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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Separatfrieden und Separatbündnisse geben, denn auch sie gehen immer auf
deutsche Kosten, so wohlgemeint sie sein mögen; wir brauchen Zusammenhalt
und Tradition. Das alles brauchen wir nicht allein als Sonntags- und Fest-
stimmung, sondern anch als Geleit des Alltags, wo es bei wirklicher Arbeit
und im regelmäßigen Verkehr beiderseits die Herzen befruchtet und eine langsam,
aber stetig wachsende Ernte verheißt. Bis dahin wird das Übel weiter wuchern
und keine aufrichtige Versöhnung aufkommen lassen. Unter anderm wird es
dabei bleiben, daß, wer von uns auf den Sitz des Übels hinweist und zeigt,
wie undeutsch und dem Deutschtum schädlich das ganze Treiben ist, als Chau¬
vinist verschrieen werden darf, ohne daß die zu gleicher Pflicht gehaltnen den
Vorwurf als Beschämung empfänden. Für die Eingebornen vollends, die sich
uns von Herzen und ohne Vorbehalt zuwenden möchten, wirkt der jetzige Zu¬
stand wie eine Verfehmung.

Das zuletzt Gesagte zeigt sich gerade jetzt einer Schrift gegenüber, die
Erwähnung und Beachtung verdient. Die Tägliche Rundschau in Berlin hat
unter der Überschrift "Briefe eines Elsässers" eine Reihe von Artikeln über
unsre Verhältnisse veröffentlicht und dann als Sonderabdruck hierher verschickt,
wie es scheint besonders an Beamte. Der Verfasser hat sich nicht genannt.
Er stammt aus einer altelsüssischen Familie, ist aber wirklich ein Deutscher
geworden und fühlt Schmerz darüber, daß so wenige diesen geistigen Gewinn
teilen. Da er die engere Heimat ebenfalls liebt, so drängt es ihn, die Ur¬
sachen der Vereinzelung zu untersuchen, und er thut es in würdiger Form,
aber mit voller Offenheit, ohne Schminke, wo nötig gegen alle Beteiligten,
gegen Altdeutsche und Neudeutsche. Was den Wert seiner Erörterungen be¬
trifft, so ist der volksbeschreibende Teil, wie man ihn nennen könnte: seine
soziale Landesaufnahme fast ausnahmslos vortrefflich; er bringt viel neues,
man lernt von ihm, er beobachtet gut und kennt Land und Leute genau, ist
auch in der Geschichte seines Geburtslandes zu Hause und weiß, was für
dessen Entwicklung und jetzigen Zustand das französische Wesen zu bedeuten
hat, wie unvereinbar die landesübliche Gallomanie mit der deutschen Gegen¬
wart ist. Er versteht es auch, seine Beobachtungen und Gedanken lebendig
und treffend auszudrücken; immerhin ist manchmal eine gewisse Unfertigkeit
störend, die sich selbst nicht ahnt. Das gilt auch von den praktischen An¬
regungen, von der eigentlich politischen Seite überhaupt. Darin schwimmt
der Verfasser mit der Mode und macht fast nur bei dem Stichwort: "Elsaß-
Lothringen den Elsaß-Lothringern" eine Ausnahme. Seine Opposition dagegen
ist originell: "Man stelle einmal als allgemeinen Grundsatz auf, daß jeder
deutsche Vundesstaat für jeden Beamten, den er ins Elsaß abgiebt, zur Über¬
nahme eines Elsässers verpflichtet ist." Die Opposition ist auch sehr scharf:
"An dem Tage, wo das Wort "Elsaß den Elsässern" als leitender Grundsatz
unsrer Verwaltung aufgestellt wird, ist dem Deutschtum im Elsaß das Todes-


Separatfrieden und Separatbündnisse geben, denn auch sie gehen immer auf
deutsche Kosten, so wohlgemeint sie sein mögen; wir brauchen Zusammenhalt
und Tradition. Das alles brauchen wir nicht allein als Sonntags- und Fest-
stimmung, sondern anch als Geleit des Alltags, wo es bei wirklicher Arbeit
und im regelmäßigen Verkehr beiderseits die Herzen befruchtet und eine langsam,
aber stetig wachsende Ernte verheißt. Bis dahin wird das Übel weiter wuchern
und keine aufrichtige Versöhnung aufkommen lassen. Unter anderm wird es
dabei bleiben, daß, wer von uns auf den Sitz des Übels hinweist und zeigt,
wie undeutsch und dem Deutschtum schädlich das ganze Treiben ist, als Chau¬
vinist verschrieen werden darf, ohne daß die zu gleicher Pflicht gehaltnen den
Vorwurf als Beschämung empfänden. Für die Eingebornen vollends, die sich
uns von Herzen und ohne Vorbehalt zuwenden möchten, wirkt der jetzige Zu¬
stand wie eine Verfehmung.

