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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Lrnst August von Hannover und das Jahr ^8^3

Das Buch, mit dem wir heute unsre Leser bekannt machen möchten, bekämpft
ihn von einem solchen einzelnen Gebiete aus beinahe auf der ganzen Linie seiner
Darstellung, es ist eine neue Geschichte Hannovers, von einem überzeugten
Anhänger der alten Negierung, einem treuen Diener seines Königshauses ver¬
faßt, von der uns zunächst ein stattlicher, vorzüglich gedruckter Band vorliegt.")
Herr von Hasselt auf Clüversborstel im Bremischen diente früher bei den han-
noverschen Gardehusaren und hat sich schon seit den siebziger Jahren durch
mehrere größere Werke über die Geschichte seines engern Vaterlandes vorteilhaft
bekannt gemacht. Dieser neue Band ist sehr gut disponirt und gut und klar
geschrieben. Der Stoff war zum Teil recht spröde: "Verfassungskämpfe, in
die die Fragen der Domänenausscheidung und der Naturalbequartierung der
Kavallerie seltsam verflochten sind"; der Verfasser hat ihn mit großem Geschick
gestaltet, und seine Darstellung ist nicht nur belehrend, sondern auch für
jemand, der einiges Sachinteresse mitbringt, fesselnd.

Die ausführliche Behandlung setzt mit dem Aufhören der französischen
Okkupation (1813) ein. Aus dem demnächst zum Königreiche erhabnen Kom¬
plexe von beinahe zwanzig einzelnen Landschaften sollte ein einheitlicher Staat
werden. Graf Münster, ein Staatsmann im großen Stil, leitete als hoch¬
gebietender Minister von London aus die auswärtige Politik, soweit sie für
Hannover in Betracht kam, die innere Organisation führte mit musterhafter
Sicherheit ein ausgezeichneter Beamter durch, der Geheime Kabinettsrat Reh-
berg, und bald schon machte sich hier der nachmals so berühmt gewordne Ein¬
fluß Stüves geltend, der lange, ehe er Minister wurde, zunächst als Schatzrat
der Landschaft in Osnabrück, dann als königlicher Assessor im Geheimen Rate
in Hannover (seit 1831) thätig war. Er war zu großen Dingen vorbehalten,
nachdem Münster, der sechsundzwanzig Jahre lang drei Königen gedient hatte,
von Wilhelm IV. gleich nach seiner Thronbesteigung mit den höchsten Ehren
verabschiedet worden war (1830). Der Herzog von Cambridge, des Königs
jüngerer Bruder und bis dahin Generalgouvemeur von Hannover, wurde nun
zum Vizekönig ernannt, ein freundlicher Herr, dem die Geschäfte des Landes
keine Sorgen machten. Dafür waren die Minister und die Kabinettsräte da.
Von besondrer Wichtigkeit war die Formirung des neuen stehenden Heeres
nach den Befreiungskriegen. Hervorragende, im englischen Dienst ergraute
Offiziere mit Erfahrungen, die in allen möglichen Ländern gesammelt waren,
standen zur Verfügung, aber die wohlbegründete Sparsamkeit der Stunde schuf
überall die größten Hindernisse. Die Einrichtungen gestalteten sich infolge
dessen sehr eigentümlich. Die Infanterie lag in Bürgerquartieren, für die



*) Geschichte des Königreichs Hannover. Unter Benutzung bisher unbekannter Aktenstücke
von W, von Hasselt. Erster Teil. Von 1813 bis 1848. Mit fünf Porträts (Ernst August,
Graf Münster, Rehberg, Sehele und Stüve). Bremen, Heinsius Nachfolger.
Lrnst August von Hannover und das Jahr ^8^3

Das Buch, mit dem wir heute unsre Leser bekannt machen möchten, bekämpft
ihn von einem solchen einzelnen Gebiete aus beinahe auf der ganzen Linie seiner
Darstellung, es ist eine neue Geschichte Hannovers, von einem überzeugten
Anhänger der alten Negierung, einem treuen Diener seines Königshauses ver¬
faßt, von der uns zunächst ein stattlicher, vorzüglich gedruckter Band vorliegt.")
Herr von Hasselt auf Clüversborstel im Bremischen diente früher bei den han-
noverschen Gardehusaren und hat sich schon seit den siebziger Jahren durch
mehrere größere Werke über die Geschichte seines engern Vaterlandes vorteilhaft
bekannt gemacht. Dieser neue Band ist sehr gut disponirt und gut und klar
geschrieben. Der Stoff war zum Teil recht spröde: „Verfassungskämpfe, in
die die Fragen der Domänenausscheidung und der Naturalbequartierung der
Kavallerie seltsam verflochten sind"; der Verfasser hat ihn mit großem Geschick
gestaltet, und seine Darstellung ist nicht nur belehrend, sondern auch für
jemand, der einiges Sachinteresse mitbringt, fesselnd.

