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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Ernst August von Hannover und das Jahr ^3^8

Besuche des Prinzen am 6. Juni 1848 verständigten sich beide Fürsten aufs
beste. Der preußische und der hannoversche Bnndestagsgescindte erhielten
gleichlautende Instruktionen über eine "außerordentliche zentrale Exekutivgewalt,"
die drei deutschen Staatsmännern provisorisch übertragen werden sollte. Es
war genau vier Wochen, ehe Ernst August seinen Ständen durch die Minister
die Kundgebung gegen den Erzherzog Reichsverweser und die neue Frankfurter
Verfassung zugehen ließ. Beim Abschied sagte der Prinz zum Könige: "Lieber
Onkel, wie soll ich dir alle deine Liebe und Freundlichkeit vergelten, die du
mir stets und namentlich bei dieser Gelegenheit bewiesen hast?" Tief bewegt
erwiderte der König: "Wenn ich einmal nicht mehr bin, so nimm dich meines
blinden Sohnes an." Der Prinz reichte dem Könige beide Hände, und ein
kräftiger Händedruck sagte, daß er gern bereit war, diesen Wunsch zu erfüllen.
Mit dem Zuge elfeinviertel Uhr vormittags reiste er sodann über Magde¬
burg nach Berlin ab. (Hierauf werden die Zeugen der einzelnen Vorgänge
genannt.)

Herrn von Hassells Buch ist eine Parteischrift, aber eine sehr gute, aus
der jeder sein Teil lernen kann. Sie ist auch solchen Verfassern populärer
Darstellungen zu empfehlen, die den König Ernst August possenhaft karikiren
und gleichzeitig den Heldensinn seiner verfassungstreuen Opponenten im höchsten
Bombast feiern, mit einem Wortvvrrat, mit dem man etwa Schulkindern von
den Helden von Thermopylü oder von Arnold Winkelried erzählen könnte. Der
alte Ernst Angust war alles andre eher, als eine komische Figur! Das Jubi¬
läumsjahr der nchtundvierziger Revolution wird uns ja Wohl noch öfter Er¬
innerungen auch an ihn bringen. Heute haben wir ein reich illustrirtes und
außerordentlich wohlfeiles Buch von Hans Blum vor uns, das gewiß eine
weite Verbreitung finden wird/") Darin heißt es unter der Überschrift: Die
Märzbewegung von 1848 in Hannover: "Der Charakter des Königs Ernst
Angust ist früher geschildert worden (nämlich mit den Worten, daß er die
Lüge gewagt habe, er sei in Bezug auf das Gesetz von 1833 nicht gefragt
worden, und daß man in England mit Recht von ihm gesagt hätte, er habe
alle Verbrechen begangen außer dem Selbstmord). Er hatte die Verfassung
des Landes freventlich gebrochen und seit elf Jahren wie ein Sultan regiert
oder wie ein Stuart vor der Revolution von 1648. Er hielt nicht einmal
für nötig, ordentlich deutsch zu lernen und zu sprechen. Außerdem aber fing
in seinen Augen der Mensch erst beim Baron an; deshalb stellte Ernst Angust
in allen höhern Staatsämtern nur Adliche an. Wie auf diesen Selbstherrscher
eine seit elf Jahren in Hannover unbekannte liberale Bewegung ("Bewegungen"
waren doch seit 1837 genug gemacht, eine wie die von 1848 aber auch im



Die deutsche Revolution 1848--49. Eine JubiUimnsgabe für das deutsche Volk. Mit
L-Al authentischen Beilagen. Florenz und Leipzig, Eugen Diederichs.
Ernst August von Hannover und das Jahr ^3^8

Besuche des Prinzen am 6. Juni 1848 verständigten sich beide Fürsten aufs
beste. Der preußische und der hannoversche Bnndestagsgescindte erhielten
gleichlautende Instruktionen über eine „außerordentliche zentrale Exekutivgewalt,"
die drei deutschen Staatsmännern provisorisch übertragen werden sollte. Es
war genau vier Wochen, ehe Ernst August seinen Ständen durch die Minister
die Kundgebung gegen den Erzherzog Reichsverweser und die neue Frankfurter
Verfassung zugehen ließ. Beim Abschied sagte der Prinz zum Könige: „Lieber
Onkel, wie soll ich dir alle deine Liebe und Freundlichkeit vergelten, die du
mir stets und namentlich bei dieser Gelegenheit bewiesen hast?" Tief bewegt
erwiderte der König: „Wenn ich einmal nicht mehr bin, so nimm dich meines
blinden Sohnes an." Der Prinz reichte dem Könige beide Hände, und ein
kräftiger Händedruck sagte, daß er gern bereit war, diesen Wunsch zu erfüllen.
Mit dem Zuge elfeinviertel Uhr vormittags reiste er sodann über Magde¬
burg nach Berlin ab. (Hierauf werden die Zeugen der einzelnen Vorgänge
genannt.)

