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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Reichsländische Zeitfragen

aber dadurch, wie das so vorkommt, unbequem wird, wird vom Negierungs-
tisch aus bestenfalls nur matt verteidigt, und wenn, wie ganz vor kurzem, der
Angriff auf den einen, nicht einmal genannten Beamten offenbar auf die ganze
Beamtenkategorie gemünzt ist -- es handelte sich wieder einmal um die Forst¬
partie --, so wird ja der Angriff zurückgewiesen, aber nicht so, daß dem An¬
greifer die Luft zur Wiederholung verginge. Als derselbe Abgeordnete voriges
Jahr eine Variation der luxemburgischen Nationalweise: "Wer weite kenne
Prusse sin" zum besten gab, wurde die Ungehörigkeit gar nicht gerügt. Ich
bin seit 1881 im Lande, habe aber während der ganzen Zeit nur an einem
unsrer Minister wahrgenommen, daß er im Landesausschuß immer nur echtes
Deutsch gesprochen hätte; das war der jetzige Oberpräsident Stube, der bloß
etwas zu bureaukratisch war. Also, unsre Abgeordneten haben es in ihrem
Sinne ganz gut, wenn sie recht lange tagen, es ist nicht nötig, es ihnen zum
Verdienste anzurechnen. Oder spricht für das Gegenteil der Umstand, daß in
dieser Session, außer der Eröffnungssitzung vom 10. Januar, bis heute -- den
21. Februar -- sechs Sitzungen abgehalten worden sind: am 18. und 19. Januar,
am 1., 2., 15. und 16. Februar? Wenn das Tagen der Kommissionen die
Thätigkeit des Plenums ausschließen sollte, so ist das ein Beweis mehr sür meine
früher ansgesprochne Behauptung, daß der Landesausschuß seinem Namen und
seiner Mitgliederzahl uach nichts als eine größere Kommission ist, die wohl
daran thäte, die Vorberatung der meisten Vorlagen, namentlich die des sehr
gleichmäßig bleibenden Staatshaushalts, in das ganze Haus zu verlegen. Die
diesjährigen Vorlagen zumal sind großenteils fertig vorgethane Arbeit, bei der
es Annehmen oder Ablehnen, aber kaum Amendiren heißt. Wenn darnach
verfahren würde, so hätten unsre Landboten in der That Gelegenheit, den
Eifer und die Hingebung zu bewähren, die der Statthalter in einer weitern
Wendung seiner verbindlichen Tischrede an ihnen gerühmt hat.

Unser jetziger Statthalter hat diese Gewohnheit, die Menschen und Dinge
in unserm Lande, soweit sie "einheimisch" sind, in vergrößernder Perspektive
zu sehen, als etwas fertiges überkommen, und es ist begreiflich, daß er sie
fortsetzt. Aber einmal wird damit gebrochen werden müssen, es ist doch zum
wenigste" eine Verwöhnung; je eher also, desto besser. Wenn es erlaubt
wäre, als Pessimist zu rechnen, so möchte man fast wünschen, daß der Landes¬
ausschuß so verblendet wäre, die Kapitalrentensteuer abzulehnen. Dann freilich
würde auf die wirklichen Verhältnisse starkes Licht fallen; auf kleinerm Raum
dem entsprechend, was der Reichstag wagt, wenn er die Flottenvorlage zurück¬
weist oder verstümmelt. Wahrscheinlich ist allerdings die Ablehnung nicht,
denn nach dem verhältnismäßig entschiednen Tone zu schließen, womit Herr
v. Puttkcimer bei der allgemeinen Budgetdebatte das Gerede von Diktatur
widerlegt hat, ist der Regierung ihre besondre Stärke in der diesjährigen
"Konstellation" bekannt, und sie muß davon Gebrauch machen, ebenso sehr


Reichsländische Zeitfragen

aber dadurch, wie das so vorkommt, unbequem wird, wird vom Negierungs-
tisch aus bestenfalls nur matt verteidigt, und wenn, wie ganz vor kurzem, der
Angriff auf den einen, nicht einmal genannten Beamten offenbar auf die ganze
Beamtenkategorie gemünzt ist — es handelte sich wieder einmal um die Forst¬
partie —, so wird ja der Angriff zurückgewiesen, aber nicht so, daß dem An¬
greifer die Luft zur Wiederholung verginge. Als derselbe Abgeordnete voriges
Jahr eine Variation der luxemburgischen Nationalweise: „Wer weite kenne
Prusse sin" zum besten gab, wurde die Ungehörigkeit gar nicht gerügt. Ich
bin seit 1881 im Lande, habe aber während der ganzen Zeit nur an einem
unsrer Minister wahrgenommen, daß er im Landesausschuß immer nur echtes
Deutsch gesprochen hätte; das war der jetzige Oberpräsident Stube, der bloß
etwas zu bureaukratisch war. Also, unsre Abgeordneten haben es in ihrem
Sinne ganz gut, wenn sie recht lange tagen, es ist nicht nötig, es ihnen zum
Verdienste anzurechnen. Oder spricht für das Gegenteil der Umstand, daß in
dieser Session, außer der Eröffnungssitzung vom 10. Januar, bis heute — den
21. Februar — sechs Sitzungen abgehalten worden sind: am 18. und 19. Januar,
am 1., 2., 15. und 16. Februar? Wenn das Tagen der Kommissionen die
Thätigkeit des Plenums ausschließen sollte, so ist das ein Beweis mehr sür meine
früher ansgesprochne Behauptung, daß der Landesausschuß seinem Namen und
seiner Mitgliederzahl uach nichts als eine größere Kommission ist, die wohl
daran thäte, die Vorberatung der meisten Vorlagen, namentlich die des sehr
gleichmäßig bleibenden Staatshaushalts, in das ganze Haus zu verlegen. Die
diesjährigen Vorlagen zumal sind großenteils fertig vorgethane Arbeit, bei der
es Annehmen oder Ablehnen, aber kaum Amendiren heißt. Wenn darnach
verfahren würde, so hätten unsre Landboten in der That Gelegenheit, den
Eifer und die Hingebung zu bewähren, die der Statthalter in einer weitern
Wendung seiner verbindlichen Tischrede an ihnen gerühmt hat.

Unser jetziger Statthalter hat diese Gewohnheit, die Menschen und Dinge
in unserm Lande, soweit sie „einheimisch" sind, in vergrößernder Perspektive
zu sehen, als etwas fertiges überkommen, und es ist begreiflich, daß er sie
fortsetzt. Aber einmal wird damit gebrochen werden müssen, es ist doch zum
wenigste» eine Verwöhnung; je eher also, desto besser. Wenn es erlaubt
wäre, als Pessimist zu rechnen, so möchte man fast wünschen, daß der Landes¬
ausschuß so verblendet wäre, die Kapitalrentensteuer abzulehnen. Dann freilich
würde auf die wirklichen Verhältnisse starkes Licht fallen; auf kleinerm Raum
dem entsprechend, was der Reichstag wagt, wenn er die Flottenvorlage zurück¬
weist oder verstümmelt. Wahrscheinlich ist allerdings die Ablehnung nicht,
denn nach dem verhältnismäßig entschiednen Tone zu schließen, womit Herr
v. Puttkcimer bei der allgemeinen Budgetdebatte das Gerede von Diktatur
widerlegt hat, ist der Regierung ihre besondre Stärke in der diesjährigen
„Konstellation" bekannt, und sie muß davon Gebrauch machen, ebenso sehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/644>, abgerufen am 09.01.2025.