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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Lrnst August von Hannover und das Jahr ^343

daher, endlich zahlreiche schriftliche und mündliche einzelne Mitteilungen und
eigne Eindrücke. Dagegen ist ihm die Benutzung des vormals königlich
hannoverschen Archivs für dieses Werk versagt worden, "ohne Angabe der
Gründe" -- was ja bekanntlich erst recht seine Gründe zu haben pflegt.
Indessen, wie dem auch sei, ohne Liebe und Haß kann man nun einmal nicht
gut politische Geschichte schreiben, und wir wollen das Gute nehmen, woher
es auch kommt. Der Verfasser zeigt sich in den einzelnen Dingen sehr unter¬
richtet, und manche von Treitschkes scharfen Aphorismen werden von hier aus
ergänzt oder auch zu Gunsten Hannovers und seiner Negierung berichtigt
werden müssen. In andern Fällen geht die Polemik fehl, und da wirkt der
Eifer nicht vorteilhaft für den Eindruck des Buches. Z. B.: "Es ist kaum
zutreffend, von einer erblichen Mittelmäßigkeit der vier George zu sprechen
tTreitschke). Einen Vergleich mit dem zweiten, dritten und vierten Friedrich
Wilhelm von Preußen halten sie wenigstens aus." Mcieaulah, Thackerciy oder
Carlyle würden das wohl nicht unterschreiben. Aber auch abgesehen von der
Anknüpfung an Treitschke wird dnrch das ganze Buch hindurch gegen Preußen
Hannover ausgespielt in seltsamen Vergleichen von Ereignissen und Persönlich¬
keiten, so wenn der Sieg der hannoverschen Herzoge über die Franzosen an
der Conzer Brücke (1675) sich "den unter ganz ähnlichen Verhältnissen er-
fochtnen Schlachterfvlgen von Mars la Tour und Gravelotte dreist an die
Seite stellen kann," und an derselben Stelle zur weitern Ausgleichung der
Werte der "große" Kurfürst von Brandenburg mit Gänsefüßchen erscheint.
Viele kleine Anekdoten, in denen preußische Personen lächerlich gemacht oder
von hannoverschen Offizieren durch treffende Antworten mattgesetzt werden,
sind an und für sich manchmal so nett, daß man sie am liebsten wieder¬
erzählen möchte, aber dein Buche schaden solche Reibungen doch, denn sie er¬
scheinen da mehr als Ausdruck einer persönlichen Verstimmung, mit der man
sich nicht leicht das unbefangne Urteil eines historischen Schriftstellers ver¬
bunden denken wird. Und wirklich lesen wir Seite 399 in einem Vergleich
Ernst Augusts mit Friedrich dem Großen folgende merkwürdige Worte: "Und
in mancher Hinsicht erinnert sein ganzes Negierungsshstem, ja selbst seine
Persönlichkeit an das bewunderte Vorbild, das er in sittlicher Hinsicht weit
überträfe). In der Politik verfügte er über eine reiche, wenn nicht eine
reicheres!) Erfahrung als Friedrich, gepaart mit einem ungewöhnlich scharfen
Urteil über Menschen und Dinge, und wenn ihm vielleicht (!) auch dessen Feld¬
herrngenie abging, so besaß er doch ein ebenso reges Interesse und das gleiche
Verständniss!) für militärische Verhältnisse." Diese Worte klingen so seltsam,
daß man wohl sagen darf: Wer so urteilt, der hat, in dem einen Falle
wenigstens sicher, den Maßstab verloren. Und dieses ist nun weiter anch
wohl der allgemeine Eindruck, den ein selbständig urteilender Leser nach der
Lektüre des ganzen Buches haben wird. Er mußte ohne allen Naumsinn sein


