Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches schädigenden abmessen wollte, im höchsten Grade antisozial. Es wäre auch darum Dafür, daß der Entschädigungsansprnch ein Rechtsanspruch werden solle, hat Ein Rechtsanspruch ist ein erzwingbarer Anspruch, der von einer objektiven Noch ein andres Bedenken erhebt sich. Kann der Anspruch auf Entschädigung Gegenwärtig bestehe" in den "leisten deutschen Staaten Fonds, aus denen nach Der Bundesrat hat lange Jahre hindurch die wiederholte" Resolutivuc" des Im Jahre 1883 hat Otto Bähr das jetzt bestehende Verfahren als das allein Maßgebliches und Unmaßgebliches schädigenden abmessen wollte, im höchsten Grade antisozial. Es wäre auch darum Dafür, daß der Entschädigungsansprnch ein Rechtsanspruch werden solle, hat Ein Rechtsanspruch ist ein erzwingbarer Anspruch, der von einer objektiven Noch ein andres Bedenken erhebt sich. Kann der Anspruch auf Entschädigung Gegenwärtig bestehe» in den «leisten deutschen Staaten Fonds, aus denen nach Der Bundesrat hat lange Jahre hindurch die wiederholte» Resolutivuc» des Im Jahre 1883 hat Otto Bähr das jetzt bestehende Verfahren als das allein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0721" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227623"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2534" prev="#ID_2533"> schädigenden abmessen wollte, im höchsten Grade antisozial. Es wäre auch darum<lb/> bedenklich, weil es den Anschein erwecken konnte, als ob der Arme und der<lb/> Reiche vor dem Gesetze nicht gleich wären. Ein solches Gesetz wäre heute<lb/> eine Unmöglichkeit. Diese Schwierigkeit umgeht der Vorschlag des Herrn Professor<lb/> Binding, ein „Sühnegeld" zu bewilligen, das je nach der Schwere der Haftart<lb/> und der Länge der Haft ein für allemal gesetzlich zu bestimmen sei. So annehmbar<lb/> dieser Vorschlag auch auf den ersten Blick erscheint, so wenig Widerhall würde<lb/> doch eine derartige Entschädigung im Rechtsbewußtsein des Volkes finden, und die<lb/> Einrichtung würde sich, wie mir scheint, kaum als lebens-, geschweige denn als<lb/> entwicklungsfähig erweisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2535"> Dafür, daß der Entschädigungsansprnch ein Rechtsanspruch werden solle, hat<lb/> sich der Reichstag nun fast in anderthalb Dezennien bei jeder Gelegenheit ausge¬<lb/> sprochen, meines Erachtens zu Unrecht.</p><lb/> <p xml:id="ID_2536"> Ein Rechtsanspruch ist ein erzwingbarer Anspruch, der von einer objektiven<lb/> Rechtsnorm abhängt. Der Entschädigungsanspruch hängt nach dem Entwurf davon<lb/> ab, daß die Unschuld des Verurteilten erwiesen wird. Was heißt das? Gesetze<lb/> stellen Rechts-, nicht Sittlichkeitsbegriffe auf; mit der Sittlichkeit an und für sich<lb/> hat das Recht nichts zu schaffen. Unschuld im Sinne des Entwurfs kann also nur<lb/> die rechtliche Unschuld bedeuten; es muß erwiesen sein, daß der Angeklagte das<lb/> Strafgesetz nicht verletzt hat. Dann aber haben alle die Angeklagten einen An¬<lb/> spruch auf Entschädigung, deren Handlungsweise dem Strafgesetze nicht unterliegt,<lb/> obgleich sie sittlich verwerflich ist. Es ist schon oben dargelegt worden, zu welchen<lb/> unerträglichen Folgen diese Auffassung führen könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2537"> Noch ein andres Bedenken erhebt sich. Kann der Anspruch auf Entschädigung<lb/> bestenfalls nur in dem beschränkten Umfange, wie ihn der Entwurf verleiht, ge¬<lb/> währt werden, so ist er überhaupt so gut wie wertlos. Denn wie selten es einem<lb/> bereits verurteilten Angeklagten gelingen würde, ein Strafgericht von seiner Un¬<lb/> schuld zu überzeugen, das zeigt ein einziger Blick in die heutige Praxis. Freilich<lb/> gewährt es eine gewisse Befriedigung, wenn zum mindesten in diesen wenigen<lb/> Fällen ein Rechtsanspruch besteht. Es ist aber zu befürchten, daß der Staat, wenn<lb/> erst der Entwurf Gesetz geworden ist, geneigt sein wird, andre Fälle, die nicht in<lb/> den Rahmen des Gesetzes Passen, überhaupt nicht oder nnr in sehr geringem Maße<lb/> zu berücksichtigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2538"> Gegenwärtig bestehe» in den «leisten deutschen Staaten Fonds, aus denen nach<lb/> dem Gutbefinden der obersten Justizverwaltungsbehörden unschuldig Verurteilten<lb/> Entschädigungen gewährt werden können. Bleiben diese Fonds bestehen, so liegt<lb/> die Gefahr nahe, daß die Behörden, die über ihre Verwendung zu bestimmen<lb/> haben, nachdem einmal die öffentliche Meinung durch ein notwendigerweise völlig un¬<lb/> zureichendes Gesetz beruhigt ist, an die einzelnen Fälle einen viel strengern Maßstab<lb/> anlegen werde», als es jetzt der Fall ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_2539"> Der Bundesrat hat lange Jahre hindurch die wiederholte» Resolutivuc» des<lb/> Reichstags abgelehnt, die einen Gesetzentwurf über die Entschädigung unschuldig<lb/> Verurteilter verlangte». Der Bundesrat stellte sich auf den Standpunkt, daß das<lb/> vorhandne Nichtrecht dem zu schaffende» Rechte vorzuziehen sei. Dieser Standpunkt<lb/> ist ganz richtig. Das neue Gesetz ist zwecklos, weil es nur auf einem kleinen Ge¬<lb/> biete angewandt werden kann, und gefahrvoll, weil die strengere Verwaltung des<lb/> Dispositionsfonds eine Schädigung des öffentlichen Rechtsbewußtseins bedeuten würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_2540"> Im Jahre 1883 hat Otto Bähr das jetzt bestehende Verfahren als das allein<lb/> zweckmäßige empfohlen. Wenn er damals anführte, es erscheine verfrüht, mit einem</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0721]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
schädigenden abmessen wollte, im höchsten Grade antisozial. Es wäre auch darum
bedenklich, weil es den Anschein erwecken konnte, als ob der Arme und der
Reiche vor dem Gesetze nicht gleich wären. Ein solches Gesetz wäre heute
eine Unmöglichkeit. Diese Schwierigkeit umgeht der Vorschlag des Herrn Professor
Binding, ein „Sühnegeld" zu bewilligen, das je nach der Schwere der Haftart
und der Länge der Haft ein für allemal gesetzlich zu bestimmen sei. So annehmbar
dieser Vorschlag auch auf den ersten Blick erscheint, so wenig Widerhall würde
doch eine derartige Entschädigung im Rechtsbewußtsein des Volkes finden, und die
Einrichtung würde sich, wie mir scheint, kaum als lebens-, geschweige denn als
entwicklungsfähig erweisen.
Dafür, daß der Entschädigungsansprnch ein Rechtsanspruch werden solle, hat
sich der Reichstag nun fast in anderthalb Dezennien bei jeder Gelegenheit ausge¬
sprochen, meines Erachtens zu Unrecht.
Ein Rechtsanspruch ist ein erzwingbarer Anspruch, der von einer objektiven
Rechtsnorm abhängt. Der Entschädigungsanspruch hängt nach dem Entwurf davon
ab, daß die Unschuld des Verurteilten erwiesen wird. Was heißt das? Gesetze
stellen Rechts-, nicht Sittlichkeitsbegriffe auf; mit der Sittlichkeit an und für sich
hat das Recht nichts zu schaffen. Unschuld im Sinne des Entwurfs kann also nur
die rechtliche Unschuld bedeuten; es muß erwiesen sein, daß der Angeklagte das
Strafgesetz nicht verletzt hat. Dann aber haben alle die Angeklagten einen An¬
spruch auf Entschädigung, deren Handlungsweise dem Strafgesetze nicht unterliegt,
obgleich sie sittlich verwerflich ist. Es ist schon oben dargelegt worden, zu welchen
unerträglichen Folgen diese Auffassung führen könnte.
Noch ein andres Bedenken erhebt sich. Kann der Anspruch auf Entschädigung
bestenfalls nur in dem beschränkten Umfange, wie ihn der Entwurf verleiht, ge¬
währt werden, so ist er überhaupt so gut wie wertlos. Denn wie selten es einem
bereits verurteilten Angeklagten gelingen würde, ein Strafgericht von seiner Un¬
schuld zu überzeugen, das zeigt ein einziger Blick in die heutige Praxis. Freilich
gewährt es eine gewisse Befriedigung, wenn zum mindesten in diesen wenigen
Fällen ein Rechtsanspruch besteht. Es ist aber zu befürchten, daß der Staat, wenn
erst der Entwurf Gesetz geworden ist, geneigt sein wird, andre Fälle, die nicht in
den Rahmen des Gesetzes Passen, überhaupt nicht oder nnr in sehr geringem Maße
zu berücksichtigen.
Gegenwärtig bestehe» in den «leisten deutschen Staaten Fonds, aus denen nach
dem Gutbefinden der obersten Justizverwaltungsbehörden unschuldig Verurteilten
Entschädigungen gewährt werden können. Bleiben diese Fonds bestehen, so liegt
die Gefahr nahe, daß die Behörden, die über ihre Verwendung zu bestimmen
haben, nachdem einmal die öffentliche Meinung durch ein notwendigerweise völlig un¬
zureichendes Gesetz beruhigt ist, an die einzelnen Fälle einen viel strengern Maßstab
anlegen werde», als es jetzt der Fall ist.
Der Bundesrat hat lange Jahre hindurch die wiederholte» Resolutivuc» des
Reichstags abgelehnt, die einen Gesetzentwurf über die Entschädigung unschuldig
Verurteilter verlangte». Der Bundesrat stellte sich auf den Standpunkt, daß das
vorhandne Nichtrecht dem zu schaffende» Rechte vorzuziehen sei. Dieser Standpunkt
ist ganz richtig. Das neue Gesetz ist zwecklos, weil es nur auf einem kleinen Ge¬
biete angewandt werden kann, und gefahrvoll, weil die strengere Verwaltung des
Dispositionsfonds eine Schädigung des öffentlichen Rechtsbewußtseins bedeuten würde.
Im Jahre 1883 hat Otto Bähr das jetzt bestehende Verfahren als das allein
zweckmäßige empfohlen. Wenn er damals anführte, es erscheine verfrüht, mit einem
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