Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches jetzt ja leider in Dänemark und noch mehr in Norwegen verdrängt, und in Er kennt seine lieben Deutschen mit ihrer noch immer nicht überwundnen So ist eS gewiß much kein Zufall, daß die völlig charakterlose Rundschrift trotz allen Bemühungen Svenneckens in Deutschland keine solche Verbreitung gefunden hat wie in Frankreich. Grenzboten I 18S8 91
Maßgebliches und Unmaßgebliches jetzt ja leider in Dänemark und noch mehr in Norwegen verdrängt, und in Er kennt seine lieben Deutschen mit ihrer noch immer nicht überwundnen So ist eS gewiß much kein Zufall, daß die völlig charakterlose Rundschrift trotz allen Bemühungen Svenneckens in Deutschland keine solche Verbreitung gefunden hat wie in Frankreich. Grenzboten I 18S8 91
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0725" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227627"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2554" prev="#ID_2553"> jetzt ja leider in Dänemark und noch mehr in Norwegen verdrängt, und in<lb/> Schweden ist sie wohl schon im Verschwinden; aber sollte nicht der Umstand, daß<lb/> sie bei uns die Herrschaft in einem Umfange behauptet hat, wie sonst nirgends,<lb/> auf einen nationalen Instinkt zurückzuführen sein? Die scharfe, eckige, spröde, ge-<lb/> brochne („Fraktur"-)Schrift entsprach dem Geschmack unsrer Vorfahren, weil sie<lb/> dem ursprünglichen Charakter unsers Volks angemessener ist als die weiche, runde,<lb/> geschmeidige Antiqua, der sich die romanischen Völker mit ebenso sicherm Instinkte<lb/> bald wieder zuwandten.*) Die deutsche Schreibschrift, die aus der mittelalterlichen<lb/> Minuskelkursiv abgeleitet ist, trägt denselben Charakter wie die Druckschrift. Kann<lb/> man sich die Handschrift Bismarcks, dieses Urteutonen, mit ihren großartigen,<lb/> ehernen Zügen, wo jeder Buchstabe an eine Damascenerklinge erinnert, in latei¬<lb/> nischer Schrift vorstellen? Alle gelehrten Auseinandersetzungen können nichts an<lb/> der Thatsache ändern, daß die deutsche Schrift, die freilich mit allen Schriften<lb/> — die Hieroglyphen ausgenommen — das Unglück teilt, Umbildung einer<lb/> frühern Schrift zu sein, eine nationale Eigentümlichkeit geworden und bis jetzt ge¬<lb/> blieben ist. Sie ist uns allen übersichtlicher, bequemer, vertrauter, anheimelnder,<lb/> mögen auch einige gelehrte Doktrinäre das Gegenteil behaupten; sie ist ohne Frage<lb/> volkstümlicher. Bei rein wissenschaftlichen, nur sür einen kleinen Gelehrtenkreis<lb/> bestimmten Werken lassen wir uns das Lateinische noch gefallen, aber wenn wir<lb/> unsre Tageszeitung, unsern Goethe und Schiller in lateinischen Lettern genießen<lb/> sollten, so würden wir uus bedanken. Jedes andre Volk würde mit Eifersucht<lb/> darüber wachen, daß eine nun einmal vorhandne nationale Eigentümlichkeit erhalten<lb/> bliebe; dem guten Deutschen aber mutet man zu, daß er sich eiuer gelehrten Doktrin<lb/> zuliebe eine durch vier Jahrhunderte geheiligte Überlieferung nehmen lasse. Es<lb/> hat sich sogar, wenn ich nicht irre, ein Verein zur Bekämpfung der deutschen<lb/> Schrift gebildet. Merkwürdigerweise sind die eifrigsten Gegner unter den Germa¬<lb/> nisten zu finden; sie stützen sich auf Jakob Grimm. Aber in dieser Frage gilt<lb/> die Stimme eines Dürer und eines Bismarck, des Künstlers und des Staatsmannes,<lb/> eines Staatsmannes, den wir als die Verkörperung unsers Volkstunis zu bezeichnen<lb/> pflegen, mehr als die Stimme des Gelehrten, Sollte der große Volkerpsycholog<lb/> hier nicht ein feineres Verständnis haben für das, was der Eigenart unsers Volks<lb/> angemessen ist, als selbst der in seinem Fache hervorragendste Gelehrte, dem der<lb/> Blick leicht durch das rein wissenschaftliche Interesse getrübt wird? Bismarck ist<lb/> bekanntlich ein so abgesagter Feind der lateinischen Schrift, daß er die Zusendung<lb/> von Büchern dieser Art gar nicht annimmt. Er würde nicht mit solchem Nach¬<lb/> druck sür deutsche Schrift eintreten, wenn er sie nicht für ein wertvolles Stück<lb/> unsrer nationalen Besonderheit hielte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2555" next="#ID_2556"> Er kennt seine lieben Deutschen mit ihrer noch immer nicht überwundnen<lb/> Schwäche, der Begeisterung fürs Internationale und der Geringschätzung des eignen<lb/> Volkstums, der Gefälligkeit gegen das Ausland — er kennt sie zu genau, als daß<lb/> er die internationale Verfluchung, die Gleichmacherei nicht auch in dieser Frage be¬<lb/> kämpfen sollte, die nnr vom Unverstande für eine Äußerlichkeit, für eine Nebensache<lb/> gehalten werden kann. So sicher es nicht Nebensache ist, ob ein Volk fremde<lb/> Moden und fremde Sitten hat oder eigue — das eine bedeutet geistige Knecht-<lb/> schaft, das andre geistige Selbständigkeit —, so sicher ist es nicht gleichgiltig, ob</p><lb/> <note xml:id="FID_87" place="foot"> So ist eS gewiß much kein Zufall, daß die völlig charakterlose Rundschrift trotz<lb/> allen Bemühungen Svenneckens in Deutschland keine solche Verbreitung gefunden hat wie in<lb/> Frankreich.