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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Politisch-militärische Betrachtungen über Griechenland

brechung der Verbindung der europäischen Türkei mit der Hauptstadt. Für
größere Unternehmungen lagen vor der griechischen Flotte die größtenteils
von griechischsprechender Bevölkerung bewohnte Halbinsel von Chalkidike und
die des thmkischen Chersonnes. Chalkidike mit seinen drei weit ins Meer
hinausgestreckten Fingern ist geradezu ein ideales Objekt für ein Landungskorps,
das ja nur zu wählen braucht, wo es absteigen will, um sich entweder unter
den Geschützen der Schiffe häuslich auf einem der Finger einzurichten oder
sofort von dort gegen Norden vorzudringen zur Besetzung der schmalen Streifen
festen Landes zwischen den Seen und Sümpfen, die die Halbinsel an ihrem Nord¬
rande von Makedonien abgrenzen. Dicht dabei liegt dann Salonik, das Zentrum
der ganzen europäischen Türkei und der Ausgangspunkt der Armee Ebben
Paschas. Trotz der technischen Vollendung moderner Kampfmittel sind die
Wege, auf denen heute die Heere vorschreiten müssen, im wesentlichen dieselben
geblieben wie vor zweitausend Jahren, und so hätte auch bezüglich der Halb¬
insel Chalkidike und ihrer strategischen Bedeutung den modernen Griechen ein
Blick in ihre alte Geschichte genügt, ihnen klar zu machen, daß für sie als
Seemacht hier der Angriffspunkt lag gegen eine auf Makedonien basirte Land¬
macht, wie sie Ebben Paschas Heer darstellte.

Um was hatten sich denn die drei olympischen Reden des Demosthenes,
die sogenannten Philippiken, andres gedreht, als um die Verteidigung der
in der Seite von Makedonien gelegnen Halbinsel Chalkidike! Solange man
diese besaß, konnte man in Athen ruhig ins Theater gehen und auf dem Markt¬
platz debattiren, statt sich in Reih und Glied zu stellen, um sich dem An¬
marsch der makedonischer Phalanx entgegenzuwerfen. Denn der große Vater
des großen Alexander hütete sich wohl, vor der Eroberung und Schleifung
von Olrmth, der Hauptfeste Athens auf Chalkidike, den Vormarsch auf dem
westlich davon gelegnen Festlande gegen Süden zu unternehmen. Was aber
wäre denn einer Landung der modernen Griechen auf der Halbinsel Kassandra,
dem westlichsten der drei Finger der Chalkidike, türkischerseits rasch genug ent¬
gegenzustellen gewesen? Einigermaßen mit Sachkenntnis und guten Truppen
durchgeführt, hätte diese Unternehmung fraglos in kurzer Frist zunächst zum
Falle des türkischen Außenforts am Meerbusen von Salonik, Karaburnu, führen
müssen, das gegen einen Angriff vom Lande her durchaus verteidigungsuufähig
war, und vor dem auf der Seeseite im Westen sich nur eine vollkommen un¬
zureichende Minensperre befand, eine kerzengerade, durch rote Bojen auf Kilo¬
meter weit sichtbar gemachte Fahrstraße, durch die täglich unter den Augen
der Griechen die österreichischen Lloyddampfer aus und ein pcissirten. Inwiefern
ein weiteres Vorgehen der Griechen von der Halbinsel Kassandra her gegen
das türkische Immerfort am Meerbusen, das nach dem Lande zu gleichfalls
ungeschützte sogenannte Kleine Kap, geboten oder möglich war, oder ob von
dort aus über Wasser gegen die Wardarbrücke westlich von Salonik und die


Politisch-militärische Betrachtungen über Griechenland

brechung der Verbindung der europäischen Türkei mit der Hauptstadt. Für
größere Unternehmungen lagen vor der griechischen Flotte die größtenteils
von griechischsprechender Bevölkerung bewohnte Halbinsel von Chalkidike und
die des thmkischen Chersonnes. Chalkidike mit seinen drei weit ins Meer
hinausgestreckten Fingern ist geradezu ein ideales Objekt für ein Landungskorps,
das ja nur zu wählen braucht, wo es absteigen will, um sich entweder unter
den Geschützen der Schiffe häuslich auf einem der Finger einzurichten oder
sofort von dort gegen Norden vorzudringen zur Besetzung der schmalen Streifen
festen Landes zwischen den Seen und Sümpfen, die die Halbinsel an ihrem Nord¬
rande von Makedonien abgrenzen. Dicht dabei liegt dann Salonik, das Zentrum
der ganzen europäischen Türkei und der Ausgangspunkt der Armee Ebben
Paschas. Trotz der technischen Vollendung moderner Kampfmittel sind die
Wege, auf denen heute die Heere vorschreiten müssen, im wesentlichen dieselben
geblieben wie vor zweitausend Jahren, und so hätte auch bezüglich der Halb¬
insel Chalkidike und ihrer strategischen Bedeutung den modernen Griechen ein
Blick in ihre alte Geschichte genügt, ihnen klar zu machen, daß für sie als
Seemacht hier der Angriffspunkt lag gegen eine auf Makedonien basirte Land¬
macht, wie sie Ebben Paschas Heer darstellte.

