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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Waffen gegen die hispanisch-päpstliche Fremdherrschaft und sicherten der pro¬
testantisch gewordnen Hauptmasse der Nation grundsätzlich die Bedingungen
ihrer selbständigen Entwicklung, die Denk- und Glaubensfreiheit. Damit löste
das deutsche Fürstentum eine weltgeschichtliche Aufgabe, und es ist der größte
Ruhmestitel des Hauses Wettin nächst seiner entscheidenden Teilnahme an der
Erneuerung des Reichs, daß Kurfürst Moritz als ein Rebell gegen den hispa¬
nischen Kaiser die Zukunft Deutschlands vertrat. Aber noch mehr. Indem der
protestantische Landesherr als "Notbischof" den Schutz und das Regiment der
Kirche übernahm, erweiterte das Fürstentum den Kreis seiner Aufgaben, die
sich bisher auf den Rechts- und Waffeuschutz beschränkt und erst seit dem fünf¬
zehnten Jahrhundert anch die Forderung der Volkswohlfahrt durch ein aus¬
gedehntes Gesetzgebuugs- und Verordnungsrecht hinzugeuommen hatten, durch
die Pflege der großen Volkserziehungsanstalten, der Kirche und der Schule.
Zugleich wurde der Staat, nach mittelalterlich-kirchlicher Auffassung eine
untergeordnete Institution für vergängliche irdische Zwecke, die ein Recht auf
das Dasein uur darum hatte, weil sie der höhern Ordnung, der Kirche, den
weltlichen Arm lieh, durch Luther eine der Kirche sittlich ebenbürtige, ihr
Recht wie diese unmittelbar von Gott herleitende Macht.

Wir wissen alle, daß Deutschland die Geistesfreiheit, die es für sich und
die Welt errang, mit einem furchtbaren Preise, mit dem Verluste seiner Welt¬
stellung und mit einer beispiellosen Verwüstung bezahlt hat, die schließlich
das Reich den Fremden unter die Füße warf und eine reiche Kultur größten¬
teils zerstörte. Wenn sich die Nation doch wieder erhob, so war dies im
wesentlichen das Verdienst der landesherrlichen Gewalten, deren Staats- und
völkerrechtliche Selbständigkeit der Westfälische Friede 1648 sicherte. Mit dein
Aufsteigen des fürstlich-absoluten Staats zog sich das ganze Leben des deutschen
Volks in den größern weltlichen Staaten zusammen, und der Staat unter¬
nahm es, mit seinem neuen Beamtentum alle Interessen des Volks zu pflegen,
seine Arbeit herrisch zu leiten, es in jeder Richtung zu bevormunden, aller¬
dings zu seinem Heile. Je stärker diese fürstliche Gewalt wurde, desto mehr
schwand freilich die männliche Selbständigkeit und jedes eigentliche National-
gefühl im Volk, und desto rücksichtsloser verfocht jeder Staat seine besondern
Interessen, ohne sich um das Reich oder gar um nationale Pflichten zu
kümmern. Die letzte Folge war die Unterwerfung unter die Fremdherrschaft
und die Auflösung des alten Reichs. Und doch, wenn Deutschland uach kurzen
sieben Jahren das französische Joch wieder abwarf, wem anders verdankte es
in erster Linie die Befreiung und die Rettung seiner Eigenart vor neuer Ver-
welschung als dem stärksten der Einzelstaaten, Preußen und seinem absoluten
Königtum, während Österreich, das jahrhundertelang der Trüger der erloschnen
Kaiserkrone gewesen war, nur zögernd hinzutrat, und die Staaten des gesamten
Westens sast alle bis nach Leipzig auf französischer Seite fochten? So zog nun


Waffen gegen die hispanisch-päpstliche Fremdherrschaft und sicherten der pro¬
testantisch gewordnen Hauptmasse der Nation grundsätzlich die Bedingungen
ihrer selbständigen Entwicklung, die Denk- und Glaubensfreiheit. Damit löste
das deutsche Fürstentum eine weltgeschichtliche Aufgabe, und es ist der größte
Ruhmestitel des Hauses Wettin nächst seiner entscheidenden Teilnahme an der
Erneuerung des Reichs, daß Kurfürst Moritz als ein Rebell gegen den hispa¬
nischen Kaiser die Zukunft Deutschlands vertrat. Aber noch mehr. Indem der
protestantische Landesherr als „Notbischof" den Schutz und das Regiment der
Kirche übernahm, erweiterte das Fürstentum den Kreis seiner Aufgaben, die
sich bisher auf den Rechts- und Waffeuschutz beschränkt und erst seit dem fünf¬
zehnten Jahrhundert anch die Forderung der Volkswohlfahrt durch ein aus¬
gedehntes Gesetzgebuugs- und Verordnungsrecht hinzugeuommen hatten, durch
die Pflege der großen Volkserziehungsanstalten, der Kirche und der Schule.
Zugleich wurde der Staat, nach mittelalterlich-kirchlicher Auffassung eine
untergeordnete Institution für vergängliche irdische Zwecke, die ein Recht auf
das Dasein uur darum hatte, weil sie der höhern Ordnung, der Kirche, den
weltlichen Arm lieh, durch Luther eine der Kirche sittlich ebenbürtige, ihr
Recht wie diese unmittelbar von Gott herleitende Macht.

