Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Die Bibel gestoßen, daß er hier die Arbeit von je zwei Männern, eines ältern Verfassers Die Bibel gestoßen, daß er hier die Arbeit von je zwei Männern, eines ältern Verfassers <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0659" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227561"/> <fw type="header" place="top"> Die Bibel</fw><lb/> <p xml:id="ID_2376" prev="#ID_2375" next="#ID_2377"> gestoßen, daß er hier die Arbeit von je zwei Männern, eines ältern Verfassers<lb/> vnd eines jüngern Überarbeiters, vor sich hat, und der Bearbeiter erwähnt<lb/> von Zeit zu Zeit seine, Quellen. Daß man nun über diese mannigfachen Zu-<lb/> sammenfügnngen und Überarbeitungen Hypothesen aufstellt, dagegen habe ich,<lb/> obwohl es eine recht aussichtslose Arbeit ist, natürlich nichts einzuwenden;<lb/> hingegen weise ich solche Hypothesen entschieden ab wie die. daß die Priester,<lb/> die nach 2. Könige 22 und 2. Chronik 34 unter der Regierung des Königs<lb/> Josias das unter den Heidengreueln seiner Vorgänger verschvllne Gesetzbuch<lb/> in der Schatzkammer des Tempels entdeckt haben, daß diese Priester es verfaßt<lb/> haben sollen und die Wiederauffindung nnr eine Komödie gewesen sein soll.<lb/> Mit dieser geistreichen Hypothese wäre die Gestalt des Moses aus der Welt¬<lb/> geschichte gestrichen, dieses gewaltigsten und mildesten aller Männer, der die<lb/> Feinde Gottes wie Gewürm zertreten und sein Volk in seinen Armen und an<lb/> seinein Herzen getragen hat, wie eine Mutter ihr Kindlein trägt, und der der<lb/> Urheber oder Vermittler der merkwürdigsten Gesetzgebung aller Zeiten gewesen<lb/> ist. Langweilig und uninteressant ist die Bibel anch in ihrem trockensten Teile<lb/> nicht, dem Gesetze, das, wie es einem einheitlichen nngespaltnen Volksgeiste<lb/> geziemt, das Moralische, das Bürgerliche, Polizeiliche und strafrechtliche, das<lb/> Rituelle und Liturgische in eins verschmilzt. Der Knabe hat die Beschreibung<lb/> der Stiftshütte und die Aufzählung der reinen und unreinen Tiere mit neu¬<lb/> gieriger Verwunderung gelesen, der Mann erkennt ihre kulturgeschichtliche Be¬<lb/> deutung und bewundert die Weisheit des Gesetzgebers. Das großartige daran<lb/> aber ist die Humanität, die von keiner Gesetzgebung späterer Zeiten erreicht<lb/> worden ist. „Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke verrichten.<lb/> Der siebente Tag aber ist die Ruhe des Herrn deines Gottes. An ihm sollst<lb/> du kein Werk verrichten, weder du, noch dein Sohn, noch deine Tochter, noch<lb/> dein Knecht und deine Magd, noch dein Ochs, Esel und sonstiges Zugvieh,<lb/> noch der Fremdling, der in deinen Mauern weilt, auf daß dein Knecht und><lb/> deine Magd Ruhe haben, wie du selbst; gedenke, wie auch du ein Sklave ge¬<lb/> wesen bist im Lande Ägypten, und wie dich der Herr dein Gott mit starker<lb/> Hand und ausgestrecktem Arm herausgeführt hat; deswegen hat er dir befohlen,<lb/> daß du den Tag des Sabbaths beobachtest. Der Herr, euer Gott, ist der<lb/> Götter Gott und der Herr der Herrschenden, der große, mächtige und furcht¬<lb/> bare Gott, der nicht auf den Stand der Person sieht, noch Geschenke annimmt,<lb/> der Recht schafft der Waise und der Witwe, den wandernden Fremdling liebt,<lb/> ihm Speise und Kleidung giebt; so sollet auch ihr den Fremdling lieben, wie<lb/> ihr denn selbst Eingewanderte gewesen seid im Lande Ägypten. Du sollst<lb/> nicht das Recht des Fremdlings und des Waisenkinds verkehren, noch das<lb/> Kleid der Witwe pfänden; gedenke, daß du als Knecht gedient hast in Ägypten,<lb/> und der Herr dein Gott dich daraus errettet hat; deswegen befehle ich dir.<lb/> daß du so handelst. Wenn du die Frucht deines Ackers erntest, sollst du nicht<lb/> alle Ecken abmähen, noch die liegen gebliebner Ähren auflesen; und hast du<lb/> eine Garbe vergessen, so sollst du nicht zurückkehren, sie zu holen; sonder»<lb/> sollst das dem fremden Wandrer, der Witwe und der Waise lassen. Wenn<lb/> du Oliven geerntet hast, sollst dn nicht zurückkehren, die einzelnen auf den<lb/> Bäumen zurückgebliebnen Früchte zu holen; dem Wandrer, der Witwe, der<lb/> Waise sollst du sie lassen. Wenn du deinen Weinberg abgeerntet hast, sollst<lb/> du nicht zurückkehren, die hängen gebliebner Trauben zu lesen; dem Fremdling,<lb/> der Witwe, der Waise gehören sie. Gedenke, daß auch du als Knecht gedient</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0659]
Die Bibel
gestoßen, daß er hier die Arbeit von je zwei Männern, eines ältern Verfassers
vnd eines jüngern Überarbeiters, vor sich hat, und der Bearbeiter erwähnt
von Zeit zu Zeit seine, Quellen. Daß man nun über diese mannigfachen Zu-
sammenfügnngen und Überarbeitungen Hypothesen aufstellt, dagegen habe ich,
obwohl es eine recht aussichtslose Arbeit ist, natürlich nichts einzuwenden;
hingegen weise ich solche Hypothesen entschieden ab wie die. daß die Priester,
die nach 2. Könige 22 und 2. Chronik 34 unter der Regierung des Königs
Josias das unter den Heidengreueln seiner Vorgänger verschvllne Gesetzbuch
in der Schatzkammer des Tempels entdeckt haben, daß diese Priester es verfaßt
haben sollen und die Wiederauffindung nnr eine Komödie gewesen sein soll.