</note><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 18S8 91</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0725]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
jetzt ja leider in Dänemark und noch mehr in Norwegen verdrängt, und in
Schweden ist sie wohl schon im Verschwinden; aber sollte nicht der Umstand, daß
sie bei uns die Herrschaft in einem Umfange behauptet hat, wie sonst nirgends,
auf einen nationalen Instinkt zurückzuführen sein? Die scharfe, eckige, spröde, ge-
brochne („Fraktur"-)Schrift entsprach dem Geschmack unsrer Vorfahren, weil sie
dem ursprünglichen Charakter unsers Volks angemessener ist als die weiche, runde,
geschmeidige Antiqua, der sich die romanischen Völker mit ebenso sicherm Instinkte
bald wieder zuwandten.*) Die deutsche Schreibschrift, die aus der mittelalterlichen
Minuskelkursiv abgeleitet ist, trägt denselben Charakter wie die Druckschrift. Kann
man sich die Handschrift Bismarcks, dieses Urteutonen, mit ihren großartigen,
ehernen Zügen, wo jeder Buchstabe an eine Damascenerklinge erinnert, in latei¬
nischer Schrift vorstellen? Alle gelehrten Auseinandersetzungen können nichts an
der Thatsache ändern, daß die deutsche Schrift, die freilich mit allen Schriften
— die Hieroglyphen ausgenommen — das Unglück teilt, Umbildung einer
frühern Schrift zu sein, eine nationale Eigentümlichkeit geworden und bis jetzt ge¬
blieben ist. Sie ist uns allen übersichtlicher, bequemer, vertrauter, anheimelnder,
mögen auch einige gelehrte Doktrinäre das Gegenteil behaupten; sie ist ohne Frage
volkstümlicher. Bei rein wissenschaftlichen, nur sür einen kleinen Gelehrtenkreis
bestimmten Werken lassen wir uns das Lateinische noch gefallen, aber wenn wir
unsre Tageszeitung, unsern Goethe und Schiller in lateinischen Lettern genießen
sollten, so würden wir uus bedanken. Jedes andre Volk würde mit Eifersucht
darüber wachen, daß eine nun einmal vorhandne nationale Eigentümlichkeit erhalten
bliebe; dem guten Deutschen aber mutet man zu, daß er sich eiuer gelehrten Doktrin
zuliebe eine durch vier Jahrhunderte geheiligte Überlieferung nehmen lasse. Es
hat sich sogar, wenn ich nicht irre, ein Verein zur Bekämpfung der deutschen
Schrift gebildet. Merkwürdigerweise sind die eifrigsten Gegner unter den Germa¬
nisten zu finden; sie stützen sich auf Jakob Grimm. Aber in dieser Frage gilt
die Stimme eines Dürer und eines Bismarck, des Künstlers und des Staatsmannes,
eines Staatsmannes, den wir als die Verkörperung unsers Volkstunis zu bezeichnen
pflegen, mehr als die Stimme des Gelehrten, Sollte der große Volkerpsycholog
hier nicht ein feineres Verständnis haben für das, was der Eigenart unsers Volks
angemessen ist, als selbst der in seinem Fache hervorragendste Gelehrte, dem der
Blick leicht durch das rein wissenschaftliche Interesse getrübt wird? Bismarck ist
bekanntlich ein so abgesagter Feind der lateinischen Schrift, daß er die Zusendung
von Büchern dieser Art gar nicht annimmt. Er würde nicht mit solchem Nach¬
druck sür deutsche Schrift eintreten, wenn er sie nicht für ein wertvolles Stück
unsrer nationalen Besonderheit hielte.
Er kennt seine lieben Deutschen mit ihrer noch immer nicht überwundnen
Schwäche, der Begeisterung fürs Internationale und der Geringschätzung des eignen
Volkstums, der Gefälligkeit gegen das Ausland — er kennt sie zu genau, als daß
er die internationale Verfluchung, die Gleichmacherei nicht auch in dieser Frage be¬
kämpfen sollte, die nnr vom Unverstande für eine Äußerlichkeit, für eine Nebensache
gehalten werden kann. So sicher es nicht Nebensache ist, ob ein Volk fremde
Moden und fremde Sitten hat oder eigue — das eine bedeutet geistige Knecht-
schaft, das andre geistige Selbständigkeit —, so sicher ist es nicht gleichgiltig, ob
So ist eS gewiß much kein Zufall, daß die völlig charakterlose Rundschrift trotz
allen Bemühungen Svenneckens in Deutschland keine solche Verbreitung gefunden hat wie in
Frankreich.
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