Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Madlene notdürftig bekleidet, mit wirrem Haar, barfuß, ward der Kleine ins Wirtshaus ge¬ So hatte dieser Tag des Büßens und Zählens deu Stempel empfangen. Bald begann sich allerlei Gesinde! im Dorf zu zeigen. Da kam der Scheren¬ Ist das kirmesmachende Dörflein gehörig geplündert, so begiebt sich die wieder Während der Zubereitung der Mahlzeit findet heute auf dem freien Platz vor Wie die Mahlzeit zu Stande kam, und wie es den Leuten geschmeckt hat -- Auf dem Tanzboden geht es lustig her. Auch der Frieder macht sich heute Madlene notdürftig bekleidet, mit wirrem Haar, barfuß, ward der Kleine ins Wirtshaus ge¬ So hatte dieser Tag des Büßens und Zählens deu Stempel empfangen. Bald begann sich allerlei Gesinde! im Dorf zu zeigen. Da kam der Scheren¬ Ist das kirmesmachende Dörflein gehörig geplündert, so begiebt sich die wieder Während der Zubereitung der Mahlzeit findet heute auf dem freien Platz vor Wie die Mahlzeit zu Stande kam, und wie es den Leuten geschmeckt hat — Auf dem Tanzboden geht es lustig her. Auch der Frieder macht sich heute <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0618" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227520"/> <fw type="header" place="top"> Madlene</fw><lb/> <p xml:id="ID_2232" prev="#ID_2231"> notdürftig bekleidet, mit wirrem Haar, barfuß, ward der Kleine ins Wirtshaus ge¬<lb/> fahren. Dort mußte er verharren, bis das „Zusammenfahren" der Blotzburschen<lb/> beendigt war. Es war bald geschehen. Denn nnr noch einen fingen sie; die andern<lb/> drei waren glücklich entkommen und warteten schon lachend im Wirtshaus. Die<lb/> beiden Gekarrnten hatten Buße zu zahlen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2233"> So hatte dieser Tag des Büßens und Zählens deu Stempel empfangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2234"> Bald begann sich allerlei Gesinde! im Dorf zu zeigen. Da kam der Scheren¬<lb/> schleifer, der sich seinen Schlcifkarren ans einem Weberspulrad hergestellt hatte, ver¬<lb/> sehen mit einem Wassereimer mit mächtig großem Pinsel zum Anfeuchten des Schleif¬<lb/> steines, häufiger jedoch gebraucht zum Einspritzen Neugieriger, namentlich der lustigen<lb/> Jugend, die heut ihren großen Tag hatte. Die „Rike" des Scherenschleifers — eine<lb/> in Frauenkleidern steckende Mannsperson mit einem großen Korb auf dem Rücken —<lb/> hatte die scharf zu machenden Waren ans den Häusern zu holen und gegen guten<lb/> Schleiferlohn, der weniger in Geld als in allerlei Viktualien bestand nud sich im<lb/> Korbe sammelte, wieder abzuliefern. Die Szenen, die sich zwischen dem Scheren¬<lb/> schleifer und seiner „Nike, dreh, dreh, dreh! Rike, truii, truii, truii!" abspielten,<lb/> waren so drollig und derb, daß diese Einfälle und Auslassungen das Bühnenstück<lb/> des gestrigen Abends bei weitem übertrafen, namentlich an Gesundheit. Es flössen<lb/> auch Thränen dabei; das waren aber Lnchthränen, eine gute Gabe Gottes zur<lb/> Reinigung der Gemütskaunle. — — Judenvolk in gelungner Nachahmung, ein<lb/> riesiges Bettelweib mit großem hölzernem Wickelkind, kartenschlagende Zigeunerinnen,<lb/> Schlvtfeger, Exekutor, zahuausreißender Wunderdoktor, Barbier mit üppigem Höcker,<lb/> Nusseugifteiublaser — es ist nicht alles aufzuzählen, das zusammentragende Ge¬<lb/> sinde!; aber unmöglich ist die Schilderung des Witzes und der Spaße, womit die<lb/> spendenden entschädigt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2235"> Ist das kirmesmachende Dörflein gehörig geplündert, so begiebt sich die wieder<lb/> schön herausgeputzte Blotzgesellschaft mit Musik in eins der Nachbardörfer, wo kein<lb/> Maien aufgerichtet worden ist. Voraus eilt der ansagende Läufer, mit seiner<lb/> großen Peitsche knallend, hinterdrein folgt das Hausirgefindel. So ein Zug über<lb/> Land ist das Ergötzlichste, was das Landleben zu bieten imstande ist. Das heim¬<lb/> gesuchte Nachbardvrf wird ebenso mit tollen Streichen überschüttet und hat dafür<lb/> seinen Tribut zu leisten. Abends erfolgt die Heimkehr ins Wirtshaus. Da sitzen<lb/> dann in einer besondern Stube die Blotzburschen bereit zum Empfang des Tages¬<lb/> ertrags, und der ist nicht unbedeutend. Aus den Viktualien wird eine Mahlzeit<lb/> hergerichtet, an der die Blotzpcmre, die Musik und alle, die Verkleidete gespielt haben,<lb/> teilnehmen. Das Hauptgericht besteht in Klößen und Braten aus dem zusammen¬<lb/> getragnen Mehl und Fleisch. Und der Haufen kleiner Münzen wird dem Wirt<lb/> für zu lieferndes Freibier vorgezählt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2236"> Während der Zubereitung der Mahlzeit findet heute auf dem freien Platz vor<lb/> dem Wirtshaus große Vorstellung in der Seiltanzlimst und Hundedressnr statt.<lb/> Komödie kann heute nicht gespielt werden, da sich die Blotzburschen jede Einschränkung<lb/> ihres Tanzvergnügens, das nach der Mahlzeit stattfinden wird, verbeten haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_2237"> Wie die Mahlzeit zu Stande kam, und wie es den Leuten geschmeckt hat —<lb/> die Künste des Fräulein Hoßfeld, des Domi und des Bullenbeißers, die dabei dein<lb/> Neger Naddmnaktifidibum zugefallne Rolle sind aber gleichgiltige Dinge für unsre<lb/> Geschichte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2238"> Auf dem Tanzboden geht es lustig her. Auch der Frieder macht sich heute<lb/> wieder recht vergnügt und tanzt eben mit seiner Madlene so kunstgerecht und ge¬<lb/> diegen, als nur möglich, einen Walzer. Der Kleine steht eben Pause mit dein<lb/> Kätterle.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0618]
Madlene
notdürftig bekleidet, mit wirrem Haar, barfuß, ward der Kleine ins Wirtshaus ge¬
fahren. Dort mußte er verharren, bis das „Zusammenfahren" der Blotzburschen
beendigt war. Es war bald geschehen. Denn nnr noch einen fingen sie; die andern
drei waren glücklich entkommen und warteten schon lachend im Wirtshaus. Die
beiden Gekarrnten hatten Buße zu zahlen.