Herrn von Hassells Buch ist eine Parteischrift, aber eine sehr gute, aus
der jeder sein Teil lernen kann. Sie ist auch solchen Verfassern populärer
Darstellungen zu empfehlen, die den König Ernst August possenhaft karikiren
und gleichzeitig den Heldensinn seiner verfassungstreuen Opponenten im höchsten
Bombast feiern, mit einem Wortvvrrat, mit dem man etwa Schulkindern von
den Helden von Thermopylü oder von Arnold Winkelried erzählen könnte. Der
alte Ernst Angust war alles andre eher, als eine komische Figur! Das Jubi¬
läumsjahr der nchtundvierziger Revolution wird uns ja Wohl noch öfter Er¬
innerungen auch an ihn bringen. Heute haben wir ein reich illustrirtes und
außerordentlich wohlfeiles Buch von Hans Blum vor uns, das gewiß eine
weite Verbreitung finden wird/") Darin heißt es unter der Überschrift: Die
Märzbewegung von 1848 in Hannover: „Der Charakter des Königs Ernst
Angust ist früher geschildert worden (nämlich mit den Worten, daß er die
Lüge gewagt habe, er sei in Bezug auf das Gesetz von 1833 nicht gefragt
worden, und daß man in England mit Recht von ihm gesagt hätte, er habe
alle Verbrechen begangen außer dem Selbstmord). Er hatte die Verfassung
des Landes freventlich gebrochen und seit elf Jahren wie ein Sultan regiert
oder wie ein Stuart vor der Revolution von 1648. Er hielt nicht einmal
für nötig, ordentlich deutsch zu lernen und zu sprechen. Außerdem aber fing
in seinen Augen der Mensch erst beim Baron an; deshalb stellte Ernst Angust
in allen höhern Staatsämtern nur Adliche an. Wie auf diesen Selbstherrscher
eine seit elf Jahren in Hannover unbekannte liberale Bewegung („Bewegungen"
waren doch seit 1837 genug gemacht, eine wie die von 1848 aber auch im



Die deutsche Revolution 1848—49. Eine JubiUimnsgabe für das deutsche Volk. Mit
L-Al authentischen Beilagen. Florenz und Leipzig, Eugen Diederichs.
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[0638] Ernst August von Hannover und das Jahr ^3^8 Besuche des Prinzen am 6. Juni 1848 verständigten sich beide Fürsten aufs beste. Der preußische und der hannoversche Bnndestagsgescindte erhielten gleichlautende Instruktionen über eine „außerordentliche zentrale Exekutivgewalt," die drei deutschen Staatsmännern provisorisch übertragen werden sollte. Es war genau vier Wochen, ehe Ernst August seinen Ständen durch die Minister die Kundgebung gegen den Erzherzog Reichsverweser und die neue Frankfurter Verfassung zugehen ließ. Beim Abschied sagte der Prinz zum Könige: „Lieber Onkel, wie soll ich dir alle deine Liebe und Freundlichkeit vergelten, die du mir stets und namentlich bei dieser Gelegenheit bewiesen hast?" Tief bewegt erwiderte der König: „Wenn ich einmal nicht mehr bin, so nimm dich meines blinden Sohnes an." Der Prinz reichte dem Könige beide Hände, und ein kräftiger Händedruck sagte, daß er gern bereit war, diesen Wunsch zu erfüllen. Mit dem Zuge elfeinviertel Uhr vormittags reiste er sodann über Magde¬ burg nach Berlin ab. (Hierauf werden die Zeugen der einzelnen Vorgänge genannt.) Herrn von Hassells Buch ist eine Parteischrift, aber eine sehr gute, aus der jeder sein Teil lernen kann. Sie ist auch solchen Verfassern populärer Darstellungen zu empfehlen, die den König Ernst August possenhaft karikiren und gleichzeitig den Heldensinn seiner verfassungstreuen Opponenten im höchsten Bombast feiern, mit einem Wortvvrrat, mit dem man etwa Schulkindern von den Helden von Thermopylü oder von Arnold Winkelried erzählen könnte. Der alte Ernst Angust war alles andre eher, als eine komische Figur! Das Jubi¬ läumsjahr der nchtundvierziger Revolution wird uns ja Wohl noch öfter Er¬ innerungen auch an ihn bringen. Heute haben wir ein reich illustrirtes und außerordentlich wohlfeiles Buch von Hans Blum vor uns, das gewiß eine weite Verbreitung finden wird/") Darin heißt es unter der Überschrift: Die Märzbewegung von 1848 in Hannover: „Der Charakter des Königs Ernst Angust ist früher geschildert worden (nämlich mit den Worten, daß er die Lüge gewagt habe, er sei in Bezug auf das Gesetz von 1833 nicht gefragt worden, und daß man in England mit Recht von ihm gesagt hätte, er habe alle Verbrechen begangen außer dem Selbstmord). Er hatte die Verfassung des Landes freventlich gebrochen und seit elf Jahren wie ein Sultan regiert oder wie ein Stuart vor der Revolution von 1648. Er hielt nicht einmal für nötig, ordentlich deutsch zu lernen und zu sprechen. Außerdem aber fing in seinen Augen der Mensch erst beim Baron an; deshalb stellte Ernst Angust in allen höhern Staatsämtern nur Adliche an. Wie auf diesen Selbstherrscher eine seit elf Jahren in Hannover unbekannte liberale Bewegung („Bewegungen" waren doch seit 1837 genug gemacht, eine wie die von 1848 aber auch im Die deutsche Revolution 1848—49. Eine JubiUimnsgabe für das deutsche Volk. Mit L-Al authentischen Beilagen. Florenz und Leipzig, Eugen Diederichs.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/638>, abgerufen am 08.01.2025.