Die ausführliche Behandlung setzt mit dem Aufhören der französischen
Okkupation (1813) ein. Aus dem demnächst zum Königreiche erhabnen Kom¬
plexe von beinahe zwanzig einzelnen Landschaften sollte ein einheitlicher Staat
werden. Graf Münster, ein Staatsmann im großen Stil, leitete als hoch¬
gebietender Minister von London aus die auswärtige Politik, soweit sie für
Hannover in Betracht kam, die innere Organisation führte mit musterhafter
Sicherheit ein ausgezeichneter Beamter durch, der Geheime Kabinettsrat Reh-
berg, und bald schon machte sich hier der nachmals so berühmt gewordne Ein¬
fluß Stüves geltend, der lange, ehe er Minister wurde, zunächst als Schatzrat
der Landschaft in Osnabrück, dann als königlicher Assessor im Geheimen Rate
in Hannover (seit 1831) thätig war. Er war zu großen Dingen vorbehalten,
nachdem Münster, der sechsundzwanzig Jahre lang drei Königen gedient hatte,
von Wilhelm IV. gleich nach seiner Thronbesteigung mit den höchsten Ehren
verabschiedet worden war (1830). Der Herzog von Cambridge, des Königs
jüngerer Bruder und bis dahin Generalgouvemeur von Hannover, wurde nun
zum Vizekönig ernannt, ein freundlicher Herr, dem die Geschäfte des Landes
keine Sorgen machten. Dafür waren die Minister und die Kabinettsräte da.
Von besondrer Wichtigkeit war die Formirung des neuen stehenden Heeres
nach den Befreiungskriegen. Hervorragende, im englischen Dienst ergraute
Offiziere mit Erfahrungen, die in allen möglichen Ländern gesammelt waren,
standen zur Verfügung, aber die wohlbegründete Sparsamkeit der Stunde schuf
überall die größten Hindernisse. Die Einrichtungen gestalteten sich infolge
dessen sehr eigentümlich. Die Infanterie lag in Bürgerquartieren, für die



*) Geschichte des Königreichs Hannover. Unter Benutzung bisher unbekannter Aktenstücke
von W, von Hasselt. Erster Teil. Von 1813 bis 1848. Mit fünf Porträts (Ernst August,
Graf Münster, Rehberg, Sehele und Stüve). Bremen, Heinsius Nachfolger.
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[0630] Lrnst August von Hannover und das Jahr ^8^3 Das Buch, mit dem wir heute unsre Leser bekannt machen möchten, bekämpft ihn von einem solchen einzelnen Gebiete aus beinahe auf der ganzen Linie seiner Darstellung, es ist eine neue Geschichte Hannovers, von einem überzeugten Anhänger der alten Negierung, einem treuen Diener seines Königshauses ver¬ faßt, von der uns zunächst ein stattlicher, vorzüglich gedruckter Band vorliegt.") Herr von Hasselt auf Clüversborstel im Bremischen diente früher bei den han- noverschen Gardehusaren und hat sich schon seit den siebziger Jahren durch mehrere größere Werke über die Geschichte seines engern Vaterlandes vorteilhaft bekannt gemacht. Dieser neue Band ist sehr gut disponirt und gut und klar geschrieben. Der Stoff war zum Teil recht spröde: „Verfassungskämpfe, in die die Fragen der Domänenausscheidung und der Naturalbequartierung der Kavallerie seltsam verflochten sind"; der Verfasser hat ihn mit großem Geschick gestaltet, und seine Darstellung ist nicht nur belehrend, sondern auch für jemand, der einiges Sachinteresse mitbringt, fesselnd. Die ausführliche Behandlung setzt mit dem Aufhören der französischen Okkupation (1813) ein. Aus dem demnächst zum Königreiche erhabnen Kom¬ plexe von beinahe zwanzig einzelnen Landschaften sollte ein einheitlicher Staat werden. Graf Münster, ein Staatsmann im großen Stil, leitete als hoch¬ gebietender Minister von London aus die auswärtige Politik, soweit sie für Hannover in Betracht kam, die innere Organisation führte mit musterhafter Sicherheit ein ausgezeichneter Beamter durch, der Geheime Kabinettsrat Reh- berg, und bald schon machte sich hier der nachmals so berühmt gewordne Ein¬ fluß Stüves geltend, der lange, ehe er Minister wurde, zunächst als Schatzrat der Landschaft in Osnabrück, dann als königlicher Assessor im Geheimen Rate in Hannover (seit 1831) thätig war. Er war zu großen Dingen vorbehalten, nachdem Münster, der sechsundzwanzig Jahre lang drei Königen gedient hatte, von Wilhelm IV. gleich nach seiner Thronbesteigung mit den höchsten Ehren verabschiedet worden war (1830). Der Herzog von Cambridge, des Königs jüngerer Bruder und bis dahin Generalgouvemeur von Hannover, wurde nun zum Vizekönig ernannt, ein freundlicher Herr, dem die Geschäfte des Landes keine Sorgen machten. Dafür waren die Minister und die Kabinettsräte da. Von besondrer Wichtigkeit war die Formirung des neuen stehenden Heeres nach den Befreiungskriegen. Hervorragende, im englischen Dienst ergraute Offiziere mit Erfahrungen, die in allen möglichen Ländern gesammelt waren, standen zur Verfügung, aber die wohlbegründete Sparsamkeit der Stunde schuf überall die größten Hindernisse. Die Einrichtungen gestalteten sich infolge dessen sehr eigentümlich. Die Infanterie lag in Bürgerquartieren, für die *) Geschichte des Königreichs Hannover. Unter Benutzung bisher unbekannter Aktenstücke von W, von Hasselt. Erster Teil. Von 1813 bis 1848. Mit fünf Porträts (Ernst August, Graf Münster, Rehberg, Sehele und Stüve). Bremen, Heinsius Nachfolger.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/630>, abgerufen am 07.01.2025.