Lrnst August von Hannover und das Jahr ^343

daher, endlich zahlreiche schriftliche und mündliche einzelne Mitteilungen und
eigne Eindrücke. Dagegen ist ihm die Benutzung des vormals königlich
hannoverschen Archivs für dieses Werk versagt worden, „ohne Angabe der
Gründe" — was ja bekanntlich erst recht seine Gründe zu haben pflegt.
Indessen, wie dem auch sei, ohne Liebe und Haß kann man nun einmal nicht
gut politische Geschichte schreiben, und wir wollen das Gute nehmen, woher
es auch kommt. Der Verfasser zeigt sich in den einzelnen Dingen sehr unter¬
richtet, und manche von Treitschkes scharfen Aphorismen werden von hier aus
ergänzt oder auch zu Gunsten Hannovers und seiner Negierung berichtigt
werden müssen. In andern Fällen geht die Polemik fehl, und da wirkt der
Eifer nicht vorteilhaft für den Eindruck des Buches. Z. B.: „Es ist kaum
zutreffend, von einer erblichen Mittelmäßigkeit der vier George zu sprechen
tTreitschke). Einen Vergleich mit dem zweiten, dritten und vierten Friedrich
Wilhelm von Preußen halten sie wenigstens aus." Mcieaulah, Thackerciy oder
Carlyle würden das wohl nicht unterschreiben. Aber auch abgesehen von der
Anknüpfung an Treitschke wird dnrch das ganze Buch hindurch gegen Preußen
Hannover ausgespielt in seltsamen Vergleichen von Ereignissen und Persönlich¬
keiten, so wenn der Sieg der hannoverschen Herzoge über die Franzosen an
der Conzer Brücke (1675) sich „den unter ganz ähnlichen Verhältnissen er-
fochtnen Schlachterfvlgen von Mars la Tour und Gravelotte dreist an die
Seite stellen kann," und an derselben Stelle zur weitern Ausgleichung der
Werte der „große" Kurfürst von Brandenburg mit Gänsefüßchen erscheint.
Viele kleine Anekdoten, in denen preußische Personen lächerlich gemacht oder
von hannoverschen Offizieren durch treffende Antworten mattgesetzt werden,
sind an und für sich manchmal so nett, daß man sie am liebsten wieder¬
erzählen möchte, aber dein Buche schaden solche Reibungen doch, denn sie er¬
scheinen da mehr als Ausdruck einer persönlichen Verstimmung, mit der man
sich nicht leicht das unbefangne Urteil eines historischen Schriftstellers ver¬
bunden denken wird. Und wirklich lesen wir Seite 399 in einem Vergleich
Ernst Augusts mit Friedrich dem Großen folgende merkwürdige Worte: „Und
in mancher Hinsicht erinnert sein ganzes Negierungsshstem, ja selbst seine
Persönlichkeit an das bewunderte Vorbild, das er in sittlicher Hinsicht weit
überträfe). In der Politik verfügte er über eine reiche, wenn nicht eine
reicheres!) Erfahrung als Friedrich, gepaart mit einem ungewöhnlich scharfen
Urteil über Menschen und Dinge, und wenn ihm vielleicht (!) auch dessen Feld¬
herrngenie abging, so besaß er doch ein ebenso reges Interesse und das gleiche
Verständniss!) für militärische Verhältnisse." Diese Worte klingen so seltsam,
daß man wohl sagen darf: Wer so urteilt, der hat, in dem einen Falle
wenigstens sicher, den Maßstab verloren. Und dieses ist nun weiter anch
wohl der allgemeine Eindruck, den ein selbständig urteilender Leser nach der
Lektüre des ganzen Buches haben wird. Er mußte ohne allen Naumsinn sein


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[0632] Lrnst August von Hannover und das Jahr ^343 daher, endlich zahlreiche schriftliche und mündliche einzelne Mitteilungen und eigne Eindrücke. Dagegen ist ihm die Benutzung des vormals königlich hannoverschen Archivs für dieses Werk versagt worden, „ohne Angabe der Gründe" — was ja bekanntlich erst recht seine Gründe zu haben pflegt. Indessen, wie dem auch sei, ohne Liebe und Haß kann man nun einmal nicht gut politische Geschichte schreiben, und wir wollen das Gute nehmen, woher es auch kommt. Der Verfasser zeigt sich in den einzelnen Dingen sehr unter¬ richtet, und manche von Treitschkes scharfen Aphorismen werden von hier aus ergänzt oder auch zu Gunsten Hannovers und seiner Negierung berichtigt werden müssen. In andern Fällen geht die Polemik fehl, und da wirkt der Eifer nicht vorteilhaft für den Eindruck des Buches. Z. B.: „Es ist kaum zutreffend, von einer erblichen Mittelmäßigkeit der vier George zu sprechen tTreitschke). Einen Vergleich mit dem zweiten, dritten und vierten Friedrich Wilhelm von Preußen halten sie wenigstens aus." Mcieaulah, Thackerciy oder Carlyle würden das wohl nicht unterschreiben. Aber auch abgesehen von der Anknüpfung an Treitschke wird dnrch das ganze Buch hindurch gegen Preußen Hannover ausgespielt in seltsamen Vergleichen von Ereignissen und Persönlich¬ keiten, so wenn der Sieg der hannoverschen Herzoge über die Franzosen an der Conzer Brücke (1675) sich „den unter ganz ähnlichen Verhältnissen er- fochtnen Schlachterfvlgen von Mars la Tour und Gravelotte dreist an die Seite stellen kann," und an derselben Stelle zur weitern Ausgleichung der Werte der „große" Kurfürst von Brandenburg mit Gänsefüßchen erscheint. Viele kleine Anekdoten, in denen preußische Personen lächerlich gemacht oder von hannoverschen Offizieren durch treffende Antworten mattgesetzt werden, sind an und für sich manchmal so nett, daß man sie am liebsten wieder¬ erzählen möchte, aber dein Buche schaden solche Reibungen doch, denn sie er¬ scheinen da mehr als Ausdruck einer persönlichen Verstimmung, mit der man sich nicht leicht das unbefangne Urteil eines historischen Schriftstellers ver¬ bunden denken wird. Und wirklich lesen wir Seite 399 in einem Vergleich Ernst Augusts mit Friedrich dem Großen folgende merkwürdige Worte: „Und in mancher Hinsicht erinnert sein ganzes Negierungsshstem, ja selbst seine Persönlichkeit an das bewunderte Vorbild, das er in sittlicher Hinsicht weit überträfe). In der Politik verfügte er über eine reiche, wenn nicht eine reicheres!) Erfahrung als Friedrich, gepaart mit einem ungewöhnlich scharfen Urteil über Menschen und Dinge, und wenn ihm vielleicht (!) auch dessen Feld¬ herrngenie abging, so besaß er doch ein ebenso reges Interesse und das gleiche Verständniss!) für militärische Verhältnisse." Diese Worte klingen so seltsam, daß man wohl sagen darf: Wer so urteilt, der hat, in dem einen Falle wenigstens sicher, den Maßstab verloren. Und dieses ist nun weiter anch wohl der allgemeine Eindruck, den ein selbständig urteilender Leser nach der Lektüre des ganzen Buches haben wird. Er mußte ohne allen Naumsinn sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/632>, abgerufen am 09.01.2025.