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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das Recht der Schleswig-holsteinischen Erhebung

Recht sich einer notwendigen geschichtlichen Entwicklung entgegenstemmt, wird
es zum Unrecht. Dann darf die Berufung auf die Heiligkeit des Rechts umso
weniger den Fortschritt hemmen, als sich in solchem Falle kleinliche Selbstsucht.
Unverstand und Denkträgheit hinter das Recht zu verschanzen pflegen. Die
Stärke eines Staats beruht auf der Zufriedenheit seiner Bürger mit den
staatlichen Einrichtungen, und wenn auch das Ideal einer allgemeinen Zu¬
friedenheit nie erreicht werden wird, so wird doch die Existenz eines Staats
umso mehr gesichert sein, je mehr seine Einrichtungen den Anschauungen des
Volks oder der führenden Kreise des Volks entsprechen, je enger diese durch
gemeinsame Interessen und Bestrebungen, durch die Liebe zum gemeinsamen
Vaterlande mit einander verbunden sind. Als gegen die Mitte des Jahr¬
hunderts in Europa die Nationalitütsbestrebnngen erwachten, mußte den
nationalgesinnten Kreisen Deutschlands und Italiens die Kleinstaaterei als
eine Ungeheuerlichkeit erscheinen. Man war sich in beiden Ländern darüber
einig, daß die Sonderstellung der Kleinstaaten und ihrer Fürsten die Einheits¬
bewegung nicht hemmen durften. Die Einigung vollzog sich nicht in beiden
Ländern genau gleichmäßig, aber sie konnte nur durch die Bekämpfung aller
derer durchgeführt werden, die an der Erhaltung der bestehenden Zustünde
ein Interesse hatten, oder deren Rechtsanschauungen sich mit diesen Zuständen
deckten.

Von diesem Standpunkte aus sollte auch die Schleswig-holsteinische Frage
beurteilt werden. Das Recht der Schleswig-Holsteiner, ihre Trennung von
Dänemark zu fordern, lag in der Unversöhnlichkeit der nationalen Gegensätze
und den daraus entstandnen Unzuträglichkeiten. Die Schleswig-Holsteincr
suchten die Erhebung aus staatsrechtlichen Gründen zu rechtfertigen. Ihre
Vorväter hatten sich vor mehreren Jahrhunderten freiwillig unter die Herr¬
schaft des dünischen Königs begeben, sich aber dabei verschiedne Versprechungen,
die ihre Selbständigkeit sichern sollten, geben lassen, besonders die Zusage, daß
beide Herzogtümer unzertrennbar zusammenbleiben sollten. Auch daß für
Schleswig-Holstein ein andres Erbrecht gelte als für Dünemark, wurde aus
diesen Abmachungen gefolgert. Aber aus der bloßen Personalunion war mit
der Zeit ein viel engeres Verhältnis geworden. Die Dänen betrachteten beide
Herzogtümer als zu Dünemark gehörige Provinzen, wollten nur Holstein etwas
mehr Selbständigkeit gestatten, während sie Schleswig umso fester mit Däne¬
mark zu verbinden suchten. Die Schleswig-Holsteiner glaubten, daß sie beim
Aussterben der männlichen Linie des dänischen Königshauses rechtlich ihre
Trennung von Dänemark würde" fordern können. Die Dänen suchten dieser
Zerstörung des Gesamtstaats durch eine Regelung der Erbfolgefrage in ihrem
Sinne vorzubeugen. Dies rief den heftigen Widerstand der Schleswig-Hol¬
steiner hervor. Aber die Rechtsauffassung der Schleswig-Holsteiner war neu;
sie war die Frucht des nationalen Streites. Die Schleswig-Holsteiner hatten


Das Recht der Schleswig-holsteinischen Erhebung

Recht sich einer notwendigen geschichtlichen Entwicklung entgegenstemmt, wird
es zum Unrecht. Dann darf die Berufung auf die Heiligkeit des Rechts umso
weniger den Fortschritt hemmen, als sich in solchem Falle kleinliche Selbstsucht.
Unverstand und Denkträgheit hinter das Recht zu verschanzen pflegen. Die
Stärke eines Staats beruht auf der Zufriedenheit seiner Bürger mit den
staatlichen Einrichtungen, und wenn auch das Ideal einer allgemeinen Zu¬
friedenheit nie erreicht werden wird, so wird doch die Existenz eines Staats
umso mehr gesichert sein, je mehr seine Einrichtungen den Anschauungen des
Volks oder der führenden Kreise des Volks entsprechen, je enger diese durch
gemeinsame Interessen und Bestrebungen, durch die Liebe zum gemeinsamen
Vaterlande mit einander verbunden sind. Als gegen die Mitte des Jahr¬
hunderts in Europa die Nationalitütsbestrebnngen erwachten, mußte den
nationalgesinnten Kreisen Deutschlands und Italiens die Kleinstaaterei als
eine Ungeheuerlichkeit erscheinen. Man war sich in beiden Ländern darüber
einig, daß die Sonderstellung der Kleinstaaten und ihrer Fürsten die Einheits¬
bewegung nicht hemmen durften. Die Einigung vollzog sich nicht in beiden
Ländern genau gleichmäßig, aber sie konnte nur durch die Bekämpfung aller
derer durchgeführt werden, die an der Erhaltung der bestehenden Zustünde
ein Interesse hatten, oder deren Rechtsanschauungen sich mit diesen Zuständen
deckten.

