Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Die Bibel Ein Erzeugnis der Priesterschaft kann das Gesetzbuch samt der Patriarchen¬ Am vollkommensten lernt man das Prophetentum in seinem größten Ver¬ Die Bibel Ein Erzeugnis der Priesterschaft kann das Gesetzbuch samt der Patriarchen¬ Am vollkommensten lernt man das Prophetentum in seinem größten Ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0664" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227566"/> <fw type="header" place="top"> Die Bibel</fw><lb/> <p xml:id="ID_2385"> Ein Erzeugnis der Priesterschaft kann das Gesetzbuch samt der Patriarchen¬<lb/> geschichte schon darum nicht sein, weil die Priester, wie schon bemerkt wurde,<lb/> Hofbeamte waren, und der Geist des Gesetzbuchs nicht in ihnen, sondern in<lb/> den Propheten lebte. Diese dem Judenvolke ausschließlich eignen wunderbaren<lb/> Männer lebten, je nachdem der Hofwind wehte, entweder als Einsiedler, in<lb/> Tierfclle gehüllt, in Einöden, gehaßt und gehetzt, bis sie in Kerkern endeten<lb/> oder eines gewaltsamen Todes starben, „deren die Welt nicht wert war," wie<lb/> der Hebräerbrief sagt, oder als hochgeehrte Ratgeber der Könige, die sie „mein<lb/> Vater" anredeten. Elias ward abwechselnd verfolgt und von der Hofgunst<lb/> bestrahlt. Ahab, ein schwachmütiger Mann, der zwischen der Furcht vor Gott<lb/> und der Furcht vor seinem phönizischen Weibe schwankte, ließ sich wohl auch<lb/> mitunter von Neue erschüttern und aus dem Munde des Propheten der gött¬<lb/> lichen Verzeihung versichern, aber im allgemeinen hörte er doch lieber die<lb/> Schmeichelstimmen der Lügenpropheten als die Strafreden der Propheten des<lb/> Herrn. Es ist noch ein Prophet übrig, durch den wir Jehovah befragen<lb/> könnten, antwortet er dem frommen König Josaphat von Juda aus einem<lb/> Kriegszuge, aber ich hasse den Mann, weil er mir niemals etwas Gutes, sondern<lb/> immer Übles verkündigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2386" next="#ID_2387"> Am vollkommensten lernt man das Prophetentum in seinem größten Ver¬<lb/> treter kennen. Nachdem eine tiefere Gotteserkenntnis durch die kindlichen aber<lb/> würdigen Vorstellungen der Patriarchenzeit vorbereitet worden war, enthüllte<lb/> sich Gott dem Moses als der, der da ist, der keinen Eigennamen hat wie die<lb/> Heidengötter, die gar keine Götter sind, weil er der Seiende ist, das, was von<lb/> Ewigkeit allein wirklich und wahrhaft ist, und von dem alles ausgeht, was<lb/> sonst noch vorhanden ist; enthüllte sich als den allmächtigen und allwissenden<lb/> Schöpfer und Herrn aller Dinge und als den gerechten und heiligen Lenker<lb/> der menschlichen Schicksale. Salomo hat dann bei der Tempelweihe gebetet:<lb/> Wenn die Himmel, und die Himmel der Himmel dich nicht fassen, wie könnte<lb/> dieses Haus dich fassen, das ich gebant habe? Diesen Gottesbegriff hat Jesaja<lb/> nach allen Seiten hin entwickelt, und die Philosophen und Theologen, die nach<lb/> ihm gekommen sind, haben am Gott des Jesaja nichts wesentliches zu ändern<lb/> vermocht, sodaß auch der Gebildete unsrer Tage nur die Wahl hat zwischen<lb/> dem Gott des Jesaja und dem Atheismus. Natürlich verwarfen die Propheten<lb/> nicht grundsätzlich den Opferkult, denn ohne solchen wäre in jener Zeit ein<lb/> Kult überhaupt nicht möglich gewesen, und ohne Kultus Hütte das Prvpheten-<lb/> wort keinen Anknüpfungspunkt gefunden, aber sie verkündigten nachdrücklich,<lb/> daß der Kult nur eine symbolische Bedeutung habe, daß er ganz Sinn- und<lb/> wirkungslos sei, wenn die Gesinnung fehle, die er Sinnbilder solle. Hört das<lb/> Wort des Herrn, ihr Sodomsfürste», vernimm das Gesetz unsers Gottes,<lb/> Gomorrhavolk, ruft Jesaja. Wozu soll mir die Menge eurer Opfer? Ich<lb/> bin voll davon. Eure Brandopfer, und das Fett des Mastviehs, und das<lb/> Blut der Kälber, Lämmer und Böcke mag ich nicht. Euer Weihrauch ist mir<lb/> «in Greuel! Eure Neumonde, Sabbathe und Feste ertrage ich nicht länger,<lb/> meine Seele haßt sie, sie verursachen mir Pein. I^Jn allen diesen wunderbaren<lb/> Prophetenreden verschmelzen der Geist Gottes und die Seele des Propheten<lb/> zu einem Wesen.j Denn eure Versammlungen sind ungerecht. Mögt ihr eure<lb/> Hände zu mir emporstrecken, ich wende meine Augen ab, mögt ihr eure Gebete<lb/> vervielfältigen, ich erhöre euch nicht, denn eure Hände sind voll Blut! Wäsche<lb/> euch, reinigt euch, tilgt eure bösen Gedanken, hört auf schlecht zu handeln,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0664]
