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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Die Einführung der Deportation in das deutsche Strafrecht

deren Antrag in Dienst gegeben werden." Das wäre also das vollständige
Assignatioussystem, das doch in Australien so vollständig Bankrott gemacht
hat. Darnach würde das Schicksal des einmal deportirten Sträflings nicht
mehr davon abhängen, wie das Gericht nach dem Gesetz seine Strafthat be¬
wertet hat, sondern davon, inwieweit er durch Arbeitsgeschick, Fleiß und Folg¬
samkeit, vielleicht aber auch durch Liebedienerei und Heuchelei das Wohlwollen
seiner Aufseher zu gewinnen versteht. Dem bloßen Verwaltungsermessen würde
uach der Bruckschen Ausführungsverordnung ein unmöglicher Spielraum ge¬
lassen sein. Man kann es doch nicht vom "guten Betragen" abhängig machen,
ob z. B. ein ursprünglich nur wegen Körperverletzung zu einigen Monaten
Gefängnis Verurteilter der vollen Deportationsstrafe von sieben Jahren ver¬
fallen sein soll, und dagegen ein wegen Totschlags oder Mordes zu lebens¬
länglicher Zuchthausstrafe Verurteilter nur mit drei Jahren Zwangsarbeit soll
davon kommen können, um dann nur als Knecht bei einem Kolonisten noch
einige Zeit dienen zu müssen, dann aber ein freier Mann werden zu können!

Außerdem vernachlässigt Brück ganz die von der Erfahrung des englischen
Transportationsshstems in der letzten Zeit für unbedingt notwendig gefundnen
Übergangsstufen und -formen der Strafe. Jeder auch zur Transportation
Verurteilte mußte erst die harten er^ininA-Monate (Einzelhaft mit hartem
Lager) in Pentonville durchmachen und kam dann erst in eins der oonvivt-
Gefängnisse, die man zu diesem Zwecke in Gibraltar und auf den Bermudainseln
angelegt hatte. Erst von dort erfolgte, wenn der Sträfling sich sonst dazu
geeignet erwies, die Überführung nach Südaustralien, später Bandiemensland
und zuletzt Westaustralien.

Wenn Brück an die Stelle dieser ganzen Übergangs- und Probezeit nur
(in Art. IV seines Gesetzentwurfs) die körperliche Untersuchung durch den Ge-
richtsphysikus setzen will, so dürfte sich dies Verfahren auch bald als unzu¬
länglich erweisen.

Es läßt sich schon aus diesen einzelnen Ausstellungen entnehmen, welche
Schwierigkeiten eine allgemeine gesetzliche Regelung der Deportatiousfrage
haben würde, sobald man dabei Gebiete im Auge hat, die schon von der freien
Kolonisation besetzt sind. Ganz anders würde die Sache liegen, wenn man
die Deportation lediglich als eine neue Strafart einführen und die für ihre
Regelung maßgebenden Grundsätze allein aus dem Gebiet entnehmen würde,
wohin der Begriff der Strafe allein gehört: dem Strcifrccht. Hier könnte
allein das französische sogenannte Recidivistengesetz vom 27. Mai 1885 als
Vorbild dienen. Voraussetzung dasür würde dann die Anlegung einer eignen,
besondern und nur diesem Zwecke dienenden Strafkolonie sein, für die als ge¬
eigneten Ort Graf Pfeil in einem andern neuern Aufsatz (Kolon.-Jahrb, von
1897, S. 18 ff.) die im Bismarckarchipel liegende Insel Neupommern vor¬
schlügt. Wenn hier auch die tropische Lage harte Arbeit durch Europäer


Die Einführung der Deportation in das deutsche Strafrecht

deren Antrag in Dienst gegeben werden." Das wäre also das vollständige
Assignatioussystem, das doch in Australien so vollständig Bankrott gemacht
hat. Darnach würde das Schicksal des einmal deportirten Sträflings nicht
mehr davon abhängen, wie das Gericht nach dem Gesetz seine Strafthat be¬
wertet hat, sondern davon, inwieweit er durch Arbeitsgeschick, Fleiß und Folg¬
samkeit, vielleicht aber auch durch Liebedienerei und Heuchelei das Wohlwollen
seiner Aufseher zu gewinnen versteht. Dem bloßen Verwaltungsermessen würde
uach der Bruckschen Ausführungsverordnung ein unmöglicher Spielraum ge¬
lassen sein. Man kann es doch nicht vom „guten Betragen" abhängig machen,
ob z. B. ein ursprünglich nur wegen Körperverletzung zu einigen Monaten
Gefängnis Verurteilter der vollen Deportationsstrafe von sieben Jahren ver¬
fallen sein soll, und dagegen ein wegen Totschlags oder Mordes zu lebens¬
länglicher Zuchthausstrafe Verurteilter nur mit drei Jahren Zwangsarbeit soll
davon kommen können, um dann nur als Knecht bei einem Kolonisten noch
einige Zeit dienen zu müssen, dann aber ein freier Mann werden zu können!

Außerdem vernachlässigt Brück ganz die von der Erfahrung des englischen
Transportationsshstems in der letzten Zeit für unbedingt notwendig gefundnen
Übergangsstufen und -formen der Strafe. Jeder auch zur Transportation
Verurteilte mußte erst die harten er^ininA-Monate (Einzelhaft mit hartem
Lager) in Pentonville durchmachen und kam dann erst in eins der oonvivt-
Gefängnisse, die man zu diesem Zwecke in Gibraltar und auf den Bermudainseln
angelegt hatte. Erst von dort erfolgte, wenn der Sträfling sich sonst dazu
geeignet erwies, die Überführung nach Südaustralien, später Bandiemensland
und zuletzt Westaustralien.

Wenn Brück an die Stelle dieser ganzen Übergangs- und Probezeit nur
(in Art. IV seines Gesetzentwurfs) die körperliche Untersuchung durch den Ge-
richtsphysikus setzen will, so dürfte sich dies Verfahren auch bald als unzu¬
länglich erweisen.

Es läßt sich schon aus diesen einzelnen Ausstellungen entnehmen, welche
Schwierigkeiten eine allgemeine gesetzliche Regelung der Deportatiousfrage
haben würde, sobald man dabei Gebiete im Auge hat, die schon von der freien
Kolonisation besetzt sind. Ganz anders würde die Sache liegen, wenn man
die Deportation lediglich als eine neue Strafart einführen und die für ihre
Regelung maßgebenden Grundsätze allein aus dem Gebiet entnehmen würde,
wohin der Begriff der Strafe allein gehört: dem Strcifrccht. Hier könnte
allein das französische sogenannte Recidivistengesetz vom 27. Mai 1885 als
Vorbild dienen. Voraussetzung dasür würde dann die Anlegung einer eignen,
besondern und nur diesem Zwecke dienenden Strafkolonie sein, für die als ge¬
eigneten Ort Graf Pfeil in einem andern neuern Aufsatz (Kolon.-Jahrb, von
1897, S. 18 ff.) die im Bismarckarchipel liegende Insel Neupommern vor¬
schlügt. Wenn hier auch die tropische Lage harte Arbeit durch Europäer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/686>, abgerufen am 08.01.2025.