder englischen Negierung. An das Aufgeben
seiner vermeintlichen Vormachtstellung kann England nicht denken, wenn es nicht
seiner eignen, jahrhundertelang überlieferten Politik der Vergewaltigung untreu
werden will. Es hat stets die Schwächern unterdrückt und ist nur vor den
Starken gelegentlich mutig zurückgewichen. Fraglos dankt es aber seinem rück¬
sichtslosen Verhalten seine ungeheuern Erfolge. Es ist die eigentliche Weltmacht,
hinter der die andern Mächte weit zurücktreten. Rußland folgt am meisten
und schnellsten seinem Beispiel. Bisher ist Deutschland noch nicht auf den
Plan getreten. Wir richten gerade so ängstlich, wie die Franzosen, unsern
starren Blick auf die tronsg as Löltort. Frankreich, im Gefühle der Sicherheit
vor deutschen Angriffen, erobert unterdessen weite Kolonialreiche, während wir
uns mit höchst mittelmäßigen Kolonien begnügen müssen.

Das englische Gold der Chartered Company hat die öffentliche Meinung
in Paris zu Ungunsten der Boeren beeinflußt, und deshalb ist der Wind dort
entschieden umgeschlagen. Frankreich ist nur finanziell in Südafrika beteiligt,
verlangt also nur den Schutz dieser Geldiuteressen. England dort unten
zur Vergeltung für Ägypten entgegenzutreten, lag den französischen Staats¬
männern und der Presse freilich sehr nahe. Aber nationale Interessen sind
dabei nicht im Spiel. Daher ist auch bald eine Abkühlung der anfänglichen
Boerenfreundlichkeit eingetreten, ein Umschwung, der von England noch begünstigt
wird, ohne freilich Frankreich engländerfromm zu machen. Für unsre natio¬
nale Auslaudspolitik ist diese Minderung der französischen Sympathie nur von
Nutzen Sonst müßten wir uus in den Boerenschutz mit Frankreich teilen, mit
dem wir in Europa trotz aller Friedensbeteuerungen doch immer halb auf


Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika

Der Umstand, daß England sein Panzergeschwader aus der Delagoa-
bucht zurückgezogen hat, übrigens das stärkste, das in der Gegenwart den
Indischen Ozean durchfahren hat, darf uns nicht in vertrauensseligen
Schlummer versenken. Portugal ist eben nicht so gefügig gewesen, als man
in London und Kapstadt erwartet hatte. Vielleicht liegt auch ein diplomatischer
Druck andrer Mächte vor; wir wollen zu unsrer Ehre annehmen, daß Deutsch¬
land hierbei mitgewirkt hat. Unsre Vertretung in Lissabon war freilich in der
Glüubigerfrage bisher ziemlich schwächlich. Ob es an der Person oder der
Berliner Weisung lag, ist für den Uneingeweihten schwer zu entscheiden. Aber
die Truppeunachschübe nach Südafrika dauern englischerseits ganz harmlos
fort und benachteiligen die militärische Lage Transvaals immer mehr. Nur
der klugen und zugleich nachgiebigen Haltung seiner Regierung verdankt dieser
Boerenstaat noch den Frieden. Nach der jüngsten Phase der parlamentarischen
Untersuchung ist mit Sicherheit anzunehmen, daß der englische Staatssekretär
sür die Kolonien rechtzeitige Kenntnis von den Jamesonschen Einfallsvor-
bereitnngen hatte und diese nicht hinderte. Chamberlain wird auch nachträglich
nicht über diesen offiziösen Friedensbruch fallen. Das ländersüchtige System
besteht eben weiter fort unter jeder englischen Negierung. An das Aufgeben
seiner vermeintlichen Vormachtstellung kann England nicht denken, wenn es nicht
seiner eignen, jahrhundertelang überlieferten Politik der Vergewaltigung untreu
werden will. Es hat stets die Schwächern unterdrückt und ist nur vor den
Starken gelegentlich mutig zurückgewichen. Fraglos dankt es aber seinem rück¬
sichtslosen Verhalten seine ungeheuern Erfolge. Es ist die eigentliche Weltmacht,
hinter der die andern Mächte weit zurücktreten. Rußland folgt am meisten
und schnellsten seinem Beispiel. Bisher ist Deutschland noch nicht auf den
Plan getreten. Wir richten gerade so ängstlich, wie die Franzosen, unsern
starren Blick auf die tronsg as Löltort. Frankreich, im Gefühle der Sicherheit
vor deutschen Angriffen, erobert unterdessen weite Kolonialreiche, während wir
uns mit höchst mittelmäßigen Kolonien begnügen müssen.