Die Bibel
Ein Erzeugnis der Priesterschaft kann das Gesetzbuch samt der Patriarchen¬
geschichte schon darum nicht sein, weil die Priester, wie schon bemerkt wurde,
Hofbeamte waren, und der Geist des Gesetzbuchs nicht in ihnen, sondern in
den Propheten lebte. Diese dem Judenvolke ausschließlich eignen wunderbaren
Männer lebten, je nachdem der Hofwind wehte, entweder als Einsiedler, in
Tierfclle gehüllt, in Einöden, gehaßt und gehetzt, bis sie in Kerkern endeten
oder eines gewaltsamen Todes starben, „deren die Welt nicht wert war," wie
der Hebräerbrief sagt, oder als hochgeehrte Ratgeber der Könige, die sie „mein
Vater" anredeten. Elias ward abwechselnd verfolgt und von der Hofgunst
bestrahlt. Ahab, ein schwachmütiger Mann, der zwischen der Furcht vor Gott
und der Furcht vor seinem phönizischen Weibe schwankte, ließ sich wohl auch
mitunter von Neue erschüttern und aus dem Munde des Propheten der gött¬
lichen Verzeihung versichern, aber im allgemeinen hörte er doch lieber die
Schmeichelstimmen der Lügenpropheten als die Strafreden der Propheten des
Herrn. Es ist noch ein Prophet übrig, durch den wir Jehovah befragen
könnten, antwortet er dem frommen König Josaphat von Juda aus einem
Kriegszuge, aber ich hasse den Mann, weil er mir niemals etwas Gutes, sondern
immer Übles verkündigt.
Am vollkommensten lernt man das Prophetentum in seinem größten Ver¬
treter kennen. Nachdem eine tiefere Gotteserkenntnis durch die kindlichen aber
würdigen Vorstellungen der Patriarchenzeit vorbereitet worden war, enthüllte
sich Gott dem Moses als der, der da ist, der keinen Eigennamen hat wie die
Heidengötter, die gar keine Götter sind, weil er der Seiende ist, das, was von
Ewigkeit allein wirklich und wahrhaft ist, und von dem alles ausgeht, was
sonst noch vorhanden ist; enthüllte sich als den allmächtigen und allwissenden
Schöpfer und Herrn aller Dinge und als den gerechten und heiligen Lenker
der menschlichen Schicksale. Salomo hat dann bei der Tempelweihe gebetet:
Wenn die Himmel, und die Himmel der Himmel dich nicht fassen, wie könnte
dieses Haus dich fassen, das ich gebant habe? Diesen Gottesbegriff hat Jesaja
nach allen Seiten hin entwickelt, und die Philosophen und Theologen, die nach
ihm gekommen sind, haben am Gott des Jesaja nichts wesentliches zu ändern
vermocht, sodaß auch der Gebildete unsrer Tage nur die Wahl hat zwischen
dem Gott des Jesaja und dem Atheismus. Natürlich verwarfen die Propheten
nicht grundsätzlich den Opferkult, denn ohne solchen wäre in jener Zeit ein
Kult überhaupt nicht möglich gewesen, und ohne Kultus Hütte das Prvpheten-
wort keinen Anknüpfungspunkt gefunden, aber sie verkündigten nachdrücklich,
daß der Kult nur eine symbolische Bedeutung habe, daß er ganz Sinn- und
wirkungslos sei, wenn die Gesinnung fehle, die er Sinnbilder solle. Hört das
Wort des Herrn, ihr Sodomsfürste», vernimm das Gesetz unsers Gottes,
Gomorrhavolk, ruft Jesaja. Wozu soll mir die Menge eurer Opfer? Ich
bin voll davon. Eure Brandopfer, und das Fett des Mastviehs, und das
Blut der Kälber, Lämmer und Böcke mag ich nicht. Euer Weihrauch ist mir
«in Greuel! Eure Neumonde, Sabbathe und Feste ertrage ich nicht länger,
meine Seele haßt sie, sie verursachen mir Pein. I^Jn allen diesen wunderbaren
Prophetenreden verschmelzen der Geist Gottes und die Seele des Propheten
zu einem Wesen.j Denn eure Versammlungen sind ungerecht. Mögt ihr eure
Hände zu mir emporstrecken, ich wende meine Augen ab, mögt ihr eure Gebete
vervielfältigen, ich erhöre euch nicht, denn eure Hände sind voll Blut! Wäsche
euch, reinigt euch, tilgt eure bösen Gedanken, hört auf schlecht zu handeln,
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