Um was hatten sich denn die drei olympischen Reden des Demosthenes,
die sogenannten Philippiken, andres gedreht, als um die Verteidigung der
in der Seite von Makedonien gelegnen Halbinsel Chalkidike! Solange man
diese besaß, konnte man in Athen ruhig ins Theater gehen und auf dem Markt¬
platz debattiren, statt sich in Reih und Glied zu stellen, um sich dem An¬
marsch der makedonischer Phalanx entgegenzuwerfen. Denn der große Vater
des großen Alexander hütete sich wohl, vor der Eroberung und Schleifung
von Olrmth, der Hauptfeste Athens auf Chalkidike, den Vormarsch auf dem
westlich davon gelegnen Festlande gegen Süden zu unternehmen. Was aber
wäre denn einer Landung der modernen Griechen auf der Halbinsel Kassandra,
dem westlichsten der drei Finger der Chalkidike, türkischerseits rasch genug ent¬
gegenzustellen gewesen? Einigermaßen mit Sachkenntnis und guten Truppen
durchgeführt, hätte diese Unternehmung fraglos in kurzer Frist zunächst zum
Falle des türkischen Außenforts am Meerbusen von Salonik, Karaburnu, führen
müssen, das gegen einen Angriff vom Lande her durchaus verteidigungsuufähig
war, und vor dem auf der Seeseite im Westen sich nur eine vollkommen un¬
zureichende Minensperre befand, eine kerzengerade, durch rote Bojen auf Kilo¬
meter weit sichtbar gemachte Fahrstraße, durch die täglich unter den Augen
der Griechen die österreichischen Lloyddampfer aus und ein pcissirten. Inwiefern
ein weiteres Vorgehen der Griechen von der Halbinsel Kassandra her gegen
das türkische Immerfort am Meerbusen, das nach dem Lande zu gleichfalls
ungeschützte sogenannte Kleine Kap, geboten oder möglich war, oder ob von
dort aus über Wasser gegen die Wardarbrücke westlich von Salonik und die


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[0118] Politisch-militärische Betrachtungen über Griechenland brechung der Verbindung der europäischen Türkei mit der Hauptstadt. Für größere Unternehmungen lagen vor der griechischen Flotte die größtenteils von griechischsprechender Bevölkerung bewohnte Halbinsel von Chalkidike und die des thmkischen Chersonnes. Chalkidike mit seinen drei weit ins Meer hinausgestreckten Fingern ist geradezu ein ideales Objekt für ein Landungskorps, das ja nur zu wählen braucht, wo es absteigen will, um sich entweder unter den Geschützen der Schiffe häuslich auf einem der Finger einzurichten oder sofort von dort gegen Norden vorzudringen zur Besetzung der schmalen Streifen festen Landes zwischen den Seen und Sümpfen, die die Halbinsel an ihrem Nord¬ rande von Makedonien abgrenzen. Dicht dabei liegt dann Salonik, das Zentrum der ganzen europäischen Türkei und der Ausgangspunkt der Armee Ebben Paschas. Trotz der technischen Vollendung moderner Kampfmittel sind die Wege, auf denen heute die Heere vorschreiten müssen, im wesentlichen dieselben geblieben wie vor zweitausend Jahren, und so hätte auch bezüglich der Halb¬ insel Chalkidike und ihrer strategischen Bedeutung den modernen Griechen ein Blick in ihre alte Geschichte genügt, ihnen klar zu machen, daß für sie als Seemacht hier der Angriffspunkt lag gegen eine auf Makedonien basirte Land¬ macht, wie sie Ebben Paschas Heer darstellte. Um was hatten sich denn die drei olympischen Reden des Demosthenes, die sogenannten Philippiken, andres gedreht, als um die Verteidigung der in der Seite von Makedonien gelegnen Halbinsel Chalkidike! Solange man diese besaß, konnte man in Athen ruhig ins Theater gehen und auf dem Markt¬ platz debattiren, statt sich in Reih und Glied zu stellen, um sich dem An¬ marsch der makedonischer Phalanx entgegenzuwerfen. Denn der große Vater des großen Alexander hütete sich wohl, vor der Eroberung und Schleifung von Olrmth, der Hauptfeste Athens auf Chalkidike, den Vormarsch auf dem westlich davon gelegnen Festlande gegen Süden zu unternehmen. Was aber wäre denn einer Landung der modernen Griechen auf der Halbinsel Kassandra, dem westlichsten der drei Finger der Chalkidike, türkischerseits rasch genug ent¬ gegenzustellen gewesen? Einigermaßen mit Sachkenntnis und guten Truppen durchgeführt, hätte diese Unternehmung fraglos in kurzer Frist zunächst zum Falle des türkischen Außenforts am Meerbusen von Salonik, Karaburnu, führen müssen, das gegen einen Angriff vom Lande her durchaus verteidigungsuufähig war, und vor dem auf der Seeseite im Westen sich nur eine vollkommen un¬ zureichende Minensperre befand, eine kerzengerade, durch rote Bojen auf Kilo¬ meter weit sichtbar gemachte Fahrstraße, durch die täglich unter den Augen der Griechen die österreichischen Lloyddampfer aus und ein pcissirten. Inwiefern ein weiteres Vorgehen der Griechen von der Halbinsel Kassandra her gegen das türkische Immerfort am Meerbusen, das nach dem Lande zu gleichfalls ungeschützte sogenannte Kleine Kap, geboten oder möglich war, oder ob von dort aus über Wasser gegen die Wardarbrücke westlich von Salonik und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/118>, abgerufen am 23.07.2024.