Mit dieser geistreichen Hypothese wäre die Gestalt des Moses aus der Welt¬
geschichte gestrichen, dieses gewaltigsten und mildesten aller Männer, der die
Feinde Gottes wie Gewürm zertreten und sein Volk in seinen Armen und an
seinein Herzen getragen hat, wie eine Mutter ihr Kindlein trägt, und der der
Urheber oder Vermittler der merkwürdigsten Gesetzgebung aller Zeiten gewesen
ist. Langweilig und uninteressant ist die Bibel anch in ihrem trockensten Teile
nicht, dem Gesetze, das, wie es einem einheitlichen nngespaltnen Volksgeiste
geziemt, das Moralische, das Bürgerliche, Polizeiliche und strafrechtliche, das
Rituelle und Liturgische in eins verschmilzt. Der Knabe hat die Beschreibung
der Stiftshütte und die Aufzählung der reinen und unreinen Tiere mit neu¬
gieriger Verwunderung gelesen, der Mann erkennt ihre kulturgeschichtliche Be¬
deutung und bewundert die Weisheit des Gesetzgebers. Das großartige daran
aber ist die Humanität, die von keiner Gesetzgebung späterer Zeiten erreicht
worden ist. „Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke verrichten.
Der siebente Tag aber ist die Ruhe des Herrn deines Gottes. An ihm sollst
du kein Werk verrichten, weder du, noch dein Sohn, noch deine Tochter, noch
dein Knecht und deine Magd, noch dein Ochs, Esel und sonstiges Zugvieh,
noch der Fremdling, der in deinen Mauern weilt, auf daß dein Knecht und>
deine Magd Ruhe haben, wie du selbst; gedenke, wie auch du ein Sklave ge¬
wesen bist im Lande Ägypten, und wie dich der Herr dein Gott mit starker
Hand und ausgestrecktem Arm herausgeführt hat; deswegen hat er dir befohlen,
daß du den Tag des Sabbaths beobachtest. Der Herr, euer Gott, ist der
Götter Gott und der Herr der Herrschenden, der große, mächtige und furcht¬
bare Gott, der nicht auf den Stand der Person sieht, noch Geschenke annimmt,
der Recht schafft der Waise und der Witwe, den wandernden Fremdling liebt,
ihm Speise und Kleidung giebt; so sollet auch ihr den Fremdling lieben, wie
ihr denn selbst Eingewanderte gewesen seid im Lande Ägypten. Du sollst
nicht das Recht des Fremdlings und des Waisenkinds verkehren, noch das
Kleid der Witwe pfänden; gedenke, daß du als Knecht gedient hast in Ägypten,
und der Herr dein Gott dich daraus errettet hat; deswegen befehle ich dir.
daß du so handelst. Wenn du die Frucht deines Ackers erntest, sollst du nicht
alle Ecken abmähen, noch die liegen gebliebner Ähren auflesen; und hast du
eine Garbe vergessen, so sollst du nicht zurückkehren, sie zu holen; sonder»
sollst das dem fremden Wandrer, der Witwe und der Waise lassen. Wenn
du Oliven geerntet hast, sollst dn nicht zurückkehren, die einzelnen auf den
Bäumen zurückgebliebnen Früchte zu holen; dem Wandrer, der Witwe, der
Waise sollst du sie lassen. Wenn du deinen Weinberg abgeerntet hast, sollst
du nicht zurückkehren, die hängen gebliebner Trauben zu lesen; dem Fremdling,
der Witwe, der Waise gehören sie. Gedenke, daß auch du als Knecht gedient
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