Wir wissen alle, daß Deutschland die Geistesfreiheit, die es für sich und
die Welt errang, mit einem furchtbaren Preise, mit dem Verluste seiner Welt¬
stellung und mit einer beispiellosen Verwüstung bezahlt hat, die schließlich
das Reich den Fremden unter die Füße warf und eine reiche Kultur größten¬
teils zerstörte. Wenn sich die Nation doch wieder erhob, so war dies im
wesentlichen das Verdienst der landesherrlichen Gewalten, deren Staats- und
völkerrechtliche Selbständigkeit der Westfälische Friede 1648 sicherte. Mit dein
Aufsteigen des fürstlich-absoluten Staats zog sich das ganze Leben des deutschen
Volks in den größern weltlichen Staaten zusammen, und der Staat unter¬
nahm es, mit seinem neuen Beamtentum alle Interessen des Volks zu pflegen,
seine Arbeit herrisch zu leiten, es in jeder Richtung zu bevormunden, aller¬
dings zu seinem Heile. Je stärker diese fürstliche Gewalt wurde, desto mehr
schwand freilich die männliche Selbständigkeit und jedes eigentliche National-
gefühl im Volk, und desto rücksichtsloser verfocht jeder Staat seine besondern
Interessen, ohne sich um das Reich oder gar um nationale Pflichten zu
kümmern. Die letzte Folge war die Unterwerfung unter die Fremdherrschaft
und die Auflösung des alten Reichs. Und doch, wenn Deutschland uach kurzen
sieben Jahren das französische Joch wieder abwarf, wem anders verdankte es
in erster Linie die Befreiung und die Rettung seiner Eigenart vor neuer Ver-
welschung als dem stärksten der Einzelstaaten, Preußen und seinem absoluten
Königtum, während Österreich, das jahrhundertelang der Trüger der erloschnen
Kaiserkrone gewesen war, nur zögernd hinzutrat, und die Staaten des gesamten
Westens sast alle bis nach Leipzig auf französischer Seite fochten? So zog nun


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[0108] Waffen gegen die hispanisch-päpstliche Fremdherrschaft und sicherten der pro¬ testantisch gewordnen Hauptmasse der Nation grundsätzlich die Bedingungen ihrer selbständigen Entwicklung, die Denk- und Glaubensfreiheit. Damit löste das deutsche Fürstentum eine weltgeschichtliche Aufgabe, und es ist der größte Ruhmestitel des Hauses Wettin nächst seiner entscheidenden Teilnahme an der Erneuerung des Reichs, daß Kurfürst Moritz als ein Rebell gegen den hispa¬ nischen Kaiser die Zukunft Deutschlands vertrat. Aber noch mehr. Indem der protestantische Landesherr als „Notbischof" den Schutz und das Regiment der Kirche übernahm, erweiterte das Fürstentum den Kreis seiner Aufgaben, die sich bisher auf den Rechts- und Waffeuschutz beschränkt und erst seit dem fünf¬ zehnten Jahrhundert anch die Forderung der Volkswohlfahrt durch ein aus¬ gedehntes Gesetzgebuugs- und Verordnungsrecht hinzugeuommen hatten, durch die Pflege der großen Volkserziehungsanstalten, der Kirche und der Schule. Zugleich wurde der Staat, nach mittelalterlich-kirchlicher Auffassung eine untergeordnete Institution für vergängliche irdische Zwecke, die ein Recht auf das Dasein uur darum hatte, weil sie der höhern Ordnung, der Kirche, den weltlichen Arm lieh, durch Luther eine der Kirche sittlich ebenbürtige, ihr Recht wie diese unmittelbar von Gott herleitende Macht. Wir wissen alle, daß Deutschland die Geistesfreiheit, die es für sich und die Welt errang, mit einem furchtbaren Preise, mit dem Verluste seiner Welt¬ stellung und mit einer beispiellosen Verwüstung bezahlt hat, die schließlich das Reich den Fremden unter die Füße warf und eine reiche Kultur größten¬ teils zerstörte. Wenn sich die Nation doch wieder erhob, so war dies im wesentlichen das Verdienst der landesherrlichen Gewalten, deren Staats- und völkerrechtliche Selbständigkeit der Westfälische Friede 1648 sicherte. Mit dein Aufsteigen des fürstlich-absoluten Staats zog sich das ganze Leben des deutschen Volks in den größern weltlichen Staaten zusammen, und der Staat unter¬ nahm es, mit seinem neuen Beamtentum alle Interessen des Volks zu pflegen, seine Arbeit herrisch zu leiten, es in jeder Richtung zu bevormunden, aller¬ dings zu seinem Heile. Je stärker diese fürstliche Gewalt wurde, desto mehr schwand freilich die männliche Selbständigkeit und jedes eigentliche National- gefühl im Volk, und desto rücksichtsloser verfocht jeder Staat seine besondern Interessen, ohne sich um das Reich oder gar um nationale Pflichten zu kümmern. Die letzte Folge war die Unterwerfung unter die Fremdherrschaft und die Auflösung des alten Reichs. Und doch, wenn Deutschland uach kurzen sieben Jahren das französische Joch wieder abwarf, wem anders verdankte es in erster Linie die Befreiung und die Rettung seiner Eigenart vor neuer Ver- welschung als dem stärksten der Einzelstaaten, Preußen und seinem absoluten Königtum, während Österreich, das jahrhundertelang der Trüger der erloschnen Kaiserkrone gewesen war, nur zögernd hinzutrat, und die Staaten des gesamten Westens sast alle bis nach Leipzig auf französischer Seite fochten? So zog nun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/108>, abgerufen am 25.08.2024.