Das zuletzt Gesagte zeigt sich gerade jetzt einer Schrift gegenüber, die
Erwähnung und Beachtung verdient. Die Tägliche Rundschau in Berlin hat
unter der Überschrift „Briefe eines Elsässers" eine Reihe von Artikeln über
unsre Verhältnisse veröffentlicht und dann als Sonderabdruck hierher verschickt,
wie es scheint besonders an Beamte. Der Verfasser hat sich nicht genannt.
Er stammt aus einer altelsüssischen Familie, ist aber wirklich ein Deutscher
geworden und fühlt Schmerz darüber, daß so wenige diesen geistigen Gewinn
teilen. Da er die engere Heimat ebenfalls liebt, so drängt es ihn, die Ur¬
sachen der Vereinzelung zu untersuchen, und er thut es in würdiger Form,
aber mit voller Offenheit, ohne Schminke, wo nötig gegen alle Beteiligten,
gegen Altdeutsche und Neudeutsche. Was den Wert seiner Erörterungen be¬
trifft, so ist der volksbeschreibende Teil, wie man ihn nennen könnte: seine
soziale Landesaufnahme fast ausnahmslos vortrefflich; er bringt viel neues,
man lernt von ihm, er beobachtet gut und kennt Land und Leute genau, ist
auch in der Geschichte seines Geburtslandes zu Hause und weiß, was für
dessen Entwicklung und jetzigen Zustand das französische Wesen zu bedeuten
hat, wie unvereinbar die landesübliche Gallomanie mit der deutschen Gegen¬
wart ist. Er versteht es auch, seine Beobachtungen und Gedanken lebendig
und treffend auszudrücken; immerhin ist manchmal eine gewisse Unfertigkeit
störend, die sich selbst nicht ahnt. Das gilt auch von den praktischen An¬
regungen, von der eigentlich politischen Seite überhaupt. Darin schwimmt
der Verfasser mit der Mode und macht fast nur bei dem Stichwort: „Elsaß-
Lothringen den Elsaß-Lothringern" eine Ausnahme. Seine Opposition dagegen
ist originell: „Man stelle einmal als allgemeinen Grundsatz auf, daß jeder
deutsche Vundesstaat für jeden Beamten, den er ins Elsaß abgiebt, zur Über¬
nahme eines Elsässers verpflichtet ist." Die Opposition ist auch sehr scharf:
„An dem Tage, wo das Wort »Elsaß den Elsässern« als leitender Grundsatz
unsrer Verwaltung aufgestellt wird, ist dem Deutschtum im Elsaß das Todes-


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[0647] Separatfrieden und Separatbündnisse geben, denn auch sie gehen immer auf deutsche Kosten, so wohlgemeint sie sein mögen; wir brauchen Zusammenhalt und Tradition. Das alles brauchen wir nicht allein als Sonntags- und Fest- stimmung, sondern anch als Geleit des Alltags, wo es bei wirklicher Arbeit und im regelmäßigen Verkehr beiderseits die Herzen befruchtet und eine langsam, aber stetig wachsende Ernte verheißt. Bis dahin wird das Übel weiter wuchern und keine aufrichtige Versöhnung aufkommen lassen. Unter anderm wird es dabei bleiben, daß, wer von uns auf den Sitz des Übels hinweist und zeigt, wie undeutsch und dem Deutschtum schädlich das ganze Treiben ist, als Chau¬ vinist verschrieen werden darf, ohne daß die zu gleicher Pflicht gehaltnen den Vorwurf als Beschämung empfänden. Für die Eingebornen vollends, die sich uns von Herzen und ohne Vorbehalt zuwenden möchten, wirkt der jetzige Zu¬ stand wie eine Verfehmung. Das zuletzt Gesagte zeigt sich gerade jetzt einer Schrift gegenüber, die Erwähnung und Beachtung verdient. Die Tägliche Rundschau in Berlin hat unter der Überschrift „Briefe eines Elsässers" eine Reihe von Artikeln über unsre Verhältnisse veröffentlicht und dann als Sonderabdruck hierher verschickt, wie es scheint besonders an Beamte. Der Verfasser hat sich nicht genannt. Er stammt aus einer altelsüssischen Familie, ist aber wirklich ein Deutscher geworden und fühlt Schmerz darüber, daß so wenige diesen geistigen Gewinn teilen. Da er die engere Heimat ebenfalls liebt, so drängt es ihn, die Ur¬ sachen der Vereinzelung zu untersuchen, und er thut es in würdiger Form, aber mit voller Offenheit, ohne Schminke, wo nötig gegen alle Beteiligten, gegen Altdeutsche und Neudeutsche. Was den Wert seiner Erörterungen be¬ trifft, so ist der volksbeschreibende Teil, wie man ihn nennen könnte: seine soziale Landesaufnahme fast ausnahmslos vortrefflich; er bringt viel neues, man lernt von ihm, er beobachtet gut und kennt Land und Leute genau, ist auch in der Geschichte seines Geburtslandes zu Hause und weiß, was für dessen Entwicklung und jetzigen Zustand das französische Wesen zu bedeuten hat, wie unvereinbar die landesübliche Gallomanie mit der deutschen Gegen¬ wart ist. Er versteht es auch, seine Beobachtungen und Gedanken lebendig und treffend auszudrücken; immerhin ist manchmal eine gewisse Unfertigkeit störend, die sich selbst nicht ahnt. Das gilt auch von den praktischen An¬ regungen, von der eigentlich politischen Seite überhaupt. Darin schwimmt der Verfasser mit der Mode und macht fast nur bei dem Stichwort: „Elsaß- Lothringen den Elsaß-Lothringern" eine Ausnahme. Seine Opposition dagegen ist originell: „Man stelle einmal als allgemeinen Grundsatz auf, daß jeder deutsche Vundesstaat für jeden Beamten, den er ins Elsaß abgiebt, zur Über¬ nahme eines Elsässers verpflichtet ist." Die Opposition ist auch sehr scharf: „An dem Tage, wo das Wort »Elsaß den Elsässern« als leitender Grundsatz unsrer Verwaltung aufgestellt wird, ist dem Deutschtum im Elsaß das Todes-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/647>, abgerufen am 08.01.2025.