Das englische Gold der Chartered Company hat die öffentliche Meinung
in Paris zu Ungunsten der Boeren beeinflußt, und deshalb ist der Wind dort
entschieden umgeschlagen. Frankreich ist nur finanziell in Südafrika beteiligt,
verlangt also nur den Schutz dieser Geldiuteressen. England dort unten
zur Vergeltung für Ägypten entgegenzutreten, lag den französischen Staats¬
männern und der Presse freilich sehr nahe. Aber nationale Interessen sind
dabei nicht im Spiel. Daher ist auch bald eine Abkühlung der anfänglichen
Boerenfreundlichkeit eingetreten, ein Umschwung, der von England noch begünstigt
wird, ohne freilich Frankreich engländerfromm zu machen. Für unsre natio¬
nale Auslaudspolitik ist diese Minderung der französischen Sympathie nur von
Nutzen Sonst müßten wir uus in den Boerenschutz mit Frankreich teilen, mit
dem wir in Europa trotz aller Friedensbeteuerungen doch immer halb auf


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[0126] Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika Der Umstand, daß England sein Panzergeschwader aus der Delagoa- bucht zurückgezogen hat, übrigens das stärkste, das in der Gegenwart den Indischen Ozean durchfahren hat, darf uns nicht in vertrauensseligen Schlummer versenken. Portugal ist eben nicht so gefügig gewesen, als man in London und Kapstadt erwartet hatte. Vielleicht liegt auch ein diplomatischer Druck andrer Mächte vor; wir wollen zu unsrer Ehre annehmen, daß Deutsch¬ land hierbei mitgewirkt hat. Unsre Vertretung in Lissabon war freilich in der Glüubigerfrage bisher ziemlich schwächlich. Ob es an der Person oder der Berliner Weisung lag, ist für den Uneingeweihten schwer zu entscheiden. Aber die Truppeunachschübe nach Südafrika dauern englischerseits ganz harmlos fort und benachteiligen die militärische Lage Transvaals immer mehr. Nur der klugen und zugleich nachgiebigen Haltung seiner Regierung verdankt dieser Boerenstaat noch den Frieden. Nach der jüngsten Phase der parlamentarischen Untersuchung ist mit Sicherheit anzunehmen, daß der englische Staatssekretär sür die Kolonien rechtzeitige Kenntnis von den Jamesonschen Einfallsvor- bereitnngen hatte und diese nicht hinderte. Chamberlain wird auch nachträglich nicht über diesen offiziösen Friedensbruch fallen. Das ländersüchtige System besteht eben weiter fort unter jeder englischen Negierung. An das Aufgeben seiner vermeintlichen Vormachtstellung kann England nicht denken, wenn es nicht seiner eignen, jahrhundertelang überlieferten Politik der Vergewaltigung untreu werden will. Es hat stets die Schwächern unterdrückt und ist nur vor den Starken gelegentlich mutig zurückgewichen. Fraglos dankt es aber seinem rück¬ sichtslosen Verhalten seine ungeheuern Erfolge. Es ist die eigentliche Weltmacht, hinter der die andern Mächte weit zurücktreten. Rußland folgt am meisten und schnellsten seinem Beispiel. Bisher ist Deutschland noch nicht auf den Plan getreten. Wir richten gerade so ängstlich, wie die Franzosen, unsern starren Blick auf die tronsg as Löltort. Frankreich, im Gefühle der Sicherheit vor deutschen Angriffen, erobert unterdessen weite Kolonialreiche, während wir uns mit höchst mittelmäßigen Kolonien begnügen müssen. Das englische Gold der Chartered Company hat die öffentliche Meinung in Paris zu Ungunsten der Boeren beeinflußt, und deshalb ist der Wind dort entschieden umgeschlagen. Frankreich ist nur finanziell in Südafrika beteiligt, verlangt also nur den Schutz dieser Geldiuteressen. England dort unten zur Vergeltung für Ägypten entgegenzutreten, lag den französischen Staats¬ männern und der Presse freilich sehr nahe. Aber nationale Interessen sind dabei nicht im Spiel. Daher ist auch bald eine Abkühlung der anfänglichen Boerenfreundlichkeit eingetreten, ein Umschwung, der von England noch begünstigt wird, ohne freilich Frankreich engländerfromm zu machen. Für unsre natio¬ nale Auslaudspolitik ist diese Minderung der französischen Sympathie nur von Nutzen Sonst müßten wir uus in den Boerenschutz mit Frankreich teilen, mit dem wir in Europa trotz aller Friedensbeteuerungen doch immer halb auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/126>, abgerufen am 23.07.2024.