Von diesem Standpunkte aus sollte auch die Schleswig-holsteinische Frage
beurteilt werden. Das Recht der Schleswig-Holsteiner, ihre Trennung von
Dänemark zu fordern, lag in der Unversöhnlichkeit der nationalen Gegensätze
und den daraus entstandnen Unzuträglichkeiten. Die Schleswig-Holsteincr
suchten die Erhebung aus staatsrechtlichen Gründen zu rechtfertigen. Ihre
Vorväter hatten sich vor mehreren Jahrhunderten freiwillig unter die Herr¬
schaft des dünischen Königs begeben, sich aber dabei verschiedne Versprechungen,
die ihre Selbständigkeit sichern sollten, geben lassen, besonders die Zusage, daß
beide Herzogtümer unzertrennbar zusammenbleiben sollten. Auch daß für
Schleswig-Holstein ein andres Erbrecht gelte als für Dünemark, wurde aus
diesen Abmachungen gefolgert. Aber aus der bloßen Personalunion war mit
der Zeit ein viel engeres Verhältnis geworden. Die Dänen betrachteten beide
Herzogtümer als zu Dünemark gehörige Provinzen, wollten nur Holstein etwas
mehr Selbständigkeit gestatten, während sie Schleswig umso fester mit Däne¬
mark zu verbinden suchten. Die Schleswig-Holsteiner glaubten, daß sie beim
Aussterben der männlichen Linie des dänischen Königshauses rechtlich ihre
Trennung von Dänemark würde» fordern können. Die Dänen suchten dieser
Zerstörung des Gesamtstaats durch eine Regelung der Erbfolgefrage in ihrem
Sinne vorzubeugen. Dies rief den heftigen Widerstand der Schleswig-Hol¬
steiner hervor. Aber die Rechtsauffassung der Schleswig-Holsteiner war neu;
sie war die Frucht des nationalen Streites. Die Schleswig-Holsteiner hatten


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[0689] Das Recht der Schleswig-holsteinischen Erhebung Recht sich einer notwendigen geschichtlichen Entwicklung entgegenstemmt, wird es zum Unrecht. Dann darf die Berufung auf die Heiligkeit des Rechts umso weniger den Fortschritt hemmen, als sich in solchem Falle kleinliche Selbstsucht. Unverstand und Denkträgheit hinter das Recht zu verschanzen pflegen. Die Stärke eines Staats beruht auf der Zufriedenheit seiner Bürger mit den staatlichen Einrichtungen, und wenn auch das Ideal einer allgemeinen Zu¬ friedenheit nie erreicht werden wird, so wird doch die Existenz eines Staats umso mehr gesichert sein, je mehr seine Einrichtungen den Anschauungen des Volks oder der führenden Kreise des Volks entsprechen, je enger diese durch gemeinsame Interessen und Bestrebungen, durch die Liebe zum gemeinsamen Vaterlande mit einander verbunden sind. Als gegen die Mitte des Jahr¬ hunderts in Europa die Nationalitütsbestrebnngen erwachten, mußte den nationalgesinnten Kreisen Deutschlands und Italiens die Kleinstaaterei als eine Ungeheuerlichkeit erscheinen. Man war sich in beiden Ländern darüber einig, daß die Sonderstellung der Kleinstaaten und ihrer Fürsten die Einheits¬ bewegung nicht hemmen durften. Die Einigung vollzog sich nicht in beiden Ländern genau gleichmäßig, aber sie konnte nur durch die Bekämpfung aller derer durchgeführt werden, die an der Erhaltung der bestehenden Zustünde ein Interesse hatten, oder deren Rechtsanschauungen sich mit diesen Zuständen deckten. Von diesem Standpunkte aus sollte auch die Schleswig-holsteinische Frage beurteilt werden. Das Recht der Schleswig-Holsteiner, ihre Trennung von Dänemark zu fordern, lag in der Unversöhnlichkeit der nationalen Gegensätze und den daraus entstandnen Unzuträglichkeiten. Die Schleswig-Holsteincr suchten die Erhebung aus staatsrechtlichen Gründen zu rechtfertigen. Ihre Vorväter hatten sich vor mehreren Jahrhunderten freiwillig unter die Herr¬ schaft des dünischen Königs begeben, sich aber dabei verschiedne Versprechungen, die ihre Selbständigkeit sichern sollten, geben lassen, besonders die Zusage, daß beide Herzogtümer unzertrennbar zusammenbleiben sollten. Auch daß für Schleswig-Holstein ein andres Erbrecht gelte als für Dünemark, wurde aus diesen Abmachungen gefolgert. Aber aus der bloßen Personalunion war mit der Zeit ein viel engeres Verhältnis geworden. Die Dänen betrachteten beide Herzogtümer als zu Dünemark gehörige Provinzen, wollten nur Holstein etwas mehr Selbständigkeit gestatten, während sie Schleswig umso fester mit Däne¬ mark zu verbinden suchten. Die Schleswig-Holsteiner glaubten, daß sie beim Aussterben der männlichen Linie des dänischen Königshauses rechtlich ihre Trennung von Dänemark würde» fordern können. Die Dänen suchten dieser Zerstörung des Gesamtstaats durch eine Regelung der Erbfolgefrage in ihrem Sinne vorzubeugen. Dies rief den heftigen Widerstand der Schleswig-Hol¬ steiner hervor. Aber die Rechtsauffassung der Schleswig-Holsteiner war neu; sie war die Frucht des nationalen Streites. Die Schleswig-Holsteiner hatten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/689>, abgerufen am 07.01.2025.