So hatte dieser Tag des Büßens und Zählens deu Stempel empfangen.
Bald begann sich allerlei Gesinde! im Dorf zu zeigen. Da kam der Scheren¬
schleifer, der sich seinen Schlcifkarren ans einem Weberspulrad hergestellt hatte, ver¬
sehen mit einem Wassereimer mit mächtig großem Pinsel zum Anfeuchten des Schleif¬
steines, häufiger jedoch gebraucht zum Einspritzen Neugieriger, namentlich der lustigen
Jugend, die heut ihren großen Tag hatte. Die „Rike" des Scherenschleifers — eine
in Frauenkleidern steckende Mannsperson mit einem großen Korb auf dem Rücken —
hatte die scharf zu machenden Waren ans den Häusern zu holen und gegen guten
Schleiferlohn, der weniger in Geld als in allerlei Viktualien bestand nud sich im
Korbe sammelte, wieder abzuliefern. Die Szenen, die sich zwischen dem Scheren¬
schleifer und seiner „Nike, dreh, dreh, dreh! Rike, truii, truii, truii!" abspielten,
waren so drollig und derb, daß diese Einfälle und Auslassungen das Bühnenstück
des gestrigen Abends bei weitem übertrafen, namentlich an Gesundheit. Es flössen
auch Thränen dabei; das waren aber Lnchthränen, eine gute Gabe Gottes zur
Reinigung der Gemütskaunle. — — Judenvolk in gelungner Nachahmung, ein
riesiges Bettelweib mit großem hölzernem Wickelkind, kartenschlagende Zigeunerinnen,
Schlvtfeger, Exekutor, zahuausreißender Wunderdoktor, Barbier mit üppigem Höcker,
Nusseugifteiublaser — es ist nicht alles aufzuzählen, das zusammentragende Ge¬
sinde!; aber unmöglich ist die Schilderung des Witzes und der Spaße, womit die
spendenden entschädigt werden.
Ist das kirmesmachende Dörflein gehörig geplündert, so begiebt sich die wieder
schön herausgeputzte Blotzgesellschaft mit Musik in eins der Nachbardörfer, wo kein
Maien aufgerichtet worden ist. Voraus eilt der ansagende Läufer, mit seiner
großen Peitsche knallend, hinterdrein folgt das Hausirgefindel. So ein Zug über
Land ist das Ergötzlichste, was das Landleben zu bieten imstande ist. Das heim¬
gesuchte Nachbardvrf wird ebenso mit tollen Streichen überschüttet und hat dafür
seinen Tribut zu leisten. Abends erfolgt die Heimkehr ins Wirtshaus. Da sitzen
dann in einer besondern Stube die Blotzburschen bereit zum Empfang des Tages¬
ertrags, und der ist nicht unbedeutend. Aus den Viktualien wird eine Mahlzeit
hergerichtet, an der die Blotzpcmre, die Musik und alle, die Verkleidete gespielt haben,
teilnehmen. Das Hauptgericht besteht in Klößen und Braten aus dem zusammen¬
getragnen Mehl und Fleisch. Und der Haufen kleiner Münzen wird dem Wirt
für zu lieferndes Freibier vorgezählt.
Während der Zubereitung der Mahlzeit findet heute auf dem freien Platz vor
dem Wirtshaus große Vorstellung in der Seiltanzlimst und Hundedressnr statt.
Komödie kann heute nicht gespielt werden, da sich die Blotzburschen jede Einschränkung
ihres Tanzvergnügens, das nach der Mahlzeit stattfinden wird, verbeten haben.
Wie die Mahlzeit zu Stande kam, und wie es den Leuten geschmeckt hat —
die Künste des Fräulein Hoßfeld, des Domi und des Bullenbeißers, die dabei dein
Neger Naddmnaktifidibum zugefallne Rolle sind aber gleichgiltige Dinge für unsre
Geschichte.
Auf dem Tanzboden geht es lustig her. Auch der Frieder macht sich heute
wieder recht vergnügt und tanzt eben mit seiner Madlene so kunstgerecht und ge¬
diegen, als nur möglich, einen Walzer. Der Kleine steht eben Pause mit dein
Kätterle.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |